Fracking-Abwasser und richtige Erdbeben

Erdbebenrisiko (Bild: USGS)

Eigentlich sind ja alle Argumente ausgetauscht. Auf der einen Seite stehen die Gegner des Hydraulic Fracturing, kurz Fracking. Wenn Bohrarbeiter Wasser mit allerlei umweltgefährlichen, karzinogenen oder giftigen Zusätzen versetzt in die Tiefe pumpen, stehen sie auf den Barrikaden. Sie sorgen sich ums saubere Trinkwasser – oder wie es im Behördendeutsch heißt: Die Daseinsvorsorge. Die Befürworter wollen dagegen fracken, um fest gebundene Gasvorkommen zu erschließen. Sie sagen, dass diese Technik uralt ist und schon vor Jahrzehnten erstmals in Deutschland eingesetzt wurde. Sie sehen kaum Gefahr durch die Chemikalien, die ja in beinahe homöopathischen Dosen zugesetzt würden. Und sowieso sei das Grundwasser nicht in Gefahr, weil die gefrackten Gesteinsschichten kilometertief und sicher von der genutzten Wasserschicht getrennt seien.

Die Karte zeigt Erdbebenrisiken in den USA: Der Kasten markiert den Bundesstaat Oklahoma, der rote Pfeil den jüngesten Bebenschwarm. (Bild: gemeinfrei / USGS)
Die Karte zeigt Erdbebenrisiken in den USA: Der Kasten markiert den Bundesstaat Oklahoma, der rote Pfeil den jüngsten Bebenschwarm. (Bild: gemeinfrei / USGS)

Jetzt gibt es ein neues Argument in der Debatte, das mich in seiner Deutlichkeit überrascht hat: Erdbeben. Eigentlich dachte ich immer, dass die gefrackten Tonsteine kaum nennenswerte Beben hervorrufen. Tonsteine dehnen sich nämlich bei Verformung meist gummiartig. Wenn das eingepresste Wasser sie von innen auseinander schiebt, kann es manchmal leicht wackeln. Ein Präzedenzfall ist der Erdstoß im nordenglischen Blackpool am 1. April 2011. Mit Magnitude 2,3 war der aber lachhaft gering. Wenn draußen bei mir ein Bus vorbeifährt, wackelt es stärker. Die gummiartigen Tonsteine sind deshalb auch weniger bebenauslösend, als etwa die Gesteine, die Erdwärmebohrungen erschließen. Ingenieure pressen zwar auch bei der Geothermie kaltes Wasser ins Gestein, das dann aber beinahe scheppernd zu Bruch gehen, weil das oft spröde Granite sind. In St. Gallen (2013) und Basel (2006) gab es daher etwas stärkere Erdbeben von 3,5 bzw. 3,6: auch noch nicht lebensbedrohlich für Mensch und sein Haus, aber immerhin recht schreckeinflößend.

Tatsächlich ist es gar nicht das Fracking selbst, was diese Woche vor allem in Amerika für Schlagzeilen sorgt. Es geht um die immensen Mengen von Abwasser, die dabei entstehen: Was ins gefrackte Bohrloch rein geht, kommt auch wieder raus. Das Wasser ist nicht nur mit Frackzusätzen angereichert, sondern auch mir geologischen Schadstoffen. Schwermetalle und Reste von Kohlenwasserstoffen zum Beispiel. Die Konzentration ist auch darin nicht sonderlich hoch, aber in Flüsse leiten will man diese Brühe trotzdem nicht mehr. Wohin damit?

Muss weg: sehr viel Wasser

Nun ist es ein leichtes, in einem Land wie den USA ein Endlager für das Frackabwasser zu finden. Alte ausgediente Bohrlöcher gibt ja fast überall. Was die Erde nicht von selbst aufnehmen will, drückt man eben hinein. Die US-Umweltbehörde EPA schreibt, jeden Tag verschwinden zwei Milliarden Gallonen in der Tiefe. Das sind 7,6 Millionen Kubikmeter oder 35.000 Schwimmbecken pro Tag. Das sind 2,8 Milliarden Kubikmeter und somit beinahe ein voller Zürichsees jedes Jahr.

Was die EPA da auflistet, ist zwar nicht nur die Frackwasser-Entsorgung. In dieser Statistik stecken auch konventionelle Ölbohrungen, denen mit Wasser die letzten Tropfen abgerungen wird und befüllte Öl- und Gasspeicher. Aber das Frackwasser dürfte einen größeren Teil davon ausmachen. Und was das Abwasser da unten macht, ist ebenso beeindruckend.

Dafür hat Katie Keranen von der Cornell University in Ithaka im Bundesstaat New York mit mehreren Kollegen jetzt einen ungewöhnlichen Anstieg spürbarerer Erdbeben in einem Entsorgungsgebiet nahe Oklahoma City untersucht [1]. In dem zentralen Südstaat der USA wackelte der Boden seit 2008 rund 40 mal häufiger als in den drei Jahrzehnten zuvor. Die Bebenstärke lag zwar meist kaum höher als 3,0 und befand sich somit im Bereich der Erdwärme-Erdstöße von St. Gallen oder Basel. Allerdings ereignen sich in Oklahoma durchschnittlich 15 Erschütterungen dieser Stärke pro Woche.

Entwicklung der Erdbeben im Bundesstaat Oklahoma. Massive in die Tiefe gepumpte Abwasserentsorgung begann 2004. Es gab also eine verzögerte Reaktion des Gesteins.
Entwicklung der Erdbeben im Bundesstaat Oklahoma. Massive in die Tiefe gepumpte Abwasserentsorgung begann 2004. Es gab also eine verzögerte Reaktion des Gesteins. (Bild: USGS-NEIC ComCat & Oklahoma Geological Survey)
Beben-Statististik für Oklahoma: Historische Beben (rot) werden längst von menschgemachten Überschütterungen in ihrer Häufigkeit überholt.
Beben-Statististik für Oklahoma: Historische Beben (rot) werden längst von menschgemachten Überschütterungen in ihrer Häufigkeit überholt. (Bild: Oklahoma Geological Survey)

Es ist recht anspruchsvoll, von gemessenen Erdbeben auf deren Ursache (menschgemacht versus natürlich) zu schließen. Bei einem Geothermie-Beben im pfälzischen Landau brauchte eine Kommission aus Seismologen über ein Jahr, um einen „sehr wahrscheinlichen“ Zusammenhang festzustellen. Deswegen überrascht mich Katie Keranens Ergebnis erstmal.

Ich denke aber, die schiere Masse an Erdbeben hat den Geophysikern in die Hände gespielt. Es gab immer wieder aufeinander folgende Schwärme von Erschütterungen, deren Bebenherde sich mit der Zeit verlagert haben. Diese Verlagerung ließ sich mit einem Modell der Verwerfungen in der Tiefe nachvollziehen: Wenn nämlich in so ein Bohrloch unter Hochdruck Wasser gepumpt wird, steigt der Druck in der Tiefe so lange an, bis sich das Wasser den Weg des geringsten Widerstands sucht. Das sind vorhandene Verwerfungen. In einem Computermodell der Verwerfungen tat das Wasser genau das – und brachte das zerklüftete Gestein hier schließlich ins Rucken. Und die Erde bebte.

Das schwerste dieser menschgemachten Beben war übrigens sogar etwas stärker: Es wütete am 5. November 2011 rund um Prague, Oklahoma. Es war mit Magnitude 5,7 das stärkste seit Aufzeichnungsbeginn in dem Bundesstaat, das laut Katie Keranen „wahrscheinlich von den Entsorgungsbohrungen induziert wurde.“

Irgendwie sollte man sich also schon Sorgen machen – immerhin sind es auch Verwerfungen, die schwere natürliche Erdbeben auslösen. Wenn man nämlich die Druckverhältnisse dieser großräumigen Gesteinsrisse dauerhaft ändert, wächst die Zone des beeinflussten Gesteins und somit die potentielle Wegstrecke, die so eine Verwerfung plötzlich zuckeln kann. Im Falle von Oklahoma wäre das ein durchaus beängstigendes Magnitude-7-Beben. Zur Erinnerung: Wir befinden uns im Süden der USA, der geologisch doch recht stabil ist.

Fazit

Es gibt sicher keinen Automatismus, bei dem nach eingepresstem Wasser schwere Erdbeben zu erwarten sind. Die EPA schreibt von derzeit 144.000 aktiven Bohrlöchern in den USA, in die Flüssigkeiten gepresst werden. Situationen wie jene in Oklahoma sind vermutlich die Ausnahme, wo es überhaupt nennenswerte Bebenschwärme gegeben hat. Auch in Deutschland werden heute teilweise Bergbauabwässer in große Tiefen gepumpt, ohne dass es dabei zu nennenswerten Erschütterungen käme. Es sind schon günstige geologische Bedingungen nötig, um solche wandernden Bebenschwärme mit kumulativ wachsendem Risiko für schwere Erdbeben herbeizuführen. Wenn man es aber nur an ausreichend vielen Orten probiert, klappt es eben auch mal.

Quellen

[1] K. Keranen et al.: Sharp increase in central Oklahoma seismicity since 2008 induced by massive wastewater injection, Science (2014)

Verwandte Einträge

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

https://www.astrogeo.de

Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

6 Kommentare

  1. Die Liste der Ursachen für Induced Seismicity ist lang:
    Künstliche Seen, jede Art von Bergbau, Einpressen von Flüssigkeit in den Untergrund zwecks Entsorgung (Waste disposal wells), Förderung (Entnahme) von fossilen Rohstoffen, Grundwasserentnahme, Enhanced geothermal systems sind bekannte Aktivitäten, die zu Erdbeben führen können.

    Die stärksten derart ausgelösten Erschütterungen sind nach obigem Wikipedia-Artikel
    – 6.3 magnitude 1967 Koynanagar Earthquake occurred in Maharashtra, India with its epicenter, fore- and aftershocks all located near or under the Koyna Dam reservoir
    – On August 1, 1975, a magnitude 6.1 earthquake at Oroville, California, was attributed to seismicity from a large earth-fill dam and reservoir
    – The 2008 Sichuan earthquake, which caused approximately 68,000 deaths, is another possible example.
    – The 2011 Oklahoma earthquake, of magnitude 5.6[13] (often reported as 5.7), which occurred after 20 years of injecting waste water

    Nun noch zum Fracking: Die Eintsorgung von Fracking-Abwasser durch Einpressen in den Untergrund kann sicher Erdbeben auslösen. In Deutschland gibt es aber so viel alte Stollen, dass ein eigentliches Einpressen wohl gar nicht nötig wäre, dort könnte man es einfach einfüllen.
    Allerdings kommt Deutschland für grössere Fracking-Aktivitäten wohl sowieso nicht in Frage, denn beim Fracking in grösserem Masstab, werden hunderte und tausende von Bohrungen gemacht wo es bei konventioneller Förderung nur ein paar dutzend bräuchte. Für Bohrlöcher alle paar Kilometer ist Deutschland einfach zu dicht besiedelt. Bei Polen sähe es eventuell anders aus.

    Noch eine Bemerkung zum obigen Satz

    Es sind schon günstige geologische Bedingungen nötig, um solche wandernden Bebenschwärme mit kumulativ wachsendem Risiko für schwere Erdbeben herbeizuführen.

    Geologenparadiese in Form von Zonen mit wandernden Erdbebenschwärmen sind wohl seltener oder enger begrenzt als Zonen mit vielen Tornados wie es die Tornado-Alley in den USA ist.

    • Deinen Beitrag hatte ich auch gesehen. Du weist darin auch auf Blackpool hin. Aber bei 2,4 kann man eigentlich fast noch nicht von einem Erdbeben sprechen, gerade wenn man sich die Häufigkeit solcher Erschütterungen in Erdbebengebieten ansieht. Das geht ja in die tausende jedes Jahr. Überraschend finde ich, dass die Verpress-Beben teilweise in der Liga anderer induzierter/getriggerter Beben spielen, die Martin Holzherr oben erwähnt (Koyna, Sechuan etc.).

      • stimmt. 2,4 ist eigentlich kaum fühlbar. Aber Menschen neigen manchmal zur Panik, und da dürften dann schon klirrende Gläser im Schrank ausreichen. Vor allem, wenn sie eh negativ gegenüber einer Technik eingestellt sind.

        Naja, und wenn ich Flüssigkeiten (als “Schmiermittel) in tektonisch gespannte Gesteine verpresse, dann….

        😯

  2. Neben allerlei Gefahren, die für den normal informierten Bürger nicht so recht einzuschätzen sind, gibt es sicher auch noch einen anderen, eher emotionalen Grund, Fracking abzulehnen: Es ist der Versuch, noch das letzte Quäntchen an fossilen Rohstoffen aus dem Planeten herauszupressen, obwohl wir eigentlich alle wissen, dass auch das nicht ewig so weiter gehen kann.

    Vielleicht sollte man oben stehende Zahlen mal in Relation setzen, ganz lokal für mich: Das Beben an der Albstadt-Scherzone (oft verwechselt mit dem Hohenzollerngraben) mit Epizentrum Tailfingen hatte eine Magnitude von 5,7. Mein Physiklehrer beschrieb Jahre später eindrucksvoll, wie sich eine Welle durch die Backsteinmauer eines Tübinger Uni-Gebäues sichtbar fortpflanzte und er nur beeindruckt zuschaute, während alle anderen schon flüchteten. Bei meinem Elternhaus in Bodelshausen fiel der Schornstein vom Dach und jeder ältere Einwohner hat eine eigene Geschichte zu dem Ereignis zu erzählen. Nur: Das war halt vor 36 Jahren.

    Jetzt ist auch klar, dass so etwas bei entsprechenden gewissenhaften vorherigen Untersuchungen sehr unwahrscheinlich ist. Doch wie sicher kann man sich fühlen? Die Kernkraft ist ja auch sicher, so werden wir informiert. Und dann halt doch Fukushima, und der ganze Dreck in Sellafield und wo wir den Müll hintun, wissen wir noch nicht. Wüssten wir das denn beim Fracking-Abwasser definitiv? Und da es um viel Geld geht, kann man die Schweinereien schon vermuten. Das sind wiederum alles keine geologischen Fakten, das sind nur meine Vermutungen. Ich jedenfalls tue mir schwer darauf, zum Thema Fracking jemandem zu vertrauen, wenn er sagt, dass es es nicht wirklich gefährlich sei. Dann denke ich, dass dieser jemand halt (viel!) Kohle damit machen will und dass ich das an seiner Stelle auch sagen würde.

  3. Pingback:Fracking macht kaum Erdbeben › AstroGeo › SciLogs - Wissenschaftsblogs

Schreibe einen Kommentar