Exaktheit des Wortes

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Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Sprache dient der Kommunikation. So albern und schwächlich diese Feststellung ist, so oft wird sie uns vorgesetzt. Die Currywurst unter den Totschlagargumenten. Angerichtet wird sie uns gerne als Einwand in einer Diskussion zu ganz anderem Thema, als ein Pseudo-Metathema, das es erst einmal zu klären gilt. Und natürlich von den inoffiziellen Mitarbeitern einer nicht existenten Sprachpolizei.

Außerhalb ihrer linguistisch auf höchst wackeligen Beinen stehenden Nörgeleien, argumentieren Sprachschützer auch, dass zu erfolgreicher Kommunikation die Präzision des Ausdrucks gehört. Woher sie wissen, dass Absender und Empfänger einer Äußerung tatsächlich genau wissen, was ein benutztes Wort exakt bedeutet, bleibt offen.

Und eine Frage des Stils.

Bereits ein sehr oberflächlicher Blick in ein halbwegs brauchbares Wörterbuch – der deutsche Duden, Band 1, Wahrigs Deutsches Wörterbuch, Longmans DCE oder das [S]OED – zeigt uns, dass viele Wörter mehr als eine Bedeutung haben. Je nach Sprache kann ein Wort sogar ohne morphologische Änderung unterschiedlichen Wortkategorien angehören.

Sprachpräzision – das kann Vieles sein

Viele bekanntere Schriftsteller haben immer wieder gerne Ratschläge gegeben, wie man ordentlich schreibt. Wie man seinen Stil verbessert. Es finden sich überflüssige, banale, triviale und blödsinnigen Regeln darunter. eine, die selten ausgelassen wird, ist der gute Rat, doch genau das richtige Wort zu benutzen. Präzise zu sein.

I like the exact word, and clarity of statement, and here and there a touch of good grammar for picturesqueness […] 
[Autobiography of Mark Twain – the complete and authoritative Edition, V. 1, S. 119f]

[…] apart from avoidable ugliness, two qualities are common to all of them. The first is staleness of imagery; the other is lack of precision. The writer either has a meaning and cannot express it, or he inadvertently says something else, or he is almost indifferent as to whether his words mean anything or not. This mixture of vagueness and sheer incompetence is the most marked characteristic of modern English prose, and especially of any kind of political writing. […] [George Orwell. ‘Politics and the English Language’. Hervorhebung von mir]

Aber verstehen Twain und Orwell wirklich dasselbe unter Präzision? Auch wenn letzterer heute vor allem für zwei bitterböse Satiren bekannt ist, sind die meisten seiner Texte journalistischer Natur. Er erhebt damit zumindest den Anspruch der Objektivität[1]. Mark Twain kann man dies kaum nachsagen. Zwar begann auch er im Journalismus und schrieb Zeit seines Lebens für Zeitungen, allerdings immer mit dem Anspruch, den Leser witzig und komisch zu unterhalten. Die klassische Reportage war seine Sache nicht.

Seine Reisereportagen aus Europa A Tramp Abroad sind fast durchweg tall tales, Seemannsgarn der heftigsten Sorte. Alles äußerst unterhaltsam und das eine oder andere Detail mag ihm sogar widerfahren sein. Doch mit Journalismus hat das ganze nichts zu tun.[2]

Obwohl Orwell und Twain zur Schule der Für-den-einfachen-Mann-Schreiber gehören, benutzen Sie Präzision ganz unterschiedlich, weil sie mit ihren Texten ganz unterschiedliche Effekte erzielen wollen. Wo der US-Amerikaner vor allem unterhält und Aufklärung durch sanfte Komödie/Satire nebenher erledigt, ist Orwell an direkter, manchmal polemischer Erklärung der Welt interessiert. Die meisten seiner Texte zeigen auf einen Zustand und erläutern ihn journalistisch. Dafür benötigt er die Präzision des Wortes, wie ein Chirurg ein scharfes Skalpell benötigt. Twain sucht das Wort, das aus einem Satz Emotion macht.

Ganz genau

Schauen wir uns an, was ein Wissenschaftler unter sprachlicher Genauigkeit versteht. Er geht dabei methodisch sauber vor und definiert die Wörter, füllt inhaltlich, so dass Leser nicht durch mangelnde Eindeutigkeit falsche Schlüsse ziehen. Es ist genau dies, was Fachbeiträge so trocken und schwer lesbar macht. Ein Problem, dass sich mit der Rechtswissenschaft jeden Tag in unseren Alltag drängt. Gesetzestexte, Verordnungen, Kommentare, Urteile, Vertragstexte und und und – bei allen wird versucht, jedwede Mehrdeutigkeit heraus zu dampfen.

Der oben zitierte Gedanke Twains wird von ihm übrigens fortgeführt:

[…] but that reviewer cares for only the last-mentioned of these things. His grammar is foolishly correct, offensively precise. [Autobiography of Mark Twain – the complete and authoritative Edition, V. 1, S. 120]

Er sieht somit auch eine närrische Seite an Genauigkeit. Kein Wunder bei einem Autor, dessen Ruhm zu einem großen Teil an der Wiedergabe und Nutzung der Umgangssprache beruht. Da wird die Grammatik schon einmal verbogen bis der Saft aus der Sprache läuft[3], das Wort ganz gegen seine lexikalische Bedeutung[4] eingesetzt, um dem ganzen noch mehr Aroma zu verleihen.

[…] Except for the useful abbreviations i.e., e.g. and etc., there is no real need for any of the hundreds of foreign phrases now current in the English language. Bad writers, and especially scientific, political, and sociological writers, are nearly always haunted by the notion that Latin or Greek words are grander than Saxon ones […][George Orwell. ‘Politics and the English Language’.]

Nachdem Orwell erst auf der Genauigkeit des Ausdrucks besteht, kastriert er hier seine Möglichkeiten. Er schlägt Autoren vor, auf einen großen Topf voller Wörter zu verzichten, nur weil sie nicht Saxon sind. Meint er damit tatsächlich sächsisch, also die Sprache der Einwanderer und Eroberer ab ca. 500? Und warum sind so späte Spracheinflüsse den früheren durch die Römer [Latein und Griechisch] vorzuziehen? Was ist mit keltischen Wurzeln? Wenn er Latein und Griechisch zugunsten Saxon ablehnt, wie ist es dann mit den Einflüssen aus dem Französischen nach der normannischen Eroberung 1066?[5]

Stil

Das größte Vergnügen bereitet beim Lesen der persönliche Stil der Schreibenden. Wie sie Gedanken und Geschichten aufbauen. Wie sie Wörter einsetzen, um Effekte zu erzielen. Da gibt es Schriftsteller, die weiche, fließende Sätze schaffen, in denen sich Lesende verlieren. Andere lassen die Rezipienten immer mal wieder stolpern, indem sie ein Wort benutzen, das so gar nicht zu passen scheint. So manch lyrisch angehauchte sind am Zusammenklang von Wörtern interessiert.

DAS richtige Wort gibt es nun einmal nicht. Bleibt nur die schwache Version übrig, das Wort einzusetzen, von dem der Autor meint, dass es den von ihm beabsichtigten Zweck erfüllt. Das ist allerdings keine sonderlich gut vermarktbare Regel.

To get the right word in the right place is a rare achievement. To condense the diffused light of a page of thought into the luminous flash of a single sentence, is worthy to rank as a prize composition just by itself. . . . Anybody can have ideas–the difficulty is to express them without squandering a quire of paper on an idea that ought to be reduced to one glittering paragraph.
[Mark Twain. Letter to Emeline Beach. Februar 1868. S. 182f]

 

 

Anmerkungen

[1] Was nicht dasselbe wie Neutralität ist; als neutral sieht er guten Journalismus nicht.

[2] Aus diesem Buch stammt auch sein berühmter Angriff auf die deutsche Sprache. Sehr unterhaltsam, mit einem winzigen Körnchen Wahrheit. Wie der Rest des Werks aber vor allem eine Spitze gegen seine US-amerikanischen Landsleute, die natürlich immer alles wissen. Vor allem besser.

[3] Richtig, ich vermische schon wieder Metaphern. Neben Orwell wären auch die diversen Wolf Schneiders nicht besonders glücklich mit mir. Twain würde es vielleicht gefallen.

[4] Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich mal den Großteil der Schimpfwörter an.

[5] A propos Präzision: Meint Orwell modernes Griechisch oder Altgriechisch, das besser entsprechend gekennzeichnet wäre [Ancient Greek]?

 

Quellen

Mark Twain. Letter to Emeline Beach. Februar 1868. in: Mark Twain, Harriet Elinor Smith [ed.], Richard Bucci [ed.]. Mark Twain’s Letters, V. 2: 1867-1868. University of California Press, Berkeley CA, 1990.

Mark Twain, Harriet Elinor Smith et al. [ed.]. Autobiography of Mark Twain: The Complete and Authoritative Edition, Volume 1. University of California Press, Berkeley CA, 2010.

George Orwell. ‘Politics and the English Language’. Horizon, London, April 1946.

[bezogen von http://www.netcharles.com/orwell/essays/politics-and-the-english-language.htm]

später aufgelegt in:

Shooting an Elephant and Other Essays. 1950.
The Orwell Reader, Fiction, Essays, and Reportage. 1956.
Collected Essays. 1961.
Decline of the English Murder and Other Essays. 1965.
The Collected Essays, Journalism and Letters of George Orwell. 1968.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

8 Kommentare

  1. Das richtige Wort…

    “DAS richtige Wort gibt es nun einmal nicht.”

    Das ist schon wahr. Aber es gibt definitiv das FALSCHE Wort. Schau mal (Rilke):

    “Herr! Es ist Zeit.
    Der Sommer war ganz toll..”

    “Herr! Es ist Zeit.
    Der Sommer war sehr heiss..”

    “Herr! Es ist Zeit.
    Der Sommer war sehr gross..”

    ..

    Gruss
    Helmut

  2. Wort oder Formulierung

    Es scheint mir kein Zufall, dass vor allem in der englischen Sprache nach dem richtigen (oder exakten) Wort gesucht wird. Dort gibt es nämlich viel mehr Wörter als in anderen Sprachen. Während der Global Language Monitor on January 1, 2012 auf 1,013,913 Worte kommt sind es im Deutschen wohl nur halb soviel oder sogar weniger.

    Doch es sind nicht nur die Anzahl der Wörter, die zur Verfügung stehen, die hier einen Unterschied ausmachen sondern auch das Problembewusstsein bei der Sprachproduktion ist im Englischen und im Deutschen unterschiedlich. Ich erinnere mich noch an unseren Englischlehrer, der in Oxford studiert hatte, und der durch den ganzen Unterricht hindurch eine Wortfixierung zeigte. Im Deutschen war das richtige Wort jedoch kaum je das Thema. Technisch beschäftigten wir uns im Deutschen wenn schon mit der Flexion von unregelmässigen Verben und um das richtige Wort zu finden gab es das Synonymwörterbuch, doch das eigentliche Sprachproblem im Deutschen war die treffende Formulierung – und dabei spielte das richtige Wort nur eine untergeordnete Bedeutung. Vielmehr hatten wir den richtigen, das heisst passenden, Satzbau im Visier.

    Was unterscheidet nun Literatur von Alltags- oder Zeitungssprache? In einer Literatursendung meinte Roger Willemsen einmal die Verdichtung der Sprache mache die gute Literatur aus. Wobei der mit Verdichtung nicht einen Begriff aus der Poesie meinte, sondern die Dichte des Ausdrucks in Analogie zur physikalischen Dichte.

    Das wäre vielleicht sogar im Deutschen ein sinnvolles Mass für Exaktheit und Zielsicherheit des sprachlichen Ausdrucks.

  3. Der Artikel ist ja nicht schlecht, aber wenn schon von so verrückten die Rede ist, die die Sprache “sauber halten” wollen, wovon es im Deutschen ja auch mehrere gibt, wieso nehmen sie keine deutschen Schriftsteller als Beispiele?

  4. @Helmut Wicht

    Richtig, falsche Wörter gibt es reichlich, wie uns [deutsche] Journalisten jeden Tag beweisen.

    @Martin Holzherr

    Ob große/gute Literatur tatsächlich durch hohe Dichte gekennzeichnet ist, müsste ich genauer untersuchen. Mark Twain z.B. liebte die ausschweifende Erzählung, bei der ein Satz mit Thema anfängt und zu einem völlig anderen Thema B führt, ohne A zu Ende zu bringen.

    Es wäre auch immer noch zu klären, was genau denn verdichtet wird – Information, Emotion oder etwas ganz Anderes?

    @Hans

    Zum einen gibt es die Sprachreinhalter auch für die englische Sprache, nicht unähnlich dem deutschen VDS. Linguisten wie Mark Lieberman oder Geoff Pullum beschäftigen sich mit denen immer wieder ungern im Languange Log.

    Außerdem bin ich Anglist/Amerikanist und gebe offen zu, dass die deutsche Literatur bei mir nur am Rande vorkommt. Es gibt einige Autoren, deren Bücher ich sehr schätze, wenige nach 1945, sehr viel mehr aus der Zeit zwischen 1850 und 1930. Doch auch diese eher kursorisch.

    Über die linguistischen Albernheiten deutscher Sprachschützer finden Sie bei den drei Linguistinnen im Sprachlog regelmäßig Beiträge. Die einzige Verbindung zur deutschen Literatur, die ich für meinen Artikel erwogen hatte, war der Aufruf alter Schriftsteller Mitte der 1990er gegen die Rechtschreibreform. Sie sehen, dass ich diesen Aspekt klugerweise gestrichen habe.

  5. Irgendwie wundert es mich nicht, das es “Sprachreinhalter” in anderen Sprachen auch gibt. Nun, solange die mir mit ihrem Reinheitswahntick nicht auf die Nerven gehen, sollen sie machen. Der Mensch muss ja was zu tun haben…

    Außerdem bin ich Anglist/Amerikanist und gebe offen zu, dass die deutsche Literatur bei mir nur am Rande vorkommt.

    Ah ja. Auf die Idee bin ich dann auch gekommen aber schön, dass Sie es noch mal bestätigen.

    Was das Weglassen angeht: Nun, ich hätte Orwell’s Animal Farm und 1984, von denen ich annehme, dass Sie die oben im Text meinen, auch nicht für Satire gehalten, und wollte dem entsprechend was schreiben. Dann hab ich mich noch mal informiert und festgestellt, dass das durchaus passt. Ich würde aber zumindest 1984 trotzdem lieber unter dem Stichwort Dystopie einordnen. Bei Animal Farm bin ich mir nicht sicher, zielt aber in die selbe Richtung; zumindest was den Schluss angeht.

    Ach ja, und den Hinweis auf die Moderation hab ich auch nicht sofort gesehen. Der könnte noch etwas deutlicher hervor stechen.

  6. @ Dierk Haasis

    Was Martin Holzherr zur englischen Sprache sagt, sehe ich auch so.
    Die deutsche Sprache wird aber als vielgestaltig, auch blumenreich… bezeichnet.
    Um noch eine 3. Sprache zu nennen – die nach viel Forschung gefunden wurde und als Grundlage vieler Sprachen diente – das Sumerische. Auch hier sagen die Übersetzer, dass sie eine recht vielseitige und dynamische Sprache war. Heute haben wir damit ein Problem, weil über Dinge/Vorgänge berichtet wird, die wir nur unter High-Tech einordnen können, z. B. Dr. Burgard: Encheduanna – aber auch die anderen Epen.
    Wenn Dr. Blume die Beispiele die ich aus den Ergebnissen von 170 Jahre Forschung im mesopotamischen Raum als Sumer-UFO-Spam bezeichnet den er löschen muss, dann ist es wohl nicht bloß eine falsche Wortwahl, sondern auch der falschen Auffassung gewidmet, dass wir praktisch allein im All sind – was er in seinem sciebooks „Sind wir allein im All“ suggeriert: http://www.amazon.de/…ume+Sind+wir+allein+im+All mit meiner Rezension.
    Es ist nicht nur das geschriebene Wort, sondern auch seine politisch/wissenschaftliche Akzeptanz!

  7. Startseite

    Hallo,

    bitte um Nachsicht, dass ich hier in den Kommentar reinschreibe; eine E-Mail-Adresse habe ich nicht gefunden.

    Fehlt in diesem Einleitungssatz nicht etwas? Anders als in den Naturwissenschaften gibt es in den…?

    “Anders als in den Naturwissenschaften gibt es keine allgemeingültigen Methoden, da wir nicht die Phänomene der Welt selbst beobachten, sondern die Beobachtungen und Experimente anderer anschauen.”

    Nix für ungut, schöne Grüße

  8. @Rolf wg. ‘Über das Blog’

    Stimmt. Danke, ist bisher noch niemandem aufgefallen. Wird geändert.