Wissenschaftskommunikation unter sozialmedialen Bedingungen (Teil 2)

Eine Platine als Symbolbild

Danke für die lebhafte und konstruktive Diskussion zu meinem ersten Beitrag – so kann es gerne weitergehen!

Ich hatte als “Vorgucker” ja bereits angedeutet, mich in Beitrag 2 und 3 (von vermutlich insgesamt 4) mit der Rolle von sozialen Medien als Intermediäre der Wissenschaftskommunikation zu befassen. Was meine ich mit “Intermediär” im Zusammenhang mit sozialen Medien? Diejenigen sozialmedialen Angebote, die verschiedene “Kanäle” bündeln, ohne auf bestimmte Inhalte oder Präsentationsformen festgelegt zu sein. Facebook ist also ein Intermediär, dessen “Kanäle” die vielen einzelnen Profile und Pages sind; Twitter ist ein Intermediär mit den einzelnen Accounts als Kanälen, und auch scilogs.de ist ein Intermediär, der viele einzelne Science Blogs bündelt. Ein Intermediär generiert also selbst keine eigenen Inhalte, stellt aber die Voraussetzungen zur Verfügung, dass andere diese verbreiten bzw. auffinden können. 1

Organisationsprinzipien von Intermediären

Wie aber bündeln und vermitteln Intermediäre die Informationen, die in ihren vielen verschiedenen Kanälen von vielen unterschiedlichen Nutzerinnen und Nutzern bereitgestellt werden? Drei zentrale Prinzipien sind hier meiner Ansicht nach zu nennen.

Ent- und Neubündelung von Informationen

Erstens machen Intermediäre Informationen aus unterschiedlichen Quellen (und oft auch aus unterschiedlichen Arenen; siehe meinen letzten Beitrag) zugänglich, entweder weil die jeweiligen Urheber direkt auf der Plattform aktiv sind, oder weil Nutzer Inhalte von anderen Stellen im Netz mit Hilfe des Intermediärs “teilen”. Das Interessante dabei ist, dass diese Informationen von den Intermediären nicht zu abgegrenzten Bündeln im Sinne einer “Ausgabe”, “Sendung” oder “Issue” zusammengeschnürt werden, sondern vielmehr die Empfänger in dynamischen “Streams” oder “Feeds” erreichen, die kontinuierlich aktualisiert werden. Anders gesagt: Das redaktionelle Kuratieren spielt bei Intermediären keine große Rolle mehr; es wird durch algorithmisches Kuratieren abgelöst.

Personalisierung

Damit verbunden ist das zweite Organisationsprinzip von sozialmedialen Intermediären, nämlich das der Personalisierung. Die Neubündelung von Informationen aus unterschiedlichen Quellen geschieht ja nicht völlig willkürlich; ich bekomme als Nutzer von Facebook oder Twitter nicht irgendwelche Nachrichten angezeigt. Vielmehr betreibe ich selbst bewusste oder gewollte Personalisierung, indem ich bestimmte Kanäle selektiere, also zum “Follower” oder “Facebook Friend” werde und so meinem individuellen Informationsstrom eine neue Quelle hinzufüge. Hinzu kommt die unbewusste, unter Umständen sogar ungewollte Personalisierung durch Algorithmen, die mein früheres Verhalten und meine soziale Einbettung einbeziehen, um mir “ähnliche” Informationen anzuzeigen. Ich komme gleich noch einmal auf eine mögliche Konsequenz dieser Entwicklung (Stichwort: “Filter Blase”) zurück.

Konvergenz von Konversation und Publikation

Das dritte Organisationsprinzip betrifft die vorherrschenden Kommunikationsmodi. Intermediäre lösen die vormals strikte Trennung zwischen “Publizieren” und “Konversation” auf; zum einen, weil professionell-publizistische Kommunikatoren (ob journalistische Redaktionen oder Akteure der Wissenschafts-PR und Öffentlichkeits­arbeit) mit eigenen Profilen, Channels und Accounts in den sozialen Medien aktiv sind, dort aber ‘gleichberechtigt’ neben den persönlichen Öffentlichkeiten meiner Freunde und Bekannten stehen. Zum anderen, weil die sozialen Medien Anschlusskommunikation ermöglichen und sichtbar machen, also Kommentare, Likes, Shares, Retweets, Pingbacks etc.. Es ist dadurch immer auch sichtbar, was “the people formerly known as the audience” über die kommunizierten Informationen denken und wie sie diese bewerten.

Folgen für die Wissenschaftskommunikation

Diese Organisationsprinzipien sozialmedialer Intermediäre gelten unabhängig vom Inhalt der Kommunikation. Ihre Konsequenzen werden derzeit vor allem in Hinblick auf politische Öffentlichkeit und Meinungsbildung untersucht und diskutiert. Aber auch für die Wissenschaftskommunikation gibt es mittlerweile eine Reihe von Studien zu einzelnen Facetten dieser Entwicklung. Ich verzichte darauf, die hier en detail wiederzugeben – die Expertise mit den entsprechenden Verweisen wird ja auch wieder veröffentlicht werden – und greife nur zwei examplarische Untersuchungen heraus:

Die Konvergenz von Konversation und Publikation kann offensichtlich die Perspektive auf wissenschaftliche Themen erweitern: Mahrt/Puschmann (2014) haben Kommentare zu 25 Einträgen in Science Blogs untersucht, die sich mit fünf verschiedenen kontroversen Themen (z. B. dem Reaktorunglück in Fukushima) beschäftigten. Bei jedem dieser Themen waren Kommentare mehrheitlich darauf ausgerichtet, zusätzliche Informationen und Perspektiven zum Beitragsthema zu liefern. Bewertungen des Blogeintrags, also explizite Zustimmung oder explite Kritik, kamen in unterschiedlichen Verhältnissen vor, waren aber in Summe nie so häufig wie die ergänzenden Informationen. Das Autorenteam schließt daraus, dass Science Blogs dazu dienen könnten, „discussions with a scholarly component in a forum where experts relay information to non-experts and engage in discussion with them“ (ebda. S. 13) zu fördern. Aber sie weisen auch daraufhin, dass zwischen der Komplexität des Blogbeitrags und der der Kommentare ein positiver Zusammenhang besteht: Beiträge, die sich eher eine Alltagssprache bedienten, enthielten auch viele entsprechende Kommentare, während Beiträge, die eine fachspezifische Terminologie benutzten, viele Kommentare mit entsprechend komplexer Sprache nach sich zogen. Es liegt also in der Hand der Bloggerinnen und Blogger, ob sie die Diskussion mit einem breiteren wissenschaftsinteressierten Publikum oder vor mit der eigenen erweiterten Fachgemeinschaft führen wollen.

Im Hinblick auf die Personalisierung hingegen sind vor allem Studien interessant, die sich mit der Existenz von “Filterblasen” und “Echokammern” in der Wissenschaftskommunikation befassen. Zur Erinnerung: Diese beiden Schlagworte bezeichnen den Umstand (bzw. die Hypothese), dass eine Kombination aus individuell-kognitiven Mechanismen, Strukturen der sozialen Einbettung und Funktionsweisen der filternden Algorithmen dazu führe, dass Menschen im Internet tendenziell nur noch (oder zumindest überwiegend) mit Informationen konfrontiert seien, die ihre eigene Weltsicht und Meinung bestärken. Eine italienische Forschergruppe hat unlängst zwei Studien veröffentlicht, die in der Tat in diese Richtung deuten: Bessi et al. (2015) und Del Vicario et al. (2016) haben die Kommunikationsprozesse in mehr als 60 Facebookgruppen untersucht, von denen etwa eine Hälfte verschwörungstheoretisch ausgerichtet war, die andere Hälfte hingegen „science news“ verbreitete. Sie fanden Ähnlich­keiten in den zeitlichen Mustern der Informationsverbreitung, aber erkennbar voneinander separierte Nutzer­gruppen, was sie als Beleg von „echo chambers“ deuten. Allerdings zeigte sich im Publikum der wissenschaftlich ausgerichteten Seiten eine größere Tendenz dazu, sich auch in Debatten auf verschwörungstheoretischen Seiten einzuschalten, während umgekehrt das verschwörungs­theoretische Publikum stärkere Anzeichen von „cognitive closure“ – gemessen anhand der Facebook-Aktivität – an den Tag legte.

Jetzt ist aber Zeit für Ihre Anschlusskommunikation – zeigen Sie mir, dass ich nicht in einer Echokammer kommuniziere…! 🙂

 

Notes:
1. Die Betreiber von Intermediären bezeichnen sich unter Verweis auf diese vorgeblich neutrale Stellung selbst meist lieber als “Plattform”; Tarleton Gillespie hat in seinem Aufsatz zur “Politics of Platforms” aber schön herausgearbeitet, dass dies vor allem deswegen geschieht, um sich gegenüber politischen Akteuren abzusichern: Wenn man “nur” die Plattform für die Inhalte anderer bereitstelle, müsse man ja auch nicht so scharf reguliert werden wie z.B. ein Rundfunk- oder Presseangebot. Aber tatsächlich sind diese Angebote mehr als bloße Plattformen: In die technische Gestaltung der Softwaresysteme fließen Entscheidungen und Selektionen ein, die dem Nutzerhandeln einen Rahmen vorgeben, und auch die Interessen und Finanzierungsmodellen der Betreiber haben einen Einfluss auf die konkrete Gestalt der Angebote.
Avatar-Foto

Dr. Jan-Hinrik Schmidt (*1972) ist wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Nach seinem Studium der Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der West Virginia University (USA) promovierte er 2004 mit einer Arbeit über den lokalbezogene Internetangebote. Von 2005 bis 2007 war er stellvertretender Leiter der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“ an der Universität Bamberg. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Onlinemedien, und hier insbesondere in den Veränderungen, die soziale Medien wie Facebook, Twitter oder YouTube für Beziehungen, Informationsverhalten, politische Teilhabe und gesellschaftliche Öffentlichkeit bringen. Ergebnisse seiner Forschungsarbeit sind in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht; sein jüngstes Buch „Social Media“ richtet sich aber ausdrücklich an nicht-wissenschaftliche Zielgruppen, die die Entwicklungen des Internets in den letzten Jahren verstehen und eingeordnet sehen wollen. Er bloggt unter http://www.schmidtmitdete.de und twittert als @janschmidt.

4 Kommentare

  1. Passt scilogs.de da mit hinein? Ich hoffe doch sehr, dass da zumindest bei der Auswahl der Autoren nicht nur ein Algorithmus hingeschaut hat. Das ist ein starkes Kuratierungselement, wenn auch der Beitragenden, nicht der Beiträge. Und dürfte entscheidend dafür sein, was die SciLogs sind.

    Weiteres Kuratieren soweit ich sehen kann: Welche Blogbeiträge über die Spektrum-Kanäle z.B. getwittert werden und welche nicht. Das ist ja auch kein Automatismus.

    Insofern ist Scilogs irgendwie ein Mittelding: zwar nicht redaktionelle Kontrolle von Beitragenden und Beiträgen (wie in Zeitung oder Zeitschrift), aber immerhin redaktionelle (oder wie man das nennen will) Auswahl der Beitragenden und damit eine Mittelposition, nicht dasselbe wie algorithmische Aufarbeitung bei Facebook, Google etc.

    • Ja, Scilogs (die Plattform) ist m.E. ein Intermediär, wenngleich ein in Teilen besonderer. Denn in der Tat kommen hier Elemente des redaktionellen Kuratierens stärker zum Tragen als bei den “großen” Intermediären wie Facebook, Twitter oder YouTube. Der wesentliche Aspekt ist auch genannt worden, nämlich die redaktionelle Kontrolle darüber, wer einen “Kanal” (d.h. ein Blog) auf scilogs betreiben darf/kann.

      Aus diesen einzelnen Kanälen werden Beiträge allerdings durchaus algorithmisch gebündelt: Auf der Startseite werden, soweit ich das sehen kann, immer die neuesten Beiträge (und in der Seitenleiste auch die neuesten Kommentare) aus den Einzelblogs rückwärts chronologisch sortiert angezeigt. Manchmal gerät das ja bereits aus dem Blick, weil uns inzwischen diese Art der algorithmischen Sortierung so vertraut ist: Das Neueste steht immer oben. Aber das ist eben nur eine von vielen Möglichkeiten, einzelne Inhalte aus den vielen einzelnen Blogs automatisiert zu bündeln. Denkbar wäre auch eine alphabetische Sortierung (nach Autor/innen-Namen oder nach dem ersten Buchstaben des Titels…), oder immer den Beitrag oben anzuzeigen, der als letztes kommentiert wurde, oder oder oder…

      Dass die anderen Social-Media-Auftritte der scilogs redaktionell kuratiert werden stimmt natürlich – das sind aber wiederum einzelne Kanäle auf anderen Intermediären, die dann nach ihrer eigenen Logik neu bündeln & personalisieren, wie oben beschrieben.

      • Wird zum Kuratieren allgemein denn noch etwas in einem weiteren Teil etwas kommen? Das ist ja im Bereich “Vermischtes” bei den Zeitungswebseiten durchaus angekommen (Rubrik “Das beste aus dem Internet”), aber bei ernsthaften Inhalten, soweit ich sehen kann, noch nicht (evt. weil man befürchtet, den eigenen Inhalten Konkurrenz zu machen?).

        Dabei haben die allermeisten, die die jetzt viel einfacheren Möglichkeiten, Inhalte öffentlich zu machen, das Problem, dass ihre Inhalte kaum gefunden werden – natürlich u.a. gerade weil das Angebot so groß ist. Jenseits der etablierten Marken (alt oder neu) sieht es da ganz schnell mau aus. Dass ich mir als Blogger wünsche, gute Beiträge würden vielleicht mal im “Mainstream” aufgegriffen wundert natürlich nicht, aber ich wünsche mir auch als Leser bei Themen jenseits meines Fachgebiets öfter mal, noch etwas tiefergehend weiterlesen zu können als es mir z.B. ein Online-Zeitungsartikel erlaubt. Da wäre mir sehr geholfen, wenn vom Online-Zeitungsartikel z.B. auf schöne Blogbeiträge beteiligter Wissenschaftler verwiesen würde (wobei der Journalist mit dem Verweis selbst Kurator-Funktion ausüben würde – inklusive eines Qualitätssicherungs-Aspekts).

        • Gute Idee! Ich will im nächsten Beitrag (vermutlich am Dienstag) nochmal was zu den Intermediären schreiben, aber für meinen letzten Beitrag Ende der Woche würde ich dann Themen aufgreifen, die in den Kommentaren aufkamen; da kann ich auch nochmal was zum Kuratieren schreiben.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +