Who is Who der Antike: Thusnelda

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„Man ey, du bist so eine ‚Tussi‘!“, hörte ich ein braunhaariges Mädchen in der Straßenbahn zu ihrer Freundin sagen, als diese entsetzt im Angesicht einer Spinne aufschrie. Was den Mädchen – und vielen anderen – nicht bewusst ist, hinter ‚Tussi‘ steht eine historische Person der Antike: Thusnelda.

Nach Strabo war Thusnelda die Tochter des Cheruskerführers Segestes und die Frau im ‚Schatten des Arminius‘.[1] Die Cherusker siedelten zwischen Weser und Elbe und nördlich des Harzes. Von Drusus (12 und 9 v.Chr.) und von Tiberius (4 n.Chr.) unterworfen, erfolgte unter dem Cherusker Arminius 9 n.Chr. ein Aufstand in der sogenannten ‚Varusschlacht‘.[2] Segestes und Arminius waren nach Tacitus Aussage politische Gegner. Segestes warnte Varus vergeblich vor dem bevorstehenden Angriff des Arminius.[3] Thusnelda wurde von Arminius, wahrscheinlich mit ihrem Einverständnis, 14 n.Chr. entführt. Ihr Geburtsjahr ist unbekannt. 15 n.Chr. gebar Thusnelda den gemeinsamen Sohn Thumelicus in Gefangenschaft ihres Vaters, der sie zurückgeraubt hatte. Als Segestes von dem Römer Germanicus im Kampf besiegt wurde, übergab er Germanicus seine Tochter mit ihrem Sohn. Am 26. Mai 17 n.Chr. führte Thusnelda ihren Sohn im Triumph des Germanicus mit sich.[4] Unter ‚Triumphzug‘ ist ein römischen Ritual nach dem beenden eines Krieges zu Ehren des siegreichen Feldherren zu verstehen. Gleichzeitig dient ein Triumphzug als Einzugsritus des Heeres in die Stadt. Neben erbeuteten Sachgütern, war auch die Zurschaustellung der besiegten Gegner Teil des Siegesrituals. Das trotzige, stolze Auftreten Thusneldas im Triumphzug des Germanicus war es, das ihr Unsterblichkeit brachte: Hoch erhobenen Hauptes, jung und wunderschön, blieb sie lange im Gedächtnis der Römer als Sinnbild für stolze Schönheit. Sie wurde, neben vielen anderen berühmten Männern der besiegten nicht-römischen Elite, als Trophäe für die Macht Roms im Triumphzug zur Schau gestellt. Über die genauen Umstände ihres Todes gibt es keine Aufzeichnungen.

Die negative Wendung in der Wahrnehmung Thusneldas als ‚Tussi‘ vollzog sich im 20. Jahrhundert. Verantwortlich für die negative Umdeutung ist das Werk ‚Die Hermannsschlacht‘ von Heinrich Kleist aus dem Jahr 1821. Kleist schuf mit seiner Thusnelda das Sinnbild einer ‚nervigen Ehefrau‘ die vor allem als ‚Dienstbote‘ eingesetzt wird. Dies spiegelt vornehmlich das negative Frauenbild von Heinrich Kleist wider, hat aber nichts mit der historischen Person Thusnelda zu tun.


 

[1] Vgl. Strab. 7,1,4.

[2] Vgl. Caes. Gall. 6,10,5; Tac. Germ. 36,1)

[3] Vgl. Tac. ann. 1,55,2; 58,2.

[4] Vgl. Tac. ann. 1,55-59.

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Herzlich Willkommen! ‚Geschichte‘ ist ein Sammelbegriff für unendlich viele Geschichten: Geschichten von Menschen, Begriffen, Gruppen, Ereignissen, Ideen, Umbrüchen, Kulturen, Grenzen, Unterschieden, Mentalitäten, […]. Es gibt keine menschliche Eigenheit ohne Geschichte. Ich werde euch kurze Einblicke in die Alte Geschichte geben. Warum Alte Geschichte? Aus Leidenschaft und weil es mein Studienschwerpunkt ist. Eure Jessica Koch

3 Kommentare

  1. Besten Dank für die Erklärung, warum “Tussi” (oder bei den älteren Semestern Thusnelda) so negativ besetzt ist, ich konnte es mir aus Tacitus beim besten Willen nicht erklären (Kleist ist nicht gerade meins). Überhaupt könnte man aus dem Thema “Gegnerinnen der Römer” eine ganze Artikelserie machen, angefangen bei Teuta über Kleopatra, Boadicea bis Zenobia. Auch “Römische Politikerinnen” wäre -entgegen allgemeiner Auffassung- durchaus ergiebig, der Einfluss etwa der Clodia oder der Fulvia auf ihre jeweiligen Gatten bzw. Brüder war sicher grösser als für gewöhnlich angenommen wird.

  2. Etymologisch ließe sich, auf die Schnelle und weitergehender Überprüfung nicht, hmm, abhold, womöglich ergänzen, dass mit ‘Thus’ ein Demonstrativpronomen gemeint ist und mit ‘Elder’ oder ‘Elda’ eine Zeitlichkeit oder Reihenfolge, vgl. ‘Primus’ oder ‘Prima’.
    Dass sich die Abstammungsverhältnisse meinend metaphorisch eine gewisse, hmm, Huldheit, ergeben könnte, hier: Damen meinend, könnte auf der Hand liegen.
    MFG
    Dr. W

  3. Wenn die Römer es nur etwas genauer mit der Schreibweise germanischer Namen genommen hätten! Als mögliche Deutung für Segestes wurde Segigast (Sigigast) vorgeschlagen. Das würde gut in die Reihe der Segi-/Sigi-Namen der Arminius-Sippe passen. Unterstellt man Arminius den germanischen Namen Segifrid/Sigifrid, könnte er den Kern der Siegfriedsage bilden. Sehr reizvoller Gedanke!

    Thusnelda könnte eine Kombination aus Thurs (Riese) und Hiltja (Kampf) sein. Germanische Frauennamen hatten oft einen sehr martialischen Klang: Hildegard, Hildegunt, Brunhilde, Gerlinde, Mechthild… alles Namenskombinationen aus Waffe (Schild, Brünne, Wurfspeer) und Kampfhandlungen (Hiltja, Gunt etc.).

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