Die Herzmaschine

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Vor einigen Tagen sah ich mir wieder einmal Metropolis an, Fritz Langs Film in der rekonstruierten, aktuell längsten Fassung. Es war die britische Blu-ray, die bei mir rotierte und ich konzentrierte mich diesmal auf den Audiokommentar, in dem David Kalat und Jonathan Rosenbaum interpretatorisch, filmhistorisch und ein wenig anekdotisch den Film untersuchen.

Die beiden unterhielten sich auch ausführlich über die Mutter Freder Fredersens, deren Bedeutung für die drei männlichen Hauptrollen – Freder, ohne sie aufgewachsen, Joh, sein Vater, der sie verlor und Rotwang, der sie verehrte – in der jetzt praktisch ungekürzten Version erst richtig deutlich wird. Die US-Verleiher hatten die Sequenz, in der Rotwangs Monument an sie deutlich zu sehen ist, heraus geschnitten, da ihr Name zu lesen war. Sie hatten berechtigte Angst, dass amerikanischer Zuschauer den Namen der Mutter falsch verstehen würden.

Licht und Dunkel

Mir fiel dabei auf, dass zwar viel über den Dualismus, der sich durch alle Bereiche des Films zieht, diskutiert und geschrieben wurde.

mittelalterliche Hütte – hypermoderne Stadt

mittelalterliche Hütte – hypermoderne Stadt

Kathedrale der Industrie und Wissenschaft – gotische Kathedrale

Kathedrale der Industrie und Wissenschaft – gotische Kathedrale

Paradies/Vergnügen – Industrie/Arbeit

Paradies/Vergnügen – Industrie/Arbeit

guter Vater Fredersen – böser Vater Rotwang

guter Vater Fredersen – böser Vater Rotwang

böse Maria [Roboter] – gute Maria

böse Maria [Roboter] – gute Maria

Auch gibt es reichlich Literatur zu den diversen religiösen Anspielungen und Elementen. Es scheint aber noch niemand die Namensgebung der Mutter angesprochen zu haben:

Monument der Hel

Alle Konflikte, die sich in der Geschichte auftun, gehen von Hel aus – Johs Unmenschlichkeit, Freders Aufbegehren gegen den Vater, Rotwangs Hass auf Joh, Rotwangs Pläne zur apokalyptischen Revolution, die alles zerstören soll. Hel war die Frau des Schöpfers Joh, die Mutter des versöhnenden Heilands Freder, begehrt vom gefallenen Rotwang.

Naive Sozialromantik

Ein Vorwurf, den man auch in der rekonstruierten 150-Minuten-Fassung von Metropolis dem Skript nicht machen kann, ist Konsistenz. Thea von Harbou und Fritz Lang waren weder politisch noch analytisch begabt. Er war ausschließlich an der visuellen Kunst interessiert, sie schrieb naiven Sozialpolitikkitsch. Christliche Symbolik mischt sich mit buddhistischen Ideen, vager germanischer Mystik, Sozialromantik …

Da passt es, dass der Turm zu Babel und die Sieben Todsünden lange Sequenzen im Film haben, aber in wenig christliche Aussagen umgemünzt werden. Der Zusammenbruch des Turms zu Babel führte zur Spaltung und zum Unverständnis von Kopf und Hand, die nur durch das Herz wieder zu vereinen sind? Kein Wunder, dass kommunistische, naive, nationalsozialistische Interpretationen entstanden.

Leben und Tod

Monument Inschrift

Inschrift: Hel, geboren mir zum Glück, allen Menschen zum Segen, verloren an Joh Fredersen, gestorben, als sie Freder, Joh Fredersens Sohn, das Leben schenkte.

Hel gebar also Freder, aber als Jungfrau Maria ist sie nicht geschrieben, denn diese ist in der Rolle der Maria angelegt. Im Namen und in einer mittelalterlichen [orthodoxen] Auslegung ist die Film-Maria Ursprung, deren Erfüllung im ‘einzigen Mittler’* kommt. Mir scheint, dass die Mutter Freders benannt ist nach dem griechischen Sonnengott Helios, angereichert mit Mythen anderer Völker, in denen die Sonne weiblich ist und die Welt geboren hat.

Die tote Mutter ist somit das Licht, das Leben. Ihre künstliche Form, der Roboter, den Rotwang zum Ebenbild der Mutter der Revolution, Maria, schafft, ist Dunkelheit, Göttin der Zerstörung, Tod.

 

PS: In den USA, meinten die Verleiher damals, würde Hel als hell [= Hölle] missverstanden werden.

Ein großes Dankeschön an Janina Wildfeuer, die mir mit Screenshots ausgeholfen hat!

*Nach Sergei Bulgakov, zitiert in der Wikipedia.

  • Veröffentlicht in: Film

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

7 Kommentare

  1. ?

    Die “Hel” ist doch eine alte Figur aus der nordischen Mythologie und durchaus mit “Hell” verwandt..

  2. @ Dierk

    …äh: Basics bei Wikipedia.

    Mich hat das einst, lange vor Wiki, interessiert, weil ich Hel-mut heisse. Blöderweise habe ich aber mir der “Hel” (der “Verborgenen”) wohl nichts zu tun. Eher trivial etwas mit “hell”, wie “frohgemut” und “licht”.

    Und das mir altem Nihilisten.

  3. Die Göttin der Totenwelt

    Na gut, wenn außer mir niemand mit mir diskutieren möchte …

    Es stimmt, Helmut, es gibt in der nordischen Sagenwelt die Hel als Göttin der Totenwelt und wie ich oben ja schreibe, hat Thea von Harbou fröhlich alle möglichen Mythen durcheinander geworfen und nichts konsequent durchgehalten. Womöglich hat sie – das ist jetzt allerdings bloße Vermutung, ich bin kein Experte für von Harbou – James George Frazers sehr einflussreiches Werk The Golden Bough gelesen.

    Ich halte ihre Interpretation insoweit für zutreffend, als Hel im Film tot ist. Sie tritt nur in der Erinnerung auf, in Rotwangs Monument, in Johs Auftrag an Rotwang, den Roboter nach ihrem Bild zu schaffen, im Dialog der beiden in Rotwangs Hütte. Wie ich oben weiter ausführe, passt der Rest des skandinavischen Mythos allerdings überhaupt nicht auf Freders Mutter.

    Ich habe die vage Hoffnung, dass noch eine Expertin Zeit findet, sich zu äußern.

  4. @ Dierk

    ..sorry, ich war gestern abend schreibfaul. Und etwas von der Sache verstehen tu’ ich eh nicht.

    Deshalb noch eine Frage – ich hab’ die restaurierte Langfassung vor längerer Zeit auch gesehen .. erinnnere ich es falsch, wenn ich erinnere, dass die köstliche Roboterin, die dem C3PO Vorbild wurde, im Film AUCH “Hel” genannt wurde, und dass “Maria” nur ihr alias war?

  5. Hel

    In mir kamen ähnliche Gedanken wie bei Helmut auf. Aber wenn die Macher des Films das einfach nur so aufgenommen haben ohne tiefgehende Gründe, dann muß ich nicht weiter drüber nachdenken. Schade, das wäre spannend gewesen. Diese Frau als Hölle, die gar nicht so erscheint und dennoch …

    Also, ich denke das nicht weiter.

    Ist dennoch ein interessanter Beitrag.

  6. Joh gibt den Roboter in Auftrag, um ein Ebenbild seiner verstorbenen Frau zu erhalten. Rotwang macht dann Maria draus, um die Arbeiter zu täuschen.