• Von Dierk Haasis
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Was Ihr wollt – zur zwölften Nacht

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Sie gehen zu Ende, die zwölf Weihnachtstage. Wer weiter an meiner kleinen Weihnachtscharade rätseln will, überspringt diesen Blogpost.

Ich hoffe, jeder hatte seinen Spaß, denn um mehr ging es gar nicht. Außer ein paar Leseempfehlungen gab es mehr nicht zu gewinnen. Wirklich schwierig war es auch nicht, alle Zitate konnten leicht im Internet gefunden werden, die Antworten auf die manchmal verqueren Fragen dazu über Wikipedia auch. Alle Texte, aus denen die Zitate stammten, sind u.a. beim Project Gutenberg gemeinfrei erhältlich mit Ausnahme der Lösung zu Rätsel 5.

Lösung Nummer 1

Richard Austin Freeman leitete mit dem kleinen philosophischen Ausflug die Kurzgeschichte The Stranger’s Latchkey ein, die als zweite in seiner 1909 erschienen Sammlung Detektivgeschichten um den Rechtsmediziner Dr. John Evelyn Thorndyke.

In der Sammlung The Singing Bone von 1912 finden sich einige Beispiele der umgekehrten Detektivgeschichte, in der Leser zuerst dem Verbrecher bei seiner Tat folgen und danach lesen, wie der Detektiv Beweise sammelt und den Täter überführt. Mit diesem Schema hatte in den 1970ern die TV-Serie Columbo – der jenen völlig zerknitterten Schlabbermantel trug – großen Erfolg.

Lösung Nummer 2

Der gesuchte Mathematiker, Philosoph und [Kinder]Fotograf ist natürlich Charles Lutwidge Dodgson, den meisten besser bekannt als Lewis Carroll. Das Zitat stammte aus seinem kleinen Büchlein The Game of Logic.

Sein bekanntesten Fotografien zeigen junge Mädchen, die – zumindest nach heutiger Auffassung – in nicht ganz unschuldigen Posen zu sehen sind. Eines seiner Modelle war Alice Lidell, für die er auch seine beiden Kinderbücher Alice in Wonderland und Through the Looking-Glass, and What Alice Found There erdachte.

Terry Gilliams Fantasie ist insgesamt stark von Lewis Carroll beeinflusst, was in den absurden Bildern, Träumen und der verqueren Logik in Brazil erkennbar bleibt. Die Verbindung, an die ich dachte war allerdings sein Solo-Erstlingsfilm Jabberwocky, nach dem Nonsensegedicht aus dem zweiten Alice-Buch.

Lösung Nummer 3

Das kleine Essay Sakrileg an George oder Sühne an Shakespeare? beginnt mit den Zeilen, die im dritten Rätsel der Hinweis waren. Geschrieben hat sie der großartige Menschenfeind Karl Kraus, der dort seine Haltung zu Stefan George, auch im Verhältnis zu William Shakespeare und Jacques Offenbach, untersucht.

Die Welt war für ihn untergegangen, als Geist und Bescheidenheit Technik und Beschleunigung Platz machten. Über den gewalttätigen Untergang der Welt, den Ersten Weltkrieg, verfasste er sein realsatirisches Theaterstück Die letzten Tage der Menschheit, in einer Collagentechnik, die später auch Walter Kempowski zur Darstellung des bürgerlichen Daseins in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nutzt.

Lösung Nummer 4

Die Cottingley-Feen

Eine der Aufnahmen der Cottingley-Feen von Elsie Wright und Frances Griffiths, die dafür Jugendstil-Illustration aus Pappe Ausschnitten und um sich setzten.

Offiziell und durch Geständnis sind die Fotos erst 1983 als Fälschungen entlarvt worden, bis dahin [und womöglich auch heute noch?] glaubten viele an die Echtheit. Zu den lautstarken Verteidigern gehörte seinerseits Sir Arthur Conan Doyle, der nach dem Ersten Weltkrieg Beweise für ein Leben nach dem Tode und eine Welt neben unserer suchte.

Seine Sherlock-Holmes-Geschichten gelten bis heute als Musterbeispiele für Rationalität. In einigen Abenteuer-/Science-Fiction-Erzählungen nach Vorbild Jules Vernes erkundet Professor Challenger seltsame Geschehnisse. Das Zitat stammt aus der späten Kurzgeschichte When the World Screamed, über einen Bohrversuch zum Kern der Erde.

Lösung Nummer 5

Der Abenteurer Carl Denham stellt dem Publikum mit den zitierten Worten den riesigen Menschenaffen Kong vor – im Spielfilm King Kong von 1933. Die Idee, auf deren Basis der damals berühmte Thrillerautor Edgar Wallace ein erstes Drehbuch schrieb, stammte von Merian C. Cooper. Wallace starb noch bevor das Drehbuch filmbereit war, so das andere sein Script überarbeiteten.

Seine Kriminalromane diktierte er schnell, meist mehrere nebeneinander. Konsistente Handlungen, tiefe Charakterisierung oder grundlegende Plausibilität spielten keine Rolle – seine Thriller waren temporeich, actiongeladen und zeigten ein recht simples Gut-Böse-Schema. Die deutschen Ausgaben waren teils ganz erheblich verändert worden, was seinem Erfolg in Deutschland vor und nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Abbruch tat.

Die bis heute gerne gesehenen Edgar-Wallace-Filme der 1960er haben oft nicht einmal mehr den grundlegenden Plot oder Figurennamen mit den Büchern gemein.

Lösung Nummer 6

In Mölln am See lacht sich Till Eulenspiegel eins über die Dummheit und Verführbarkeit der Menschen. Charles de Coster nutze die Sage um den schlauen Narren aus dem Volke und wandelte sie in  La Légende et les Aventures héroïques, joyeuses et glorieuses d’Ulenspiegel et de Lamme Goedzak au pays de Flandres et ailleurs. In ihm ist Ulenspiegel ein Symbol für die flämische Nation, in einem Religionskrieg gefangen, zum Teil unter der Herrschaft der spanischen Krone.

de Coster mischt pikareske Erzählung mit Volkssagen und einer starken Symbolik, stellt dabei das Leben des Ulenspiegels – stehend für die armen, unterdrückten Bauern Flanders – dem des Infanten Philip, später König Philip II. gegenüber.

Lösung Nummer 7

1776, in den Überseekolonien kommt es zum offenen Aufstand gegen den Souverän in London. In Schottland schreiben eine ganze Reihe von aufgeklärten Denkern bis heute wegweisende Werke. Eines heißt An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations und stammt vom Moralphilosophen Adam Smith, der damit die Grundlage für die Volkswirtschaftslehre legte.

Er selbst empfand sein Buch The Theory of Moral Sentiments immer als das wichtigere; er arbeitete auch nach dessen Veröffentlichung bis zu seinem Tode immer wieder daran.

Übrigens, diejenigen, die faul nichts zum Wohlstand der Nation beitragen, sondern nur konsumieren, sind die adligen Grundbesitzer …

Lösung Nummer 8

Dieses Rätsel sollte niemandem, der von Anfang an dieses Blog liest, Schwierigkeiten bereitet haben: Der gesuchte Autor heißt L. Frank Baum. Sein bekanntestes Buch ist The Wonderful Wizard of Oz, viel zitiert, seltener gelesen.

Interessanterweise ist die deutsche Übersetzung einer russischen Übersetzung/Bearbeitung des Wonderful Wizard ein Verkaufsschlager in der DDR und bis heute in den ostdeutschen Bundesländern. Alexander Wolkows Version, Der Zauberer der Smaragdenstadt, startete ebenso wie Baums eine lange Reihe von Zauberland-Geschichten, deren erste er noch selbst schrieb. Seit den 1990ern schreiben andere Autoren über sein Oz.

Lösung Nummer 9

Die Hoffnung, die hier gesucht wurde ist natürlich wieder englischer Natur. Anthony Hope schuf mit The Prisoner of Zenda vermutlich den klassichen Abenteuerroman schlechthin – zigmal adaptiert, parodiert, referenziert. Irgendeine der diversen Filmversionen – meist die mit Stewart Granger – wird immer mal im Fernsehen gezeigt. Auch die mit Peter Sellers sieht man hin und wieder. Und natürlich Blake Edwards The Great Race, dessen Sahnestück auch eine Parodie auf Zenda ist.

Leider viel zu selten wird Richard Lesters Adaption von George McDonald Frasers Royal Flash gezeigt. Bei Fraser trifft der feige Helden Harry Flashman auf Otto von Bismarck. Was – in der narrativen Zeit – später zum bekannten Abenteuerroman wird, ist für Flash beinahe tödlich ausgehende Realität.

Das Zitat stammte allerdings aus der in jeder Hinsicht erfolgloseren Fortsetzung Hopes, Rupert of Hentzau.

Lösung Nummer 10

Da waren einmal Three Men on a Boat, to Say Nothing of the Dog. Ihre humorvolle Reise die Themse hinauf war so erfolgreich, dass Jerome K. Jerome sie viele Jahre später noch einmal auf die Reise schickte. Diesmal gingen Three Men on a Bummel mit dem Fahrrad durch den Schwarzwald. Versuchen Sie übrigens nicht ‘Bammel’ auszusprechen, es handelt sich um den deutschen Bummel.

Beide Bücher waren, zumindest was die Grundidee angeht, Vorlagen für sehr erfolgreiche Spielfilme mit Heinz Erhardt, obwohl Immer die Radfahrer das Vorbild völlig unterschlägt.

Lösung Nummer 11

Wieder so ein Fall, bei dem selbst berühmte Erzählungen sehr stark von den Verlegern bearbeitet wurden, mit durchaus unterschiedlichen Zielen. Karl May war wieder [nicht] unterwegs, diesmal auf einem Schiff im Pazifik nahe Ceylon.

Genau wie der eine Generation ältere Charles Dickens veröffentlichte May neben kürzeren Erzählungen aus seiner erzgebirgischen Heimat [da war er immerhin], aus dem großen osmanischen Reich oder aus dem Wilden Westen, lange Romane in Zeitungen als Serie. Anders als beim englischen Romancier, überwältigte sein Hang zur Sentimentalität allerdings Geschichten und Charakter.

Lösung Nummer 12

Gut, die europäische Literatur fängt genau genommen ein Buch früher an,. nicht mit der Odyssee, sondern mit der Ilias. Und wer so richtig rechthaberisch sein möchte, kommt noch mit Gilgamesh um die Ecke.

Doch es ist die Odyssee, die von Anbeginn viel gelesen ward, die immer wieder Vorbild für Epen und Romane wurde. Sie ist auch – abgesehen von der technischen Umsetzung – der erste Road Movie!

Sieben der zehn Jahre, die der ithakische König nach Hause benötigt, besteht er übrigens keine gefährlichen Abenteuer, sondern vergnügt sich mit Calypso auf einer sonnigen Mittelmeerinsel. Er wird behaupten, sie hätte sich ihm an den Hals geworfen, er aber wäre standhaft geblieben … Arme Penelope, die sich tatsächlich der sexuellen Belästigung diverser Männer erwehren musste.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?