Was Schnelles zum Literaturnobelpreis

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Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Nein, mir war Mo Yan bis vor einigen Wochen auch nicht weiter bekannt. Damals las ich einen Artikel in der LA Times, in dem ironischerweise Buchmacherquoten genutzt wurden, um darüber zu spekulieren, wer denn wohl den Nobelpreis für Literatur bekommt. Ich lernte durch diesen Artikel nicht nur, dass es Mo Yan gibt, sondern auch, dass er die Vorlage für Zhang Yimous Erstlingsfilm geschrieben hat.

Nun bin ich kein Experte für chinesische Literatur, ich habe englische und amerikanische Literatur studiert. So unglaublich es klingt, obwohl ich in meinem Leben sehr viel gelesen habe, kenne ich nicht jeden Schriftsteller, jede Schriftstellerin. Nicht einmal englischer Zunge. Oder auch nur Briten und US Amerikaner. Es hätte durchaus passieren können, dass ein Engländer oder eine Waliserin oder jemand aus Schottland den Preis erhält und ich keine Ahnung habe, wer da ausgezeichnet wird.

Und doch ist eine typische Reaktion auf die Vergabe größerer Literaturpreise: ‘Können die nicht jemanden nehmen, den man kennt? Noch nie von dem gehört!’

Meine Antwort: ‘Ja und? Zieh’ los und kauf dir ein Buch, lerne den Ausgezeichneten kennen, blicke mit ihm auf seine Kultur, die Menschen, die Welt!’

Der Literaturnobelpreis dient  – anders als die naturwissenschaftlichen Nobelpreise – vor allem dazu, uns auf interessante und herausragende Schriftsteller aufmerksam zu machen, die wir sonst wahrscheinlich übersehen. Natürlich klopft er den Empfängern auch auf die Schulter, lobt sie für ihre Leistung, die sonst vielleicht wenig honoriert wird.

Natürlich sehen wir alle gerne unsere eigenen Lieblinge ausgezeichnet, schon weil uns das in unserem Geschmack und unserer Intelligenz bestätigt. Andererseits schadet es nie, sich mit Dingen auseinander zu setzen, die außerhalb des eigenen Wohlfühlhorizonts leben.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

8 Kommentare

  1. Literaturnobelpreis für grosseLiteratur?

    Sind nicht (länder-)politische Motive wichtiger für die Wahl des Literaturnobelpreisträgers als es rein literarische Kriterien sind? Es trifft jetzt einen Chinesen, weil das Nobelpreiskomitee möglichst ländergerecht – jedes Land soll mal drankommen – sein will. Übrigens ist Mo Yan nach Wikipedia der erste Vollchinese , der einen Literaturnobelpreis erhält, denn sein Landsmann Gao Xingjian (mindestens was sein Geburtsland angeht), der im Jahre 2000 den Literaturnobelpreis erhielt, wird in der Länderliste unter Frankreich aufgeführt.

    Neben der länderpolitischen Gerechtigkeit spielt auch noch die Literaturgattung, die ein Autor vertritt, eine Rolle sowie seine Repräsentanz für eine bestimmte Schicht oder Bevölkerungsgruppe. Das war wohl mit ein Grund, dass Elfriede Jelinek, Herta Müller, Imre Kertész, Toni Morrison und Dario Fo einen Literaturnobelpreis erhielten.

    Übrigens werden viele Gebildete und auch weniger Gebildete bei jedem 3. oder 4. Literaturnobelpreis den folgenden Spruch bemühen müssen:

    So unglaublich es klingt, obwohl ich in meinem Leben sehr viel gelesen habe, kenne ich nicht jeden Schriftsteller, jede Schriftstellerin.”

    Oder wer kennt die folgenden Literaturnobelpreisträger, welche in den letzten 30 Jahren geehrt wurden: WisBawa Szymborska, Jean-Marie Gustave Le Clézio, Derek Walcott, Camilo José Cela, aroslav Seifert

  2. Offen sein für Neues!

    “Meine Antwort: ‘Ja und? Zieh’ los und kauf dir ein Buch, lerne den Ausgezeichneten kennen, blicke mit ihm auf seine Kultur, die Menschen, die Welt!'”

    Das dachte ich auch mal. Dann habe ich mir “Lust” von der Frau Jelinek gekauft.

    Jedenfalls hat das meine Meinung gefestigt, dass nur die “harten” Nobelpreise (Naturwissenschaften) zählen.

  3. Ach komm…

    …du willst nicht ernsthaft behaupten, dass mich interessieren muss, wen eine Handvoll schwedischer Sprach- und Literaturnörgler in diesem Jahr für wichtig hält. Frei nach Groucho Marx interessiert mich kein Preis, den Günter Grass schonmal gewonnen hat.

  4. @Martin Holzherr

    Das ist mir alles zu bauchgedacht. Die Statistik zeigt keinerlei Trend zu ‘Ländergerechtigkeit’, wie auch immer ich sie drehe. Da das Nobelpreiskomitee keine Unterlagen außer der Begründung für den tatsächlichen Preisträger heraus gibt, ist es auch müßig sich Gedanken darüber zu machen, was die antreibt [siehe eben den im Beitrag verlinkten Artikel].

    Wenn die Komiteemitglieder Menschen wie alle anderen auch sind – eine vertretbare Prämisse -, spielen bei der Bewertung sicherlich Sprache/Stil, Kultur und Politik ihre Rolle. Es handelt sich schließlich um wesentliche Elemente literarischen Schaffens. Selbst wenn ein Werk ohne all dies auskäme, dürfte es dem einzelnen unmöglich sein, sich von seiner eigenen Sozialisation so weit zu lösen, dass sie bei der Bewertung keine Rolle spielt.

    So gesehen stimme ich Ihrem zweiten Absatz zu, auch wenn Sie vermeiden Butter bei die Fische zu geben, indem Sie uns aufklären wie die von Ihnen genannten Kriterien zur Wahl der von Ihnen genannten Schriftsteller in Beziehung stehen.

    @seminym und @A.S.

    Sie werden lachen, ich mag viele Literaturnobelpreisträger auch nicht. Welche Auszeichnungen für wen welchen Wert haben, muss jeder für sich entscheiden. Ein Oeuvre wird sicherlich nicht besser, weil der Schöpfer einen Preis erhalten hat, sei es der Nobelpreis, der Booker Prize oder der Academy Award.

    Nun argumentiere ich allerdings auch nicht dafür, dass wir uns dafür interessieren müssen, was eine Handvoll Heinis in Schweden gut finden. Nun hat so ein großer Preis natürlich neben seiner direkten Bedeutung [die jeder mit sich ausmachen muss] noch eine indirekte – es wird drüber geschrieben und gesprochen. So wie über Wetten, dass …? und den Tatort.

    PS @A.S.: Grouchos Spöttelei hat natürlich zwei Ebenen, die erste davon ist Selbstironie – er sprach von einem Club, der ihn als Mitglied akzeptiert, nicht irgendeinen Lieblingsfeind. Außerdem macht er sich sehr böse über US Country Clubs lustig, die keine Juden oder Schwarzen aufnahmen, aber für sehr erfolgreiche und gefragte Juden* plötzlich Ausnahmen machten.

    *Für Schwarze nicht, denn denen sieht man ja sofort an, dass sie keine WASPs sind.

  5. Genau

    Es ist ja eher unüblich, in einem Kommentar dem Blogger zuzustimmen, aber hier möchte ich mal eine Ausnahme machen. Genau die Funktion, dass solch ein Preis auf Autorinnen aufmerksam macht, durfte ich mehrfach machen. Zum Beispiel habe ich Weihnachten 2007 “The Grass is Singing” von Doris Lessing bekommen und die Lektüre sehr genossen.

    Man muss sicher nicht alle Nobelpreisträgerinnen und -träger gelesen haben und ich werde jetzt aus verschiedenen Gründen nicht chinesisch lernen, aber man kann.

  6. Literaturpreis und Ländergerechtigkeit

    Sie schreiben: “Die Statistik zeigt keinerlei Trend zu ‘Ländergerechtigkeit’,. Die Statistik zeigt aber mit Sicherheit einen Trend zur Globalisierung und damit zu Ländergerechtigkeit ab etwa den 1960ern. Von 1901 bis 1960 erhielten nur 3 Schrifsteller ausserhalb Europas und den USA einen Literaturnobelpreis, nämlich
    1913: Rabindranath Tagore, Britsch-Indien
    1945: Gabriela Mistral, Chile
    1958 Boris Pasternak, Sowjetunion
    .
    Inzwischen sind aber unter den 38 ausgezeichneten Ländern (Ländern mit Nobelpreisträgern) schon 15, die nicht zum Westen im engeren Sinn gehören (USA, Europa).
    Ein Chinese mit dem literarischen Ausweis eines Mo Yan hätte noch vor 20 Jahren keine Chancen auf eine Nominierung gehabt.

  7. Länderverteilung

    Möglicherweise verstehe ich ihren ersten Kommentar zu negativ, Herr Holzherr, aber selbst wenn wir hier von ‘ländergerecht’ sprechen könnten, wäre das was Schlechtes? Im Grunde muss man sich doch fragen, weshalb bis weit in die 1970er hinein die europäischstämmige Kultur so übermächtig repräsentiert ist.