Das wahre Leben simulierter Gehirne

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die Psychologie irrationalen Denkens
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Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft haben manche Akteure sehr optimistische Vorstellungen von ihren Fähigkeiten und erstaunlich geringe moralische Bedenken.

Ein gutes Beispiel liefert das Interview mit Prof. Markus Diesmann zum Thema Gehirnsimulation, das vor einigen Tagen auf Telepolis erschien. Diesmann ist Physiker und Leiter des Bereichs Computational and Systems Neuroscience (INM-6) des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich. In dem Interview führt er unter anderem aus, dass er keinen Grund sieht, warum eine Simulation sich nicht wie ein biologisches Gehirn verhalten sollte. Und er ist eher fasziniert von der Vorstellung, die Simulation beispielsweise mit einer psychischen Krankheit zu füllen.

Diesmann ist am sogenannten Human Brain Project (HBP) beteiligt. Dieses ambitionierte Forschungsvorhaben will binnen zehn Jahren die Voraussetzungen für die Simulation eines menschlichen Gehirns schaffen. Die Initiatoren haben sich bei der EU um Gelder in Höhe von ca. einer Milliarde Euro aus dem Flagship Program beworben. Diesmanns Antworten in dem Interview sind also keineswegs reine Spekulation; er geht wirklich davon aus, Simulationen menschlicher Gehirne erzeugen zu können, und sieht sich auch berechtigt, damit zu experimentieren.

Bisher ist es nicht einmal gelungen, ein Fliegengehirn zu simulieren, wie kommt es also, dass gestandene Wissenschaftler plötzlich behaupten, man könne binnen zehn Jahren die Voraussetzungen für die perfekte Simulation eines Menschenhirns schaffen? Die Aussicht auf eine Milliarde Euro Fördergelder beflügelt sicher den Optimismus der Antragsteller.

Teure Illusionen

Aus medizinischer Sicht halte ich das HBP für eine Schimäre. Sein Internetauftritt ist ein Spiegelkabinett aus hohlen Phrasen und bildgewaltigen Illustrationen. Der dort abrufbare HBP-Report verbreitet die Illusion, für eine Milliarde Euro könne man

„fundamentale Einsichten zu gewinnen, was es heißt, menschlich zu sein, neue Behandlungen für Hirnkrankheiten zu entwickeln und revolutionäre neue Informations- und Kommunikationstechnologien aufzubauen.“

Wenn man sinnvolle Erkenntnisse über die Funktion des menschlichen Gehirns gewinnen will, muss die Simulation nicht nur die Struktur und Funktion des zentralen Nervensystems, sondern auch die Nervenimpulse aus dem Körper und den Sinnesorganen perfekt nachbilden. Hirnerkrankungen und psychische Störungen treten nicht bei allen Menschen auf, deshalb würde ein allgemeines Funktionsmodell sie nicht erfassen. Die Simulation müsste auch die subtilen Unterschiede zwischen einzelnen Gehirnen berücksichtigen. Davon sind wir aber weit entfernt. Ein lediglich angenähertes Funktionsmodell würde irreführende Ergebnisse erzeugen und die Forschung mehr behindern als voranbringen.

Und selbst wenn das große Werk gelingen sollte, würde das nicht weiterhelfen. In meinem Buch Klüger als wir habe ich bereits darauf hingewiesen, dass ein vollständig simuliertes menschliches Gehirn Menschenrechte haben müsse1. Ich habe dieses Thema noch einmal in einem Artikel für Spiegel online angeschnitten, aber bisher haben die am Human Brain Project beteiligten Wissenschaftler nicht darauf reagiert. Das HBP will nach eigener Aussage zeigen, was es heißt, menschlich zu sein. Wie könnte es das, wenn es seine simulierten Gehirne nicht wie Menschen behandelt, sondern absichtlich krank macht oder quält? Wir reden hier nicht von einer akademischen Spekulation, die beteiligten Wissenschaftler wollen in zehn Jahren so weit sein. Wollen sie dann wirklich fasziniert zusehen, wie ihre Simulationen leiden? Eigentlich hatte ich gedacht, dass die vielen beschämenden medizinischen Grausamkeiten des Zwanzigsten Jahrhunderts den Forschern eine dauerhafte Lehre gewesen wären.

Mein Fazit ist eindeutig:

  1. Wenn man eine perfekte Simulation eines menschlichen Gehirns schafft, erzeugt man eine Person mit allen Rechten.
  2. Diese Person muss jedem Experiment zustimmen, nachdem sie vollständig darüber aufgeklärt wurde (Informed consent).
  3. Menschen im Computer perfekt nachzubilden, um sie anschließend ohne ihr Wissen krank zu machen, ist absolut inakzeptabel.

Leben im Simulator

Vielleicht ist jetzt dem einen oder anderen Leser die unheimliche Idee gekommen, er lebte vielleicht ohne sein Wissen bereits in einer Simulation. Das Thema ist mehrfach in Science-Fiction-Büchern und Filmen abgehandelt worden. Im Jahre 1964 veröffentlichte der amerikanische Schriftsteller Daniel F. Galouye sein Buch Simulacron 3 (deutsch: Welt am Draht, 1965). Eine Marktforschungsgesellschaft simuliert darin eine typisch amerikanische Stadt, um neue Produkte oder Werbekampagnen zu testen. Einer der simulierten Menschen kommt der Sache auf die Spur. Damit bringt er sich und seine gesamte Welt in tödliche Gefahr. Rainer Werner Fassbinder hat den Roman im Jahre 1974 werkgetreu verfilmt. Eine weitere, relativ freie Adaptation drehte Roland Emmerich im Jahre 1999 (Titel: The 13th Floor). Auch die sehr bekannte Reihe der Matrix-Filme spielt mit der Idee, unsere Welt könnte lediglich eine Simulation sein. In den virtuellen Welten der sogenannten Massive Multiplayer Online Role-Playing Games (Online-Rollenspiele mit extrem vielen Spielern) tummeln sich teilweile mehrere Millionen Spieler. Computergeführte Figuren (sogenannte NPCs – Non-Player-Characters) sorgen für die richtige Atmosphäre, und Gamemaster mit gottgleichen Fähigkeiten sorgen für Ordnung. Vielleicht sind wir nichts weiter als NPCs in einer riesigen Spielwelt und unsere Götter arbeiten als virtuelle Hausmeister und Polizisten für den Hersteller der Game-Software. Wie wahrscheinlich wäre dieses Szenario? Im Jahre 2003 hat der Zukunftsforscher Nick Bostrom vom Future of Humanity Institute der Universität Oxford eine Abschätzung versucht2. Er kam zu dem Ergebnis, dass wenigsten eine der folgenden drei Annahmen richtig sein muss:

  1. Die Menschheit schafft es nicht, ein technisch sehr fortgeschrittenes Stadium zu erreichen (im Original als post-human stage bezeichnet).

  2. Sollte sie ein solches Stadium erreichen, wäre keine ihrer Kulturen daran interessiert, in einem größeren Maßstab Computersimulationen ihrer Vorfahren zu erzeugen.

  3. Wir leben in einer Simulation.

Bostrom argumentiert, dass künftige Computer so leistungsfähig sein werden, dass sie eine gigantische Zahl von Menschen gleichzeitig simulieren können. Die Anzahl von bewussten Wesen (Beobachtern) in der Simulation wäre deshalb sehr viel größer als die Anzahl der Beobachter in der Wirklichkeit. Also leben wir höchstwahrscheinlich in einer Simulation. Einzige Alternative: niemand kann (1) oder will (2) ein solches System herstellen und betreiben.

Martina hat in ihrem Blog vor einiger Zeit bereits die Möglichkeit erläutert, dass wir in Wahrzeit Boltzmann-Gehirne sind, die sich die Welt nur einbilden. Mit einer gewissen, für uns nicht bestimmbaren Wahrscheinlichkeit sieht das wahre Universum ganz anders aus, als es uns erscheint.

Wir sollten also unbedingt menschlich mit unseren Simulationen umgehen, denn vielleicht ist ihre Welt der unseren ähnlicher als wir denken.

Ich habe den Verdacht, das Universum ist nicht nur seltsamer, als wir annehmen, sondern seltsamer, als wir uns vorstellen können ( J. B. S. Haldane).

Literatur

[1] Grüter T (2011) Klüger als wir. Auf dem Weg zur Hyperintelligenz. Springer Akademischer Verlag, Heidelberg. 264f

[2] Bostrom N (2003) Are you living in a computer simulation? Philos. Quarterly 53, 243-255.

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Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

55 Kommentare

  1. künstliche Welten

    Die Anzahl von bewussten Wesen (Beobachtern) in der Simulation wäre deshalb sehr viel größer als die Anzahl der Beobachter in der Wirklichkeit. Also leben wir höchstwahrscheinlich in einer Simulation.

    Die Argumentation des ersten Satzes missfällt stark, aber die These ist unwiderlegbar und der Tegmark-Hypothese ähnlich. [1]

    Gehirne kann man “wg. Komplexität” nicht nachbauen, weil sich kein Übersetzer findet. – KA, die Versuche scheinen extra-arm, ist hier jemand optimistisch außer den Genannten?

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] erinnert auch an den Gott von Spinoza und Einstein

  2. Boltzmann-Gehirne

    Martina hat in ihrem Blog vor einiger Zeit bereits die Möglichkeit erläutert, dass wir in Wahrzeit Boltzmann-Gehirne sind, die sich die Welt nur einbilden.

    Na immerhin wird anerkannt, dass ein Subjekt existiert, dass sich das Eingebildete einbildet.

  3. Perfekte Simulation

    Wenn man eine perfekte Simulation eines menschlichen Gehirns schafft, erzeugt man eine Person mit allen Rechten.

    Je länger ich wegen meiner voreiligen Zustimmung zu diesem Satz über ihn nachdenke, desto mehr stellt sich mir die Frage, wann eine Simulation “perfekt” ist.

    Welches soll die oder sollen die Eigenschaften sein, die – wenn sie in der Simulation vorhanden sind – die Perfektheit begründen?

  4. Marketing

    Guckt man sich nur mal die 180 Kubikmikrometer Nervengeflecht an, wird klar, dass wir das Gehirn nie getreu nach programmieren werden. (Neben der Vernetzung ist auch Kommunikation über Diffusion im extrazellulären Raum miteinander möglich und so die räumlich Anordnung der Synapsen. Und zehn weitere Probleme sind schnell aufgezählt.)

    Es wird also nur ein unglaublich kompliziertes Gebilde im Computer.

    Wir können sehr viel mit mathematischen Methoden in der Hirnforschung erreichen. Vor allem in der klinischen Hirnforschung. Davon bin ich fest überzeugt. Eine Milliarde wäre dort sehr gut investiert! Allein mit solchen komplexen Computersimulationen dagegen wird kaum etwas erreicht. Die Webseite ist aber letztlich wirklich nur Marketing, das darf man bedauern aber nicht vergessen. Was genau wissenschaftlich vorgeht, bleibt abzuwarten. Vielleicht wird ja einer der aktiven Wissenschaftler mal direkt über einen Blog das vermitteln. (Denn auch ein Interview ist dazu kaum geeignet.)

    Für diesen Satz allein aber: “As the project progresses the facility will develop the knowhow and tools to model and simulate the brain of any animal, at any stage of its development, in any state of health or with any specific disease.” sollte man die Förderung verweigern. Warum wird für Großanträge so dermaßen auf die Pauke gehauen und letztlich der Bürger verarscht?

  5. Avatare als neue Sklaven?

    “Ins Blaue schiessen” ist eine treffende Qualifikation des Markram’schen Projekts. Nach meinen Informationen ist nicht einmal die Funktionsweise der verschiedenen Neuronenpopulationen völlig klar. Trotzdem möchte er Simulationen bis auf Synapsen- und Neurochemie-ebene durchführen.

    Das Projekt hat etwas Grandioses und mit der impliziten Behauptung, die simulierten Hirne seien so real wie eine der bekannten Atari- oder C64-Spiel-Simulationen auf einem PC (Emulation eines Computers durch einen anderen) weckt er alle nur denkbaren Phantasien. Im TED-Auftritt Henry Markram builds a brain in a supercomputer motiviert er schon kurz nach der Einstiegssequenz die Sicht, dass das Simulierte ebenso real wie das Echte sei, indem er in Zweifel zieht, dass es für uns Menschen etwas Echtes überhaupt gebe, denn unsere Wahrnehmungen seien nicht Abbildungen der Realität sondern Konstrukte, die auf unzähligen im Verborgenenen ablaufenden Entscheidungen basieren.
    Und diese nun schon ziemlich technisch erscheinende (Entscheidungs-)Maschinerie nachzubilden, das scheint dem TED-Zuschauer mindestens nicht ausgeschlossen.

    Dass Markram sein Ziel in 10 Jahren erreicht, ist mehr als unwahrscheinlich.
    Andererseits ist es auf lange Frist gesehen nicht ausgeschlossen. Eine perfekte Hirnsimulation sollte in der Tat gleichartige Erlebnisse haben wie das Original, vorausgesetzt sie besitzt auch den gleichen Hirninhalt in Form von Erinnerungen und herausgebildeten Synapsen. Und doch könnte man diese Hirnsimulation über die Nacht herunterfahren, nachdem man sie gesichert hat, um sie am nächsten Tag wieder hochzufahren. Wenn richtig implementiert würde das simulierte Hirn nichts von diesem Unterbruch mitbekommen, genau so wenig, wie das auf einem neueren PC simulierte Atari-Spiel von einem solchen Unterbruch betroffen ist.
    Ein voll empfindungsfähiges Hirn also, das dem Versuchsleiter bis aufs letzte ausgeliefert ist, so weit, dass der Experimentator sich Kopien vom Hirn zu unterschiedlichen Zeitpunkten ziehen könnte. Es öffnet sich eine ganze Phantasie-/Horror-Welt von Manipulationsmöglichkeiten. Zum Beispiel ein simuliertes Hirn in einem simulierten Körper als “Screensaver”, der immer in den Arbeitspausen des “Screensaver”-Besitzers, ein paar Augenblicke seines Lebens in einer “Animation” (seinem Leben halt) weiterlebt, oder ein simuliertes Hirn als praktischer und kundiger Ratgeber, den man, sollter er zu aufdringlich werden, einfach in der Versenkung verschwinden lassen kann, wenn er einem lästig wird.

    Ähnliche Geschöpfe wie diese Avatare, mit denen man nach Belieben umspringen kann, hiessen früher Sklaven.

    Wenn man einmal bei dieser Analogie ist, muss man fragen, ob es dann auch so etwas wie Sklavenbefreiungen geben könnte oder einen Avatar, der seine Situation realisiert und seinen “Besitzer” um einen Gefallen bittet, zum Beispiel darum, ihm mitzuteilen, was passiert sei in der Zeit, in der er abgeschaltet war.

  6. Verbrechen

    Was Herr Grüter hier letztlich thematisiert, ist die Frage, wie ein Verbrechen, das man ankündigt, aber unmöglich umsetzen kann, ethisch einordnen ist.

    MFG
    Dr. Webbaer (dem hierzu vieles einfiele, aber sich doch entschieden hat es zu Hause zu lassen)

  7. @Dahlem Synergie

    So eine Computersimulation besteht im Detail aus mathematischen Modellen.
    Statt über das HBP zu jammern wäre es besser, Synergieeffekte zu analysieren und so ein paar Millionen für die Migräneforschung abzuzwacken

  8. relativ zur versprochen Vision

    Ich kenne die mathematischen Grundlagen der Computersimulation und auch einige der beteiligten Wissenschaftler recht gut. Deswegen glaube ich ja auch, dass hier gute Forschung gemacht werden, wenn man mal dahinter guckt (was von der Website sehr schwer fällt).

    Es wird vor allem (relativ zur versprochen Vision) kleine Projekte geben, die interessante und wichtige Teilaufgaben lösen.

    Und diese gehört auch richtig der Öffentlichkeit verkauft und nicht mit utopischen Versprechungen.

    Ich will gar nicht ausschließen, im Rahmen dieses Projektes mitzuarbeiten und Migräne-Forschung zu machen. Das wird dann aber eben nicht in einem perfekt simulierten Gehirn. Würde es gefördert, wird es mit Sicherheit Anknüpfungspunkte geben.

    Ich war nur wegen dieses utopischen Versprechen so kritisch im letzten Kommentar.

  9. @ Markus

    Klar, es werden einige sehr fähige Leute in diesem Bereich mitarbeiten, allerdings finde ich den Anspruch einfach momemtan nicht wirklich begründet.
    Basisforschung – auf jeden Fall sinnvoll in vielen Bereichen auch noch echt notwendig. z.B. Miräne Diagnostik – Modelle und daraus gezieltere Therapieansätze, oder Parkinson etc.
    Aber mir dreht sich der Magen um, wenn ich mir überlege, dass man hingehen möchte und einem dann potentiell komplett simulierten Gehirn mit echten Gefühlen ein Parkinson im Endstadium oder eine Schizophrenie programmiert. Das ist kein Mausmodell – das ist dann ein MENSCH-Modell und es greift dann nicht der Tierschutz… ist virtuelle Körperverletzung ohne Körper aber mit Körpergefühl….

  10. @Grau

    Es geht im Bereich der Informationstechnik ja zurzeit meist um neuronale Netze, die für bestimmte Problemlösungen geeignet scheinen und die über “Belohnungsfunktionen” gesteuert werden.

    Bahnbrechendes ist hier nicht zu erwarten und die Sache folgt eher dem Schein einer KI oder “Natürlichen Intelligenz”.

    Der Nachbau einer menschlichen CPU setzt zumindest auch deren Erfassung voraus, wovon man weit entfernt ist, und, weil die Erfassung nicht reicht, eine Übersetzung in künstliche Logik oder Welt.

    Wie Herr Dahlem hier synergetisch teilnehmen bzw. seinen Aufgabenbereich betreffend Honig saugen will, ist hier weitgehend unklar. Gedankt sei ihm aber an dieser Stelle für die Einordnung der Kommunikationsmaßnahmen.

    MFG
    Dr. Webbaer

  11. @Maus Grau: Begriffe

    Aber mir dreht sich der Magen um, wenn ich mir überlege, dass man hingehen möchte und einem dann potentiell komplett simulierten Gehirn mit echten Gefühlen

    Wieso gibt es in einem simulierten Gehirn echte Gefühle? Wer fühlt denn da? Ich meine: Wenn etwa Schreckenberg [1] im Computermodell den Straßenverkehr simuliert, dann gibt es dort ja auch keinen “echten Stau”, sondern eben nur einen simulierten.

    [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Nagel-Schreckenberg-Modell

  12. @Dr. Webbaer: Wahndelikt?

    „Was Herr Grüter hier letztlich thematisiert, ist die Frage, wie ein Verbrechen, das man ankündigt, aber unmöglich umsetzen kann, ethisch einordnen ist.“

    Vermutlich liegt nur ein (strafbarer) Versuch am untauglichen Objekt vor.

  13. @Markus Dahlem

    Markus, das HBP führt die Öffentlichkeit tatsächlich in die Irre. Ich vermute sehr stark, dass sich viele Institute der Initiative nur angeschlossen haben, weil sie von dem Geldsegen etwas für ihre eigenen Projekte abzweigen möchten. Du hattest ja auch geschrieben:
    “Ich will gar nicht ausschließen, im Rahmen dieses Projektes mitzuarbeiten und Migräne-Forschung zu machen.”
    Das ändert aber nichts daran, dass ein großer Teil der anvisierten Milliarde völlig sinnlos verpulvert wird, und viele der beteiligten Wissenschaftler vorher unhaltbare Versprechen zu den Ergebnissen abgeben. Das schadet der Wissenschaft insgesamt, selbst wenn man die zweifelhaften Äußerungen zur Erzeugung von Krankheiten in den Simulationen unberücksichtigt lässt.

  14. @Maus Grau und Ano Nym

    Kann eine Simulation echte Gefühle haben? Das hängt davon ab, was einen Menschen ausmacht. Sind es die Strukturen seines Gehirns, oder ist es die Art der Hardware, also die DNA, die Aminosäuren, die organischen Moleküle? Wenn die Strukturen entscheidend sind (wie z.B. die Kognitionspsychologie annimmt), dann ist es egal, ob sie mit Hilfe von Nervenzellen oder von Siliziumchips erstellt werden. Was immer die richtige Struktur hat, fühlt sich als Mensch und sollte auch so behandelt werden.

  15. @Thomas Grüter: Blinde Flecken

    Kann eine Simulation echte Gefühle haben? Das hängt davon ab, was einen Menschen ausmacht.

    Ich dachte es hängt davon ab, was man unter einem echten Gefühl versteht, wie man seine Anwesenheit feststellt. Über die eigenen Gefühle kann man sich Klarheit verschaffen, bei den Gefühlen anderer Menschen ist es schon schwieriger. Man kann die Menschen beobachten und aus ihren Verhalten Schlüsse ziehen oder man kann sie befragen.

    Wie soll ich mir das bei einer Simulation vorstellen? Es wird ja anscheinend nicht der gesamte Stoffwechsel sondern nur irgendwelche neuronalen Prozesse simuliert. Ich sehe nicht nur Schwierigkeiten, dass hier keine Evidenz für Gefühle gewonnen werden kann, ich vermute dass sogar keine entstehen – das ist alles nur ein großer elektrischer Schaltkreis.

    Sind es die Strukturen seines Gehirns, oder ist es die Art der Hardware, also die DNA, die Aminosäuren, die organischen Moleküle? Wenn die Strukturen entscheidend sind (wie z.B. die Kognitionspsychologie annimmt),

    Welche Strukturen denn genau? Woher weiß man, dass die gerade die ausgewählten Strukturen zureichend dafür sind, dass sich Gefühle entwickeln? Worauf gründet die Annahme der Kognitionspsychologie?

    dann ist es egal, ob sie mit Hilfe von Nervenzellen oder von Siliziumchips erstellt werden. Was immer die richtige Struktur hat, fühlt sich als Mensch und sollte auch so behandelt werden.

    Das alles steht und fällt mit dem Begriff der “richtigen Struktur”. Ich würde dem allen ja etwas anderes entgegensetzen: Nämlich das Verhalten der Maschine. Erst dann, wenn sie sich wie ein Mensch verhält, würde ich beginnen darüber nachzudenken, was hier an ethischen Konsequenzen angerissen wurde.

  16. @Ano Nym: Locked-In Syndrom

    Jeder wird wohl spontan dem folgenden Satz zustimmen:
    “Erst dann, wenn sie sich wie ein Mensch verhält, würde ich beginnen darüber nachzudenken, was hier an ethischen Konsequenzen angerissen wurde.”

    Das gilt auch unter Menschen aus Fleisch und Blut. Wer sich nicht wie ein Mensch verhält oder das irgendwie zu erkennen gibt, wird auch nicht als Mensch akzeptiert.

    Doch man kann sich auch täuschen. Es gibt das Locked-In-Syndrom als Folge von lokalen Hirnschädigungen, die aber das Bewusstsein nicht einschränken.

    Dieses Syndrom kann auch wieder abklingen – und siehe da das leblose Bündel Mensch ohne Lebenszeichen ist wieder ein Mensch wie Du und Ich.

  17. simulierte Gehirne

    Ich verstehe die Bedenken nicht. Wenn wir in der Lage wären, simulierte Gehirne herzustellen, dann wären wir auch in der Lage, diese Gehirne in seiner Komplexität zu verstehen. Insofern könnte man das tun, wozu man heutzutage bei Testpersonen keineswegs in der Lage ist, nämlich Leid zu kontrollieren bzw. abzuschalten. Doch wenn wir das tun können, wozu brauchen wird dann noch simulierte Gehirne?
    Und außerdem: solange die Grenze zwischen Simulation und selbständigem Leben nicht gefunden ist, dürften solche Denkspäße auch nichts weiter sein als eben das.

  18. @Catio :Nachbau ohne Verständnis möglich

    Wer ein Transistorradio aus Teilen vom Elektronikmarkt nachbaut, muss es nicht unbedingt verstehen.

    Deshalb ist folgende Aussage nicht zwingend richtig:

    Wenn wir in der Lage wären, simulierte Gehirne herzustellen, dann wären wir auch in der Lage, diese Gehirne in seiner Komplexität zu verstehen.”

    Gerade die perfekte Simulation wäre eine 1:1-Nachbildung bis hin zu den gleichen Synapsen wie beim Vorbild.

    Zugegebenermassen halte ich das aber nicht für möglich:
    1) Ist ein 1:1 Nachbau nach einem Modell (einer Leiche? oder gewonnen von bildgebenden Verfahren) kaum möglich, da man bis auf Molekülniveau nachbauen müsste
    2) Ist es ja das Ziel der Forscher ein tieferes Verständnis für das Hirn und seine Krankheiten zu erreichen. Und das werden sie schrittweise tun. Zuers t mit einfacheren Organismen.

  19. @Martin Holzherr: Locked-Out

    »Jeder wird wohl spontan dem folgenden Satz zustimmen: “Erst dann, wenn sie sich wie ein Mensch verhält, würde ich beginnen darüber nachzudenken, was hier an ethischen Konsequenzen angerissen wurde.”

    Das gilt auch unter Menschen aus Fleisch und Blut.

    Mein Satz bezieht sich nur auf Subjekte, die nicht schon Mensch sind. Ich pflege da wie die meisten meiner Mitmenschen ein athropozentrisches Vorurteil (sie können es auch gern rassistisches oder speziesistisches nennen) gegenüber Tier und elektronischem Schaltkreis.

    Meowww.

    Also eher gegenüber elektronischem Schaltkreis.

    Doch man kann sich auch täuschen. Es gibt das Locked-In-Syndrom als Folge von lokalen Hirnschädigungen, die aber das Bewusstsein nicht einschränken.

    Dieses Syndrom kann auch wieder abklingen – und siehe da das leblose Bündel Mensch ohne Lebenszeichen ist wieder ein Mensch wie Du und Ich.

    Das kann in einem elektronischem Schaltkreis, bei dem die echte wie die simulierte fMRI mangels Stoffwechsel gar keine Images produziert, zum Glück nicht passieren.

  20. @Holzi

    Wer ein Transistorradio aus Teilen vom Elektronikmarkt nachbaut, muss es nicht unbedingt verstehen.

    Ein Gehirn in IT simulieren, ist kein Nachbau. Es benötigt hier einen Übertsetzer.

    Ansonsten ist für die Erstellung eine Kopie kein Verständnis erforderlich, korrekt.

    MFG
    Dr. Webbaer

  21. @Dr. Webbaer:Physiksimulation = Nachbau

    Eine Simulation, die auf den physikalischen Prinzipien aufsetzt um ein Modell “laufen” zu lassen, ist ein Nachbau.

    Ein gutes Beispiel sind die Simulationen der Entwicklung des Universums, die man – unter anderem – angestellt hat um die Galaxienbildung zu verstehen (wobei man auch die dunkle Materie berücksichtigte mit “plausiblen” Annahmen).

    Niemand wusste was das Resultat dieser Simulation war oder konnte es analytisch berechnen. Da man aber bis auf Ebene elementarer physikalischer Gesetzte simulierte erwartete man zum Zeitpunkt “heute” (Beginn mit dem Urknall) eine hohe Übereinstimmung mit unserem heutigen Zustand des Universums.

    Tatsächlich gab es eine hohe Übereinstimmung allerdings zeigten sich im aktuellen Universum weniger Satellitengalaxien um grosse Galaxien als in der Simulation. Daraus schloss man, dass möglicherweise gewisse Annahmen über die Verteilung der dunklen Materie nicht stimmten.

    Fazit: Es gibt heute schon Simulationen von Systemen, die niemand mehr als Ganzes versteht, wo man aber die zugrundeliegenen Gesetzte kennt und die Simulation einfach laufen lässt.

    Genau das Gleiche könnte man bei einer Hirnsimulation versuchen.

  22. Nachbau ohne Verständnis möglich

    Herr Holzherr, das (siehe Betreff) war Ihr Betreff weiter oben, den Dr. Webbaer anmängelte, nein, ein Nachbau bei einem Übertrag von einem Medium in ein gänzlich anderes Medium (in eine andere Datenstruktur) benötigt Verständnis – oder einen ‘Übersetzer’ (s.o.).

    Natürlich ist der ‘Nachbau’ begrifflich nicht gesetzlich geschützt.

    MFG
    Dr. Webbaer

  23. @ Anonym

    wenn die Simulation sich erst als Mensch fühlt, ist es wohl etwas zu spät.
    Denke gerne an das Frauenwahlrecht, das Recht Eigentum zu erwerben u.s.w…. muss man erst warten, bis die Rechte eingefordert werden – nein, auch im Vorfeld darf man nachdenken: WAS WÄRE WENN…
    prophylaktisches Denken 🙂
    als weibliches simuliertes Hirn wäre ich stinksauer, wenn man/n mal wieder pro domo denkt….
    man/frau sollte die Kinder nicht in den Brunnen fallen lassen -egal, ob man/frau simuliert ist oder nicht
    gute Nacht 🙂
    vielleicht brauchen Simulationen ja gar keinen Schlaf -ich brauch ihn jetzt – also kann ich keine Simulation sein, oder nur eine verdammt sehr gute 🙂 Nerds, you´re doing an excellent job 😉

  24. Kohlendioxid

    Eines unserer Stoffwechselprodukte ist Kohlendioxid (CO2), welches ausgeatmet wird.
    CO2 ist auch der Grund, wieso es im All kein andersartiges Leben, z.B. auf Silizium-Basis, bzw. wieso es keine identische Simulation des Gehirns geben kann: ein realer Stoffwechsel auf Siliziumbasis ist nicht möglich. Damit ist auch keine realistische ´menschliche´ Simulation möglich und bestimmte ethische Probleme treten nicht auf.

  25. Siliziumwelten

    Es sind mindestens drei Arten von Siliziumwelten denkbar:

    Silikonwelten, vorwiegend aus Silizium-Kohlenstoff-Verbindungen bei halbwegs normalen Temperaturen.

    Silanwelten, vorwiegend aus Silizium-Wasserstoff-Verbindungen bei relativ niedrigen Temperaturen (eventuell in reduzierender Atmosphäre).

    Magmawelten, vorwiegend aus festen und flüssigen Silikaten bei relativ hohen Temperaturen.

  26. Simulierte Gehirne, simulierte Realität

    Die bisher umfassenste und detailiertese Übersicht findet sich bei Brian Green: Die verborgene Wirklichkeit. Siehe im besonderen dort das Kapitel 10: Universen, Computer und mathematische Wirklichkeit: Simulierte und letztmögliche Multiversen.

    Zum Stand der praktischen Forschung der Realisierung der Nachbildung des menschlichen Denkens siehe: Henry Markram, Blue Brain Project, Schweiz.

  27. Worm in a vat?

    Die Frage liegt nahe, wie weit man eigentlich gediehen ist mit der Simulation des neuralen Netzes von C. elegans, das vergleichsweise gut analysiert ist und “nur” 302 Neuronen umfasst. Tatsächlich hat ein Blogger, Jeff Kaufman, im Herbst 2011 einmal eine Liste der diesem Problem gewidmeten Projekte erfasst und bewertet [Link].

    Das Ergebnis ist absolut ernüchternd. Gemessen daran erscheint das HBP schon als Scharlatanismus, wo vollmundig etwas versprochen wird, was unmöglich realistisch einzulösen ist.

    Seitens der EU gehören die FET Flagship Initiatives offenbar zu den Obliegenheiten der fabelhaften Neelie Kroes (http://www.fet11.eu/about/fet-flagships/). Na ja, die hat bekanntlich ein grosses Herz für kleine Hochstapler.

  28. @Martin Holzherr

    “Wer ein Transistorradio aus Teilen vom Elektronikmarkt nachbaut, muss es nicht unbedingt verstehen.”

    Wenn mein Nachbar von seiner Kuh spricht, dann muss ich nichts von den Gehirnaktivitäten meines Nachbarn verstehen. Wenn ich aber mit seinem Gehirn experimentieren will, muss ich sehr wohl die Grundlagen kennen und verstehen. Oder geht es bei simulierten Gehirnen nur um Märchenerzähler für schlafunwillige Kinder?

    Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich…

  29. @Catio, Dr. Webbaer:bottom-up-Simulation

    Um ein Gehirn simulieren zu können muss man sehr viel verstehen – nur eben nicht die Funktionsweise des Gehirns als Ganzes. Es genügt, wenn man die Funktionsweise der Neuronen und die Chemie des Interzellularraums versteht.

    Um ein einfaches, für jeden nachvollziebares Beispiel zu geben:
    Der Fadenwurm C. elegans hat 302 Neuronen. Wenn man nun die Funktionsweise der einzelnen Neuronen und auch ihre chemische Umgebung (die ja auch eine Rolle spielen kann), dann kann entsprechende simulierte Neuronen in identischer Weise in der Simulation verschalten. Fütter man diese Simulation mit den gleichen Reizen, die auch ein realer C.elegans verarbeitet, sollte die neuronale Aktivität des simulierten C.elegans der des wirklichen entsprechen. Dabei muss man nicht einmal verstehen, warum die 302 Neuronen auf die Weise zusammengeschaltet sind, wie sie es sind.

    Ist aber das Simulationsergebnis nicht das gleiche, dann hat man die neuronale und chemische Kommunikation noch nicht verstanden.
    Das Ziel dieser Neurosimulationen bis auf Zell- und Subzellularebene ist ja gerade, dass man ein kompliziertes Netz von Nervenzellen nachbilden kann und die gleichen Ergebnisse erhält, obwohl man gar nicht weiss, warum die Verbindungen sich genau so ausgebildet haben wie vorgefunden.

  30. @Catio, Dr. Webbaer: Worum es geht?

    Die Idee hinter der Whole-Brain-Simulation ist die Nachbildung von realen Gehirnen in Software. Konzeptionell ist das vergleichbar mit der Simulation von elektronischen Schaltkreisen. Solche Simulatoren (ein bekannter heisst Spike) sind weit verbreitet.
    Der Artikel Whole Brain Emulation: Looking At Progress On C. elgans beschreibt sehr klar worum es geht: “Being able to treat the pattern of someone’s brain as software to be run on a computer, perhaps in parallel or at a large speedup”

    Wenn man die einzelnen Neuronen und ihre prinzipiell möglichen Interaktionen einmal versteht sowie die chemischen Botenstoffe kennt, die ausgetauscht werden, benötigt man vor allem noch das sogenannte Konnektom, also die Gesamtheit der Verschaltungen um eine Siumulation starten zu können.
    (Zitat)“Since at least 1986 we’ve known the full neural connectivity of C. elegans, something that would take decades and a huge amount of work to get for humans. At 302 neurons, simulation has been within our computational capacity for at least that long.”
    Und es gibt nun solche
    Whole-Brain-Simulationen für C.elegans: “the University of Oregon’s NemaSys (~1997), the Perfect C. elegans Project (~1998), and Hiroshima University’s Virtual C. Elegans project”.

    Allerdings sind die Resultate noch nicht befriedigend: “None of the simulation projects have gotten very far: their emulations are not complete and have some pieces filled in by guesswork, genetic algorithms, or other artificial sources”

    Sehr richtig ist die Schlussfolgerung:
    “While I wouldn’t say whole brain emulation could never happen, this looks to me like it is a very long way out, probably hundreds of years.”

    Fazit:
    – Whole-Brain-Emulation bildet ein Hirn im Computer ab, indem es die Neuronen und ihre Interaktionen simuliert und sie entsprechend dem Connectom verschaltet, wie man es im Modellorganismus vorfindet.
    – Whole-Brain-Emulation funktioniert bis jetzt nicht einmal für den nur 302 Neuronen besitzenden Wurm C.elegans
    – Mit grosser Wahrscheinlichkeit liegt das nicht an der falschen Verschaltung in den Simulationen, sondern einfach darn, dass man die einzelnen Neuronen und ihre vielfältigen, nicht nur elektrischen (sondern auch chemischen) Aktionen und Interaktionen noch nicht versteht.
    – Sollte man C.elegans bald einmal perfekt simulieren können, ist der Schritt zu komplexeren Hirnen gar kein so grosser mehr, denn das bedeutet nur, dass man mehr Daten (mehr Neuronen, mehr Synapsen, etc.) bereithalten muss.

  31. Hybris des EU-Flagship-Projekts

    Das Human Brain Project zeigt ein beispielloses Ausmass von Hybris, wenn man es mit den Resultaten der Whole-Brain-Emulation des Fadenwurms C.elegans vergleicht. Obwohl dieser nur 302 Neuronen besitzt gibt es noch keine überzeugende Simulation seines Nevensystems.

    Und jetzt ein EU-Projekt, das in 10 Jahren das gesamte menschliche Gehirn emulieren will.

    Das erinnert mich ein bisschen an andere, sogar politische Projekte der EU, wo der Vergleich Ambition/Ergebnis auf erschreckende Art auseinanderfällt und das Ergebnis kläglich ist.

    Im Jahre 2000 gab es das Lisbon-Projekt. Da liest man “Lisbon aims specifically for economic as well as social and environmental renewal.The Strategy seeks to increase European competitiveness, not on the basis of social dumping but by investing in a knowledge-based and highly productive society.”

    Das Resultat des EU-Projekts, die Kompetitivtät Europas zu erhöhen ist die Euro-Krise.
    Das gibt einen Hinweis darauf, was das Resultat der meisten EU-Flagship-Projekte sein wird.

  32. bessere Forschungsansätze? & @M. Dahlem

    Bei aller Kritik der ich teilweise zustimme muss man naürlich auch fragen, welche unterstützenswerten Forschungsansätze gibt es in der Hirnforschung überhaupt bzw. warum gibt es so viele konkurrierende Methodologien und Perspektiven oder sind wir immer noch in der Datensammlungsphase ähnlich dem Bohrschen Atommodell, man weiss also woraus ein Atom besteht, aber die Quantentheorie dahinter die spektroskop. Messungen erklärt bis ins Detail fehlt noch.

    Das Problem mit Simulationen ist, dass sie zu mehr als einem Ausschlusskriterium für die eigene Theorie/Modell nicht wirklich taugen, die Anzahl der möglichen Modelle/kognitiven Architekturen beim Hirn ist aber gross bis unendlich. Und die Notwendigkeit das Hirn nicht nur theo. richtig sondern auch math. genau zu simulieren ist ein weiteres Übel. Die grossen Theorien in der Physik waren doch immer eine Abstraktion von Wissen in ein systemübergreifendes Modell. Aus Simulationen theor. Ideen abzuleiten ist meines Wissens kein wissenschaftshistorisch oft gegangener und erfolgreicher Weg, der der exp. Empirie viel mehr. Könnte man jetzt ein Ameisen, Vogel, Menschen Hirn simulieren, scheint mir der Ansatz zu sein über Data-mining strukturelle Ähnlichkeiten hier zu finden, denn funktionale gibt es ja offensichtlich (die Sinne, Gedächtnis etc.). Aber bei dieser Datensuche sucht man die Nadel im Nadelhaufen, wenn man nicht genau weiss wonach man sucht/suchen soll. Ich fürchte der physikalistische Ansatz ist hier momentan zumindest ziemlich fruchtlos. Projekte wie Blue Brain sind imho notwendig, aber man sollte den Grossteil der limitierten Forschungsgelder nicht hierauf konzentrieren momentan. Der Output an Publikationen bei Markram ist spärlich.

    Eines der spannendsten und aufschlussreichsten Wissenschaftsessays zur Hirnforschung las ich vor kurzem von einem klinischen Kognitionspsychologen, der sein Gebiet als “Psycho-Anatomy” bezeichnet. Und die scheint mir zumindest einen besseren Zugang zur symbolischen Verarbeitungsebene (kogn. Architektur) zwischen Molekularphysiologie und höheren kogn. Funktionen (die in FMR imaging studies oft “lokalisiert” und “korreliert” werden) zu öffnen. Hier lässt sich das Hirn verstehen, systemübergreifende Abstraktionen zw. gesunden, kranken und abnormalen Hirnen feststellen. Ein anderer vielsprechender Ansatz scheint mir Morphogenesis versch. Hirne und funktionale Gemeinsamkeiten (Primaten die schwarz/weiss zu Farbsehen weiterentwickelt haben evolutionär). Solche Forschung ist nicht sexy und vorzeigbar wie ein Rechenzentrum, aber in diesen Bereichen lese ich zumindest Erkenntnisse die das Verständnis vorantreiben.

    @M. Dahlem

    in einem älteren Kommentar (sry konnte da aus Zeitgründen nicht mehr nachfragen) haben sie mir zugestimmt, dass man die kogn. Architektur womöglich unterschätzt oder ausblendet. Ich brachte das Beispiel mit Hochtemperatursupraleitern, man kennt den exakten Aufbau, trotzdem gelingt es nicht seit Dekaden systemübergreifende stimmige Abstraktionen zu finden. Verwundert hat mich an ihrem Kommentar, dass sie das Finden der richtigen kogn. Architektur anscheinend per se als Notwendigkeit in Frage stellen/anzweifeln. Aber wie können wir das Hirn ohne eine kA modellieren und simulieren? Was ist der alternative Ansatz den sie scheinbar in Migräne-Forschung verwenden? Das Hirn als Black-Box und sich auf Input und Output konzentrieren? Vielleicht haben wir auch versch. Definitionen. Wäre vielleicht sogar besser, wenn sie das mal anhand eines Blogartikels beantworten könnten (oder schon getan haben – Link?), da mich v.a. interessiert welche versch. theor. Ansätze hier Physiker in der Hirnforschung haben. Prof. Diesmann wird als computational neuroscientist wohl ein starker Verfechter von kA in den Modellen sein. Was sind die Alternativen die sie scheinbar präferieren oder ihnen plausibler erscheinen? Danke

  33. @Thesen in Kürze

    Vielen Dank an alle für die lebhafte und aufschlussreiche Diskussion. Hier noch einmal die Thesen des Beitrags in aller Kürze:
    1. Das HBP wird in zehn Jahren nicht die Grundlagen für eine perfekte Simulation des menschlichen Gehirns schaffen können. Es sind kaum Erkenntnisse über die normale Hirnfunktion, Hinrerkrankungen oder Medikamentenwirkungen zu erwarten. Deshalb wäre die Milliarde aus dem Flagship Programm der EU woanders besser aufgehoben.
    2. Wenn eine solche Simulation gelingt, wäre das Ergebnis ein denkender Mensch, eine Person, mit der man nicht ohne sein Einverständnis experimentieren darf. Entsprechende Ankündigungen von Mitarbeitern des HBP sind inakzeptabel.
    3. Sollte eine Simulation von Menschen in großem Maßstab möglich sein, leben wir vielleicht selber in einer Simulation.

    Die beiden Projekte für das Flagship-Programm sind offenbar noch nicht ausgewählt, aber die Entscheidung fällt in den nächsten Monaten. Das erklärt eventuell die Häufung von übertriebenen Ankündigungen.

  34. Simulation

    “Wenn eine solche Simulation gelingt, wäre das Ergebnis ein denkender Mensch, eine Person, mit der man nicht ohne sein Einverständnis experimentieren darf.”

    Wer sagt das? Wenn man den Trick begeht und die Simulation halbfertig läßt – also bspw. der Simulation keine direkte Kommunikationsmöglichkeit einräumt, dann wird man dabei ethisch genauso verfahren wie mit Tieren (Beispiel Menschenaffen). Solange dann auch noch die Grenze zwischen Simulation und selbständigem Leben nicht gefunden bzw. festgelegt wird (und ich denke, sie wird nie gefunden, weil sie gar nicht existiert), wird man die ethischen Grenzen wie bisher festlegen, nämlich per Gesetz – und das ist letztendlich menschlich “willkürlich” und von der Gesellschaft abhängig. Ethische Regeln müssen in der Zukunft nicht zwangsläufig moralisch aufstrebende Tendenzen in Gesellschaften haben.

    “Sollte eine Simulation von Menschen in großem Maßstab möglich sein, leben wir vielleicht selber in einer Simulation.”

    Diese Konsequenz erschließt sich mir nicht. Nur weil es uns irgendwann gelingen kann, selbständiges Leben zu erschaffen, heisst das nicht, dass wir selbst erschaffen wurden (das ist ja schon fast religiös und zeugt von überflüssiger Demut vor dem Leben bzw. der Natur). Eher weist es darauf hin, dass Natur und Evolution doch nicht so komplex ist, dass wir es nicht durchschauen. Wir können ja nicht nur die Natur manipulieren, wir werden auch das Leben manipulieren, so wie es uns gefällt. Auch Klonen ist ja schon eine Art Simulation, Schwangerschaftsabbrüche und PID weitreichende Manipulationen.

    Ob wir etwas erkennen wollen, war noch nie an ethische Fragen geknüpft, lediglich die Ausführung der Erkenntnisse werfen solche Fragen auf. Deshalb wird das simulierte Gehirn mit Sicherheit kommen, wenn auch nicht unbedingt in 10 Jahren.

  35. @Thomas Grüter: Widerspruch

    2. Wenn eine solche Simulation gelingt, wäre das Ergebnis ein denkender Mensch,

    Bestenfalls ein denkender Schaltkreis. Menschen können derzeit nur durch Geburt (oder Klonen?) erschaffen werden.

    eine Person, mit der man nicht ohne sein Einverständnis experimentieren darf.

    Es wäre eine Persönlichkeit ohne Person.

    Woraus leiten Sie das Verbot ab? Gilt dieses Verbot auch gegenüber einer Simulation, die zum Zweck hat, einen irreversibel komatösen Koma-Patienten zu simulieren? Ist es “verboten”, aktive Sterbehilfe an diesem Koma-Patienten durchzuführen, indem man den Computer abschaltet? Wäre es eine Störung der Totenruhe, wenn die Simulation einen Hirntoten simulieren soll? Nein. All das ist weder strafrechtlich relevant noch ethisch verwerflich.

    Sofern der Simulierte nur ein simuliertes Bewusstsein hat, sehe ich da kein Problem.

    Entsprechende Ankündigungen von Mitarbeitern des HBP sind inakzeptabel.

    Höchstens geschmacklos, so wie das Töten von virtuellen Personen in irgendwelchen Computerspielen.

  36. “Simulationen”

    Sollte eine Simulation von Menschen in großem Maßstab möglich sein, leben wir vielleicht selber in einer Simulation.

    Warum soll dieses Bemühen der Menschen in Zusammenhang mit der Frage stehen, ob die Menschen selbst in einer ‘Simulation leben’? Bonusfrage: Wäre das Mathematical Universe eine Simulation?

    MFG
    Wb

  37. “Simulationen”

    @Martin Holzherr

    Die Idee hinter der Whole-Brain-Simulation ist die Nachbildung von realen Gehirnen in Software. Konzeptionell ist das vergleichbar mit der Simulation von elektronischen Schaltkreisen.

    Es wäre der Versuch irgendetwas, was man menschlicherseits als menschliches Gehirn auffasst, als laufendes System oder Simulation aufzusetzen.

    Weil dieses Etwas nicht alleine “existieren” kann, benötigt es deshalb auch noch eine Umgebung. Erst dann kann über ethische Fragen nachgedacht werden. Wurde auch schon nachgedacht, in der SciFi oder – wenn der Eindruck nicht täuscht – beim hiesigen Robotiker.

    BTW, die o.g. elektronischen Schaltkreise sind anthropogener Art, stehen also als Idee bereits umfänglich erfasst oder designt zur Verfügung.

    MFG
    Wb

  38. @Ano Nym

    Für mich ist die Struktur entscheidend. Ob Nervenzellen aus Kohelnstoffverbindungen bestehen und die Verbindungen chemo-elektrisch arbeiten, oder ob sie eine Kombination von Speicherbereichen und Programmen sind, ist dabei gleich. Wenn sie sich wie Menschen verhalten, wenn man ihnen telefonieren kann, wenn sie Gefühle kennen, wenn sie mit fliegenden Fahnen den Turingtest bestehen, dann sind sie auf jeden Fall denkende und fühlenden Wesen. Man könnte sich jetzt auf den Standpunkt stellen, dass es eine Welt des Geistes und eine Welt der Materie gibt und die Simulationen lediglich Materie sind und an der geistigen Welt keinen Anteil haben. Dieses Körper-Seele-Problem habe ich in einem früheren Blogpost bereits diskutiert. Die meisten Wissenschaftler sind heute aber Materialisten, sie lehnen die Idee einer eigenen geistigen Welt ab. Dann wäre eine Simulation, deren Gehirnstrukturen denen des Menschen analog sind, und deren simulierte Umgebung der eines menschlichen Gehirns entspricht, als quasi-menschliche Wesen anzusehen.

  39. @Catio

    Warum sollten wir in einer simulierten Umgebung leben? Ich möchte das Argument von Bostrom noch einmal erläutern. Nehmen wir einmal an, jedes Wesen, ob echt oder simuliert, sei ein Beobachter mit eigenem Bewusstsein.
    Nehmen wir weiter an, dass die Leistungsfähigkeit der Computer im gleichen Maße zunimmt wie in den letzten 30 Jahren. Dann könnte ein PC in 50 Jahren einige Hundert simulierte Menschen beherbergen. Jeder Computernutzer könnte Gott seiner eigenen kleinen Gemeinde sein, jede Firma hätte neben 100 wirklichen Angestellten weitere 10000 virtuelle Kräfte. Auf einen Beobachter in der wirklichen Welt kämen dann vielleicht 100 simulierte. Das Verhältnis würde sich in den folgenden Jahrzehnten noch weiter zu Gunsten der simulierten Beobachter verschieben. Bostrom sagt jetzt, dass ein zufällig herausgepickter Beobachter in dieser Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich in einer Simulation lebt. Auch wenn der Beobachter glaubt, in einer Zeit zu leben, in der es keine ausreichend leistungsfähigen Rechner gibt, wäre das kein Gegenargument, denn die Umgebung ist ebenfalls simuliert.

  40. @Thomas Grüter

    Für mich ist die Struktur entscheidend. Ob Nervenzellen aus Kohelnstoffverbindungen bestehen und die Verbindungen chemo-elektrisch arbeiten, oder ob sie eine Kombination von Speicherbereichen und Programmen sind, ist dabei gleich

    Man könnte den Schaltplan des Rechners auch plotten und neben das sein ausgedrucktes Programm legen. Oder Sie können die Nervenzellen auch aus Lego nachbauen. In beiden Fällen ist “die Struktur” (welche eigentlich, was gehört das zu und was nicht?) vorhanden. Von Mensch ist da nichts zu sehen.

    Wenn sie sich wie Menschen verhalten, wenn man ihnen telefonieren kann, wenn sie Gefühle kennen, wenn sie mit fliegenden Fahnen den Turingtest bestehen, dann sind sie auf jeden Fall denkende und fühlenden Wesen.

    Da bin ich bei Ihnen, damit beschreiben Sie aber gerade kein strukturales sondern ein funktionales Kriterium.

    [Unter der materialistischen Prämisse:] Dann wäre eine Simulation, deren Gehirnstrukturen denen des Menschen analog sind, und deren simulierte Umgebung der eines menschlichen Gehirns entspricht, als quasi-menschliche Wesen anzusehen.

    Ein Ding, das der äußeren Form nach nicht Mensch ist, muss sich schon mindestens menschenähnlich verhalten, um als Mensch durchzugehen.

  41. @Th. Grüter /Simulation oder Nachbau?

    Um den Turing-Test “mit fliegenden Fahnen” zu bestehen, braucht es doch nichts weiter als ausreichende Rechenkapazität. Die Struktur des Rechners braucht dabei nicht dem Gehirn zu gleichen. Das wäre für mich eine ‚Simulation‘.

    Der funktionale Nachbau der Hirnstruktur mit abiotischen Materialien wäre etwas fundamental anderes. Hier könnten in Tat Gefühle und dergleichen ins Spiel kommen. Es würde, nach meinem Empfinden, aber nicht genügen, jedes Neuron durch einen elektrischen Schaltkreis zu ersetzen, um einer Maschine ein Hör- oder Seherlebnis zu verschaffen. Ich vermute, dass eine Hirnstruktur genau so sein muss, wie sie in den verschiedenen Spezies ist, damit das jeweilige System funktioniert.

  42. @Thomas Grüter

    “Auch wenn der Beobachter glaubt, in einer Zeit zu leben, in der es keine ausreichend leistungsfähigen Rechner gibt, wäre das kein Gegenargument, denn die Umgebung ist ebenfalls simuliert.”

    Naja, ehrlich gesagt klingen diese Aussagen ähnlich die unserer theologischen Vordenker, nämlich das wir niemals Gottes Schöpfung erkennen können. Wenn man “Gott” mit “höherer Zivilisation” und die biblische Erschaffung der Welt mit der erschaffenen Simulation gleichsetzt, hat man die gleichen Auswirkungen: der Mensch muss zwangsläufig in seinen Fähigkeiten, Erkenntnissen und Möglichkeiten begrenzt sein, da er niemals die Stufe seines Gottes/höherer Intelligenz erreichen kann. Das lehne ich persönlich aber deshalb ab, weil dabei das Seiende wieder auf übergeordnete Abhängigkeiten (Simulation, Gott) reduziert wird. Insofern ist dieser Gedanke zwar als Gedankenspiel zulässig, aber ansonsten nahe an einer (irrealen) Ersatzreligion. Wenn ich also solch externe schöpferische Komponenten beiseite lasse, erschliesst sich mir diese zwangsläufige Aussage, wir könnten aufgrund des Wissens um die Erschaffung einer Simulation dann selbst eine Simulation sein, immer noch nicht. Es würde sich ja auch nicht aus der Möglichkeit, wir könnten Leben erschaffen (was bei einer funktionierenden Simulation, mit der wir sprechen könnten ja so wäre) automatisch die Möglichkeit geben, dass wir ebenso erschaffen worden sind. Alles ist auch ohne diese Voraussetzungen möglich. Und solange keine Beweise für solche Thesen angeführt werden können, gibt es Schöpfer und Simulationen nur im Kopf.

  43. Gedankenexperiment

    Wenn man in einem Gehirn einzelne Nervenzellen durch Nanomaschinen ersetzt, die in Bezug auf die anderen Nervenzellen genau das gleiche Verhalten haben, wie die Nervenzellen, die sie ersetzt haben, obwohl die inneren Funktionen dieser Nanomaschinen sich stark von den inneren Funktionen der Nervenzellen unterscheiden, dann würde man praktisch nichts davon bemerken.

    Wenn man nun im Laufe von Jahrzehnten immer mahr Nervenzellen durch Nanomaschinen ersetzt, um den Alterungsprozess des Gehirns zu verzögern, dann stellt sich die Frage, zu wie vielen Prozenten man dann ein Computer ist.

    Irgendwann hätten dann die noch immer wie vorher ablaufenden Gehirnfunktionen keine biologische Basis mehr, sondern eine technologische.

    Und was wäre, wenn man nun gleich das ganze Gehirn auf einmal durch rund 100 Milliarden solcher individuellen Nanomaschinen ersetzen würde?

    Zumindest würde das ein kontinuierliches Umsteigen der Denkvorgänge von der biologischen Basis auf die technologische Basis verhindern, was misstrauisch macht.

    Das Letztere wäre aber etwas anderes als ein Computer, der das Gehirn nach aussen hin simuliert, ohne im Inneren die gleichen Funktionen zu haben wie das Gehirn, das er ersetzt.

    Vorsichtshalber würde ich lieber in meinem Gehirn einzelne Nervenzellen durch aus meinen Hautzellen nachgezüchtete Nervenzellen ersetzen lassen, um den Alterungsprozess meines Gehirns zu verzögern, denn dabei bleibt meine biologische Basis erhalten.

  44. Simulation und Wirklichkeit

    Das beste Gegenargument gegen die These, dass wir in einer Simulation lieben ist die Reichhaltigkeit unserer Welt.
    Jede Simulation würde schnell an ihre Grenzen stossen, wenn sie nicht nur ein Gehirn, sondern die ganze Welt simulieren müsste. Allein einfachste Quantenphänomene werden mit ihren Interationsmöglichkeiten so komplex, dass selbst z.B. das ab-initio-Durchrechnen der Eigenschaften eines Blei-Atomkerns heutige Computer an ihre Grenzen bringt.
    Die Annahme, dieser Realität sei simuliert würde eine gewaltige Simulationsleistung voraussetzen.

    Das einzige was noch “funktioniert” ist die Annahme, dass es Quantenphänome gar nicht gibt, sondern dass diese von der Simulation erfunden wurde.

  45. @Karl Bednarik / Gedankenexperiment

    »Wenn man in einem Gehirn einzelne Nervenzellen durch Nanomaschinen ersetzt, die in Bezug auf die anderen Nervenzellen genau das gleiche Verhalten haben, wie die Nervenzellen, die sie ersetzt haben, obwohl die inneren Funktionen dieser Nanomaschinen sich stark von den inneren Funktionen der Nervenzellen unterscheiden, dann würde man praktisch nichts davon bemerken.«

    So argumentiert Prof. Diesmann auch, aber nun machen Sie das Gedankenexperiment einmal mit einem embryonalen Hirn. Liesse sich dann noch immer unterstellen, das hätte keine feststellbaren Folgen für das betroffene Individuum?

    Wenn man nur auf neurale Verdrahtung fokussiert ist, dann übersieht man offenbar etwas etwas. Markus Dahlem hatte [hier] bereits klargestellt, dass im Hirn auch Diffusionsprozesse eine signifikante Rolle spielen. Und Alan Turing hatte schon 1952 Diffusion als, salopp gesprochen, den Antrieb morphogenetischer Prozesse ausgemacht. Das Hirn lässt sich sicherlich in seiner Funktionalität nicht begreifen, wenn man es nur als ein fest verdrahtetes Ding anschaut. Stattdessen ist es in seiner Gesamtheit eher als ein dynamischer Prozess zu sehen, der einem beständigen morphogenetischen Wandel ausgesetzt ist, und bei dem funktionale und morphogenetische Aspekte untrennbar miteinander verflochten sind. Davon haben wir aber gewiss noch viel zu wenig verstanden.

  46. “Simulationen”

    @Martin Holzherr

    Das beste Gegenargument gegen die These, dass wir in einer Simulation lieben ist die Reichhaltigkeit unserer Welt.

    Abär als ‘Reichhaltigkeit’ bestimmt durch menschliche Erkenntnissubjekte.

    Jede Simulation würde schnell an ihre Grenzen stossen, wenn sie nicht nur ein Gehirn, sondern die ganze Welt simulieren müsste.

    Diese Grenzen wiederum bestimmt oder erahnt vom o.g. Subjekt.

    Allein einfachste Quantenphänomene werden mit ihren Interationsmöglichkeiten so komplex, dass selbst z.B. das ab-initio-Durchrechnen der Eigenschaften eines Blei-Atomkerns heutige Computer an ihre Grenzen bringt.
    Die Annahme, dieser Realität sei simuliert würde eine gewaltige Simulationsleistung voraussetzen.

    Definieren Sie ‘gewaltig’.

    Irgendwie ist aber auch der geschätzte Inhaltemeister derart unterwegs, wenn er anthropogene Denk- oder Simulationsleistungen als Maßstab nimmt.

    Wie dem auch sei, die Mathematical Universe-Hypothese (s.o.) ist stabil.

    MFG
    Dr. Webbaer (der auch dementsprechend die Bednarik/Diesman-Thesen bearbeiten würde)

  47. Bemerken

    (…) obwohl die inneren Funktionen dieser Nanomaschinen sich stark von den inneren Funktionen der Nervenzellen unterscheiden, dann würde man praktisch nichts davon bemerken (…)

    Wer ist ‘Man’? – Sind Unterschiede angestrebt, dann bemerkt “man” das zumindest gedankenexperimentell, entsprechen die ersetzenden Systeme die vorhandenen umfänglich, hat keine Änderung stattgefunden.

    MFG
    Wb

  48. Ein denkender Mensch

    “2. Wenn eine solche Simulation gelingt, wäre das Ergebnis ein denkender Mensch, eine Person, mit der man nicht ohne sein Einverständnis experimentieren darf.”

    Ich glaube ja vieles, aber ich glaube nicht, dass das Ergebnis einer Hirn-Simulation ein denkender Mensch sein kann.

    Viele bestehende ethische Normen tragen der Einmaligkeit einer menschlichen Person Rechnung, bzw. entspringen sogar aus ihr. Bei Computerprogrammen gelten komplett andere Identitätsbedingungen. Irreversibilität, in der Form wie sie bei Personen gegeben ist (man kann einen durch ein Experiment erlittenen Schaden nicht einfach rückgängig machen), gibt es hier nicht.

    Daher werden auch völlig neue Normen benötigt und sicher auch entstehen, falls eine solche Hirn-Simulation tatsächlich gelingen sollte.

    Muss ich einen Algorithmus erneut ausführen, mit unverändertem Speicherinhalt, wenn ich ihm das zu meinem Feierabend, vor dem Ausschalten des Computers, versprochen habe?

    Darf ich zu seinem eigenen Nutzen den Algorithmus verbessern und dazu noch seinen Speicherinhalt von schmerzhaften Erinnerungen befreien, z.B. gebrochenen Versprechungen meinerseits?

    Dürfen tatsächlich nur solche Hirn-Simulationen weiterhin betrieben werden, die ihr Einverständnis dazu geben, oder würde ein Abschalten so etwas wie nicht legitimierte Sterbehilfe sein?

    Was ist mit Klonen? Wem widmen wir unsere Aufmerksamkeit, wenn der selbe Algorithmus, zeitgleich ausgeführt auf unterschiedlicher Hardware, zurecht behauptet, wir wären heute mit ihm verabredet und mit keinem anderen?

  49. Solange es noch nicht mal ein vernünftige Sprachübersetzungsprogramm gibt, ist die künstliche Intelligenz noch Lichtjahre entfernt.

  50. Bewusstsein ist Simulation von Existenz

    Eines muß eigendlich jedem klar sein. Selbstverständlich leben wir in einer Simulation. Wir simulieren den zivilisierten Menschen in Gesellschaft. Und diese Simulation ist über das Tier Homo-Sapiens übergstülpt. Es ist ähnlich, wie mit den domestizierten Haustieren – die auch nur noch simulieren, dass sie etwa ein Rind (seine Urform) sind, eine Katze oder ein Hund (also Wolf). All diese “Tiere” sind inzwischen nicht mehr erstens in ihrer natürlichen Umgebung und zweitens nicht mehr in ihrer quasi natürlichen Entwicklungsform existent. Und so wage ich es zu erklären, dass auch der Mensch sich hat selbst domestiziert und somit erstens in seinem Verhalten verändert und zweitens auch in seiner physischen Entwicklung beeinflußt.

    Ein anderer Hinweis auf eine Simulation ist die kulturtechnik des Individuums, aus dem das “Ich” sich herrausbildet. Dieser Art Bewusstseinsveränderung ist auch eine Simulation, auf die sich moderne Gesellschaften verständigt haben. Und ich sage das ganz bewusst, dass es ein besonderes Spiel sei, dass wir uns als Individuum erkennen, denn dieses Bewusstsein des “Ichs” kann sich auch erheblich unterscheiden und im Zweifel sogar ganz ausbleiben. Diese Leistung der Gemeinschaft, dem einzelnen als Individuum zu erkennen ist angesichts von Schwarmintelligenz eine ganz besondere und erfordert eigendlich erheblichen Aufwand und Umstand (vergleich andere Schwarmtiere – Ameisen, Bienen, …). Aber wie gesagt, es ist nur eine Simulation – wie das ganze Bewusstsein eine ist.

    Was nun die Simulation des menschlichen Gehirns in einem Computer etwa angeht, ist es sicher auch ein Problem, eben die Tatsache der 1:1 Simulation zu beweisen. Manche sagen ja, dass nur das gleiche Ergebnis entstehen muß, um eine Funktionssimulation zu beweisen. Für mich ist das aber noch kein Beweis.

  51. @Markus A. Dahlem: 10 Probleme

    Ich habe Ihren Kommentar hier erst gerade gelesen (da wäre eine Kommentarnachrichtenfunktion ohne eigenen Beitrag auch hilfreich) – aber was wären denn aus Ihrer Sicht die 10 schnell nennbaren Probleme?

  52. Human Brain Project Prove of Principal

    Heute ist eine Vollemulaiton eines konkreten Hirns wie im Human Brain Project geplant noch nicht realisierbar, weil
    1) Das Connectom eines konkreten Organismus kann heute nicht in vertretbarer Zeit bis auf Synapsenniveau kartiert werden
    2) Die Chemie der Hirnumgebung in denen Neuronen aktiv sind ist nicht bis ins letzte bekannt.

    Darum will das Human Brain Project einen selbstentwickelten Algorithmus basierend auf grundlegenden biologischen Prinzipien benutzen, der die Lokation der Synapsen voraussagt. (Zitat: ” the EPFL’s Blue Brain Project (BBP) has identified key principles that determine synapse-scale connectivity by virtually reconstructing a cortical microcircuit and comparing it to a mammalian sample”

    Doch grundsätzlich und in einfachen Fällen (Retina) scheint eine Emulation von Neuronenveränden heute zuverlässig zu funktionieren.
    In 2011 hat Kevin Briggman mit Kollegen am Max Planck Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg, und David Bock mit Kollegen an der Harvard Medical School, beide gezeigt, dass dies möglich ist: Sie rekonstruierten einen neuralen Schaltkreis, den sie einem Hirnscan entnommen hatten funktionell im Computer und zeigten, dass die simulierte elektrische Aktivität der vorher gemessenen entsprach.

  53. Pingback:Big Science – Zukunft der Forschung oder Big Business? › Graue Substanz › SciLogs - Wissenschaftsblogs