Paläoklima: Die letzten 2000 Jahre

Tagebücher der Wissenschaft

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Detaillierter als je zuvor sind jetzt die vergangenen 2000 Jahre der Klimaentwicklung rekonstruiert worden. Dabei zeigen sich interessante regionale Unterschiede zwischen den verschiedenen Kontinenten, aber auch wichtige gemeinsame Trends. Im globalen Durchschnitt gleicht die neue Rekonstruktion fast aufs Haar dem bekannten „Hockeyschläger“, der vor fünfzehn Jahren erstellten ersten derartigen Rekonstruktion.

Sieben Jahre lang haben die 78 Forscher aus 24 Ländern, gemeinsam mit vielen weiteren Kollegen, im PAGES 2k Projekt an der neuen Klimarekonstruktion gearbeitet. „2k“ steht für die letzten 2000 Jahre, PAGES ist das 1991 gestartete Past Global Changes Programm. Kürzlich ist die neue Studie in Nature Geoscience erschienen. Eingeflossen sind 511 Klimaarchive aus aller Welt, aus Sedimenten, Eisbohrkernen, Baumringen, Korallen, Stalagmiten, Pollen oder historischen Dokumenten und Messreihen (Abb. 1). Alle Daten sind frei verfügbar.

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Abb. 1: Die Karte gibt einen Überblick über die untersuchten Kontinentalgebiete und die jeweilige Mischung der verwendeten Proxies. Quelle: Nature Geoscience.

Die Klimageschichte der letzten ein- bis zweitausend Jahre wurde daraus für sieben Kontinentalregionen in 30-Jahres-Intervallen rekonstruiert (Abb. 2).

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Abb. 2: Temperaturverlauf in den einzelnen Kontinentalregionen (30-Jahres-Mittel). Rot bedeutet warm, blau kalt. Quelle: Nature Geoscience.

Regionale Entwicklung

Die Daten zeigen erwartungsgemäß deutliche regionale Unterschiede. Solche regionalen Muster sind ein wichtiger Hinweis auf die Ursachen und Mechanismen der Klimaänderungen. So können lokal deutliche Schwankungen im Klima auftreten durch Änderungen in der atmosphärischen oder ozeanischen Zirkulation, die sich global aber weitestgehend wegmitteln, weil dabei Wärme nur anders verteilt wird (vergleiche den bei uns rekordkalten März, der dafür in Grönland extrem warm aber im globalen Mittel unauffällig war). Änderungen der globalen Mitteltemperatur hingegen treten durch geänderten Strahlungsantrieb auf (z.B. durch Sonnenschwankungen), wobei dieses „Forcing“ global einheitlich sein kann (Beispiel Treibhausgase) oder selbst deutliche regionale Muster aufweisen kann (Beispiel Vulkanausbrüche oder Orbitalzyklen). Man erwartet in den einzelnen Kontinenten also ein Zusammenspiel aus der Reaktion auf die Forcings, überlagert von internen Schwankungen.

Die in Abb. 2 gezeigten Daten spiegeln das wieder: sie zeigen einige kohärente Signale, vor allem einen langfristigen Abkühlungstrend, der vom relativ warmen Mittelalter zu zunehmend kühleren Klimabedingungen führt, bis sich das im späten 19. Jahrhundert umdreht (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Weil dem aber erwartungsgemäß regionale Variabilität überlagert ist, vor allem auf kürzeren Zeitskalen von Jahrzehnten bis zu einem Jahrhundert, stimmen besonders warme und besonders kalte Phasen im Timing auf verschiedenen Kontinenten nicht überein, wie die Autoren im Abstract hervorheben:

There were no globally synchronous multi-decadal warm or cold intervals that define a worldwide Medieval Warm Period or Little Ice Age.

Sie identifizieren aber einige kürzere Intervalle, wo besonders kalte Bedingungen mit großen Vulkanausbrüchen und/oder Sonnenminima zusammenfallen (wie bereits aus früheren Studien bekannt).

Globale Trends

Die globale Mitteltemperatur ist von besonderem Interesse, denn sie ist eine direkte Reaktion auf den globalen Strahlungsantrieb, gepuffert durch die thermische Trägheit der Ozeane. Dies ergibt sich aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, also dem Satz von der Energieerhaltung. Die global kohärenten Signale weisen also auf global wirksame Antriebe hin. Die Autoren schreiben im Abstract:

The most coherent feature in nearly all of the regional temperature reconstructions is a long-term cooling trend, which ended late in the nineteenth century. (…) Recent warming reversed the long-term cooling; during the period 1971–2000, the area-weighted average reconstructed temperature was higher than any other time in nearly 1,400 years.

Die folgende Abbildung 3 vergleicht daher den flächengewichteten Mittelwert über die Kontinente (b) mit einigen früheren globalen Rekonstruktionen (a) und den Antrieben (f,g,h). Das Grundmuster – eine langfristige langsame Abkühlung, die im späten 19. Jahrhundert in eine rasche Erwärmung umschlägt – ist seit 15 Jahren bekannt und wird oft mit einem Hockeyschläger verglichen: die lange Abkühlung ist der Griff, die moderne Erwärmung die abgewinkelte Kelle.

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Abb. 3: Globaler Temperaturverlauf laut einigen früheren Studien (a) und nach der neuen PAGES 2k-Studie (b). Die Panels f, g und h zeigen den Strahlungsantrieb (Forcing), siehe Text. Quelle: Nature Geoscience. (Zum Vergrößern auf das Bild klicken.) [Korrektur: das oberste Panel zeigt Kurven nur für die Nordhalbkugel.]

Der Vergleich mit den Forcings zeigt, dass diese Kelle vor allem dem Strahlungsantrieb durch die ansteigende Treibhausgasmenge in der Atmosphäre zuzuschreiben ist (grüne Linie in g). Der solare und vulkanische Antrieb lassen sich nur mit Unsicherheiten rekonstruieren, daher sind jeweils zwei Varianten gezeigt. Beim solaren Antrieb ist weniger der Zeitablauf als die Amplitude umstritten (ein Umrechnungsfaktor) – die von Shapiro angenommene sehr hohe Amplitude (gepunktete Linie) gilt weithin als sehr fragwürdig (siehe z.B. Feulner und Judge et al). Aber selbst mit dieser extremen Annahme kann der solare Antrieb im 20. Jahrhundert bei weitem nicht mit den Treibhausgasen konkurrrieren, und er passt auch nicht zum Temperaturverlauf.

Interessant vor allem auf langen Zeitskalen von Jahrtausenden ist der Orbitalantrieb (das sind die bekannten Milankovic-Zyklen; hier ein Online-Rechner für den Strahlungsantrieb). Im Norden ist vor allem die Sommer-Sonneneinstrahlung wichtig (grüne Kurve in panel h), weil sie durch die Albedo-Rückkopplung (also Änderung in der Eis- und Schneebedeckten Fläche) stark verstärkt wird. Dies dürfte einen Teil des Abkühlungstrends auf der Nordhalbkugel erklären. In der Antarktis ist es anders: im Sommer ist die eisbedeckte Fläche konstant etwa so groß wie der Antarktische Kontinent, denn es gibt kaum Meereis, und der Trend der Sonneneinstrahlung (blaue Kurve in Panel h) ist relativ schwach. Deshalb kommt es dort weniger auf den Sommer an. Die Sonneneinstrahlung im Jahresmittel in der Antarktis (nicht in der Grafik gezeigt) hat durch die Orbitalzyklen über die letzten zwei Jahrtausende soviel abgenommen, dass dies mehr als die rezente anthropogene Erwärmung ausmacht. Das könnte die Erklärung für die langfristige Abkühlung in der Antarktis sein, die dort (anders als im globalen Mittel) in den letzten hundert Jahren noch nicht wettgemacht wurde.

Klimamodelle sind Computerprogramme, die auf Basis der Gleichungen von Thermo- und Hydrodynamik aus solchen Antrieben den Klimaverlauf berechnen. Im letzten IPCC-Bericht sind 18 derartige Modellrechnungen für das letzte Jahrtausend von unterschiedlichen Forschergruppen zusammengestellt, die fast alle den aus Proxidaten rekonstruierten Verlauf gut wiedergeben (siehe IPCC Abb. 6.13 und 6.14). Die Modelle zeigen auch, dass es ohne den anthropogenen Antrieb keine Erwärmung in den letzten 150 Jahren gegeben hätte.

Die erste vergleichbare Hockeyschläger-Kurve wurde 1998 und 1999 von Michael Mann, Ray Bradley und Malcolm Hughes publiziert, damals noch auf Grundlage von Daten nur aus der Nordhalbkugel. Abb. 4 vergleicht den neuen Hockeyschläger (aus Panel b in Abb. 3) mit diesem Ur-Hockeyschläger. (Die Daten zum ursprünglichen hockey stick sind seit 1999 ebenfalls auf der NOAA Paleoclimatology Webseite frei verfügbar.)

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Abb. 4. Grüne Punkte zeigen die 30-Jahresmittel (flächengewichteter Mittelwert über die Kontinente) der neuen PAGES 2k-Rekonstruktion, wie in Abb. 3b. Die rote Kurve zeigt die globale Mitteltemperatur laut HadCRUT4 Messdaten ab 1850 (ebenfalls in Abb. 3b, mit einem 30-Jahresfenster geglättet). Dazu in blau der ursprüngliche hockey stick von Mann, Bradley und Hughes (1999) mit seinem Unsicherheitsbereich (hellblau). Grafik: Klaus Bittermann.

In der Wissenschaft ist diese Bestätigung des alten hockey stick keine Überraschung; zahlreiche andere Klimarekonstruktionen mit ähnlichem Verlauf sind seit damals bereits erschienen. Mann et al. hatten seinerzeit wegen der begrenzten Datengrundlage und einer möglichen Unterschätzung der Varianz durch ihre Methode vorsichtshalber eine breite Unsicherheitsmarge (hellblau) angesetzt; spätere Rekonstruktionen verlaufen weitgehend innerhalb dieser Marge. Die Arbeit von Mann und Kollegen hat höchste Anerkennung erfahren; Bradley wurde z.B. 2007 mit der Oeschger-Medaille der European Geosciences Union ausgezeichnet und Mann 2012; beide wurden (ebenso wie Hughes) zum Fellow der American Geophysical Union gewählt.

Mancher deutsche Zeitungsleser mag dennoch überrascht sein. Woran das liegt besprechen wir hier in der kommenden Woche.

 

p.s. (17.5.): Auf Leserwunsch hat mein Doktorand Klaus Bittermann (danke!) hier nochmal zum direkten Vergleich weitere Rekonstruktionen zusammengestellt. Das ermöglicht einmal den Vergleich Mann alt gegen Mann neu (blau gegen grün), zum anderen Nordhalbkugel gegen global (grün gegen gelb). Natürlich zeigen solche Rekonstruktionen je nach Methode, Datenbasis und regionaler Abdeckung immer gewisse Unterschiede – dies ändert aber nichts an der entscheidenden Aussage auch des PAGES 2k-Papers, dass die moderne globale Erwärmung einen längerfristigen natürlichen Abkühlungstrend abgelöst hat.

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Übersicht über unsere Paläoklimareihe

Teil 1: Die letzten 2000 Jahre Detaillierter als je zuvor sind jetzt die vergangenen 2000 Jahre der Klimaentwicklung rekonstruiert worden.

Teil 2: Die Hockeyschläger-Debatte Wie auch deutsche Medien ein unliebsames Forschungsergebnis zu diskreditieren versuchen.

Teil 3: Das ganze Holozän Die erste globale Klimarekonstruktion für die letzten 11,000 Jahre.

  • Veröffentlicht in: Allgemein

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

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