Chirurgischer Eingriff an Sojus TMA 12

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In den Kosmologs habe ich mich bereits zweimal mit der dramatischen Landung von Sojus TMA 11 am 19. April beschäftigt. Sie erinnern sich: Yuri Malenchenko, Peggy Whitson und So-Yeon Yi hatten bei ihrem Abstieg zur Erdoberfläche in ihrer Kapsel wilde Taumelbewegungen, einen enormen Andruck von mehr als 8 g und eine Zielabweichung von mehr als 400 Kilometern erlebt.

Zu einem ähnlichen Vorfall war es bereits bei der Landung der Raumkapsel Sojus TMA 10 gekommen. Und damit ergab sich drängende Fragen: Stimmt etwas mit dem Design der Sojus-Kapseln nicht? Gibt es Probleme in der Fertigung? Oder ist Schlamperei während der Startvorbereitungen die Ursache für die rätselhaften und höchst gefährlichen Vorfälle? Und das wichtigste: Schlummert der gleiche Fehler womöglich auch in Sojus TMA 12?

Relativ bald nach der dramatischen Landung von Sojus TMA 11 war klar, was geschehen war. Das Gerätemodul ist mit fünf Halterungen an der Landekapsel befestigt. Diese Halterungen werden nach der Retrozündung für den Abstieg zur Erde mittels so genannter Pyro-Cutter gekappt. Das sind pyrotechnische Vorrichtungen, die mit einer Sprengladung ein die Halteklammern durchschneiden. Aus Sicherheitsgründen befinden sich an jeder der fünf Halterungen jeweils zwei dieser Spreng-Guillotinen, die gleichzeitig ausgelöst werden.

 

An vier Verbindungspunkten klappte das auch wie immer. Am fünften jedoch nicht, mit dem Ergebnis, dass der Geräteteil der Sojus weiterhin lose an der Kapsel herumbaumelte ohne sich von ihr zu trennen (siehe Bild oben). Dies führte beim Kontakt mit der Erdatmosphäre zu einer nicht steuerbaren, wilden Taumelbewegung beider Komponenten, bis schließlich durch die zunehmenden aerodynamischen Kräfte der Geräteteil abriss und sich die Rückkehrkabine stabilisieren konnte. Der Bordcomputer war aber dadurch so verwirrt, dass er das Notfall-Landeverfahren einleitete, eine immense Belastung für eine Besatzung, die zuvor sechs Monate in der Schwerelosigkeit zugebracht hatte.

Die Ermittlungen ergaben auch, dass es in beiden Fällen die gleiche Halterung betroffen war, Klammer Nummer fünf. In beiden Fällen versagten jeweils beide Pyrocutter. Jede der fünf Trennvorrichtungen besteht aus zwei Sprengbolzen und zwei Sprungfedern, die nach dem explosiven Trennvorgang die beiden Sektionen der Sojus auseinanderschieben.

Als die Fehlfunktion an Sojus TMA 11 bekannt wurde war Sojus TMA 12 bereits gestartet und hatte an der Raumstation angelegt. Eine Nachbesserung oder auch nur eine Überprüfung war somit nicht mehr möglich. Der Fehler, den man nach der Anomalie mit Sojus TMA 10 eigentlich abgestellt geglaubt hatte, war somit weiterhin im System und schlummerte möglicherweise auch noch in Sojus TMA 12.

Immerhin war jetzt klar, was geschehen ist. Unklar war dagegen nach wie vor, warum es passierte.

Aus diesem Grund setzte die russische Raumfahrtagentur ein in der russischen Raumfahrt einmaliges Vorgehen an: Ein komplexes Außenbordmanöver der Kosmonauten Volkov und Kononenko, bei dem sie einen der beiden Pyrocutter der Sprengvorrichtung Nummer fünf entfernen und mit in die Station nehmen sollten. Im Herbst sollen die Kosmonauten die Vorrichtung dann bei der Landung von Sojus TMA 12 mit zur Erde zurück bringen.

Dieses aufwändige Manöver begann in den Abendstunden des 10. Juli (mitteleuropäischer Zeit).

Um 18:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit begannen Volkov und Kononenko, geschützt durch ihre Raumanzüge, die Luft in der Pirs-Luftschleuse abzulassen. Ihre Orlan-Raumanzüge waren für diesen Einsatz mit einigen Komponenten der amerikanische EVA-Suits aufgerüstet worden. Vor allem Helmkameras und Minischeinwerfer, die nicht zur Ausrüstung der russischen Anzüge gehören, wurden "ausgeborgt". Eine Stunde zuvor hatte sich bereits Greg Chamitoff in die Sojus begeben und sich "Büroarbeit" mitgenommen. Einen Laptop und Test-Prozeduren.

NASA-Astronaut Greg Chamitoff, das dritte Besatzungsmitglied, musste die Außenbordaktivität seiner Kollegen von Bord der Sojus aus beobachten. Nachdem Sojus TMA 12 derzeit am Docking-Modul der Pirs-Schleuse befestigt ist, und die Pirs-Schleuse während des EVA nicht druckbelüftet ist, würde das in einem Notfall in der Station bedeuten, dass er die Sojus, die ja auch als Rettungsboot dient, nicht erreichen könnte.

Eine Stunde später war Vakuum in der Schleuse und Volkov und Kononenko checkten noch einmal ihre Anzüge bevor sie die Luke um 20:48 Uhr mitteleuropäischer Zeit öffneten.

Zunächst machten die beiden Kosmonauten den Strela-Kran betriebsbereit. Strela ist im Wesentlichen eine schwenkbare Teleskopstange, mit der Kosmonauten und Astronauten russische Module erreichen können, die weiter von der Luftschleuse entfernt und nicht mit EVA-Halterungen ausgestattet sind.

An die Zugänglichkeit der angedockten Sojus-Kapseln hatten die Konstrukteure des Strela-Booms (wie er offiziell heißt) aber offensichtlich nicht gedacht, denn die Trennvorrichtung Nummer fünf ist die einzige welche die Kosmonauten mit der Hilfe dieser Vorrichtung erreichen können. Wäre es ein anderer Punkt gewesen, wäre das EVA in dieser Form nicht durchführbar gewesen, da sich an der Sojus keine Haltevorrichtungen für Außenbordmanöver befinden.

Trotzdem kam es gleich zu Beginn des Außenbordeinsatzes zu Problemen, weil es Kononenko nicht gelang, seine Füße in die Halterungen des Strela-Arms einzuklinken. Nach einigen ergebnislosen Versuchen machte er sich dann einfach mit einer Seilsicherung mittels Karabinerhaken daran fest. Kurz nach 21:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit erreichte er die Arbeitsposition am Befestigungspunkt 5 der Landekapsel/Servicemodul-Kombination, wo er zunächst einige Fotos machte.

Gegen 21:50 Uhr deckte Kononenko die nahegelegenen Steuerdüsen der Sojus ab (um eine mögliche Kontaminierung der Kosmonauten mit Hydrazin zu vermeiden) und begann dann mit einem Messer den Thermalschutz der Gerätesektion aufzuschneiden. Das dauerte bis gegen 22:20 Uhr, dann war die Trennvorrichtung zugänglich und er installierte einen Handlauf über einer Treibstoffleitung. Zum einen, um die Leitung vor unbeabsichtigter Beschädigung zu schützen, zum anderen um einen Fixpunkt zum Festhalten zu haben.

Dann begann er einen Sicherungsring um die elektrische Verbindung zum Sprengbolzen zu lösen. Das stellte sich als schwierig heraus, nachdem Kononenko keine ausreichend stabile Arbeitsposition auf der Teleskopstange hatte und der Ring sehr fest saß. Kononenko versuchte es mit unterschiedlichen Werkzeugen, bis es schließlich gelang.

Nach diesen vorbereitenden Arbeiten tauschten die beiden Kosmonauten ihre Plätze und um 23:10 Uhr begann Volkov damit, die Kabelverbindung zum Bolzen zu trennen. Um 23:42 Uhr war der Sprengbolzen gelöst.  Volkov verstaute ihn in einem speziellen Container, der im Mai von der Discovery für eben dieses Manöver zur Station gebracht worden war. Die Box ist so konstruiert, dass sie einen Schutz gegen elektrische Überspannungen bietet, die den Bolzen möglicherweise zur Explosion bringen. Sie bietet aber auch Schutz, wenn sich der Bolzen aus irgendwelchen Gründen trotzdem sprengt. Die Sache ist nicht ganz unproblematisch. Schließlich handelt es sich hier um eine explosive Vorrichtung mit der Sprengkraft eines Feuerwerksböllers.

Gegen 24:00 Uhr begannen die Kosmonauten wieder damit, das große Loch in der Thermalschutzdecke neu zu verkleiden. Um 0:58 Uhr war auch diese Aufgabe erledigt.

Um 1:40 war der Strela-Teleskoparm wieder in seine Ausgangsposition zurückgefahren, und die Crew bereitete sich darauf vor, wieder in die Pirs-Luftschleuse zurückzukehren. Um 2:08 Uhr wurde die Schleuse schließlich wieder geschlossen, und die Druckbelüftung des Moduls wieder in Gang gesetzt.

Jetzt hoffen die Kosmonauten, dass damit das Problem fürs erste gelöst ist und dass sie bei ihrer geplanten Landung im Oktober nicht einer ähnlich unangenehmen Überraschung konfrontiert werden wie die beiden Crews vor ihnen.

Weitere Bilder zu diesem Außenbordmanöver finden Sie hier

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

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