Space Tourismus in Europa: Fehlanzeige

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Von Wernher von Braun existiert ein bekanntes Bonmot, das da lautet »In der Raumfahrt gibt es zwei bedeutende Probleme: Die Überwindung der Gravitation und die Bürokratie. Das Erstere halte ich für lösbar.«

Vor einer Weile wandte sich die Europäische Weltraumorganisation ESA an die Industrie. Sie forderte die Unternehmen auf, Vorschläge für ein bemanntes Raumfahrzeug einzureichen, das für den suborbitalen Weltraumtourismus eingesetzt werden kann. Als Belohnung winkten 150 000 Euro. Diese Summe konnten bis zu drei Firmen jeweils erhalten, um ihre Pläne weiter auszuarbeiten. Die Unternehmen mussten dafür aber nicht nur einen Raumschiffentwurf vorlegen, sondern auch einen detaillierten Geschäftsplan für künftige weltraumtouristische Unternehmen.

(Bild links: SpaceShipOne startet zu einem suborbitalen Trip an den Rand des Weltraums).

An der Stelle kann man sich fragen, ob Geschäftspläne hier überhaupt sinnvoll sind. Sie sind ein vernünftiges Werkzeug, wenn es um etablierte Industrien mit kalkulierbarer Zukunft geht, bei denen man die Rahmenbedingungen, die Wettbewerber und die Kundenanforderungen kennt.

Wenn aber wie jetzt im Weltraumtourismus etwas vollkommen Neues geschaffen wird, dann ist jeder Geschäftsplan pure Fiktion. In den USA gab es um das Jahr 1900 etwa 8.000 so genannte automobile Fahrzeuge. Die meisten davon waren dampfbetrieben. Das war eine zuverlässige Technologie, die Hersteller hatten sie im Griff und die Kunden verstanden sie. Daneben gab es einige Elektromobile. Und schließlich noch ein paar merkwürdige Sonderkonstruktionen, die mit Benzinmotoren betrieben wurden. Der Treibstoff für diese Vehikel war ein so rares und teures Produkt, dass man ihn in der Apotheke in Fünf-Unzen-Fläschchen kaufen musste. Doch gerade mal zehn Jahre später gab es praktisch keine anderen Fahrzeuge mehr als diese benzinbetriebenen »Exoten«.

Das ist in etwa die Wegmarke, an der die private Raumfahrt heute steht. Wer ein komplett neues Produkt entwickelt, muss jede Vorhersage ignorieren. Es gibt viele konkurrierende Technologien und den Gewinner wird niemand anderes ermitteln als der Markt. Aber wahrscheinlich sind derlei Überlegungen eher theoretisch, denn im Gegensatz zur äußerst regen amerikanischen Szene gibt es in Europa nur fünf oder sechs Unternehmen, die sich mit privater Raumfahrt beschäftigten. Die meisten davon sind reine »Powerpoint-Buden«, die noch keinerlei Teile gefertigt haben. Die einzigen, die bereits in begrenztem Umfang bauen und testen, sind die britische Firma Starchaser sowie die rumänische Aeronautics and Cosmonautics Romanian Association (Arca). Folgerichtig gewann anfang des Jahres der ernsthafteste Anwärter dieser kleinen Gruppe, Starchaser, einen der drei möglichen Esa-Verträge über 150 000 Euro.

An der Stelle könnte man jetzt sagen: Na also, geht doch. Aber genau hier beginnt die typisch europäische Tragik. Denn Starchaser Industries muss – wie auch die anderen Weltraumunternehmen – gerade erkennen, dass private Raumfahrt in Europa überhaupt nicht betrieben werden kann, weil es nicht betrieben werden darf, denn es existieren keine Regularien dafür.

(Bild rechts: Starchaser-Konzept)

Bevor im alten Europa der private Raumflug starten kann, müssen erst zahllose Fragen geklärt werden. Dazu gehören Probleme wie: Welche Institution ist zuständig für suborbitale und orbitale Flüge, bei denen Personen von Privatunternehmen in den Weltraum befördert werden? Wer vergibt Flug- und Testgenehmigungen und nach welchen Bestimmungen? Welches Regelwerk lässt Testflüge mit bemannten Raketen zu und wie sieht es mit der Haftung aus?

In den USA wurden diese Fragen innerhalb weniger Monaten von der »Federal Aviation Administration « (FAA), abgearbeitet. Grundlage war der »Commercial Space Launch Amendment Act«, den das amerikanische Repräsentantenhaus im Jahr 2004 verabschiedete. Gleichzeitig beschlossen die Amerikaner, dass in den nächsten acht Jahren einige von den Vorschriften noch nicht gelten. Sie sollen erst dann in Kraft treten, wenn genügend Erfahrungswerte vorliegen. Dies betrifft vor allem die sicherheitsrelevanten Bestimmungen.

Dahinter steht die Einsicht, dass es in der Anfangsphase der privaten Raumfahrt auf Grund der explosiven Treibstoffe, der hohen Geschwindigkeiten und der großen dynamischen Belastungen zu schweren Unfällen kommen wird. Tatsächlich ist das in diesem Jahr auch schon passiert. Um das aufkeimende Pflänzchen nicht gleich beim ersten Vorfall schon wieder abzuwürgen, hat der amerikanische Gesetzgeber die oben beschriebene vorschriftsfreie Zeit als notwendig erachtet. Meine Erfahrung sagt mir, dass wir diesen wohltuenden Pragmatismus in Europa niemals erleben werden. Besonders die Deutschen neigen in sicherheitsrelevanten Fragen, sofern diese nichts mit Autofahren zu tun haben, zu permanentem Hyperventilieren.

Alle Institutionen in Europa, die für die Regelung der privaten Raumfahrt in Frage kommen – und das sind eine ganze Menge –, bezeichnen sich schon einmal vorbeugend als nicht zuständig. Angefangen von der »European Aviation Safety Agency« (Easa), deren Funktion noch am ehesten der amerikanischen FAA entspricht, über die »Joint Aviation Authorities« (JAA), die »International Spaceflight Organisation« (ISFO), die nationalen Raumfahrtagenturen wie DLR, Cnes und Asi bis hin zur Esa: Private Raumfahrt ist ein Tabu in den europäischen Behörden.

Man glaubt es kaum, aber es gibt sogar ein »European Center für Space Law«, und man möchte meinen, hier wären die Fragen richtig angesiedelt. Doch weit gefehlt, denn auch diese Institution beschäftigt sich nicht mit so profanen Dingen, sondern fühlt sich eher zuständig für die juristisch korrekte Auslegung von Rechtsfragen wie: Wem gehören Mond und Mars?

Gehen wir aber einmal davon aus, dass ein Wunder geschieht und in absehbarer Zukunft das Thema ernst genommen, die Zuständigkeiten geklärt und die nötigen Gesetze verabschiedet werden. In diesem Fall werden sich augenblicklich zwei weitere europäische Besonderheiten auftun: die Vorliebe für hochkomplexes Regelwerk sowie das Gerangel um die Frage, wo die Startbasis hingebaut werden soll.

Um Problem eins zu verstehen, bedenken Sie nur Folgendes: Die zehn Gebote haben 284 Wörter und Moses schrieb sie an einem Nachmittag auf. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung umfasst 1332 Wörter und dafür beratschlagten die Delegierten einige Tage. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat in seiner Originalfassung von 1949 etwas weniger als 12 000 Wörter und seine Verfasser brauchten ein paar Wochen, um es zu formulieren. Die Regulierungsvorschrift der Europäischen Union für den Vertrieb von Weißkraut jedoch ist 23 826 Wörter lang und es dauerte Jahre, bis sie nach komplizierten und zähen Verhandlungen in Kraft trat. Man braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass eine europäische Verordnung über die private Raumfahrt einen bürokratischen Aufwand erfordert, der den für die Weißkraut-Verordnung um mehrere Größenordnungen übertrifft.

Zum Problem zwei sei nur so viel gesagt, dass es überall in Europa noch für die kleinste Umgehungsstraße Planungsprozesse wahrhaft byzantinischen Ausmaßes gibt und dass Europa die Heimat einer unübersehbaren Heerschar von Umweltaktivisten ist.

Derzeit sind zwei europäische Orte als Startbasis für den suborbitalen Weltraumtourismus im Gespräch: Kiruna in Nordschweden und eine Küstenregion in Nordschottland. Beide liegen weitab dicht besiedelter Städte und fern der überfüllten Luftfahrtwege in Europa. Somit sind beide im Prinzip geeignet.

Kiruna besitzt schon jetzt eine gewisse Raumfahrtinfrastruktur, denn dort starten seit Jahren Höhenforschungsraketen der Esa. Allerdings darf man sich fragen, wie viele betuchte Weltraumreisende in dieser gottverlassenen Gegend, 150 Kilometer nördlich des Polarkreises, herumhängen wollen. Und in Nordschottland leben dummerweise zahlreiche Wildtiere. Überall in Europa kann – dank der energischen Initiativen von Umweltschützern – der Bau einer zwei Kilometer langen Ausweichstraße um eine dauerverstopfte Ortschaft Jahrzehnte dauern, wenn auch nur irgendwo ein einsamer Feldhamster gesichtet wird. All das haben auch die wackeren Streiter bei Starchaser Industries erkannt. Nachdem sie ihren Esa-Vertrag über 150 000 Euro gewonnen hatten, taten sie kund, dass sie alle Arbeiten und Tests in den USA durchführen werden, und zwar auf dem im letzten Jahr eröffneten New Mexico Spaceport.

Stellen wir uns jetzt einmal ein weiteres Wunder vor und nehmen an, dass neben dem erforderlichen Regelwerk auch mindestens ein Weltraumbahnhof geschaffen wird. Dann bleibt die Frage der Finanzierung. Die Esa ist bereit, wir haben es eingangs gesehen, insgesamt 450 000 Euro in die private Raumfahrt und den Space Tourismus zu investieren. Das ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn es darum geht, einer völlig neuen Industrie zum Durchbruch zu verhelfen. Man braucht also Investoren. Doch europäische Finanziers sind an der privaten Raumfahrt absolut nicht interessiert. Kein Wunder angesichts der zu erwartenden Probleme. Das heißt, nicht alle europäischen Investoren stehen dem Thema ablehnend gegenüber. Fluglinieninhaber Richard Branson, immerhin Brite, ist vom Weltraumtourismus begeistert. Aber er kennt Europa und versucht erst gar nicht, seine neue Firma Virgin Galactic hier anzusiedeln. Lieber investiert auch er im amerikanischen Bundesstaat New Mexico für seinen Raumflughafen und in Kalifornien für die Entwicklung seines Raumfahrzeugs. Fürs Erste legt er schon mal eine Viertelmilliarde Dollar in den Vereinigten Staaten an.

(Bild oben: Space Ship One über einem Kabinen-Mockup von SpaceShipTwo)

In Europa gibt es nicht weniger reiche Leute als in den USA. Aber nirgendwo ist hier ein Paul Allen, ein Elon Musk, ein Jeff Bezos oder ein Andrew Bigelow zu sehen, die in Amerika derzeit riesige Summen in die private Raumfahrt stecken. Diese Unternehmer finden in den Vereinigten Staaten ideale Bedingungen vor, sie sind risikobereit und haben eine Passion für das Thema. Nichts davon im Abendland.

In zehn oder zwanzig Jahren, wenn man die amerikanischen Pioniere des neuen Business preisen wird als die Boeings und Lockheeds des 21. Jahrhunderts, wird Europa aus dem Dornröschenschlaf erwachen, sich verwundert die Augen reiben und fragen, warum es denn nicht teilhat an dieser fortschrittlichen neuen Technologie. Dann werden die europäischen Regierungen auf Kosten des Steuerzahlers ein hochkomplexes Industriekonsortium ins Leben rufen, das dann beginnt, mit der übrigen Welt zu konkurrieren. Dieses Staatsunternehmen wird – darauf kann man schon jetzt jeden Betrag wetten – in einem irren Anfall von Kreativität den Namen »Spacebus « erhalten. Bis dahin hängt sich Europa ein Schild an die Grenzen, auf dem steht: »Bitte nicht stören.«

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

3 Kommentare

  1. Arme Alte Welt

    Europa schafft es doch auch nicht Berufsastronauten aus eigener Kraft in den Weltraum zu heben, daher muss wohl auch der europäische Laien-Astronaut im Ausland buchen.

  2. Bürokratismus

    Nicht zu vergessen, dass die Bürokratie privaten Anbietern das Leben schwer macht: Ein Freund von mir hat es sich zur Passion gemacht, Parabelflüge anzubieten – für Menschen von der Straße zu einem äußerst günstigen Preis. Eine Zeitlang ging das gut, bis eine Behörde auf die Idee kam, die Rahmenbedingungen zu verschärfen und auf diese Weise das Projekt zuzudrehen. Leider erfolgreich (vorläufig).

  3. Europe is sleeping

    In Europa gibt es Projekte, wie z.B. das Projekt “Enterprise”. Angesiedelt auf einer ehemaligen russischen Luftwaffenbasis in Ostdeutschland. Für viele ist es jedoch nur ein Traum, denn eine Infrastruktur aufzubauen dauert Jahre.

    Ich muss jedoch anmerken: Auch wenn es so aussieht, als ob die USA die Nase betreffend suborbitalem Tourismus die Nase vorn haben, die Jungs kochen auch nur mit Wasser. Wir vertreten die US-Firma “Rocketplane”, und bekommen life und in Farbe mit, was es bedeutet sich in einem solchen Business-Feld aufzuhalten. Das ist nicht einfach, zumal nicht jeder über die unzähligen Millionen eines Herrn Bezos verfügt oder eines Herrn Virgin Galactic. Es wird dauern, bis sich zeigt, ob es realistisch ist. Aller Technik zum trotz, die Sicherheit muss gewährleistet sein, zumindest muss alles ausgeschöpft sein, was derzeit möglich ist.

    Auch ist die Zahl derer, die ins All reisen wollen auf diese Art, geringer als man in der Presse zu lesen vermag.

    Bis sich das rentiert, ist es ein langer Weg. Und öffentliche Raumfahrtagenturen werden sich hüten, da richtig Geld reinzupumpen.

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