Crash im Orbit – Shit Happens

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Raumfahrt: Informationen – Meinungen – Hintergründe
Astra's Spacelog

Wenn die Science-Fiction Helden meiner Kindheit in schnellen Raumkreuzern zu ihren Einsatzorten unterwegs waren, dann hatten sie auf dem Weg zu ihren exotischen Einsatzorten wie Metaluna, Pallas oder Chroma allesamt mit dem gleichen Problem zu kämpfen: Schwärme von Meteoriten, die nur darauf lauerten, ihre Raumschiffe zu durchbohren.

Inzwischen gibt es die wirkliche Raumfahrt (die sich zu meinem Bedauern allerdings zum größten Teil direkt vor unserer Haustür abspielt, nämlich dem niedrigen Erdorbit), und da tun wir das, was wir immer tun. Besser gesagt, nicht tun: Unseren Müll entsorgen, nämlich. Und dieser Müll sorgt dafür, dass wir unsere eigenen Meteoriten erzeugen, die darauf lauern unsere Raumschiffe zu durchlöchern, und das ohne dass wir nach Metaluna, Pallas oder Chroma fliegen müssen.

Der Müll, das ist im aktuellen Fall der russische Datenrelay-Satellit Kosmos 2251 der auf einer polaren Bahn in 790 Kilometer Höhe seit dem Juni 1993 ruhig und unbehelligt seine Kreise zog. Seinen Dienst hatte er schon vor mehr als einem Jahrzehnt eingestellt und zog dann jahrelang als "Weltraumleiche" seine ruhigen Bahnen über die Pole der Erde.

 

So sah Kosmos 2251 aus: Ein Datenrelay-Satellit der Strela 2M-Serie gestartet am 16. Juni 1993.

Polare und polnahe Erdumlaufbahnen sind hoch beliebt im erdzugewandten Teil der Raumfahrt und so tummelt sich beträchtlicher Verkehr in diesem Gürtel: Zivile und militärischen Erdbeobachtungssatelliten, Wettersatelliten, Mobilfunksatelliten, Datenrelaysatelliten und von den meisten dieser Raumfahrzeuge auch noch die Endstufen ihrer jeweiligen Trägerraketen.

So ein Raumfahrzeug war auch der unglückliche Iridium 33. Keine Weltraumleiche sondern trotz fortgeschrittenen Alters noch rüstig und aktiv. Er war auf einer Umlaufbahn mit einer Inklination von 86,4 Grad unterwegs als er am Dienstagnachmittag um 17:56 Uhr mitteleuropäischer Zeit das Pech hatte, in den 900 Kilogramm schweren Kosmos 2251 hineinzukrachen. Passenderweise fand das über dem nördlichen Russland statt, dem Ursprungsland des Schadensverursachers.

Die Trefferwahrscheinlichkeit wurde dadurch erhöht, dass Iridium in den Jahren 1997 bis 2002 nicht weniger als 95 Stück dieses Satellitentyps in den besagten polnahen Orbit befördert hat.

Iridium-Satellit

Bei all dem Hype, den es jetzt um diesen Vorfall gibt, muss man aber die Kirche im Dorf lassen. Auch wenn sich, so wie hier oder auf dem geostationären Orbit Gott und die Welt auf derselben Bahn tummelt sind Kollisionen äußerst selten. Seit dem Beginn der Raumfahrt vor einem halben Jahrhundert gab es nur vier oder fünf, und die betrafen bislang nur ausgediente Satelliten, Raketenendstufen, oder Trümmerteile die durch den Orbit trieben. Und es waren eher Streifschüsse. Einen Volltreffer gab es noch nie. Bis Mittwoch eben.

Somit könnte man auf dem Standpunkt stehen: Shit happens. Wo viel Traffic ist, krachts halt auch mal. So einfach ist die Sache aber nun auch wieder nicht, denn ein paar Dinge muss man sich schon fragen:

1. Warum gibt es bis auf den heutigen Tag keine internationale Übereinkunft, dass sich auf besonders beliebten Bahnen keine ausgedienten Satelliten und Raketenendstufen herumtreiben dürfen. Bei Satelliten auf geostationären Bahnen – auch so einem gefragten Gürtel – klappt diese Regulierung ja auch schon ganz gut.

2. Warum hat US StratCom (die militärische Organisation, die für die Weltraumüberwachung zuständig ist) Iridium nicht gewarnt? Ein Ausweichmanöver dieses aktiven Satelliten wäre dann möglich gewesen (auch wenn Iridium 33 schon weit über seine Design-Lebendauer hinaus ist und die Treibstoffvorräte wahrscheinlich nicht mehr gewaltig sind). US StratCom überwacht routinemäßig mehr als 18.000 Objekte die 10 Zentimeter oder größer sind. Von allen permanent die Relation zu allen anderen zu ermitteln wäre sicher ein wenig viel verlangt. Aber die potentiellen Kollisionskandidaten in Satellitengröße sind eine durchaus überschaubare Menge und man kann davon ausgehen, dass solche Bahnberechnungen permanent vorgenommen werden. Man darf mit Sicherheit annehmen, dass solche Analysen für alle amerikanischen Militärsatelliten durchgeführt werden. Und für die Flüge des Shuttles (und der ISS) wird es im Übrigen ja auch schon heute routinemäßig gemacht.

Immerhin meldete sich US StratCom gleich nach dem Vorfall zu Wort und verkündete, dass nunmehr 600 Bruchstücke von mehr als 10 Zentimetern Größe unterwegs sind. Die Anzahl der kleineren aber keineswegs ungefährlicheren Stücke kann man nur raten. Aber ein Faktor 10 ist sicher nicht zu niedrig geschätzt.

3. Der Schaden besteht keineswegs nur darin, dass nur ein einzelner aktiver Satellit ausgefallen ist. Vielmehr kreisen jetzt zwei sich auffächernde Trümmerwolken auf dieser Bahn. Wo vorher die Gefahr eines einzelnen Treffers drohte (und eintraf) sind jetzt hunderte, möglicherweise tausende von Schrapnells unterwegs. Diese Trümmer driften, wegen der Geschwindigkeitsveränderung die sie durch den Aufprall erfahren haben nicht nur auf der 800 Kilometerbahn sondern verteilen sich über den gesamten niedrigen Orbitbereich. Dank – besser "undank" – der hohen Inklination der Trümmerwolke vergrößert das auch die Gefahr aller anderen niedrig fliegenden Raumfahrzeuge, die bei jeder Erdumkreisung den Gürtel zweimal durchstoßen müssen.

Fürs erste ist der Schaden jetzt angerichtet. Was aber kann man tun um derlei in Zukunft unwahrscheinlicher zu machen und auf mittlere Frist vielleicht ganz zu verhindern?

1. Schnellste und unmittelbarste Abhilfe könnte es geben, wenn StratCom die Betreiber aller aktiven Satelliten warnt, seien sie nun zivil oder militärisch und diese daraufhin Ausweichmanöver fliegen.

2. Zukünftig dürfen auf diesen sehr gefragten Bahnen keine "Orbitalleichen" mehr herumtreiben. Um das zu verhindern gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die von einem gezielten De-orbiting reichen (mit einer Treibstoffreserve, die der Satellit zu diesem Zweck am Ende seines Einsatzlebens noch verfügbar haben muss) bis zu Maßnahmen wie dem Einsatz eines so genannten "Terminator Tethers" das trotz seiner martialischen Bezeichnung eine simple und effektive Methode wäre einen Satelliten relativ schnell aus einer belebten Bahn zu entfernen.

3. Orbitalleichen, die dann immer noch herumtreiben, und die weder in der Lage sind aktivites Deorbitung durchzuführen noch selbst einen Tether auszuwerfen, könnten durch Space-Tugs entweder eingesammelt oder mit einem Space-Tether versehen werden. Diese Methode ist zwar teuer, aber technisch heute schon ohne weiteres möglich und eine Investition in die Zukunft und die Sicherheit vor allem der bemannten erdumkreisenden Raumfahrzeuge.

Und wenn dann eines fernen Tages der lässig hingeworfene Befehl des Raumschiffkommandanten "Scotty, fahren Sie die Schutzschirme hoch" genügt, um die Gefahr zu bannen, dann können wir ja wieder etwas nachlässiger mit unserem Weltraummüll werden

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

13 Kommentare

  1. Verantwortlich sind die Betreiber selbst

    Das US Space Command vermisst und katalogisiert die Bahnen aktiver und inaktiver Satelliten und Oberstufen im Orbit und stellt diese Datenbank auch angemeldeten und ausgewählten Benutzern zur Verfügung. Sicher berechnet man dort auch Kollisionswahrscheinlichkeiten für die zahlreichen Satelliten des US-Militärs. (Es ist eine interessante Tatsache, dass die US-Ausgaben für militärische Raumfahrt so hoch sind wie das Raumfahrtbudget der NASA).

    Dass man dort nun aber auch noch die Vorausberechnung für andere Betreiber vornimmt, ist etwas zu viel verlangt! Iridium LLC hätte (oder hat sogar) selbstverständlich Zugang zu dieser Datenbank. Angesichts des Kunden dieser Firma wäre alles andere hochgradig verwunderlich: Das ist nämlich das US-Militär selbst, das die Iridium-Satelliten als Kommunikationsnetzwerk nutzt.

    Die Frage ist nicht, warum das US Space Command nicht der Firma Iridium LLC die Arbeit abgenommen hat, die man eigentlich mit Fug und Recht von einem Betreiber eines so großen Satellitennetzes erwarten kann.

    Die Frage ist, warum die ihre Hausaufgaben nicht selbst gemacht haben, indem sie die Daten regelmäßig und korrekt ausgewertet und die Kollisionswahrscheinlichkeiten vorasuberechnet haben, oder, falls sie das getan haben, warum dann dieses Ereignis nicht prognostiziert wurde, oder, falls es prognostiziert wurde, wieso es kein Auweichmanöver gab, oder, falls es eins gab, warum es trotzdem zur Kollision kam.

    Jetzt haben wir die Sauerei – wieder eine große Freisetzung von Weltraumschrott und das auch noch in 800 km Höhe, da wo es am meisten stört.

    Das US Space Command hat sich an dieser Stelle nichts zuschulden kommen lassen. Versagt haben diesmal andere.

  2. Nachtrag: Schadensverursacher?

    > Passenderweise fand das über dem
    > nördlichen Russland statt, dem
    > Ursprungsland des Schadensverursachers.

    Eine merkwürdige Interpretation. Wieso soll der ausgediente sowjetische Satellit der Schadensverursacher sein? Mir ist kein Gesetz und auch keine internationale Regelung bekannt, die bestand, als der Satellit betrieben wurden und gegen die verstoßen wurde.

    Das Belassen im Orbit ist etwas, dessen sich praktisch alle Betreiber schuldig machen. Auch aktuelle Regelungen und Richtlinien zielen nicht darauf hin, ausgediente Satelliten und Stufen aus dem Orbit zu räumen, sondern haben zum Ziel, ihre Lebensdauer im Orbit zu beschränken. Das geht natürlich auch nur dann, wenn man noch Kommandozugriff und Treibstoff hat, damit man die Bahn etwas absenken kann. Verpflichtend ist das alles jedoch nicht.

    Dies ist aber allgemein bekannt, ebenso wie die Gefährdungssituation. Werden nun – mir unverständlicherweise – von einem Betreiber nicht kontinuierlich geeignete Schritte zur Überwachung des Kollisionsrisikos seiner eigenen Satelliten mit Weltraumschrott gemacht, dann hat ist dieser nachlässige Betreiber der Schadensverursacher, wenn es kracht.

    Der ausgediente sowjetische Satellit konnte nicht ausweichen, der Iridiumsatellit sehr wohl – sofern er funktionstüchtig war, was bis jetzt niemand in Abrede gestellt hat.

    Ich finde es sehr merkwürdig, wie vorschnell und auch unbegründet Schuldzuweisungen vorgenommen werden.

  3. Noch ein Nachtrag

    > Warum gibt es bis auf den heutigen Tag
    > keine internationale Übereinkunft,
    > dass sich auf besonders beliebten
    > Bahnen keine ausgedienten Satelliten
    > und Raketenendstufen herumtreiben
    > dürfen.

    Es ist leicht gesagt, aber nicht leicht gemacht und noch nicht einmal leicht definiert. Was bedeutet denn “nicht herumtreiben”? Dass ein komplettes de-orbit erfolgen muss? Kaum machbar und schon gar nicht durchsetzbar. Man hat sich zumindest darauf verständigt, darauf hinzuwirken, dass die Zahl der Objekte im niedrigen Erdorbit nicht weiter ansteigt, indem man Maßnahmen trifft, die die Lebensdauer begrenzen. (siehe meine anderen Kommentare)

    Diese Maßnahmen sind aber a.) freiwillig und b.) nicht geeignet, zwischen Abschalten und endgültigem Wiedereintritt die Gefahr einer Kollision zu bannen. Ein Rest-Risiko bleibt, und das ist auch jedem bekannt, der Raumfahrt betreibt.

    Es obliegt jedem Betreiber, selbst darauf zu achten, dass seine eigenen aktiven Satelliten nicht mit Schrott kollidieren, und dass sie selbst nicht zum Langzeitproblem werden.

    > Bei Satelliten auf geostationären
    > Bahnen – auch so einem gefragten
    > Gürtel – klappt diese Regulierung ja
    > auch schon ganz gut.

    Erstens ist das geostatonäre Orbit auch im Gegensatz zum LEO-Bereich ein ganz genau definierter, sehr eng umschriebener Bereich. Es reicht schon, einen ausgedienten Satelliten einige Hundert Kilometer hoeher zu heben, was einem Treibstoffverbrauch entspricht, der einigen Monaten operationellen Betriebs gleichkommt. Gut, das sit schon eine Menge Geld, aber damit ist das Problem auch wirklich weg. Beim LEO ist das nicht so einfach, da ist die Bahndynamik nun mal eine ganz andere.

    Und apropos “klappt ganz gut” – wenn das mal so wäre. 1997 bis 2003 wurden 103 Satelliten im GEO inaktiv. Von diesen 103 wurden nur 34 im sicheren Friedhofsorbit positioniert, also nur ein Drittel. Ein weiteres Drittel schaltete man einfach im GEO ab, sie geistern seitdem munter hin und her durch den geostationären Ring. Ein weiteres Drittel wurde halbherzig angehoben, man hatte aber zuwenig Treibstoff übriggelassen, sodass sie nicht wirklich den geostationären Ring verlassen. Diese ganzen Regelungen sind freiwillig, und man kann sich daran halten, muss aber nicht.

    Quelle: http://www.esa.int/…P/SEM9XULVGJE_Germany_0.html

  4. Kollisionsgeschwindigkeit

    Wie schnell sind denn Satelliten in dieser Höhe unterwegs, wie hoch war also die Kollisionsgeschwindigkeit?

  5. Kollisionsgeschwindigkeit

    Die Bahngeschwindigkeit in 800 km Hoehe ist rund 7.5 km/s, die Aufprallgeometrie war wie in den folgenden Bildern dargestellt (Dank an Rainer Kresken für das Auffinden der Links):

    http://www.obsat.com/images/Ir33coll_top.gif

    http://www.obsat.com/images/Ir33coll_side.gif

    http://screamyguy.net/…/viewer.htm?TITLE=Iridium

    Da der Zusammenprall in etwa im rechten Winkel erfolgte, dürfte die Relativgeschwindigkeit über 10 km/s betragen haben, also 36000 km/h.

    Wie man sieht – das hat ein Teilnehmer in der Newsgroup de.sci.raumfahrt sehr richtig festgestellt, kam der Irdium-Satellit von rechts und hätte damit Vorfahrt. 🙂 Das wäre ein Argument – allerdings auch das einzige, wenn man sich nicht einer sehr eigene Rechtsauffassung bedient – für eine Schuldzuweisung an den sowjetischen Satelliten als “Schadensverursacher”, wie im obigen Blog merkwürdigerweise geschehen.

  6. Betreiber und zwei Nachträge

    Klar gibt es keine gesetzlichen Regelungen, die sich hier um die Vorfahrt kümmern. Klar: Ausweichen kann nur der Aktive. Klar hätte sich Iridium drum kümmern können, die Daten zu bekommen. Klar: Das Space Command ist nicht verpflichtet, Iridium zu warnen.

    Überhaupt ist in diesem Fall keiner zu irgendwas verpflichtet. Und Schuld oder Unschuld sind hier unpassende Begriffe. Und es ging auch nicht um eine Schuldzuweisung, sondern um eine Schadensfeststellung. Und die kann man schon machen, denke ich.

    Zum Schadensverursacher und um klarzustellen was ich meine: Der Iridium-Satellit ist nun mal der einzige, dem geschadet werden kann, denn der steht noch in Brot und Arbeit und ist aktiv. Kosmos 2251 ist – um genau zu sein war – seit 10 Jahren nur noch ein Haufen Buntmetall. Einer Leiche kann man nicht dadurch schaden, dass man sie umbringt.

    Und es hätte vielleicht wirklich anders laufen können. In meiner idealen und etwas naiven Welt sieht die Abfolge der Ereignisse so aus, dass der Auswerter bei StratCom morgens bei einer Tasse Kaffee durch seinen täglichen Bericht blättert, der sich auf Seite 1 in roten, fetten Buchstaben mit den Kollisionswarnungen der Prioritätsstufe 1 beschäftigt. “Soso”, denkt er sich. “Iridium 33 und Kosmos 2251, das sieht aber mal ganz schön knapp aus”. In meiner idealen und naiven Welt greift er daraufhin zum Filzsstift, kringelt die Zeile ein, scannt das Blatt und schickt es per Mail zu Iridium mit der handschriftlichen Notiz: “Leute, das könnte knapp werden, am Dienstagnachmittag. Schaut euch das mal an”.

    Und wer weiß, vielleicht lief es bis dahin sogar so.

    In meiner realistischen und etwas zynischen Welt beschäftigt Iridium aber niemanden, der sich um so was kümmert. Das ist ein knallhart kalkulierendes Wirtschaftsunternehmen, hervorgegangen aus der Asche seines bankrotten Vorgängers, und die werden den Teufel tun und Leute dafür zu bezahlen um Dinge zu überwachen, die noch nie zuvor passiert sind. Aber sicher sind die Verantwortlichen von der Technik, dem Controlling und dem Vertragswesen schon mal zusammengesessen und haben eine Risiko-Analyse für so einen Fall gemacht. Und sie sind zu dem Schluss gekommen: “Wenn wirklich einer in unseren Satelliten kracht zahlt das die Versicherung, auf der Bahnebene haben wir noch ein paar Reserveeinheiten und unsere neuen Iridium-2 Satelliten sind auch schon bestellt”. Der ganze Rest ist Gefühlsduselei und dem Stakeholder nicht zu verkaufen und um den Müll auf der Umlaufbahn soll sich gefälligst jemand anders kümmern.

    Dass es grade über Russland passiert ist, wie Sie richtig bemerken, rechtlich und technisch natürlich völlig irrelevant. Symbolisch macht es aber was aus, denn die Russen mögen Symbolik. Immerhin trägt Russland zu einem erheblichen Teil des Verkehrs auf dieser Bahn bei. Und die Motivation diese Bahn für sich selbst auch nutzbar zu halten stärkt eine Explosion über ihren Köpfen mehr als wenn der Vorfall über – sagen wir mal – den Fidschi-Inseln passiert wäre.

  7. Kollisionsgeschwindigkeit II

    Hallo Marco,

    Michael Khans Bilder sind sehr aufschlussreich, es ist gut zu erkennen, dass es da ganz schön geknallt haben muss. Der Aufprallwinkel betrug etwa 100 Grad, und inzwischen hat sich auch jemand die Mühe gemacht, die Aufprallgeschwindigkeit zu berechnen. Ergebnis: 11,65 Kilometer pro Sekunde. Noch eine interessante Information: Am Tag zuvor sind sich die beiden Satelliten schon einmal auf 600 Meter nahe gekommen.

  8. Semantik und TLEs

    Für mich hat “Schadenverursacher” eine recht genau umschriebene Bedeutung, die die Rolle des sowjetischen Satelliten nicht treffend beschreibt.

    Was nun die Möglichkeiten des US Space Commands angeht, hier zu warnen. Eine etwas realistische Einschätzung dessen, was die hier – an durchaus Nützlichem! – leisten können und was nicht, ist angebracht.

    Es ist schon eine erhebliche Arbeit, die natürlich von Computern geleistet wird und weitgehend automatisiert ist, aber trotzdem. Die Radar-Messungen von NORAD werden gesammelt, verarbeitet, in Bahndaten umgerechnet, bekannten Objekten zugeordnet, in TLEs umgewandelt (Two-Line-Elements, eine vereinfachte Form der Speicherung, die über beschränkte Zeiträume hinweg mit einiger Genauigkeit die schnelle Vorausberechnung der Bahn gestattet) oder als nicht-bekannte Objekte gekennzeichnet und in die Datenbank geschrieben.

    Und jetzt kommt das Problem.

    Wenn man aussagekräftige Daten über die Kollisionswahrscheinlichkeit haben will, dann sollte man tunlichst nicht einfach nur diese TLEs in der Zeit nach vorne propagieren und sehen, ób vielleicht ein aktiver Satellit einem der Zehtausende oder mehr bekannter Trümmerobjekte oder aktiver Satelliten zu nahe kommt. Das allein wäre schon eine ziemliche Sisyphusarbeit.

    Und jetzt die wirkliche Crux: Wenn man wirklich einigermaßen aussagekräfrige Kollisionswahrscheinlichkeiten haben will, dann reicht es nicht, die TLEs einfach nur TLEs des einen Objekts mit TLEs des anderen Objekts abzugleichen. Schon gar nicht, wenn, wie in diesem Fall, die Bahnen einander rechtwinklig kreuzen. Das ist nämlich gerade so ein kniffliger Fall, dass man höhere Genauigkeit braucht, also zumindest von einem der beiden “Partner” eine genaue Bahnbestimmung, einen Plan der vorgesehenen Manöver, ein genaues Störmodell für eben diesen spezifischen Körper usw. Ohne das kann man wahrscheinlich auch gleich im Kaffeesatz lesen. Da würde man bunt durcheinander falsch-positive Meldungen bekommen, wirkliche Gefahrenpotenziale aber nicht einmal erkennen.

    Woher sollen die dort nun aber diese dedizierten Daten der aktiven Satelliten anderer Betreiber haben? Sie haben sie natürlich für das Shuttle und eigene Satelliten des US-Militärs … weil die ihnen diese Daten geben (oder selbst nachrechnen).

    Bei zivilen oder ausländischen Betreibern ist das aber wohl nicht möglich … wie denn auch? die müssten ja immer komplette Orbit Files inklusive aller bahnrelevanter Manöver herüberreichen.

    Also stellt sich die Frage: Hat Iridium LLC eine solche Vereinbarung mit dem US-Militär gehabt und immer brav die Daten herübergereicht? Ansonsten wäre es nämlich dem verantwortlichen Offizier beim Morgenkaffee objektiv gesehen nicht möglich, solche Warnungen herauszugeben.

    Ob Iridium selbst Kollisionsrechnungen vornimmt, ist mir nicht bekannt, falls ja, dann ist ihnen hier wohl ein Fehler unterlaufen. Das ist ein durchaus plausibles Szenario.

    Dass das Management dort nicht weiß, wie stark das Gefährdungspotenzial um 800 km ist, und dass diese Kollision eine Langezeitverschmutzung mit erhöhtem Risiko auch für die eigenen Investitionsgüter darstellt, kann ich mir nicht vorstellen.

    Der Müll gerade in dieser Zone nuimmt schon seit einiger Zeit durch Kollisionen zwischen Trümmern zu. Das war schon so, bevor die Chinesen dort unlängst ihren unglaublich dummen ASAT-Test durchführten und natürlich bevor die jetzige Kollision passierte. Es ist leider nicht unrealistich, dass dieser für die Erdbeobachtung eminent wichtige Bereich in einigen Jahrzehnten so zugemüllt ist, dass Satelliten dort einem inakzeptablen Risiko ausgesetzt sind.

    Das wissen auch alle Beteiligten, aber zwischen Wissen und Handeln klafft eine Lücke. Beileibe nicht nur bei kommerziellen Betreibern. Da müssen sich alle an die eigene Nase fassen, Militärs ebenso wie Raumfahrtagenturen oder Privatfirmen.

  9. Jetzt haben wir den Salat

    Wie ich gerade bei “Universe Today” las, bringen die Trümmer der beiden Satelliten auch die Hubble Service Mission in Gefahr. Man rechnet mit einem Risiko für einen fatalen Impakt von 1:185 für das Shuttle. Eigentlich wollte man bei einem Risiko größer als 1:200 die Mission abblasen. Oh je. Die Hubble Service Mission scheint ja unter keinem guten Stern zu stehen. Ich zähle die Verschiebungen schon gar nicht mehr mit.
    http://www.universetoday.com/…-collision-debris/

  10. Der Shuttle wird fliegen

    Die Hubble-Repair Mission wird mit Sicherheit nicht wegen der Kollision von Iridium 33 und Kosmos 2251 abgeblasen werden. Beim gestrigen Flight Readiness Review für die Shuttle Mission STS 119 beispielsweise wurde dieser Aspekt ebenfalls diskutiert, spielte aber bei der Entscheidung, den Flug zu verschieben, keine Rolle. Natürlich liegt die Flughöhe der Mission STS 125 um 200 Kilometer höher als die von Shuttle-Flug 119 und ist deswegen in dieser Hinsicht etwas höheren Gefahren ausgesetzt.

    Die letzte Zählung der Fragmente, die so groß sind, dass sie der amerikanische Space Command registrieren kann, lag bei 49 Bruchstücken von Iridium 33 und bei 85 Fragmenten von Kosmos 2251. Die Zahl wird sicher noch steigen, wenn weitere Radardaten vorliegen.

    Die beiden Trümmerwolken befinden sich ja weiterhin auf Kollisionskursen und es gilt zu beobachten, ob möglicherweise Teile aus diesen beiden Wolken miteinander kollidieren. Was den Shuttle (wie auch die Raumstation) betrifft. Er ist eines der wenigen Objekte, deren Flugweg während einer Mission permanent beobachtet wird. Ausweichmanöver vor Objekten, die 10 Zentimeter oder größer sind geschehen gelegentlich. Die Anzahl dieser Ausweichmanöver könnte sich jetzt erhöhen. Die Gefahr mit kleineren, aber deswegen nicht notwendigerweise weniger gefährlichen Objekten zu kollidieren, wird zunehmen. Dieses nunmehr leicht erhöhte Risiko wird man eingehen müssen.
    Interessant is dieses Filmchen (hat eine ziemliche Ladezeit, nicht ungeduldig werden) http://www.agi.com/…-cosmos/IridiumCosmos_v3.zip das eine recht anschauliche Simulation des Zusammenpralls mit der darauf folgenden Verteilung der Trümmerwolken ist.

    Die Auswirkungen lassen sich jetzt am besten in der Praxis an den anderen Satelliten auf polaren Bahnen in der Höhe des sonnensynchronen Orbits beobachten. Und das sind nicht wenige. Die Bahnschnittpunkte all dieser Satelliten befinden sich in polnahen Regionen. Neben den Iridiums und den Strelas sind das beispielsweise auch die Umweltforschungssatelliten des so genannten A-Trains.

  11. @Marco: Kollisionswahrscheinlichkeit

    Wohlgemerkt: Die Wahrscheinlichkeit von 1:185 für die Kollsion des Shuttle mit einem Trümmerstück bezog sich nur auf die Sitiation VOR dem aktuellen Ereignis, das zusätzlichen Schrott prouduzierte. Jetzt ist das Risiko gestiegen. Um wieviel, weiß man noch nicht, denn die Zählung und Vermessung der Trümmer dauert noch an.

  12. Aktueller Stand

    Der aktuelle Stand der bekannten Truemmerobjekte, die aus der Kollision resultierten, liegt am 27.2.2009 bei 400, Tendenz steigend. Es wird sicher noch eine ganze Zeit dauern, bis sich die Situation stsbilisiert hat, d.h., bis eine verlaessliche Kenntnis des Umfangs und der Bahnverteilung der neu hinzugekommenen Objekte messbarer Groesse vorliegt.

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