Wann sind Wissenschaftler im besten Alter?

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Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

In welchem Alter sind Forscher besonders kreativ, ihre Köpfe besonders ideen- und geistreich? Oder umgekehrt gefragt: Gibt es ein Alter ab dem man von einem Wissenschaftler kaum noch etwas an neuen Erkenntnissen erwarten darf? Immerhin zeigt nun eine Untersuchung, dass Nobelpreisträger von heute im Schnitt zum Zeitpunkt ihrer ausgezeichneten Forschung älter waren, als Nobelpreisträger früherer Jahrzehnte. Die Idee, dass Forscher unbedingt jung sein müssten, um kreativ sein zu können, erweist sich somit als falsch.

Benjamin Jones und Bruce Weinberg (1) haben die Daten von 525 Nobelpreisträgern (182 Physik, 153 Chemie, 190 Medizin), die zwischen 1985 und 2008 ausgezeichnet wurden, ausgewertet. Dafür eruierten sie aus der Literatur, wie alt die Preisträger waren, als sie ihre kreative Leistung erbrachten. Interessanterweise unterscheiden sich die Ergebnisse der verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen kaum von einander. Dafür gab es im Laufe eines Jahrhunderts einen bemerkenswerten Shift: Heute gekürte Nobelpreisträger (1985-2008) waren zum Zeitpunkt ihrer “kreativen Leistung” im Schnitt um 10 Jahre älter, als die Laureaten der Jahre 1905-1985. 

 

     Physik       Chemie       Medizin   
 Gesamtzeitraum     37,2      40,2      39,9
 1905-1985     36,9      36,1      37,6
 1985-2008     50,3      46,3      45,0

 

Die Autoren vermuten, dass vor allem zwei Faktoren zum Altersshift beigetragen haben: Das stetig wachsende Basiswissen in den verschiedenen Disziplinen, das sozusagen erst einmal erfasst sein müsse, um darauf aufbauend Neues zu erdenken. Und auf der anderen Seite, werde immer weniger theoretisch, aber mehr experimentell geforscht und deshalb spiele wiederum das  Basiswissen diese wichtige Rolle.

Ich bin übrigens zudem der Überzeugung, dass viele Nobelpreisträger auch lange nachdem sie denselben erhalten haben, hochqualitative und preisverdächtige Forschungsergebnisse erbringen. Das kann man anhand derer Publikationen nachvollziehen und das erlebe ich nun seit Jahren während der Lindauer Nobelpreisträgertagungen. Das Gros der Vorträge und die Diskussionen dort liegen absolut im Zeitgeist und reflektieren aktuelle Forschung. Ein Beispiel für diese herausragenden Kreativen, deren Liste wirklich lange ist, ist etwa der 1931 geborene Hamilton O. Smith, der bereits 1978 gemeinsam mit Werner Arber und Daniel Nathans für die Entdeckung und Anwendung von Restriktionsenzymen ausgezeichnet wurde, schließlich aber maßgeblich an der Seite von Craig Venter zur Entschlüsselung des Human Genoms beigetragen hat und erst vergangenes Jahr ein “synthetisches Bakterium” (Mycoplamsa mycoides) präsentierte, dessen DNA komplett synthetisch hergestellt und in einer ausgeschlachteten Zellhülle hochgefahren worden war.

In diesem Zusammenhang ist es ein Affront, wenn unser klügsten Köpfe dafür kämpfen müssen, auch jenseits des offiziellen Pensionsalters von 65 Jahren noch forschen zu dürfen. Gekämpft hatte glücklicherweise vor fünf Jahren der deutsche Physiknobelpreisträger Theodor Hänsch, der vor wenigen Tage seinen 70. Geburtstag feierte (FAZ-Portrait zum Geburtstag). Ihm ist es gelungen mit dem Freistaat Bayern eine Sonderregelung zu treffen, wonach er auf Lebzeiten einen Lehrstuhl inne haben darf – zurecht, wie die lange Liste an Publikationen, an denen Hänsch in den vergangenen Jahren beteiligt war, zeigt.

Übrigens sind im Vergleich zu Physiknobelpreisträgern (somit auch Medizin und Chemie s.o.) die Friedensnobelpreisträger im Schnitt deutlich älter, wie eine Untersuchung des Jahres 2009 zeigte (R.Rau, T. Kammer, M. Spitzer). Das Durchschnittsalter der Physiknobelpreisträger betrug zum Zeitpunkt der Nobelpreis würdigen Entdeckung 37,1 Jahre. Das Durchschnittsalter der Friedensnobelpreisträger hingegen beträgt zum Zeitpunkt der preiswürdigen Leistung 56,7 Jahre. Sie schreiben dies der eher notwendigen „fluiden Intelligenz“ der Physiker versus einer „kristallinen Intelligenz“ der Friedensstifter zu.

Ihre Grundannahmen: „Die geistigen Leistungen des Menschen unterliegen Veränderungen über die Lebenszeit. Die Geschwindigkeit und Präzision des Arbeitsgedächtnisses nimmt mit zunehmendem Alter ab, das Wissen über die Welt, die Lebenserfahrung, nimmt hingegen zu. Seit Cattell werden diese Unterschiede mit den Begriffen der fluiden und kristallinen Intelligenz bezeichnet. Unter der Hypothese, dass für das Nachdenken über Physik vor allem die fluide und für das Stiften von Frieden vor allem die kristalline Intelligenz bedeutsam sind, wurde untersucht, ob sich das Alter der entsprechenden Nobelpreisträger zum Zeitpunkt der jeweiligen wesentlichen Errungenschaft bzw. der Preisverleihung unterscheidet.“

Wendet man nun die Vermutung von Jones und Weinberg an, dann spielt mit dem Rückgang theoretischer Forschung immer mehr die kristalline anstelle der fluiden Intelligenz eine Rolle für eine kreative und nobelpreisverdächtige Forschung in den Naturwissenschaften. Fast möchte man deshalb ein Plädoyer für theoretische Forschung halten.

Literatur
(1) Benjamin F. Jones and Bruce A. Weinberg: Age dynamics in scientific creativity. PNAS 2011, 1102895108

(2) R. Rau; T. Kammer; M. Spitzer: Schnell und jung, weise und alt. Altersabhängigkeit geistiger Leistungen am Beispielder Physik- und Friedensnobelpreisträger. Nervenheilkunde 11/2009. S. 835-838, © Schattauer 2009

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Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

6 Kommentare

  1. Unbewußte Kriterien

    Man müßte wissen, ob sich das durchschnittliche Alter der Mitglieder des Vergabekomitees verändert hat. Hat es zugenommen – natürlicherweise oder durch Austausch der Personen – so ist die Wahrscheinlichkeit, daß ältere Wissenschaftler ausgezeichnet werden, größer. Jüngere anzuerkennen fällt nämlich schwerer.

  2. Unbewußte Kriterien

    Interessanter Punkt. Müsste doch irgendwie herauszubekommen sein. Mal sehen. Allerdings glaube ich kaum, dass sich da so viel verändert hat. Aber ich weiß es eben nicht. Und gleichzeitig scheint mir die von den Autoren ersonnene Erklärung recht plausibel.

  3. @ Synthese

    Es geht ja nicht um das Alter zum Zeitpunkt der Auszeichnung, sondern um das Alter zum Zeitpunkt der relevanten Veröffentlichungen. So habe ich jedenfalls den Text verstanden.

  4. Großforschung

    Inwieweit ist es denn heute in den experimentellen Wissenschaften überhaupt noch möglich, als junger Mensch wichtige Entdeckungen zu machen? Braucht man dafür kein eigenes Institut oder zumindest eine große Arbeitsgruppe?

  5. Großforschung + Synthese

    Klar. Es geht um das Jahr der Entdeckung. Dennoch könnte an der Altersgeschichte der Jury etwas dran sein, oder nicht? Zur Großforschung: Nicht alles ist Großforschung, die eine eigene “Entdeckung” unmöglich macht, wie all die großen neuen Ideen zeigen.

  6. Alter in den Nobelpreisen

    Der Vergleich zwischen naturwissenschaftlichen Nobelpreisträgern und Friedenslaureaten ist meines Erachtens verfehlt. Bei den einen geht es um brilliante Ideen, die auch – vielleicht sogar überwiegend – ein junger Mensch haben kann, zumal, wenn er gut ausgebildet ist. Bei den Friedensnobelpreisen geht es doch eher um ein “Achievement”, um eine Beeinflussung der (Welt-)Geschichte. Hierfür ist in den meisten Fällen – von der Arabellion mal abgesehen – ein gewisses Standing, und damit ein höheres Lebensalter, verbunden. Bevor eine Politikerin oder Menschenrechtsaktivistin so sichtbar wird, dass sie (oder er) was verändert, bedarf es der Ämter in Politik oder Organisationen etc. Das hat nix mit fluider oder kristalliner Intelligenz zu tun, sondern mit Lebenszeit.

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