Trällern und Zwitschern: Einblicke in den Gesang der Vögel

BLOG: NeuroKognition

Kognitive Fähigkeiten und Gehirnprozesse des Menschen
NeuroKognition

von Burak Yildiz – Sonntag morgen, die Sonne scheint durchs Fenster. Der fröhliche Gesang der Vögel weckt Sie auf. Schonmal überlegt, wie eine der komplexesten Vokalisationsformen in der Natur ausgerechnet von den kleinen Vogelhirnen erzeugt, verarbeitet und erlernt werden kann? Tja… Forscher fragen sich bereits seit mehr als 50 Jahren, wie das im Einzelnen funktioniert. Viele glauben, dass die Antworten auf diese Frage uns helfen könnten, besser zu verstehen, wie der Mensch Sprache lernt, produziert und verarbeitet.

zebrafinkenweibchen
Zebrafinkenweibchen (Foto: Stefan Leitner, MPI für Ornithologie)

Singvögel erlangen ihre Vokalisierungsfähigkeiten, ähnlich wie Menschen die Sprache, indem sie in der Frühphase ihrer Entwicklung den älteren Artgenossen zuhören und das Gehörte abspeichern und einüben [1]. Bei den meisten Vogelarten singen die Männchen, die Weibchen hören zu. Aus dem Gesang ziehen sie unter anderem Informationen über Vitalität, Lernfähigkeit und Herkunft der potentiellen Fortpflanzungspartner. Auf ähnliche Weise unterscheiden männliche Vögel Gesänge ihrer territorialen Nachbarn vom fremden Trällern eines Eindringlings in ihr Gebiet [2].Wie bringen ihre Hirne das zustande?

Neuere Studien haben gezeigt, dass der Gesangsmechanismus der Vögel hierarchisch auf drei Ebenen organisiert ist [3, 4]. Neuronen im sogenannten High Vocal Center (HVC), das man als Gesangskontrollzentrum des Gehirns bezeichnen könnte, feuern dabei in spezifischen Mustern mit sehr hoher zeitlicher Präzision. Die Neuronen im HVC steuern die Aktivität des in der Hierarchie niedriger stehenden, sogenannten RA-Gebietes, das wiederum die eigentliche Klangproduktion steuert. RA-Neuronen stimulieren die Regionen, die für Vokalisierungs- und Atmungsprozesse zuständig sind und führen so zur eigentlichen Gesangsproduktion.

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Schematische Darstellung der Hierarchie des Gesangserzeugungssystems des Gehirns

Unsere Forschungsgruppe hat diese Erkenntnisse genutzt [5], um ein vollständiges Modell der Gesangserzeugung von Vögeln zu entwerfen (siehe Abbildung). Dieses Modell nahmen wir als Basis, um ein neurobiologisch plausibles, künstliches Gesangserzeugungssystem zu entwerfen, dass auf statistischen und stochastischen Regeln der sogenannten Bayes‘schen Inferenz aufbaut [6]. In gewisser Weise haben wir also eine Art künstliches Vogelmännchen gebaut, das singt, wie echte Vögel in der Natur. Nachdem wir unser „Männchen“ hatten, entwarfen wir mithilfe mathematischer Optimierungsmethoden ein „Weibchen“, also einen zweiten künstlichen Vogel, der selbst nicht sang, sondern die künstlich erzeugten Gesänge des ersten Vogels erkennen und verarbeiten sollte.

Unsere Forschungsfrage: Würden das mathematisch optimierte Vogelweibchengehirn Ähnlichkeiten aufweisen mit dem Gehirn eines realen Vogelweibchens? Tatsächlich war dies der Fall: Wie bei Vorbild aus der Natur benötigte das Modell drei verschiedene Verarbeitungshierarchien. Auch andere zentrale Anforderungen, etwa das Erkennen kleiner Fehler oder Tempowechsel, die für reale Vogelweibchen eine wichtige Rolle für  die Partnerwahl spielen, löste das mathematische Modell so, wie Hirnforscher es bei echten Vögeln vorgefunden hatten.

Der Vergleich von Verarbeitungsprozessen in mathematisch optimierten künstlichen Vogelgehirnen mit echten Prozessen des im Verlauf der Evolution auf die Verarbeitung von Gesang optimierten Vogelgehirn liefert uns wichtige Einblicke darin, wie Singvögel einander verstehen. Darüber hinaus haben wir mit unserer Forschung einen mathematischen Mechanismus identifiziert, der erklärt, wie Singvögel ihren Gesang wahrnehmen. Dieser Mechanismus ist nicht nur nützlich, um die Funktion des Gesangwahrnehmungssystems selbst zu verstehen, sondern könnte auch als Basis für neuartige Algorithmen zur automatischen Spracherkennung mit Computern  dienen.

(Übersetzung: Peter Zekert. Den Originaltext finden Sie in unserem englischen Blog NeuroCognition)

Burak Yildiz ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Modellierung dynamischer Wahrnehmung und Handlung. Das Paper ist im Open-Acces-Journal PLoS Computational Biology erschienen.

Yildiz, I.B. and S.J. Kiebel, A hierarchical neuronal model for generation and online recognition of birdsongs. PLoS Computational Biology, 2011. 7(12): p. e1002303.

Literatur:

1.         Doupe, A.J. and P.K. Kuhl, Birdsong and human speech: Common themes and mechanisms. Annual Review of Neuroscience, 1999. 22: p. 567-631.

2.         Stoddard, P.K., et al., Recognition of Individual Neighbors by Song in the Song Sparrow, a Species with Song Repertoires. Behavioral Ecology and Sociobiology, 1991. 29(3): p. 211-215.

3.         Hahnloser, R.H.R., A.A. Kozhevnikov, and M.S. Fee, An ultra-sparse code underlies the generation of neural sequences in a songbird. Nature, 2002. 419(6902): p. 65-70.

4.         Yu, A.C. and D. Margoliash, Temporal hierarchical control of singing in birds. Science, 1996. 273(5283): p. 1871-1875.

5.         Yildiz, I.B. and S.J. Kiebel, A hierarchical neuronal model for generation and online recognition of birdsongs. PLoS Computational Biology, 2011. 7(12): p. e1002303.

6.         Friston, K.J., N. Trujillo-Barreto, and J. Daunizeau, DEM: A variational treatment of dynamic systems. Neuroimage, 2008. 41(3): p. 849-885.

2 Kommentare

  1. Unterschiede

    Interessante Forschung, gerade im Bezug auf Geschlechterunterschiede. Geoffrey Miller vermutet ja, dass auch beim Menschen Musik aufgrund sexueller Selektion eine Rolle spielt. Das würde auch dort für Unterschiede sprechen

  2. Vogelsgesang und Musterbildung

    Die schematische Darstellung der Hierarchie des Gesangserzeugungssystems des Gehirnserinnert mich an die Musterbildung in der Embryonalentwicklung durch die Hox-Gene. Ich denke, dass diese beiden Prozesse auf dem gleichen Prinzip beruhen.

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