Das Kuscheluniversum

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Babylonische Türme

Es gab mal eine Zeit, da war es im Universum angenehm warm. Heute hält die Hintergrundstrahlung die Temperatur des Universums im Vakuum auf 3 Grad über dem absoluten Nullpunkt, das sind eisige -270° C. Aber ca. 13-15 Millionen Jahre nach dem heißen Urknall hätte man im T-Shirt im Weltraum spazieren gehen können (von der fehlenden Luft einmal abgesehen), denn es war auch ohne wärmende Sonne zwischen 20° und 40° warm. Hätte sich in diesem frühen, kleinen und warmen Universum schon erstes Leben entwickeln können? Diese Idee diskutiert der Harvard-Astronom Abraham Loeb in einer aktuellen Veröffentlichung.

Vor zwei Jahren hatte ich die Idee der Boltzmann-Gehirne vorgestellt. Demnach könnten wir alle komplexe Quantenfluktuationen im All sein, die nur glauben, auf der Erde zu leben. Dagegen ist Loebs Vorstellung geradezu angenehm real. Florian Freistetter war so nett, schon einmal die astronomische Seite der Idee abzuklopfen. Das ist auch gut so, denn davon verstehe ich nicht allzu viel. Leben hat aber auch noch chemische und biologische Aspekte. Und da wird‘s nochmal richtig spannend.

Für Leben, wie wir es kennen, braucht es einige Zutaten:

  1. Flüssiges Wasser, am besten etwas salzig.
  2. Einen Gesteinsplaneten, auf dem das Wasser in dieser Form herumschwappt. Im Vakuum gibt es kein flüssiges Wasser, also braucht man eine ausreichend dichte Atmosphäre und eine passende Oberflächentemperatur.
  3. Mindestens sechs Elemente: Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor. (Eisen, Zink, Kupfer Selen und andere Elemente sind natürlich auch sehr hilfreich).
  4. Eine Umgebung, in der alle diese Zutaten miteinander reagieren können.

 

Ein Temperaturgradient sollte auch vorhanden sein, wenn die Temperatur überall gleich ist, passiert einfach zu wenig.

Nun bestand das Universum nach dem Urknall aus Wasserstoff (überwiegend) und Helium (sehr wenig). Die übrigen Elemente entstehen im Inneren der Sterne und werden ins All geblasen, wenn die Sterne explodieren. Das kann aber einige Zeit dauern. Aber die Sonne braucht beispielsweise rund 8 Milliarden Jahren, bevor sie ihre äußere Hülle abstößt (so richtig explodiert sie nicht). Wenn aber bereits 15 Millionen nach dem Urknall Sauerstoff, Kohlenstoff und die anderen Lebenselemente zur Verfügung stehen sollten, dann musste das sehr viel schneller gehen.

Wenn die ersten Sterne wesentlich schwerer als die Sonne waren, dann würden sie auch schneller abbrennen. Ein Stern, der Hundert Mal so schwer ist, hat eine extrem heiße Oberfläche und wird nach einigen Millionen schon instabil. Die meisten Astronomen vermuten, dass solche Monster im jungen Universum recht häufig vorkamen. Das kleine Universum war vielleicht kuschelig warm, aber mit gewaltigen blau strahlenden Sternen angefüllt, die nach wenigen Millionen Jahren in gewaltigen Explosionen auseinanderflogen. Das wäre ihren Planeten allerdings nicht gut bekommen. Sie wären verdampft, mitsamt dem eventuell darauf entstandenem Leben – wenn es überhaupt Planeten gegeben hätte. Nach allen, was wir wissen, entstehen Planeten viel zu langsam, als dass sie vor dem gewaltsamen Ende der blauen Heißsporne eine feste Kruste ausgebildet hätten, von einem Ozean ganz zu schweigen.

Hat Abraham Loeb also eine intelligente Idee, die der rauen Wirklichkeit nicht standhält? Nach eingehender Diskussion in unserer naturwissenschaftlich interessierten Familie hat sich schließlich eine Idee herauskristallisiert, wie es trotzdem gehen könnte.

Wenn das Universum warm ist, braucht man keine Sonne, um Wasser auf einem Planeten flüssig zu halten. Im Gegenteil: Die äußerst explosiven blauen Giganten sollte man besser meiden. Wir müssten also nach vagabundierenden Gesteinsplaneten Ausschau halten. Sie schwirren ganz ohne Sonne im All herum. Heute wären sie dunkel und extrem kalt, damals aber dunkel und warm.

Solche Himmelskörper gibt es wirklich, die Wikipedia führt sie unter dem sperrigen Namen Objekt planetarer Masse. In der Milchstraße sind sie häufiger als Sterne, nur sehr viel schwerer zu finden, weil sie eben nicht leuchten. Ein passender Vagabund müsste ungefähr so groß sein wie die Erde. Er würde zunächst selber Wärme erzeugen und dann komplett auskühlen. Für vielleicht 10-50 Millionen Jahre wären die Bedingungen für flüssiges Wasser erfüllt. Hier könnte sich tatsächlich Leben bilden. Wie aber geschieht das genau? Schließlich ist jede Zelle unseres Körpers eine biochemische Fabrik mit vielen ausgeklügelten Reaktionszyklen. Selbst ein winziges, mit bloßem Auge unsichtbares Bakterium ist ein Wunderwerk der Natur. Woraus kann sich so etwas entwickelt haben?

Niemand weiß das. Es gibt ungefähr so viele Theorien über die Entstehung des Lebens wie es Bakterienarten gibt. Vielleicht entsteht Leben unter geeigneten Bedingungen nahezu zwangsläufig, vielleicht verdanken wir das Leben auf der Erde auch einem geradezu irrwitzigen Zufall, den es auch in zehn Universen nur einmal gibt. Zugegeben, ich neige eher zur ersteren Variante, aber solange uns keine Außerirdischen besuchen kommen und die Existenz fremder Lebensformen unzweifelhaft beweisen, ist das reine Spekulation.

Die frühen freifliegenden Gesteinsplaneten wären schon nach wenigen Hundert Millionen Jahren weit unter den Gefrierpunkt des Wassers abgekühlt und nach einer Milliarde Jahre kaum wärmer als die Umgebung. Sollte dort millionenfach Leben entstanden sein, könnte es die endlos lange Zeit tiefgefroren überstanden haben, um schließlich in der Nähe einer neu entstehenden Sonne wieder aufzuwachen und die jungen Planeten dort mit Leben anzustecken.

Panspermie nennt sich die Idee, dass Leben einmal (oder mehrfach) im All entstanden ist und sich dann überall verbreitet hat. Wenn Loeb recht hat, wäre das immerhin denkbar.

Bisher haben Thomas und ich dazu noch keine weiteren Spekulationen in dieser speziellen Richtung gelesen. Was fällt euch dazu ein?

 

 

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Martina Grüter ist Medizinerin und befasst sich seit 2001 der angeborenen Prosopagnosie, einem erblichen Defizit in der Gesichtserkennung und Verarbeitung. Das Thema hat ihr gezeigt, wie vielschichtig die Verarbeitung von Informationen im Gehirn sind und wie wenige Erkenntnisse wirklich gesichert sind. Sie ist affiliert am Lehrstuhl für allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Universität Bamberg und arbeitet mit Wissenschaftlern an mehreren deutschen Universitäten an verschiedenen Forschungsprojekten.

11 Kommentare

  1. Das alles passt gut zum arxiv-Artikel Life Before Earth in dem die Autoren Alexei A. Sharov und Richard Gordon feststellen, dass die Zunahme der biologischen Komplexität in der DNA der Lebensformen auf der Erde einem Mooreschen Gesetz folgt. Durch Zurückrechnen kommt man nun zum Resultat, dass das irdische Leben vor 9.7 Milliarden Jahren begonnen haben muss. Dabei ist die Erde nur gerade 4.5 Milliarden Jahre alt. Schon dieser Befund spricht also dafür, dass das Leben nicht auf der Erde entstanden ist. Heute weiss man zudem, dass viele einfache Lebensformen sogar im Vakuum des Alls überleben können und es ist sogar schon gelungen, Flechten unter den Bedingungen auf der Marsoberfläche am Leben zu erhalten obwohl dort die Atmosphäre so dünn ist wie hier auf der Erde in 36 km Höhe. Das Leben scheint also hart im Nehmen zu sein und Panspermie ist durchaus möglich, vielleicht sogar die beste Erklärung für die Entstehung des Leben auf der Erde. Zumal die ersten Zellen bereits in 3.6 Milliarden altem Material nachgewiesen wurden. Ich zweifle daran, dass die Zeit zwischen Erdentstehung vor 4.5 Milliarden Jahren und der Zeit um 3.6 Milliarden Jahren, in der man erste Zellen nachgewiesen hat, genügend lange war. Zudem muss es noch eine präbiotische Phase gegeben haben in der bereits eine Evolution stattfand es aber noch kein wirkliches zelluläres Leben gab.

    • “Ich zweifle daran, dass die Zeit zwischen Erdentstehung vor 4.5 Milliarden Jahren und der Zeit um 3.6 Milliarden Jahren, in der man erste Zellen nachgewiesen hat, genügend lange war.”

      Für was reicht denn ihrer Meinung nach eine Zeitspanne von ca. 1 Milliarde Jahre auf der Erde?

      Bedenken Sie bitte auch, dass bei “Objekten planetarer Masse” für die Entstehung von Leben wesentlich weniger Zeit zur Verfügung gestanden hätte:

      “Für vielleicht 10-50 Millionen Jahre wären die Bedingungen für flüssiges Wasser erfüllt.” (Martina Grüter)

      • 10-50 Millionen Jahre wären tatsächlich eine sehr kurze Zeit, die für die Entstehung von Leben auf einem Solitärplaneten. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis könnte aber um vieles grösser sein, wenn es nicht nur ein paar wenige sondern Millionen von solchen vorübergehend habitablen Solitärplaneten gegeben hätte. Nimmt man an, es habe in der Frühzeit des Universums viele Millionen kurzzeitig habitable Planeten gegeben, so könnten Kollisionen mit Asterioiden oder gar grösseren Kleinplaneten beginnendes Leben von einem Ort zu einem andern transportiert haben, also beispielsweise von einem Solitärplaneten zu einem gebundenen Planeten.
        Jedenfalls gibt es Marsmeteoriten auf der Erde und wohl auch recht viel Meteoriten irdischen Ursprungs auf dem Mond. Solche “Wanderungen” von Material sind also möglich.
        Ein unwahrscheinliches Ereignis wie der Transport von Leben von Himmelskörper zu Himmelskörper und schliesslich zur Erde ist gar nicht mehr so unwahrscheinlich, wenn solche kürzeren oder längeren Ereingisketten viele millionenmal vorkommen. Gut möglich, dass es nur einmal so geklappt hat wie in unserem Fall. Gut möglich aber auch, dass sich Leben auf diese Art mehrmals irgendwo eingenistet hat womit dann Leben auf verschiedenen Planeten gemeinsame Ursprünge haben könnte,
        Leben könnte aber mit dem gleichen Mechanismus auch verschiedene Ursprünge haben unter der Annnahme es habe sehr viel habitable Urmaterie gegeben und in einigen Fällen seien frühe Lebensformen entstanden.

        • “Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis könnte aber um vieles grösser sein, wenn es nicht nur ein paar wenige sondern Millionen von solchen vorübergehend habitablen Solitärplaneten gegeben hätte.”

          Ja sicher, aber für irdisches Leben sollte es nicht schon ein Planet in unserer Nähe gewesen sein, auf dem sich das Leben entwickelte? Wenn es ein Planet weiter weg gewesen wäre, hätte der Transport der Spermien ja mit hoher Geschwindigkeit erfolgen müssen. Und ein Einschlag eines Kometen, selbst mit niedrigen Relativgeschwindigkeiten, scheint nicht immer vorteilhaft fürs Leben gewesen zu sein. Nicht für das Leben auf der Erde, und sicher auch nicht vorteilhaft für die vermuteten, die längste Zeit ihrer Existenz tiefgefrorenen Spermien auf dem Kometen.

          Welche Energien würden denn frei, falls so ein, sagen wir mal, 100 kg-Spermientransporter mit 1/1000 Lichtgeschwindigkeit auf die Erde träfe? Gäbe das nicht ein böses Erwachen?

          • Sicher gilt folgendes:” für irdisches Leben sollte es nicht schon ein Planet in unserer Nähe gewesen sein, auf dem sich das Leben entwickelte?”
            Wenn man ein Kuscheluniversum annimmt, ist das ja auch gar kein Problem, denn das ganze Universum hatte zu Beginn solche Bedingungen – auch die Gegend in der wir heute Leben. Einiger der Asteroiden, die in unserer Nähe herumschwirren könnten Überreste aus dieser frühen Zeit des Universums sein.

  2. Loebs Artikel enthält Verdankungen an Freeman Dyson und Juan Martín Maldacena, zwei äusserst bekannten Physikern. Der heute über 90 Jahre alte Dyson ist bekannt für bahnbrechende Arbeiten in der QED, Festkörperphysik, Astronomie und Kernenergieforschung. Bekannt dürfte er vielen sein mit seinen Visionen von Dyson Sphären (künstliche Biosphären die ganze Schalen um Sonnen ausfüllen) und vielen weiteren Zukunftsvisionen.
    Juan Martín Maldacena ist dagegen kein Urgestein, sondern ein noch relativ junger theoretischer Physiker mit einer langen Liste von bahnbrechenden Kreationen.

  3. Ich habe eine kleine Klarstellung: “Heute hält die Hintergrundstrahlung die Temperatur des Universums im Vakuum auf 3 Grad über dem absoluten Nullpunkt, das sind eisige -270° C.”
    Dem Weltraum als solchem läßt sich “heute” keine (eindeutige) Temperatur zuordnen.
    Zuerst war er strahlungsdominiert, später wurde er materiedominiert, die haben sich getrennt.
    Die Temperatur der Materie ist also unabhängig von der Strahlung, nicht mit ihr im Gleichgewicht.
    Würden wir alle Materie samt ihrer Energie uns als dünnes Gas verteilt denken, kämen wir jetzt nur auf 0,03 °K, brhhhh. Auch schwarze Löcher sind “Kältemaschinen”, die Hintergrundstrahlung braucht noch eine Weile bis es 0,0… Grad gemütlicher wird, ohne Sonne bleibt’s kalt.

  4. Der These nach können klassische Planeten nur entstehen, wenn mindestens eine Sonne einen Zyklus beendet und Wasserstoff und Helium zu schwereren Elementen fusioniert hat. Heisst aber, das, wenn Planeten existieren, mutmaßlich auch alle anderen Bedingungen erfüllt seien, um Leben entstehen zu lassen – und nicht zwingend auf Planeten selbst – auch auf kleineren Objekten ist es wohl möglich gewesen.

    Für wesendlich aber halte ich die Wahrscheinlichkeit, dass ohne (Sonnen)Strahlung kein Leben entstehen würde können. Andererseits es aber Lebensformen gibt, die erstaunlich stabile, einsietige und finstere Lebensumfelder “geniessen”. Wiederum auch Wärme strahlung aussendet – oder auch radioaktive Elemente – sodass eine Sonnenstrahlung oder Tageszeiten/Jahreszeiten nicht notwendig sein müssten.

    Erst heute in den Wissenschaftsseiten der online-Zeitungen zu lesen: Wasser aus Staub aus dem Universum durch Sonnenwinde/Strahlung erzeugt. Sollte dieser Prozess geradezu grundlegend und meist verantwortlich für Wassererzeugung im Universum sein, bedarf es daher wahrscheinlich doch wieder die Sonnenstrahlung, auch wenn dass Leben selbst nicht direkt davon beschienen werden müsse. Ansonsten das Wasser auf einen Planeten fallen müsste – was das Entstehen oder Überleben von Leben dann tatsächlich zu einer Zufallsangelegenheit machte.

  5. Bisher haben Thomas und ich dazu noch keine weiteren Spekulationen in dieser speziellen Richtung gelesen. Was fällt euch dazu ein?

    Dass über die Jahre in den Populärmedien immer mal wieder was zu dieser Theorie kam, ebenso in der SciFi-Literatur.

  6. Jetzt ist unser Universum ungefähr 13,7 Milliarden Jahre alt, und es enthält ungefähr ein Proton pro Kubikmeter.

    Als unser Universum nur ungefähr 13,7 Millionen Jahre alt war (ein Tausendstel des heutigen Alters und Durchmessers), enthielt es noch ungefähr eine Milliarde Protonen pro Kubikmeter (Tausend hoch drei für das heutige Volumen).

    Das hatte sicher nicht nur Auswirkungen auf die schnelle Bildung von massereichen Sternen.

    Die UV-Strahlung der massereichen Sterne ionisierte vermutlich viel mehr interstellaren Wasserstoff als heute.

    Vermutlich wurde die UV-Strahlung dadurch absorbiert, und in leichter verträgliches sichtbares Licht umgewandelt.

    • Auch eine Milliarde Protonen pro Kubikmeter sind immer noch sehr wenig. Zur Verdeutlichung: das ist ein Proton pro Kubikmillimeter. Auf sehr lange Strecken mag das einiges an UV-Strahlung abfangen, aber die gewaltigeUV-Strahlung eines blauen Überriesen dürfte trotzdem ausreichen, um seine Planeten weitgehend zu sterilisieren. Im frühen Universum wäre sicherlich ein vagabundierender Planet eine bessere Umgebung für die Entstehung von Leben.

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