Vroni und die toten Hasen

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

(Hab’ mal wieder keine Lust auf Wissenschaft – hier geht’s um Kunst)

Vroni [1] ist eine zierliche, schlanke, fast ein wenig knochige Frau. Ein bißchen sieht sie aus wie aus spätgotischem Holz geschnitzt. Ins Männliche transponiert gäb’ sie einen schönen, asketischen Heiligen in einem Stoss- oder Riemenschneider-Altar ab, einen Hieronymus zum Beispiel. Da gehörte dann ein Löwe dazu.

Aber zu Vroni gehören die toten Hasen. Und sie schnitzt auch nicht, sie pinselt, sie strichelt, sie stichelt. Vroni ist Künstlerin. Sie malt mit öligen und wässrigen Farben, zeichnet mit Bleistiften und kratzt mit der Kaltnadel in Kupferplatten. Tote Hasen. Nicht nur, aber auch. Momentan ist sie in einer Hasen-Phase.

Vroni ist ein ziemlicher Anachronismus. Sie selbst könnt’ ich mir – wie gesagt – durchaus als spätgotisches Burgfrollein vorstellen, und das, was sie malt, zeichnet und radiert, ist auch irgendwie aus der Zeit gefallen. Aus der Gegenwart zumindest.

Vronis Sachen sind klein, ohne aber Miniaturen zu sein. Die Hasen auf den Radierungen sind etwa so groß, wie es Hasen halt sind. Genauer: Sie sind kaninchengroß, es sind nämlich kurzohrige Wildkarnickel, die sie da in ihren Todesposen auf die Platten strichelt. Warum sie sie “Hasen” nennt, wiewohl sie es besser weiss: das weiss ich wieder nicht. Oder vielleicht doch. Weiter unten.

Kleine Formate. Dabei stammt sie, was ihre Ausbildung angeht, durchaus aus der künstlerischen Breitwandwelt. Sie hat bei Hermann Nitsch an der Städelschule in Frankfurt studiert – das ist der mit den quasi-cinematoskopischen, körperbetonten, stundenlangen Mega-Schlachtfest-Inszenierungen; mit Ochsenfleisch und -blut und -galle und Tapetenkleister (als Surrogat anderer, normalerweise nur in kleineren Mengen zur Verfügung stehender Körpersäfte). Sie ist eine seiner Meisterschülerinnen.

Tote Kaninchen, kleine Formate, unanständig gegenständlich altmodisch Haar für Haar in die Platte gekratzt. Ganz Fell, ganz Haar, ein Strichgewuschel. Wieso denn das? Vroni gibt aber nicht gerne weitschweifige Auskünfte über das “was will uns der Künstler damit sagen”. Statt dessen guckt sie ein wenig ironisch aus ihrem gotischen Gesicht heraus und sagt:

“Hase, Fell, Haare, Striche, Nadel, Kupferplatte  – Hase gehört zu Kaltnadel.”

Tote Kaninchen… aber sind sie denn tot? Oder schlafen sie?

Ziemlich sicher tot, denkt sich der Betrachter. Erstens schlafen Kaninchen nicht mit offenen Augen, zweitens würde kein Karnickel, das etwas auf sich hält, mit so verwuschtem, verwirbeltem, ungekämmtem Fell herumhopsen, das hätt’ es längst glattgeleckt. Und drittens fehlen Vronis Kaninchen meist überlebenswichtige Körperteile, das ganze Hinterteil oder der Rücken zum Beispiel. Nicht abgeschnitten: Einfach weggelassen hat sie die Teile.

“Nadelst Du die aus dem Kopf?”

“Nein”, sagt Vroni, “ich muss jetzt heim, jemand hat mir ein totes Eichhörnchen geschenkt, das liegt im Eisfach, das will ich jetzt mal probieren.”

Und lässt den Betrachter mit den halben Kaninchen alleine. Und es ist schon ulkig, wie dann das Kopfkino anspringt, wie man Vroni am Tisch im Atelier an der Kupferplatte sitzen sieht, wie sie das tote Kaninchen oder Eichhorn in’s Auge nimmt und es Haar um Strich und Strich um Haar auf’s Kupfer bringt. Wenn das Wort nicht so altmodisch wäre, würde ich sagen: Da ist eine “Innigkeit” in dieser Vorstellung, ein “Ineinanderaufgehen” von Gegenstand, Abbild, Technik, Prozess und Produzent.

Fast wird man neidisch, dass man – so als Kunstliebhaber – nur des Produktes, und nicht des Prozesses teilhaftig werden kann. Und man denkt sich, dass Vroni eigentlich sehr zu beneiden ist. Denn man denkt sich weiter, dass im Akte dieses Stichelns und Schauens eine Wirklichkeit entsteht, in der sich diese Einzeldinge und -vorgänge – das tote Kaninchen, die Details seines Felles, jedes seiner Haare, die Striche auf der Platte, das kalte Kupfer selbst, die Hand, das Auge – in der sich all diese Einzeldinge und Prozesse, die eigentlich gar nichts miteinander zu schaffen haben, so aufeinander einlassen, dass sie ein Anderes werden, dass sozusagen die Individuation ausradiert wird, indem radiert wird. Das ist’s, was ich mit der “Innigkeit” meinte.

Vroni sagt dazu nichts. Das denk’ ich mir so, wenn ich die Kaninchen sehe, das denk’ ich mir aus dem wenigen, was sie über ihre Kunst sagt.

Sie selbst sagt übrigens, sie befürchte, schon allzu geschwätzig zu sein. Dabei redet sie, wenn sie redet, selten über die Gegenstände ihrer Bilder. Sie erzählt gern von Techniken. Von Bleistiften, wo sie den HB bevorzugt, vom Unterschied zwischen dem Stechen und dem Radieren, von Drucktechniken, hoch, und tief und flach, und davon, dass man von den Kaninchenkupferplatten nur ganz wenige Abzüge machen kann. Die halten nämlich nicht lange.

Und wenn ich dann so zuhöre und erstmal darüber enttäuscht bin, dass ich “die Bilder nicht erklärt bekomme”, merke ich, dass ich in einem Irrtum war – im populären Irrtum nämlich, der bei der Kunst immer nur auf das Produkt, und nicht auf den Prozess guckt. Dann muss ich auf einmal an die berühmte Aktion von Josef Beuys denken: “Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt”.

Da ist der Beuys, mit einem toten Hasen auf dem Arm, durch eine Ausstellung marschiert, ganz alleine mit dem Hasen, und hat ihm die Bilder interpretiert. “Witzig”, denke ich mir auf einmal, “vielleicht nennt sie deshalb ihre Kaninchen ‘Hasen’. Eine umgedrehte Hommage an Beuys. Oder Ironie? Zuzutrauen wär’s ihr…”

“Wie die toten Hasen die Bilder erklären”, wie sie davon erzählen, wie sie Strich für Strich zustande gekommen und Druck für Druck verblasst sind, wie sie von Vronis Hingucken und Vronis Hand, die die Nadel führte, erzählen… die toten Hasen erklären die Kunst. Nicht die Kunst die toten Hasen. Das find’ ich dann sehr witzig (im Sinne von “gewitzt”) und gar nicht mehr anachronistisch, sondern sehr modern, trickreich, gar nicht mehr so “romantisch-innig”, sondern ziemlich cool.

Im Mai hab’ ich Geburtstag. Da schenk’ ich mir einen toten Hasen und häng’ ihn in mein Büro. Um mich dann zu erinnern, dass es noch Wirklicheres gibt als die Wirklichkeit – die Kunst nämlich.

[1] Die Dame heisst Vroni Schwegler, sie stellt momentan in Frankfurt, Linz und demnächst auch in München aus. Hier ist ein Link auf ihre HP.

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Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

3 Kommentare

  1. Der Verdacht

    Ich hab mich mal auf Vronis Seite Umgesehen. Zeichnen kann sie. Und ja, sie zeichnet nicht nur Hasen, bzw. Karnickel. Bei ihren Tiergemälden fand ich u.a. auch noch: Fische, Fasane, Wachtel und Lamm. Da bekam ich einen Verdacht; ich fand einen Zusammenhang; das, was diesen Tieren gemeinsam ist: sie schmecken mir alle sehr gut.
    Nun möchte ich nicht von mir auf andere schließen, also auch nicht auf Vroni, aber eine Bitte hätte ich und eine Frage.

    Bitte geben sie mir Bescheid, sobald sie ihren Hasen leid sind (ich habe im Juni Geburtstag).

    Wissen sie, wie Eichhörnchen schmecken?

  2. @ Joker / Hasenüberdruss

    Nein. Ich weiss nicht, wie Eichhörner

    schmecken.

    In Öl hab’ ich Vroni schon, das da:

    http://tinyurl.com/7h34era

    kann man nicht mehr kaufen, es hängt nämlich bei mir. Reklame: Die Sachen sind bezahlbar, Vroni will ein paar 100 Euro für die kleinen Formate.

    Die Fische – die hat sie, soweit ich weiss, zum Teil auch aufgegessen, die sind vom Fischmarkt. Wo sie die anderen geköpften/toten Tiere her hat, weiss ich nicht. Metzger, Schlachthof – irgendsoetwas.

    Neulich war sie – ich hab’ ihr den Kontakt gemacht – in der Rechtsmedizin und hat bei einer Sektion zugeschaut. Ich bin ja mal gespannt — jedenfalls würd’ ich in diesem Falle jedes kulinarische Interesse ausschliessen. Sie ist cool, aber nicht kannibal.

  3. Im Mai hab’ ich Geburtstag. Da schenk’ ich mir einen toten Hasen und häng’ ihn in mein Büro. Um mich dann zu erinnern, dass es noch Wirklicheres gibt als die Wirklichkeit – die Kunst nämlich.

    Räumst Du dafür Dein Büro vorher etwas auf? Du hast ja viel an den Wänden. So könnte das Bild leicht untergehen, neben den vielen anderen Sachen und Du hast dann nur noch dunkel in Erinnerung, daß Du Dich an etwas erinnern wolltest.

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