Heiligtümer: Glaube im Altertum

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Das Leben in der Antike – von Griechen und Römern – ist eng mit Heiligtümern und sakralen Kulten verknüpft. Der Begriffe ‚Religion‘ als Bezeichnung für den Glauben der Menschen in der Antike wird von Althistorikern und Archäologen lieber vermieden, da der Begriff einen zu starken Bezug zum modernen Religionsverständnis assoziiert. Allgemein sind Heiligtümer als Kultstätten für Göttinnen und Götter, Heroen und Heroinen zu verstehen. Antike Kulte zeichnen sich durch eine Vielzahl an Gottheiten und Heroen aus, die zwar familiär verbunden sind, aber dennoch autonom stehen. Die Charakterisierung der Gottheit war stark an lokale Gegebenheiten angepasst. Heilige Stätten waren oft bei geografischen Besonderheiten zu finden, beispielsweise Quellen, Höhlen oder auf Hügelkuppen. Andere Stätten wurden an funktionalen Orten angelegt, beispielsweise für den Ackerbau, die Weinlese, oder die Heilung von Kranken.

Es gab keine übergreifende Instanz, ob nun Herrscher oder Priesterschaft, die einen allgemeinen Glauben festlegte oder durchsetzte. Es zeigt sich eine deutliche Differenz zum christlichen Glauben mit Papst und Dogmen. Im Gegensatz zu christlichen Kirchen waren Heiligtümer nicht nur Orte zur sakralen Einkehr, sondern sie manifestierten vor allem soziale und politische Interessen.

Innerhalb einer griechischen Polis entwickelte sich meistens ein öffentliches Haupt-Heiligtum, in dem sich alle Anwohner zum wichtigsten Fest der Region versammelten. Neben Festlichkeiten trafen die Bewohner der Umgebung in Konkurrenz für die größten Weihgeschenke. Heiligtümer dienten auch als Informationsquelle über aktuelle politische Beschlüsse. Denn an Haupt-Heiligtümern wurden Gesetzestexte veröffentlicht und das Staatsvermögen aufbewahrt. Diese Art der Kultstätten befand sich meistens an zentralen, gut zugänglichen Positionen. Ein Beispiel ist die Akropolis in Athen. Die einzelnen Gottheiten wurden grundsätzlich gleichwertig verehrt. Selten bildete sich eine einzelne ‚Stadtgottheit‘ heraus, die mehr Verehrung erfuhr, wie zum Beispiel Athena in Athen.

Neben den öffentlichen Heiligtümern gab es auch private Altäre und heilige Stätten. ‚Private‘ Heiligtümer waren sehr oft Teil des Wohnhauses – zum Beispiel das Lararium in römischen Häusern – und wurden von einzelnen Familien gepflegt.

In den Randzonen der städtischen Bebauung (‚periurbane‘ Umgebung) befanden sich häufig Heiligtümer der Demeter (für Frauen Kulte), Heiligtümer für junge Männer mit sportlichen Flächen (Gymnasien) oder Heiligtümer, die direkt für den Acker- und Weinbau angelegt waren.

Die nachfolgende ‚wilde‘ Zone, ohne Bebauung, bezeichnet die Grenzgebiete zu den Bergen, Wälder oder dem Meer. Diese Zone wurde ebenfalls mit Heiligtümern markiert. Oftmals wurden in diesen Kultorten Pan oder Nymphen (Weidegebiete in den Bergen), Artemis oder Apollon (Jagdgebiete in den Wäldern) oder Poseidon (Küste) verehrt.

Es gab außerdem vier gesamtgriechische (‚panhellenische‘) Heiligtümer: Delphi, Olympia, Isthmia und Nemea.

Im Römischen Reich waren die Kulte deutlich hierarchisierter. Seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. herrschte die Kapitolinische Trias vor, angeführt von den Gottheiten Jupiter, Juno und Minerva. Diese Trias wurde zum Muster für alle Stadt-Neugründungen: zuerst das Kapitol auf einer Hügelkuppe, später das Capitolium auf einer zentralen Ebene. In der frührömischen Kaiserzeit entwickelte sich mit dem Kaiserkult eine neue Form. Die Heiligtümer reichten von einem einzelnen Altar bis hin zu einem großen Tempel in der Nähe zum Forum.

Die Ausprägung des kultischen Glaubens unterlag starken lokalen Unterschieden. Oftmals adaptierten die Bewohner den Kaiserkult in ihre lokalen Traditionen, zum Beispiel der Matronen-Kult in Germanien. Daneben verbreiteten sich auch neue Kulte – beispielsweise der Mithras-Kult – rasch im gesamten Reich.

Allen Heiligtümern gemeinsam war die Darstellung der gesellschaftlichen Strukturen, beispielsweise die Unterscheidung zwischen Mann und Frau, Familie und Stadt.

Insgesamt gibt es in der aktuellen Forschung noch immer große Desiderate, was den Glauben im Altertum angeht. Nicht zuletzt, weil kultische Rituale vor allem mündlich weitergeben wurden und nur wenige schriftliche Dokumente existieren.

 


Vgl. Tonio Hölscher: Klassiche Archäologie. Grundwissen, 2. überarbeitete Auflage, Darmstadt 2006, S.119-128.

 

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Herzlich Willkommen! ‚Geschichte‘ ist ein Sammelbegriff für unendlich viele Geschichten: Geschichten von Menschen, Begriffen, Gruppen, Ereignissen, Ideen, Umbrüchen, Kulturen, Grenzen, Unterschieden, Mentalitäten, […]. Es gibt keine menschliche Eigenheit ohne Geschichte. Ich werde euch kurze Einblicke in die Alte Geschichte geben. Warum Alte Geschichte? Aus Leidenschaft und weil es mein Studienschwerpunkt ist. Eure Jessica Koch

5 Kommentare

  1. Auf Bali wird ein ganz ähnliches System heute noch gelebt – bis hin zu den Familienheiligtümern am Wohnhaus. In Indien wahrscheinlich auch, aber da kenne ich mich nicht so aus.
    Gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den antiken Kulten und dem balinesischen Hinduismus?

  2. Heilige Orte und Heiligtümer gibt es auch im christlichen Volksglauben. Man findet die Idee sogar bei Kinderbüchern wie “Harry Potter und die Heiligtümer des Todes”.

    Hier liest man dazu “Der Volksglaube schreibt aber seit jeher gewissen Orten grössere Kräfte und heilsamere Wirkungen zu. Teilweise gründet sich diese Überzeugung auf geschichtliche Ereignisse, oft aber beruht sie eher auf legendenhaften Erzählungen.”

    Für mich stellt sich deshalb die Frage inwieweit die antiken Heiligtümer sich von den Heilittümern und den speziellen Orten unterscheiden, die aus dem hiesigen Volksglauben bekannt sind.
    Etwas typisches für den christlichen Kult um Heilige und Heiligtümer ist etwa der Relikienkult. Den scheint es wohl im Altertum noch nicht gegeben zu haben.

  3. Heiligtümer dienten dem (Erkenntnis-)System der Sittlichkeit, an irgendetwas muss ja im Sittlichen geglaubt werden und wenn es einen besonderen Bezug gibt – um so besser.
    Insofern stand so den Eliten ein Rahmen zur Verfügung, auf den sich berufen werden konnte, ein Rahmen, der ohnehin benötigt worden ist.
    Nett der Hinweis, dass auf den Religionsbegriff in diesem Zusammenhang verzichtet werden kann,
    MFG + schönen Dezember noch,
    Dr. W (der zudem meint, dass den gemeinten ‘Desideraten’ heutzutage nur im Spekulativen nachgeforscht werden kann, weil die Datenlagen unzureichend bereit stehen; anscheinend ist man deshalb hier sparsam)

  4. Orte, die sakrale, soziale und politische Bedeutung verknüpfen gibt es wohl heute noch. Die Heiligtümer der Antike haben heute also säkularisierte Entsprechungen. In Paris oder London aber auch in den USA gibt es viele solcher symbolisch aufgeladener Orte, Gebäude und Statuen.
    Dazu habe ich folgende Arbeit gefunden:
    The symbolism of place: a geography of relationships between space, power and identity (Original ist französisch) wo man liest:

    The relationships between space, power and identity are necessarily mediated by symbols. A symbol is a concrete reality (a building, a statue, a coin, etc.) that communicates something intangible (an idea, a value, a feeling) : consequently, a place of power is by definition a symbolic place, which is a vehicle for power in the spatial order and for space in the order of power. The symbolic mediations between these different orders of reality are therefore produced and interpreted only in the context in which they emerge. A place can be considered as “ symbolic ” whenever it means something to a group of individuals, in such a way that it contributes to giving an identity to the group. With examples taken across the Americas, this paper investigates how symbolic places are produced and controlled by public authorities, civil societies and economic actors.

    • Es gibt Theorien, nach denen sich an Bauwerken wie Festungen, bei denen man meist meint, daß sich alles rein zweckrational erklären lassen müßte – gibt es doch genügend Gelegenheiten, in denen die Realität die Probe aufs Exempel macht -, sehr vieles nur erklären läßt, wenn man berücksichtigt, daß es auch sakrale Notwendigkeiten gab, denen man zu folgen hatte.

      “Orte, die sakrale, soziale und politische Bedeutung verknüpfen gibt es wohl heute noch” – mit Sicherheit. In der gesamten christlichen Zeit waren die Kirchen auch Schutzraum – bis hin zu den Wehrkirchen, bei denen sich kaum unterscheiden läßt, ob sie nun Kirche oder Burg sind. Bei säkularisierten Entsprechungen fallen mir als erstes die Sportstadien ein.

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