“Oans, zwoa, gsuffa!”

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Das Oktoberfest gilt allgemein als das größte regelmäßige Besäufnis auf der ganzen Welt. Was wäre wohl, wenn die Trinker, wie zu einer Verschwörung verabredet, alle kiffen würden?
Zeter und Mordio – das wäre das Ergebnis. Aber mit einem “Fetz´n Rausch”, wie der Bayer zünftig sagt, da hat man in München und speziell während der Wies´n, null problemo. Ein bayrischer Minister konnte im Freistatt sogar betrunken einen Rentner totfahren und dennoch Minister bleiben. Der einstige Landesvater Beckstein konnte öffentlich den Genuss von “ein oder zwei Maß” (was einen ziemlich sicher in einen benebelten Zustand von rund ein Promille befördert) schönreden – ohne dass sich ein Aufschrei der Entrüstung erhob, mit entsprechenden Konsequenzen für seine politische Laufbahn.
Es ist schon seltsam mit diesem “größten Volksfest der Welt”: Dirndl und Lederhos´n suggierieren Brauchtum und Volksfest – und gleichzeitig ist das ganze Spektakel eine unverhohlene Aufforderung zum Drogenkonsum. Die Zahl der Hektoliter wird am Schluss stolz bilanziert, genau wie die Anzahl der am Spieß gebratenen Ochsen.

So wie die Beduinen der Wüste eine Fülle von Namen für Sand haben und die Eskimos für Schnee – so unterscheiden die Bayern, wer wundert sich, sage und schreibe 26 (!) verschiedene Varianten und Stufen des Bierrausches. Das beginnt mit 0 = nüchtern (sehr problematisch), gefolgt von

1 = suri (frei übersetzt: leicht bedudelt)
2 bis 25 = (es würde zu weit führen, diese Zustände hier alle vorzustellen)
25 = “a Fetz´n Rausch”
26 = Saurausch (sehr problematisch)

 

Ich verdanke diese Liste der Kolumne “Kratzers Wortschatz” in der Süddeutschen Zeitung vom 24. September. Dort wird den wunderbaren Wörtern und Wendungen des boarischen Dialekts nachgegangen und man vertraut gemacht mit so wunderbaren Begriffen wie dramhappert – was man sinngemäß etwa mit “traumselig” übersetzen darf. Ein Begriff, der vielleicht am besten umschreibt, warum es so viele Menschen ins Bierzelt zieht. Denn von bierseelig zu dramhappert ist der Weg nicht weit.

Die ganze Verlogenheit unserer Gesellschaft ließe sich an dem festmachen: Wenn sie sturzbetrunken von der Polizei erwischt werden und nichts kaputtgeschlagen haben (Mensch oder Maßkrug oder was auch immer), bekommen die Säufer wahrscheinlich nur eine väterliche Ermahnung und werden freundlich zum nächsten Taxi weitergeleitet. Wenn sie jedoch gekifft haben und leichtsinnigerweise ein paar Gramm Stoff noch irgendwo bei sich herumtragen, sind sie schon dick in der Tinte. Im “Handbuch der Rauschdrogen” habe ich mich mit meinem Kollegen Wolfgang Schmidbauer seit 1971 sehr ausführlich mit dieser paradoxen Situation befasst, die das Weltereignis Oktoberfest mir jedes Jahr sehr nachdrücklich in Erinnerung ruft.

 

Mutter, der Mann mit dem Koks ist da

Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass die Speeddroge Koks sich in der Schickeria nicht nur Deutschlands in den 1980er Jahren auszubreiten begann, als die Banker und Wirtschaftsbosse immer gieriger, leichtsinniger und größenwahnsinniger wurden – was man recht gut parallel setzen kann zu den Wirkungen von Kokain? Wenn man den Berichten in den Medien trauen darf, war – und ist – Koks als Aufputschmittel, bei den Börsianern recht weit verbreitet – weil sie anders diesen beruflichen Irsinn gar nicht durchstehen. Das war schon in den Roaring Twenties so, als Grete Weise im Gassenhauer beseeligt sang: “Mutter, der Mann mit dem Koks ist da -” Danach begann, rein zufällig, bald der Zweite Weltkrieg. Adolf Hitler war zwar einer noch gefährlicheren Droge verfallen, dem Größenwahn des Gottgesandtseins bei gleichzeitigem Atheismus; aber einer seiner treusten Gefolgsleute und Reichsfeldmarschall der Luftwaffe, Hermann Göring, hat ordentlich Drogen jeder Art konsumiert.

Aber ich will nicht in diesem allgemeinen Drogen-Labyrinth herumwandern, so verführerisch das dieser Tage ist, sondern mit Ihnen nur in einige labyrinthische Bierkeller hinuntersteigen, die in den Medien recht beliebt sind. Die Wies´n ist übrigens fraglos für jeden, der dort durch die Menschenmassen und den Höllenlärm irrt, ganz fraglos das, was man als Irrgarten bezeichnen muss. Sie besteht zwar nur aus vier gut unterscheidbaren Straßen und knapp einem Dutzend Quergassen mit den großen Bierzelten und unzähligen Karussels, Schießbuden und anderen Schaugeschäften – aber schon ohne entsprechenden Bierkonsum, noch ganz nüchtern, ist es fast unmöglich, sich in diesem quirligen Betrieb zurechtzufinden. Da hilft nur eines: “Wir treffen uns beim Riesenrad, falls wir uns aus den Augen verlieren sollten.” Denn das Riesenrad kann man leicht von überall her im Süden des Geländes ausmachen (oder auch die erhöht stehende Kolossalfigur der Bavaria).

 

Thomas Wolfe geriet in eine wüste Schlägerei

Viele Autoren haben dem Oktoberfest einen Besuch abgestattet und darüber berichtet, darunter Ödön von Horváth und Thomas Wolfe (nachzulesen im Literaturportal Bayern).

In „Carl Gabriel’s Abnormitäten“ oder „Beim Schichtl“ fand er um 1930 die Vorlage für die Abnormitäten-Schau in seinem Volksstück Kasimir und Karoline, das er ursprünglich „Die Wiesenbraut. Ein Abend auf dem Oktoberfest“, später dann „Achterbahn und Wiesenbraut“ nennen wollte. Schade, dass sich die Schriftsteller Ödön von Horváth und sein amerikanischer Kollege Thomas Wolfe auf dem Oktoberfest nicht begegnet sind. Sie hätten sich viel zu erzählen gehabt. Im Oktober 1928 besuchte der damals noch völlig unbekannte Wolfe aus North Carolina zum vierten Mal Europa. Der Sohn eines deutschstämmigen Steinmetzen interessierte sich für den Kontinent seiner Vorfahren und machte mehrere Wochen in München halt. Auf dem Oktoberfest geriet er in eine wüste Schlägerei, die er selber angezettelt hatte. Seine Eindrücke und Erlebnisse verwandelte er zehn Jahre später in seinem Roman Geweb und Fels (1938) in Weltliteratur.

In der Anthologie “Wies´n-Liebe” hat Claudia Wessel, Lokalredakteurin der Süddeutschen Zeitung, moderne Kurzgeschichten bekannter Autorinnen und Autoren wie Christine Grän, Fabienne Pakleppa, Manfred Schauer und Asta Scheib zusammengetragen. Sie geben zugleich die Stimmung und das Wesen der Wies´n in unseren Tagen sehr gut wieder.

 

Allgegenwart des Labyrinth-Mythos: Vier Bierkeller

Mit Dionysos, dem Gott des Rausches*, haben wir übrigens auch noch eine direkte Verbindung zum Labyrinth-Mythos: Eine der beiden Varianten, weshalb Theseus einst die kretische Königstochter Ariadne auf de Insel Naxos zuirückließ, besagt, dass er dies aus Respekt vor Dionysos tat, dem Ariadne als junge Prinzessin versprochen worden war. Diese Variante hat Hugo von Hoffmannsthal in senem Libretto für Richard Wagners Oper “Ariadne auf Naxos” bevorzugt (s. Quellen). Die andere Variante besagt, dass der athenische Held ihrer überdrüssig war und sie schmählich auf der Insel sitzen ließ. An die 40 Opern befassen sich mit diesem Opfer oder Verrat – je nachdem, welche Variante bevorzugt wird.
* In Bayern hat ihm ein anderer den Rang abgelaufen: Gambrinus, der angeblich das Bier erfunden hat und in vielen Wirtschaften und Haushalten durchaus als Hausgott durchgehen darf.

 Ein richtiges Labyrinth, das sich auch so nennt, gibt es natürlich auch auf dem Oktoberfest. Es handelt sich allerdings um ein Spiegelkabinett, also einen Irrgarten:

Abb.: Das Labyrinth auf dem Oktoberfest (Aufnahme: J. vom Scheidt)

Doch nun lassen Sie uns in einige Labyrinthe hinabsteigen, in deren verwinkelten Gängen das köstliche Nass gebraut und gelagert wurde, zum Teil bis auf den heutigen Tag.

Augustinerbräu in München

Die Münchner und ihr Lieblingsbier, das ist eine eigenartige Geschichte: Die Brauerei macht keine Werbung, hat aber fast eine Monopolstellung [in der Landeshauptstadt].
Es liegt im Selbstverständnis eines Unternehmens, dass es die eigene Popularität allein der Qualität des Produkts zuschreibt.Augustiner möchte die beste Brauerei sein, kein Nutznießer falscher Wachstumsbewegungen, kein Globalisierungsgewinnler des Münchner Biermarkts. Beim Rundgang durch die labyrinthische Brauerei, seit 1885 auf demselben Gelände am Anfang der Landsberger Straße, geht es auch Roland Bittl genau darum: die Momente im Herstellungsprozess sichtbar zu machen, die Augustiner von den Standardverfahren anderer Großbrauereien unterscheidet. Das Vermeiden von »Stress« für die Rohstoffe ist dabei das Leitmotiv – auch die Bevorzugung liegender Tanks während der Biergärung wird von Bittl in dieser Hinsicht erklärt.

Unionsbräu in München

Ludwig Hagn braucht keinen Wetterbericht. Wenn er wissen will, ob es bald zu regnen beginnt, steigt der Wiesnwirt die Treppen in den Keller seines Unionsbräu in der Einsteinstraße hinab. Dann schaut er auf die Glasscheiben im hinteren Teil seiner kleinen Hausbrauerei. Wenn sie von Kondenswasser überzogen sind, „dann kummt a Weda”. Dann steigt Hagn wieder in seine Wirtschaft hinauf und schafft den Bedienungen an, die Sonnenschirme im Wirtsgarten zu schließen und auch sonst alles, was nicht niet- und nagelfest ist, vor dem drohenden Unwetter in Sicherheit zu bringen.
Wiggerl Hagn, wie ihn die Münchner nennen, hat aber nicht nur wegen der verlässlichen Wettervorhersage Respekt vor seinem Keller, sondern weit mehr wegen seiner Geschichte. Schließlich gehörte dieses Gewölbe einst zu einem unterirdischen Labyrinth, das sich von der früheren Äußeren Wiener Straße, die heute Einsteinstraße heißt, bis zum Nockherberg hinzog. Heute ist davon nicht mehr viel übrig, nur Hagns Bier- und Brauereikeller sowie die angrenzenden ehemaligen Gewölbe. in denen mittlerweile die Jazzbühne Unterfahrt und Übungsraume für diverse Musiker untergebracht sind.

Im Hinterhof der Wirtschaft “Unionsbräu” und ihrem Geheimtipp von Biergarten befindet sich die “Akademie U5”, eine vielfach ausgezeichnete Privatschule für Grafikdesign und moderne Medien. In deren die Kreativität und Phantasie anregenden Räumen haben wir vom IAK schon manches unserer Schreib-Seminare durchgeführt. Diese Akademie wurde eingerichtet in dem einstigen Gebäude der Unionsbrauerei, die als solche schon seit langem nicht mehr existiert (von der kleinen Versuchsbrauerei in den Kellern der gleichnamigen Wirtschaft mal abgesehen).
Aber wenn auch nur noch eine Plakette neben dem Eingang der Akademie an das frühere Sudhaus erinnert: Der Geist der Brauerei ist offenbar noch immer präsent. Das belegen nicht nur die eindrucksvollen Arbeiten der Absolventen der Aikademie mit ihren Auszeichnungen, sondern auch viele der Texte, die dort in unseren Seminaren entstanden sind. Wie man daran sieht, sind Bier und Kreativität – wie überhaupt der Einfluss von Rauschdrogen auf den schöpferischen Prozess und die Phantasie – durchaus auch positiv zu betrachtende Phänomene. Die allerdings leider vielfach auch überschätzt worden sind und immer noch überschätzt werden.


Nürnbergs Felsenkeller

Rauch empfängt die Besucher, und aus dem Rauch springt auf einmal der Titelheld heraus: Ein Held in Lumpen ist er, ein versprengter, verzweifelter Soldat, der seine Gefolgschaft in ein Lazarett führt, das überquillt von menschlichem Leid. Es ist eine verstörende Szene, weil sie sich bezieht auf die wahre Geschichte des Nürnberger Felsenkellers. Im Zweiten Weltkrieg fanden hier viele Bürger Zuflucht vor den alliierten Luftangriffert, seit Anfang 1943 gehörten Bombardements zum Alltag der Nürnberger. Ober in den Straßen fanden viele tausend Menschen den Tod. In den Gängen zeugen noch Schilder in altdeutscher Schrift von dieser dunklen Periode. „Ruhe bewahren” steht da, und auch: „Gerüchte verbreiten ist Landesverrat.”
Ursprünglich diente das Felsenlabrinth der Lagerung von Bier, per Verodnung hatte der Rat der Stadt am 11. November 1380 verfügt, dass ein jeder, der Bier brauen und verkaufen wollte, einen eigenen Keller besitzen musste, „zehen schuch tieff und sechzehen schuch weit”. Im festen Sandstein unter der Kaiserburg entstand so nach und nach ein mehrstöckiges System von Nischen, Gängen und Räumen, das durch raffiniert angeordnete Schächte belüftet wird
.

Im Untergrund von Schwandorf

Es ist kalt hier unten. Die kleine Besuchergruppe rückt enger zusammen. Ein Mann zieht den Reißverschluss seiner Jacke zu, ein Mädchen hüpft von einem Bein aufs andere. Im Schwandorfer Felsenkeller-Labyrinth in der Oberpfalz herrschen auch im August acht Grad – die perfekte Temperatur zur Gärung und Lagerung von Bier. Das fanden auch die Menschen am Ende des 15. Jahrhunderts und schlugen die ersten Keller in den Eisensandstein des Schwandorfer Berges. Mit der Zeit entstanden immer mehr Räume. Heute gibt es regelmäßig Führungen durch die denkmalgeschützte Anlage.
Um 1850 habe es in Schwandorf etwa 80 sogenannte Brauberechtigte gegeben, sagt Felsenkellerführer Hans Hermann. „Da ist es ganz schön rund gegangen. Bier wurde nicht getrunken – Bier war Nahrungsmittel.” Auch Kinder seien damals „ordentliche Biertrinker” gewesen. Später dienten die Räume dann als Kohle- oder Eiskeller sowie als Lagerstätte für etwa Kartoffeln, Rüben, Spirituosen, Würste und Kaffee – ein gefundenes Fressen für die „Kellerdiebe” von 1931/32.
Diesen drei Langfingern verdanken es die heutigen Besucher, dass sie durch ein Felsenkeller-Labyrinth laufen können. Denn anfangs gab es zwischen den Räumen noch keine Verbindungen. Die Diebe brachen in die Unterwelt ein und schlugen mit schwerem Werkzeug Schlupflöcher in die Kellerwände – so verbanden sie etwa 60 der rund 130 Keller miteinander. „Eine Schweinearbeit” müsse das gewesen sein, sagt Hermann.
Das eigentliche Labyrinth, wie es heute aussieht, hat allerdings der Archäologe und Felsenkeller-Beauftragte Hans-Werner Robold geschaffen. Der 58-Jährige ließ die schmalen Löcher zu Durchgängen erweitern und Ziegelbögen zur Sicherung errichten.

 

Um Rauschdrogen…

… geht es in einem gewissen Sinn auch im übernächsten Beitrag: Im Fazit zur Explosion einer Fliegerbombe mitten in München-Altschwabing vor einem Monat, mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Quellen
Becker, Astrid: “Das Labyrinth im Untergrund”. In: Südd. Zeitung Nr. 240 vom 18. Okt 2011, S. R 04
Bernard, Andreas: “Das Augustiner-Gefühl”. In: Freitag-Magazin der Südd. Zeitung Nr. 38 vom 23. Sep 2011, S. 36
Cornelius, Christine (dpa): “Schwandorfer Labyrinth”. In: Südd. Zeitung Nr. 195 vom 25. Aug 2011, S. R 19
Deininger, Roman: “Orpheus in der Nürnberger Unterwelt”. In: Südd. Zeitung Nr. 166 vom 22. Juli 2010, S. ??
Dohnáni, Christoph von (Dirigat), Guth, Claus (Regie), Dietrich, Ronnie (Dramaturgie): Ariadne auf Naxos. Aufführung im Opernhaus Zürich Dezember 2006 (Blu-ray). Arthaus Musik GmbH (Uraufführung der 1. Fassung: Stuttgart 1912 – Uraufführung der 2. Fassung: Wien 1916)
Hofmannsthal, Hugo von (Libretto) und Richard Strauss (Musik): Ariadne auf Naxos. (Berlin 1912/1916_Fürstner). Mainz 1987 (Fürstner)
Horváth, Ödon von: Kasimir und Karoline (1930)
Kratzer, Hans: “Im Bett flacken und die Lätschen hängen lassen”. Kolummne “
Kratzers Wortschatz” in: Südd. Zeitung Nr. 221 vom 24. Sep 2012, S. R 21 (Lokalteil)
Schmidbauer, Wolfgang und Jürgen vom Scheidt: Handbuch der Rauschdrogen. (München 1971 / 11. Ausgabe 2003_Nymphenburger Verlagshandlung). (Taschenbuchausgabe: Frankfurt am Main Nov 2004 / 11. Ausgabe – Fischer TB)
Wessel, Claudia (Hrsg.): Wies´n-Liebe. München 2010 (Konkursbuch-Verlag)
Wolfe, Thomas: Geweb und Fels. 1938

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem Willkommen im Labyrinth des Schreibens und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

217 / #818 / 568 / BloXikon: Rauschdrogen und Kreativität / Oktoberfest

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

7 Kommentare

  1. @Jürgen vom Scheidt

    Bekifft auf dem Oktoberfest?

    Das wäre, im Sinne des derzeitigen Bewußtseinszustandes der Masse, dann leider immernoch nur Bewußtseinsbetäubung.

  2. Nur eine kleine Randbemerkung: Hitler war sicherlich kein orthodoxer oder reformatorischer Christ, dies macht ihn aber nicht zu einem Atheisten. Ich weiß nicht, warum diese Behauptung immer wieder aufgestellt wird. Hitler wandte sich explizit gegen den aus seiner Sicht atheistischen Bolschewismus und jüdischen Materialismus, der die von Gott zugedachte Rolle des deutschen Volks gefährdete.

    Ansonsten ein sehr lesenswerter Artikel.

  3. @G.J., @ vom Scheidt: Hitler+Christentum

    Hitler war kein Atheist,sondern ein Katholik durch Erziehung, der die Kirchenhierarchie ablehnte und Christus auf seine Weise sah. Der Satz: ” Adolf Hitler war zwar einer noch gefährlicheren Droge verfallen, dem Größenwahn des Gottgesandtseins bei gleichzeitigem Atheismus; “ trifft also nicht zu. Wer sich kurz über die religiösen Ansichten Hitlers informieren will, dem sei der Wikipedia-Artikel Religious views of Adolf Hitler empfohlen. Man entnimmt ihm, dass
    – Hitler sich privat gelegentlich negativ über das klerikale, organisierte Christentum äusserte
    – Hitler in “Mein Kampf” und in seinen Reden immer wieder vom Glauben an die Vorsehung und an Gott als Schöpfer der Welt sprach
    – Hitler Jesus als Führer und als Judenfeind sehen wollte, dessen Botschaft zu einer Friedensbotschaft verfälscht wurde
    – Hitler sich immer wieder von einem katholischen Priester in religiösen Fragen beraten liess
    – Hitler oft Atheismus gleich setzte mit Bolschewismus, Kommunismus, und jüdischem Materialismus. Zitat aus einer Radioansprache: “We have put an end to denial of God and abuse of religion”
    – Hitler knüpfte Kontakte zu antisemitischen Msulimen des nahen Ostens und bedauerte im Vergleich Christenum/Islam Demut/Sanftmütigkeit und Schlaffheit des Christentums.

    Hitler wollte natürlich auch die Gläubigen und Kirchen auf seine Seite ziehen. Folgende Zitat aus einer Rede in Koblenz 1934 geht woll auf diese Absicht zurück: “National Socialism neither opposes the Church nor is it anti-religious, but on the contrary, it stands on the ground of a real Christianity. The Church’s interests cannot fail to coincide with ours alike in our fight against the symptoms of degeneracy in the world of today, in our fight against the Bolshevist culture, against an atheistic movement, against criminality, and in our struggle for the consciousness of a community in our national life, for the conquest of hatred and disunion between the classes, for the conquest of civil war and unrest, of strife and discord. These are not anti-Christian, these are Christian principles”

    Fazit: Hitler war kein Atheist aber auch kein demütiger Christ. Seine Rassenlehre war ihm wichtiger als das Christentum, das für ihn auch ein Instrument war, um Anhänger zu gewinnen.

  4. Hitler war wohl wirklich kein Atheist

    Da habe ich mich leider im Eifer des Gefechts vergallopiert. Vor allem: “Atheist” kann vieles sein.
    Natürlich war Hitler kein dedizierter Atheist – sein eigenes Charisma schöpfte wohl viel aus seiner eigenen Überzeugung, “von der Vorsehung” gesandt zu sein. Er war m.E.eher Pantheist, wie so mancher Nazi, der das etablierte Christentum ablehnte und doch nicht ganz “ohne Religion” sein wollte.
    Was ich eigentlich ausdrücken wollte: So einer wie Hitler ist in seiner Zerstörungswut und seinem grenzenlosen Selbstüberschätzung (vulgo Narzissmus) niemand, der an irgendeine “Höhere Macht” glauben kann, denn dann müsste er ja für seine Untaten Strafe fürchten – es sei denn, er war überzeugt, das Richtige und “Gutes” zu tun. Das aber grenzt schon an Psychose. in der Verkennung der Wirklichkeit.
    Wie es wirklich in ihm ausschaute, werden wir nie wissen.

  5. @Jürgen vom Scheidt

    “… Strafe fürchten …”

    – aber nur wenn man die Metaphern und Gleichnisse der Bibel und das schicksalshafte Menschsein nicht annähernd verstanden hat und leichtfertig-gewohnt den systemrationalen UNSINN der “christlichen” Kirchen als absolute Wahrheit glaubt, bzw. stehenläßt!

  6. Rausch und Psychose

    Das Oktoberfest als grösstes regelmässiges Besäufnis der Welt kann auch als ritueller Rausch aufgefasst werden, zumal auch beim Oktoberfest eine Art Gemeinschaft entsteht
    Zum Rausch gehören (Zitat Wikipedia)“Störungen von Bewusstseinslage, kognitiven Fähigkeiten, Wahrnehmung, Affekt und Verhalten oder anderer psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen.”
    Damit sind wir schon nahe bei psychopathologischem Verhalten, was in pathologischen Räuschen ja tatsächlich vorkommen kann. Und von hier spannt sich der Bogen zu eine Person (Zitat)“wie Hitler in seiner Zerstörungswut und seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung”, der vielleicht (Zitat)“überzeugt [war], das Richtige und “Gutes” zu tun.”

    Ein solcher Geisteszustand aber (Zitat)” grenzt schon an Psychose. in der Verkennung der Wirklichkeit.”

    Hier scheint eine wichtige Erkenntnis durch. Nämlich die, dass bestimmte Selbsteinschätzungen und Charakterzüge von Charismatikern – selbst von Leuten, die gesellschaftlich wichtige Positionen einnehmen -, auf Geisteszustände hindeuten, die an Psychose grenzen oder an permanente pathologische Räusche erinnern.

    Tatsächlich gibt es Psychologen, die bei Hitler, aber auch bei bekannten westlichen Industrieführern der jüngeren Vergangenheit eine Psychopathie diagnostizieren. Die Diskussion wie weit sich alltagstaugliches Verhalten und Psychopathie vertragen wurde kürzlich wieder im Zusammenhang mit Anders Breivik, dem norwegischen Massenmörder, diskutiert. Die Frage ob Breivik ein “Psychopath oder kalkulierender Terrorist” sei, muss wahrscheinlich so beantwortet werden: Breivik ist ein Psychopath und kalkulierender Terrorist. Beides scheint zusammengehen zu können. Nicht alle Menschen die “funktionieren” sind geistig gesund. Das ist eine Erkenntnis, der sich viele entziehen wollen, zumal sich die Frage nach den Konsequenzen einer solchen Erkenntnis stellt. Was soll man tun mit solchen Leuten und wie soll man die Schuldfrage beantworten?

    Eine Konsequenz ist eben auch, dass das was ich hier zu Hitler und Breivik geschrieben habe nicht off-topic ist, wenn es um das Oktoberfest geht. Im (Zitat) “26 = Saurausch (sehr problemtatisch)” ist man zwar nicht mehr zu verantwortlichem und gezielten Handeln fähig, aber im selten vorkommenden pathologischen Rausch, der sich schon nach geringen Alkoholmengen einstellen kann, teilweise schon, auch wenn dazu paranoide Ideen und aggressive Erregung gehören.

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