Kritik und Bewunderung

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Beim letzten Mal haben wir gesehen, dass selbst höchst bewunderte Schriftsteller nicht vor Kritik sicher sind. Nicht nur der Fanboy reagiert dann gerne mit

Dann mach es doch besser!

Unabhängig davon, welchen Kritikbegriff wir anwenden, ist das natürlich Blödsinn. Der Job des Kritikers ist kritisieren, nicht Regie bei einem Film oder Theaterstück zu führen, zu schauspielern oder einen Roman zu schreiben. Der Kritiker muss kritisieren können. Kritik dient zuerst einmal dazu, dem Kritisierten Ansporn zu sein, beim nächsten Mal Fehler zu vermeiden, handwerklich sauberer zu arbeiten, ganz allgemein: besser zu sein.

Nun gibt es verschieden Formen von Kritik, die durchaus unterschiedliche Zielrichtungen haben. Um das gleich auszuschalten, die Jubelarien aus Pressemappen, die wir beispielsweise in Kundenmagazinen von Fast-Food-Restaurants finden, sind keine Kritik, sie sind Verkaufsgespräch. Das gleiche gilt für viele Film-, Buch-, Musik-Empfehlungsseiten in boulevardesken Zeitschriften und TV-Sendungen.

Die interessanteste ist die, die uns viel mehr über den Kritiker verrät, als über das von ihm besprochene Werk. Nehmen wir nur die Beispiele vom letzten Mal, Crosby und Tolstoi. In beiden Fällen lernen wir sehr viel über die Weltsicht dieser beiden, aber recht wenig über Shakespeare. Im Falle des russischen Grafen bekommen wir Einblicke in sein idiosynkratisches Christentum und vor allem die daraus folgende Ästhetik, anhand derer er Shakespeares Werk geradezu verdammt.

In Tolstois Fall haben wir es nicht mit einem professionellen Kritiker, sondern einem Schriftsteller zu tun, der nebenher auch mal Literaturkritik betreibt. Wir können somit durchaus prüfen, ob er seine eigenen Ansprüche erfüllt. Hat Tolstoi in seinen Werken es besser gemacht, als er es Shakespeare vorwirft?

Die Antwort überlasse ich jenen, die sich mit ihm besser auskennen als ich. Aber auch hier ist die Aufforderung es besser zu machen falsch. Es geht darum zu untersuchen, ob ein Schriftsteller seinen eigenen Kriterien gerecht wird, oder wie er konkret von diesen abweicht – und warum.

Auch bei Nur-Kritikern, gerade bei jenen, die keine tiefen Analysen schreiben, sondern eher kurze, schnelle Beurteilungen von neu anlaufenden Filmen oder gerade erschienen Büchern. Menschen wie Elke Heidenreich, Roger Ebert oder auch Denis Scheck*. Als Rezipient dieser Empfehlungen sollte man schon wissen, was den jeweiligen Kritiker antreibt, was er in einem Werk sehen will. Nur dann kann man beurteilen, wie weit ein Buch oder Film die eigenen Erwartungen erfüllen wird.

Machen wir uns da nichts vor, da wir nicht alles anschauen, nicht alles lesen können, benötigen wir eigene Kriterien, ob uns etwas gefallen kann – z.B. bestimmte Genres oder Themen –, auch halbwegs verlässliche Filter. Unsere Vorurteile sind notwendig, um uns handlungsfähig zu halten – wir müssen aber offen bleiben, sie zu ändern. Ein Hilfsmittel dazu ist die Kritik.

 

 

*Ebert und Scheck machen auch längere, analytische Stücke, klassische Literaturwissenschaft. Hier geht es um die publikumswirksame Konsum-Film- und Buchkritiken.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

2 Kommentare

  1. Erstmal selber besser machen!

    Danke sehr! Gute Überlegungen zum Sinn von Kritik! Dies soll keine Jubelarie sein, daher folgende (klassische) Kritik: Na, neu ist das ja nicht gerade. Lessing hat das vor fast 250 Jahren so aufgeschrieben: “Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt.” Das fand ich einen interessanten Fund.

    Mir stellt sich aber die Frage, inwiefern die Kritik wirklich vom Verkaufsgespräch abgrenzbar ist. Denn dass Verleger den Kritikern ihre Werke umsonst geben (und zudem noch die Kritik-Plattformen betreiben), ist doch ein klares Indiz dafür, dass jede Kritik auch(!) Werbecharakter hat.
    Beim Verriss ist das natürlich nicht erkennbar, aber der Verriss wirbt vermutlich für die Konkurrenz.

  2. Die Kritik als Stachel im Fleisch

    Nicht umsonst spricht man von “vernichtender Kritik”, denn vernichtend kann eine Kritik sein, wenn sie die ganze Anstrengung und Ambition, die in einem Werk steckt als nichtig darstellt.
    Das muss ein Schrifsteller empfinden wie eine Entlassung, als Ansage der Art: Mach gescheiter etwas anderes.
    Dabei kann der so Gemeinte oft gar nichts anderes und sein ganzes Leben hängt an seinem Werk.

    Liest man Interviews und Tagebücher von gewissen Schrifststellern hat man den Eindruck, gewisse Kritiker gehörten zu ihren Todfeinden und verfolgten sie bis in den Schlaf. Peter Handke äusserste sich kürzlich, aber auch schon vor vielen Jahren so über Marcel Reich Ranicki.
    Er ist aber überhaupt keine Ausnahme wie das Buch Tod eines Kritikers zeigt, das zufälligerweise den gleichen Kritiker in anderer Gestalt zur Figur macht.