Steppenwölfe durchstreifen galaktische Steppe

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Von Steinen bis zu den Sternen
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Was verbinden Menschen mit rauen Bedingungen? Meterhohe Wellen? Schäumende Gischt? Peitschenden Wind? Ein rauer Planet müsste aus Sicht eines Astronomen also eine sturmgepeitschte Welt sein. Doch weit gefehlt. Raue Planeten (rough planets) gehören zu den friedlichsten Orten der Galaxis – aber leben möchte hier dennoch niemand. Oder doch?

Steppenwolf-Planet (Christopher Bruno CC-BY-SA / NASA public domain) 

(Bilder: Christopher Bruno, CC-BY-SA 3.0 unported / NASA, public domain)

Raue Planeten (falsche Übersetzung von mir, siehe Nachtrag) sind verdammt einsame Kerle – die Autoren einer aktuellen arXiv-Veröffentlichung nennen sie deshalb auch Steppenwolf-Planeten. Sie entstanden zwar in gewöhnlichen Sonnensystemen, doch gerieten irgendwann auf die schiefe Bahn, die wir auch hyperbolischen Orbit nennen. So ein Planet wird ins All hinausgeschleudert und verlässt seinen Mutterstern und all seine Planetenbrüder – auf Nimmerwiedersehen. Nehmen wir an, das sei der Erde passiert: Gäbe es eine Chance, dass es auf diesem Planeten dennoch Leben geben könnte? Dorian Abbot und Eric Switzer haben diese Idee durchgerechnet. Sie meinen: Es könnte gehen.

Leben braucht flüssiges Wasser – auf die Bedingung lassen sich selbst die meisten Exobiologen ein. Die einzige Energiequelle auf so einer Welt kann ohne wärmenden Stern nur Kern, Mantel und Kruste des Planeten selbst sein. Diese geothermische Wärme entstammt – im Falle der Erde – in erster Linie den radioaktiv zerfallenden Elementen Kalium, Thorium und Uran. Bei unserem Planeten reicht sie aus, unter dem 3,5 Kilometer dicken Eispanzer der Ostantarktis den gut einen Kilometer tiefen (!) Wostoksee flüssig zu halten.

Diese Energie darf aber nicht sofort verloren gehen. Denn jede Wärme, die einmal ins All abgestrahlt wurde, ist für den einsamen Planeten für immer verloren. Er muss sich also warm anziehen: Die Astronomen schlagen eine dicke Isolationsschicht aus Eis vor, die wir bereits von Jupitermonden wie Europa oder Ganymed kennen. Bei denen bewirkt die schiere Gravitationskraft des Gasriesen, dass Gezeitenkräfte in den Monden so viel Energie freisetzen, dass unter ihren Eispanzern flüssiges Wasser existieren kann.

Auch der erdähnliche Steppenwolf-Planet bekäme ohne die wärmende Sonne schnell einen solchen Panzer. Doch alle Ozeane würden bei der Erde keine Eisschicht bilden, die als wärmende Isolationsschicht dienen könnte. Sie würden einfach komplett zufrieren. Eine flüssige See unterhalb des Panzers gäbe es nur, wenn der Planet entweder 3,5 mal massereicher als die Erde wäre – oder wenn er zehnmal mehr Wasser hätte als unser Planet. Das heißt, entweder muss der Druck unter dem Eis höher oder die Isolationsschicht noch dicker sein.

Doch mit einer weiteren Eigenschaft könnten selbst bei Erdgröße noch flüssige Ozeane unter dem Eispanzer existieren: Vulkanismus! Eine von Plattentektonik durchgerührte planetare Kruste setztbeständig große Mengen Kohlendioxid frei, die sich bald als Schnee auf dem dicken Eispanzer absetzen. Und dieses CO2-Eis isoliert ungleich besser als die wasserbasierten Gletscher. Schon Steppenwolfplaneten von 0,3 Erdmassen hätten mit diesem Wasser-CO2-Panzer gute Chancen, einen flüssigen Ozean zu unterhalten.

Was nun?

Die Idee durchs All driftender Steppenwolf-Planeten mit lebensfreundlichen Ozeanen klingt ganz reizvoll – aber hat das irgendeine Relevanz für uns? Immerhin bedeutet das: Es gibt vielleicht planetare Körper, die durch die „galaktische Steppe“ (Zitat Abbot und Switzer) streifen und tief in ihrem Innern Lebewesen tragen. Werden sie durch die Gravitation eines anderen Sterns eingefangen, könnten sie bei Kollisionen ihre Lebewesen an andere Planeten weiterreichen. Panspermie heißt das Zauberwort. Ein mexikanischer Astronom schätzte kürzlich, dass seit der Entstehung der Milchstraße mehr als 300 freifliegender Planeten in neue Sonnensysteme gelangten – und dort vielleicht Leben verbreiteten.

Doch Steppenwolf-Planeten sind leider nur schwer zu beobachten. Die beste Chance bietet Wärmestrahlung im ferninfraroten Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Das sensibelste Instrument dafür ist aktuell PACS an Bord des ESA-Teleskops Herschel. Mit dem könnten immerhin vorbeikommende Steppenwölfe mit zehnfacher Erdmasse in einem Umkreis von 4000 Astronomischen Einheiten entdeckt werden. Das klingt nach mehr als es ist: Der sonnennächste Stern Alpha Centauri ist ganze 4,3 Lichtjahre oder 274.000 Astronomische Einheiten von uns entfernt.

Drüben bei Astrodictum simplex schreibt Florian, dass immerhin schon freifliegende Planeten entdeckt worden sind. Dabei handelt es sich aber ausschließlich um braune Zwerge Gasriesen mit mehrfachen Jupitermassen. Leben gibt es auf denen sicher nicht – es sei denn sie besitzen so interessante Monde wie unser Jupiter.

Der Begriff rough planet entstammt übrigens – wie sollte es anders sein – der Science Fiction-Literatur. Wikipedia zählt diverse Bücher und Filme auf, in denen Menschen auf freifliegenden Planeten landeten.

Nachtrag: Mir ist ein tückischer Verleser unterlaufen, nach dessen Korrektur leider die Logik dieses Beitrags nicht mehr funktioniert: Es heißt rogue planet, nicht rough planet. Einzelgängerisch passt auch eher zum Steppenwolf. Ich lass es jetzt dennoch so stehen. Danke für den Hinweis.

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Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

5 Kommentare

  1. “Dabei handelt es sich aber ausschließlich um braune Zwerge mit mehrfachen Jupitermassen.”

    Äh… nicht wirklich. Hier gibts ne Liste: http://exoplanet.eu/cat-freefl.html

    Braune Zwerge haben eine Masse von mindestens 13 Jupitermassen. Alles darunter nennt man normalerweise Planet. Die Kandidaten für free-floating planets sind tatsächlich Planetenkandidaten und keine braunen Zwerge.

  2. Braune Zwerge

    Die entdeckten freifliegenden Objekte liegen zwischen 2 und 11 Jupitermassen. Die untere Grenze für Braune Zwerge liegt bei 13 Sonnenmassen, weil hier die Deuteriumfusion einsetzt. Sowas sollten rogue planets also nicht können. Stimmt.

    Allerdings liegen ihre Massen dennoch Größenordnungen über denen von erdähnlichen Welten, von denen Abbot und Switzer schreiben.

  3. *lach* Die Schurkenplaneten

    Die Rogues sind ja nicht nur die Einzelgänger, sondern auch die Schurken, die durch den Westen vagabundieren oder als Staaten gleich Amerika unsicher machen und die sind in der Regel auch ganz schön rough 😉

    Ansonsten stelle ich mir das ganz schön stickig in so einem Eisplaneten vor 😉

    Sehr interessanter Beitrag 😉

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