Energiewende – Ende der Ökologiebewegung?

BLOG: Landschaft & Oekologie

Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
Landschaft & Oekologie

Die Ökologiebewegung kann ihren größten Erfolg feiern: die „Energiewende“. Nie in den über 40 Jahren ihrer Existenz hätte sie auch nur hoffen können, was jetzt geschieht – selbst wenn die zunächst getroffenen Beschlüsse nur zum kleineren Teil realisiert werden sollten, wofür ja einiges spricht.

Doch feiert nur die eine Hälfte dieser Bewegung. Die andere muß erleben, daß das, wofür sie sich engagiert, gerade durch diesen Erfolg in einem Maße zerstört wird, wie es in der Geschichte vielleicht noch nie vorgekommen ist. Die Konflikte sind bereits ausgebrochen, sie sind oft heftig, und man kann durchaus sagen, daß die Bewegung, die sich unter dem Begriff „Ökologie“ als eine Einheit versteht und es in den meisten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auch war, vor einer Zerreißprobe steht.

Die beiden Flügel dieser Bewegung wird man – aus der sicher etwas verzerrenden, aber auch pointierenden und das Wesentliche klarer erkennenden Perspektive der jeweiligen Gegner – vielleicht so beschreiben können:

Auf der einen Seite stehen die Öko-Technokraten. Sie sehen die Natur (oder auch die Einheit von Gesellschaft und Natur) als Ökosystem. Ökosystem bedeutet hier: Die „Einheiten von Lebensgemeinschaft und Lebensraum“, von „Biozönosen und Biotop“ – werden als Maschinen betrachtet, die uns „Ressourcen“ zur Verfügung stellen oder „Dienstleistungen“ erbringen. Wenn man diese Systeme genau genug, und zwar mit den Mitteln der modernen Naturwissenschaft, untersucht hat, dann kann man sie umkonstruieren oder ganz neu konstruieren, so daß sie optimal funktionieren. Das bedeutet, sie stellen uns bei möglichst wenig Aufwand möglichst viel von dem zur Verfügung, was wir haben wollen. Und dies tun sie vor allem dauerhaft: so, daß das weitere Funktionieren dieser Systeme nicht beeinträchtigt wird – „nachhaltig“, wie es im modischen Jargon heißt. In unserem Fall stellen sie uns Energie zur Verfügung. Von diesem Produkt wird angenommen, daß es von alles überragender Bedeutung ist. Zwar sind es meist gar nicht Ökosysteme, die die Energie liefern, sondern das tut unmittelbar oder nur über physikalische Systeme vermittelt die Sonne, aber wir selbst betrachten uns als Teil eines – des globalen – Ökosystems.

Auf der anderen Seite stehen die konservativen Naturschützer. Schützen wollen sie weniger die Tier- und Pflanzenarten. Das ginge notfalls auch in zoologischen und botanischen Gärten und in Genbanken, aber das will man nicht; man ist dezidiert anti-technokratisch. Naturschutz bedeutet hier vielmehr vor allem Landschaftsschutz. Landschaft aber ist die überkommene, die vorindustrielle Kulturlandschaft (einschließlich der Reste relativ unberührter Natur, die sie enthält). Hier können die bedrohten Tier- und Pflanzenarten leben. Kennzeichnende Eigenschaften dieser Landschaft sind Vielfalt, Eigenart und Schönheit. Die Kulturlandschaft sehen diese Naturschützer bedroht durch diejenige Art der Technik, die nun das Land umgestalten wird, d. h. die ökologische Technik.

 

In der Tat, sie ist dadurch aufs Höchste bedroht. Wer je durch einen „Windpark“ von einigen Quadratkilometern Fläche gelaufen ist, weiß das: Hier war Landschaft, hier ist keine mehr, sie ist vernichtet. Man bewegt sich statt durch eine Landschaft durch ein Industriegebiet.

Die Öko-Technokraten kontern: Das ist doch nur Ästhetik und kulturelle Symbolik, nur euer subjektives Empfinden, objektive Tatsachen wie die nachhaltige Energiegewinnung zählen weit mehr. Hier geht es ums Überleben, wenn das nicht gesichert ist, brauchen wir über Ästhetik und Kultur gar nicht erst nachzudenken. Und es geht um Allgemeingültiges, jeden Menschen Betreffendes, eure Empfindungen aber sind nur eure, sie sind eben bloß subjektiv. Man wird sich überdies an die Windkraftanlagen gewöhnen, dann werden sie keinen mehr stören. Und wenn man sich vor Augen führt, wie sinnvoll diese Anlagen sind, wird man sie vielleicht jetzt schon schön finden.

Die konservativen Naturschützer könnten nun wieder kontern, daß hier ein peinlich unentwickeltes, plattes Verständnis von Ästhetik und Kultur und ihrer Bedeutung zum Ausdruck kommt. Aber so kontern sie nicht, denn sie selbst haben gar kein Verständnis von Ästhetik und Kultur. Das klingt jetzt nach einer, wie man so sagt, sehr steilen These, und ich muß es darum etwas begründen.

 

Einige Ratschläge an die Naturschützer

So sehr in der Zerstörung der Landschaft, d. h. des Landschaftsbildes der wahre Grund des Widerstands gegen die neue Energietechnik liegt und alles andere, etwa der angebliche Lärm der Windkraftanlagen und die von ihnen getöteten Vögel, nur vorgeschoben ist (wenn auch nicht immer bewußt nur vorgeschoben), so wenig sind die konservativen Naturschützer heute in der Lage, ihre wahren Gründe zu formulieren („konservative Naturschützer“ gebrauche ich hier natürlich in idealtypisch zugespitzter Weise). Über die Jahrzehnte haben sie sich, als Teil der Ökologiebewegung, daran gewöhnt, alles durch die Brille der Ökologie, also einer Naturwissenschaft, zu sehen.[1] Was sich nicht in Begriffen der Ökologie formulieren läßt, existiert für sie nicht, auch wenn es sie in Wahrheit motiviert. Ästhetisches und Kulturelles ist für sie, so wie für ihre technokratischen Gegner, „nur subjektiv“, also nichts Objektives, und das soll vor allem heißen, daß es nebensächlich ist. Es geht nämlich dabei, anders als bei der Energiefrage, nicht ums Überleben.

Daß diese Zuschreibung geringer Bedeutung, auch nur von geringerer als das Überleben, völlig falsch ist, liegt auf der Hand (hier habe ich das ausgeführt), aber die szientifische Verblendung sorgt dafür, daß man nicht sieht, was auf der Hand liegt. Zwei Bemerkungen dazu:

(1) „Bloß subjektiv“ heißt in diesem Zusammenhang meist: Es ist nur für den Betrachter so, oder es scheint ihm nur so, und es muß ihm nicht so scheinen, er kann sich umgewöhnen. Und es hat den Beiklang: selber schuld. Ihr mögt den Anblick der Windräder ja nur deshalb nicht, weil ihr euch dagegen sträubt. Ihr könntet auch anders, wir können es ja auch. – Gewiß, ein ästhetisches Urteil ist ein subjektives, es ist nicht, wie es den Anschein hat, ein Urteil über objektive Eigenschaften des betrachteten Gegenstands, sondern über Empfindungen des Betrachters. Und alles Kulturelle ist definitionsgemäß kulturrelativ und nicht allgemeingültig.[2]

Aber doch unterliegt es nicht dem individuellen Belieben. Wenn einem die traditionelle Kulturlandschaft etwas bedeutet, so kann man das nicht einfach ablegen. Sie hat für einen Angehörigen einer bestimmten Kultur Wert, und auch wenn man weiß, daß das anderswo anders ist und sogar weiß, daß man vielleicht auch selbst nicht bei dieser Wertschätzung bleiben wird: Jetzt hat man sie, man entkommt ihr derzeit nicht, und die hohe Bedeutung muß durch das Wissen, daß nicht alle das so sehen, nicht tangiert werden..

(2) Das Ästhetische und die kulturelle Symbolik sind im allgemeinen wichtiger als das Materielle, sofern es nicht unmittelbar um Leben und Tod geht, und oft ist es nicht einmal dann anders. In Europa hat man 150 Jahre lang blutige Kriege geführt darum, ob der Pfarrer allein den Wein bekommt oder ob die ganze Gemeinde mittrinken darf. – Aber das war doch nur Ausdruck eines viel tiefer reichenden Konflikts, wird entgegnet, darunter liegen, so meint man bei Marx gelernt zu haben, vor allem ökonomische Interessen; das ist das Sein, das das Bewußtsein bestimmt. Na und, könnten unsere konservativen Naturschützer antworten, ist das etwa bei der Kulturlandschaft anders? Stehen hinter der Liebe zur Landschaft nicht auch grundlegend andere Vorstellungen, wie wir überhaupt leben und wirtschaften sollten, als hinter einer Haltung, der die Landschaft gleichgültig ist? Stehen nicht ganz andere sozio-politische und ökonomische Interessen dahinter? Kommt in der Liebe zur Landschaft weniger Gewichtiges und lebensweltlich Bedeutsames zum Ausdruck als in der Symbolik, um die es im Abendmalstreit vordergründig ging? So könnten sie antworten, aber, wie gesagt, so antworten sie nicht, denn sie können es nicht, sie denken „ökologisch“.

Welche Blüten das treibt, sieht man in den Auseinandersetzungen um die Windkraftanlagen. Nicht nur, daß man meint, nur mit Meß- und Zählbarem argumentieren zu dürfen – getötete Vögel und Lärm –, obwohl es auf der Hand liegt, daß das kaum etwas mit der wirklichen Motivation zu tun hat: Auch das, was sie wirklich antreibt, die Zerstörung des Bildes, wird von den Naturschützern so behandelt, als handelte es sich um einen ökologischen Vorgang. Windräder werden betrachtet wie Schadstoffemittenten, nur daß von ihnen nicht eine chemische, sondern eine optische  – gleichgesetzt mit ästhetischer – Schadwirkung ausgeht. Weil Schadstoffe sich mit zunehmender Entfernung von der Quelle ausdünnen, wird es hier wohl ebenso sein, denkt man. „Die ästhetische Wirkung des Vorhabens nimmt in ihrer Intensität mit zunehmender Entfernung ab. Für alle Anlagen sind in den jeweiligen Wirkzonen bis 5 km deutliche Wahrnehmungen der Anlagen zu verzeichnen“ (Aus einem Gutachten für die Stadt Aachen[3]).

Natürlich weiß jeder, auch ein Ökologe, aus eigener Erfahrung, daß es auf dem Gebiet der Ästhetik und der kulturellen Symbolik ganz anders zugeht, denn er ist ja nicht nur Ökologe, sondern auch Mensch. Wenn man wenige Meter vor einem modernen Windrad steht und hochblickt, kann man den Anblick der sich langsam vor dem Himmel drehenden Rotoren majestätisch finden. Steht man jedoch weit weg und sieht die Rotoren vor dem Hintergrund der Landschaft, vielleicht neben einer Dorfsilhouette mit Kirchturm, wird man eher ein unangenehmes Gefühl bekommen, jedenfalls wenn man die traditionellen Kulturlandschaften mag. Hier wird ein Bild zerstört, an das man bestimmte Erwartungen hat; Kirchtürme gehören dazu, Industrieanlagen nicht. Aber dem naturwissenschaftlich ausgebildeten Ökologen oder Landschaftsplaner ist solch ein Gedanke offenbar kaum zugänglich, obwohl er im Alltag selbstverständlich so reagiert und denkt. Wenn er sich jedoch als Fachmann mit der Sache befaßt, kann er es sich gar nicht anders vorstellen, als daß die Windkraftanlage wie ein Emittent von schädlichen Chemikalien zu betrachten ist – mit den in der Ökologie gewohnten Implikationen wie Abnahme der Wirkung mit der Entfernung.

Auch daß das, was er hier als naturwissenschaftlich ausgebildeter Experte schreibt, schlicht Unsinn ist, ist ihm im Alltag klar: „Das Ergebnis der Sichtbarkeitsanalysen zeigt, dass die geplanten Windkraftanlagen im Untersuchungsraum Teilabschnitt 1 nur auf ca. 15 % der Fläche des Untersuchungsraumes, im Teilabschnitt 2 auf ca. 27 % [zu sehen sind]. Für die Bewertung der Beeinträchtigung der Landschaftsräume reicht die methodisch gewählte Modellrechnung aus gutachterlicher Sicht aus.“ Auch wenn ich nichts von dem sehe, was mich umgibt, so kann es mich doch erheblich in meinem Befinden beeinflussen, sofern ich nur weiß, daß es da ist.

Die konservativen Naturschützer könnten sich also viel besser verteidigen, wenn sie sich klar machten, worum es ihnen eigentlich geht. Manchmal wird eine Reform der Ausbildung der einschlägigen Experten gefordert; Kultur- und Sozialwissenschaften müsse man eine größere Bedeutung darin geben. Das ist sicher richtig, aber wie man eben sehen konnte, wäre schon viel gewonnen, wenn die Experten dazu gebracht werden könnten, in diesen Dingen ihr Expertenwissen zu vergessen und sich wie normale Menschen und verhalten.

Dadurch würde die Position der konservativen Naturschützer erheblich gestärkt; sie ließen nicht mehr ihren Gegnern die Wahl der Waffen. Aber würde dadurch der Konflikt entschärft? Zunächst sieht es ja so aus, als ob er dadurch nur verlängert wird, denn die konservativen Naturschützer scheinen bisher auf ziemlich aussichtsloser Position zu stehen.

 

Einige Ratschläge an die Öko-Technokraten

Die Öko-Technokraten wissen, daß sie eine sinnvolle Sache vertreten, sie wissen, daß sie zur Zeit stark sind und sie setzen darum darauf, ihre Gegner leicht beiseite drängen zu können. Möglicherweise unterschätzen sie aber das Gewicht der Sehnsüchte, für die traditionelle Kulturlandschaft das Symbol ist; das wird sich zeigen. Entschärft könnte der Konflikt dadurch werden, daß die Öko-Technokraten einen ähnlichen Rat befolgen, wie ich ihn eben den konservativen Naturschützern gegeben habe.

Ganz unzugänglich scheinen sie bisher dem Gedanken, daß es vielleicht gar nicht die Alternative sein muß, entweder bei der alten, ökologisch schädlichen Art der Energiegewinnung zu bleiben oder aber eine sinnvolle Art der Energiegewinnung einzuführen, dabei aber die Landschaft zu zerstören. Nicht alles, was gebaut wird, ist ja automatisch eine Beeinträchtigung oder Zerstörung der vorhandenen ästhetisch-kulturellen Gebilde, in die hinein es gebaut wird. Zwar ist die Idee der traditionellen Kulturlandschaft so beschaffen, daß es nicht so leicht vorstellbar ist, wie Bauwerke, die nun einmal die moderne industrielle Welt symbolisieren, diese Landschaft nicht beeinträchtigen sollten; diese Landschaft, deren Symbolik die vorindustrielle Welt heraufbeschwört, die Welt der persönlichen, „menschlichen“ Beziehungen, der harmonischen Einbindung in als sinnhaft empfundene Ganzheiten wie Familie und dörfliche Gemeinschaft, die das Individuum bergend umschließen, statt es einsam und „unbehaust“ der Kälte der abstrakten industriekapitalistischen Verhältnisse auszusetzen.

Aber gibt es nicht gelungene Beispiele einer Verbindung dessen, was heute zu bauen möglich ist, und dem Überkommenen, auf das man doch nicht verzichten will? Diese Beispiele können freilich nicht ein harmonisch-idyllisches Beieinander sein wie Dorfkirche, Dorflinde und Dorfteich. Aber nicht jedes moderne Gebäude in einem mittelalterlichen oder barocken Stadtkern stört oder zerstört diesen.

Den Öko-Technokraten dürfte es nicht besonders schwer fallen, den Gedanken zu fassen, daß sie ihre Maschinen nicht, wie herkömmliche, mit hohem Aufwand von möglichen Störeinflüssen der Umwelt abschirmen müssen, daß sie die Umwelt der Maschinen also den Anforderungen der Maschinen gemäß um- oder neukonstruieren müssen; daß vielmehr der Begriff „ökologisch“ für sie den Sinn haben müßte, daß in der Umwelt möglichst wenig verändert wird, man sich vielmehr die natürlich vorkommenden Systeme zunutze macht, sich sozusagen in ihr Selbsterzeugungsgeschehen nur einschaltet.[4] So zu denken ist von vornherein eine der wesentlichen Bausteine des „ökologischen Denkens“ auch des technokratischen Flügels der Bewegung gewesen und eine der Triebkräfte, die zur Energiewende führten. Schwerer, aber wichtiger im Hinblick auf die mögliche Bewältigung der Konflikte mit den konservativen Naturschützern scheint mir die Aufgabe für die Öko-Technokraten, ganz die technischen Denkbahnen zu verlassen. Sie dürfen nicht wie Bauingenieure denken, sondern müssen denken wie Architekten.

Der Ingenieur entwickelt typischerweise Mittel für einen vorgegebenen Zweck.[5] Um die Folgen, die das Funktionieren seines Mittels für das hat, was jenseits des von ihm aus der ganzen Lebenswirklichkeit isolierten Zusammenhangs liegt, muß er sich ebenso wenig kümmern wie darum, ob das vorgegebene Ziel überhaupt sinnvoll ist, und er kümmert sich typischerweise auch nicht darum. Was durch die Entwicklung eines Motors, der schnelleres Fahren ermöglicht, an Folgewirkungen entsteht, etwa die Erhöhung der Zahl der Verkehrstoten oder die Notwendigkeit des Bauens breiterer und kurvenärmerer Straßen, fällt in die Zuständigkeit anderer. Der Architekt aber muß immer das Ganze der Lebenswirklichkeit im Auge behalten. Hält sein Gebäude einem Sturm nicht stand, kann er die Schuld nicht so, wie sie der Motorkonstrukteur auf die Straßenbauer und Verkehrsplaner abschieben kann, auf die Statiker schieben: Der Architekt ist, anders als der typische Ingenieur, immer fürs Ganze zuständig. Und er ist bekanntlich auch insofern „mehr“ als ein Ingenieur, als er auch Künstler ist. Er ist aber nicht reiner Künstler, sondern er gestaltet etwas, das in der empirischen Welt ganz praktisch funktionieren soll. Er muß die alltagspraktischen bzw., auf die Ebene wissenschaftlicher Disziplinen gehoben, sozio-kulturellen Erfordernisse berücksichtigen, er muß auch auf Form und Symbolik achten. Er muß die Technik in den Rahmen einer Idee des Ganzen einbinden.

Ob es der Architektur (einschließlich der Landschaftsarchitektur sowie der Landschaftsplanung) möglich sein wird, Ideen zu entwickeln, die die konservative Idee der Kulturlandschaft mit der Idee des modernen Bauens, zudem auf dem Gebiet der Industriearchitektur, verbinden, wage ich nicht zu prophezeien, sehe eher schwarz. Doch gibt es eine andere Möglichkeit? Die Öko-Technokraten könnten die konservativen Naturschützer in der momentanen Lage einfach übergehen. Doch dann wäre, wenn die Lage einmal wieder weniger günstig aussieht, auch die wichtigste Motivationsquelle ihres eigenen Anliegens – auch wenn sie ihnen gar nicht bewußt sein sollte – möglicherweise entscheidend geschwächt. Ohne daß die Brille des Bauingenieurs durch die des Architekten ersetzt wird, was es zumindest erlauben, ja erzwingen  würde, auch das Anliegen der anderen Seite ernst zu nehmen, wird es kaum möglich sein, die Zerreißprobe zu überstehen, in die der derzeitige Erfolg die Ökologiebewegung geführt hat.

 

Literatur

Körner, Stefan 2001: Theorie und Methodologie der Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur und Sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung vom Nationalsozialismus bis zur Gegenwart. – Landschaftsentwicklung und Umweltforschung Nr. 111, Technische Universität Berlin.

Trepl, Ludwig 1997: Zum Verhältnis von Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur. 40 Jahre Landschaftsarchitektur an der TU München. Freising: 83-96 .

 

Blogartikel und andere Beiträge im Internet mit Bezug zum Thema: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23,

 


[1] Wie es dazu – in Deutschland – gekommen ist, hat am besten Körner 2001 herausgearbeitet.

[2] Hinsichtlich der Ästhetik ist die Sache um einiges komplizierter als hinsichtlich der „Kulturwerte“, um die es im Folgenden geht. Darauf gehe ich hier nicht ein.

[3] Landschaftsbildanalyse Windkraftanlagen im Stadtgebiet Aachen, Überarbeitete Fassung September 2011, Ingenieur- und Planungsbüro Lange GbR Moers.

[4] Den Gedanken verdanke ich Georg Hausladen, der verdankt in Christoph Hubig, der wiederum, wenn ich es richtig verstanden habe, Martin Heidegger. (In dessen Technikphilosophie ist es der Begriff der „Sicherung“, der hier einschlägig ist.) Allerdings hat keiner nur Gedanken vom jeweils vorher Genannten einfach übernommen.

[5] Dazu und zum Folgenden siehe Trepl 1997

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

29 Kommentare

  1. Konservative Naturschützer und Öko-Techn

    Lieber Prof. Trepl,

    anläßlich eines Vortrages zum Thema “Solarfelder – Verschandelung oder Gewinn für die Kulkturlandschaft?” bei der DGGL in Nürnberg hat mir Kollege Klebe Ihren Blog und link empfohlen, den ich mit pfingstlicher Offenheit und Genuß gelesen habe.
    Für mich gilt, was Vitruv schon vor Christi Geburt formuliert hat: Stabilitas, Utilitas und: venustas. In diesem Sinne versuche ich als Landschafts-Architekt das Ganze im Blick zu haben und fühle mich bei meinen Solarfeldern dabei ganz wohl. Wenn Sie Interesse haben, schicke ich Ihnen nach Pfingsten ein paar Artikel zum Thema.
    Nochmals vielen Dank für den Lesegenuß, der mir in vielem aus dem Herzen spricht.

  2. @Ludwig Trepl: Artikel nicht abrufbar

    Hallo Herr Trepl, der Artikel “Der Tod verhindert, daß es mit dem Leben zu Ende geht. Anmerkungen zu einer naturalistischen Prognose.” ist nicht abrufbar, ich bekomme hier eine leere Seite HTTP/1.1 500 Internal Server Error

  3. Subjektives Empfinden


    Ästhetisches und Kulturelles ist für sie [konservative Naturschützer], so wie für ihre technokratischen Gegner, „nur subjektiv“, also nichts Objektives, und das soll vor allem heißen, daß es nebensächlich ist.

    Balanus antwortete darauf:

    Und das sehe ich anders. Dass Ästhetisches und Kulturelles etwas Subjektives ist, bedeutet m. E. vor allem, dass es wandelbar ist. Was heute von den meisten als hässlich und schrecklich empfunden wird, könnte in der Zukunft als lebensnotwendig gesehen und darum als schön empfunden werden (z. B. Windräder).

    Oder z.B. die hundert Hektar Einkaufszentrum mit Parkplatz, die der Baulöwe auf dem Gelände des ehemaligen Naturschutzgebietes errichten will. Alles nur subjektive Gefühlsduselei, diese krampfhafte Fixierung auf naturbelassene Landschaften.

    Man reibt sich die Augen, eine solche Argumentation von Seiten der Ökologiebewegung, egal welchen Flügels, vorgetragen zu bekommen. Lass dieses Argument mal vom Baulöwen kommen – der würde doch vom aufgebrachten Mob an Ort und Stelle geteert und gefedert werden.

  4. “Ökos” und Nazis – Korrektur

    Zufällig bin ich gerade auf etwas zu Gemeinsamkeiten zwischen Konservativen, Ökologiebewegung und Nazi-Gedankenschlecht gestoßen. Auch die zwei Seiten der Ökologiebewegung (Öko-Technokraten und Konservative) spielen in der Darstellung eine Rolle, weswegen ich sie als passend zum Thema erachte – wobei Konservatismus hier ziemlich pauschal mit Nazi-Attitüden gleichgesetzt wird:

    Link zum Artikel

    Der Autor des Textes verliert sich z. T. sicher etwas, aber aufschlussreich ist das Ganze dadurch meines Erachtens nicht weniger. Einige Hinweise erscheinen mir auch durchaus plausibel.

  5. “Ökos” und Nazis

    Zufällig bin ich gerade auf etwas zu Gemeinsamkeiten zwischen Konservativen, Ökologiebewegung und Nazi-Gedankenschlecht gestoßen. Auch die zwei Seiten der Ökologiebewegung (Öko-Technokraten und Konservative) spielen in der Darstellung eine Rolle, weswegen ich sie als passend zum Thema erachte – wobei Konservatismus hier ziemlich pauschal mit Nazi-Attitüden gleichgesetzt wird:

    ARD Tagesschau

    Der Autor des Textes verliert sich z. T. sicher etwas, aber aufschlussreich ist das Ganze dadurch meines Erachtens nicht weniger. Einige Hinweise erscheinen mir auch durchaus plausibel.

  6. @ Georg Hausladen, Simon Putzhammer

    „Oder geht es schlicht und ergreifend darum, dass man im konservativen Denken eben jene Symbole zu schätzen lernt, die Gefahr laufen, zu verschwinden (irgendwann also vielleicht auch Handysendemasten …“

    Das geschieht sicher auch und erklärt vieles. Aber ist es nicht so, daß man nur die Symbolträger schätzt? Die symbolisieren aber nun etwas anderes als früher, d. h. es sind nicht mehr die alten Symbole. Und was sie symbolisieren, ist immer das gleiche: die verschwundene/verschwindende/ersehnte Welt der Gemeinschaft (statt Gesellschaft), der Bindungen (statt Freiheit als Ungebundenheit, Beliebigkeit), der Traditionsgeltung (Herkunft statt Zukunft), der räumlichen Vielfalt (statt weltweiter Nivellierung), der Individualität mit Charakter (statt der Serienfertigung, geklonter FDP-Politiker und Manager) usw. usf. Was sich dazu nicht eignet, wird auch als bloßer Symbolträger nicht akzeptiert. Aber das ist nicht viel (mir fällt jetzt gar kein Beispiel ein). Was ein gewisses Alter hat, läßt sich offenbar so gut wie immer in diese Richtung umdeuten.

    „das ‚substantiell Neue’ aber verlangt eine neue Perspektive unter der die Mischung als Einheit betrachtet werden kann“.

    Eben das scheint mir bei der „Zwischenstadt“ der Fall. Man kann da kaum mehr „Land“ wahrnehmen, auch wenn man ein Getreidefeld vor sich hat, und auch nicht „Stadt“, man ist in einer dem gegenüber neuen Welt, zum Getreidefeld gehört die Tankstelle und der Schrottplatz.

    Und ist „Zivilisation“ nicht auch irgendwie „Kultur“?

    Man kann da mindestens zwei Perspektiven einnehmen: (1) die übliche Perspektive der Modernen, Fortschrittlichen. Die verstehen gar nicht, wieso da ein Gegensatz sein soll, Kultur ist gerade das jeweils Moderne, ist die Kultur nicht auf der Höhe der jeweiligen Zeit, ist das gar keine Kultur mehr, verkommt zu Kitsch (als Kunstwerk und als Lebensweise). (2) Man bleibt im konservativen Denken. Dann wird die an sich universelle, ortlose (und deshalb gehaßte) Zivilisation zu einer bestimmten Kultur konkretisiert: vor allem dem american way of life, auch die Juden waren so eine Konkretion. Erst dann kann man sie so richtig hassen (denn dann kann man jemanden hassen). Das vereint klassische Konservative, Nazis und Islamisten.

  7. @ Georg, Ergänzung

    Langer Rede kurzer Sinn: Es geht wohl bei der Landschaft nicht darum, ob Technik, die in ihr zu sehen ist, universell ist, sondern ob sie so wahrgenommen wird. Das mit der Wahrnehung der Leute in der Gemeinschaft selbst ist übrigens selbstverständlich ein Spezialfall: Üblicherweise wird bei der Landschaftswahrnehmung ja Gesellschaft und Landschaft von außen wahrgenommen, schließlich haben’s die Städter erfunden. Dass es in dörflichen Gemeinschaften selbst Leute gibt, die sich authentisch fühlen wollen, ist wohl – jedenfalls im vorliegenden Ausmaß – eine sehr junge Entwicklung. Das mit dem Schmied gilst natürlich trotzdem: Die ungeschriebenen Regeln des Zwangs zur Wahrung der Integrität der Gemeinschaft waren und sind mächtig. Das mit den Hoftankstellen (sofern diese Vorstellung überhaupt zutrifft) scheint mir aber über solche Regeln hinaus mehr ein Versuch gerade nicht mehr authentischer Leute auf dem Land zu sein, sich den Hauch von Authentizität zu(rück) zu geben. Das ist natürlich nicht “echt”, sondern Abklatsch, reduziert auf Eigenbrötlerei. So was wie volkstümliche Musik.

  8. @Georg

    Zur universellen Technik: Ich habe das so verstanden, dass die Technik gemeint ist, die sich nicht aus der Auseinandersetzung einer Gemeinschaft mit den Eigenheiten des von ihr bewohnten und kultivierten Landes entwickelt hat. Die Technik kommt also für die Gemeinschaft (gemeint im Gegensatz zur Gesellschaft) von außen – nicht etwa vom Schmied, der Teil der Gemeinschaft ist. Sicher: Der Nagel ist etwas Universelles, aber etwas, das nicht von Ingenieuren erfunden und unter Schmieden propagiert wurde, sondern im Handwerksstand tradiertes Wissen, das sich auch für die Anwendung in der jeweiligen Gemeinschaft als praktisch erwiesen hat. Es stört auch nicht, wenn der Schmied das Eisen nicht selbst herstellt, wenn ich auch etwas unsicher bin, warum: Ist es, weil man annimmt, dass so etwas wie Erzeugung von und Handel mit Rohstoffen sich eben innerhalb einer Nation als Gemeinschaft abspielt (der Konservatismus als die konkrete historische Strömung war ja nationalistisch, wenn es auch der Idealtyp vielleicht nicht sein muss) – und zwar dort, wo es eben Rohstoffe gibt? Oder ist es so, dass der Schmid, um das Eisen zu beschaffen, eben Kontakte mit außerhalb der Gemeinschaft pflegen muss und zu diesem Zweck das Recht zur Grenzüberschreitung (wie in der archaischen Gemeinschaft) erhält? Dies könnte so gedeutet werden, dass der Schmid in einem definierten Rahmen die ansonsten die Gemeinschaft als solche konstituierenden Regeln brechen darf, soweit dies der Illusion der idealen Gemeinschaft dient.
    Wie auch immer: Windenergieanlagen und Traktoren kommen von außen. Sie machen das Land symbolisch zum Umland der Stadt und nehmen ihm den Charakter einer für sich selbst stehenden und aus sich und der eigenen Auseinandersetzung mit der Natur heraus agierenden Einheit. Erst, wenn der Schmid den Traktor bis zur letzten Schraube kennt und nur, solange er ihn reparieren kann, ohne sich ein Gerät zum Auslesen irgendwelcher Fehlermeldungen zu kaufen, kann der Traktor zum Teil der Gemeinschaft werden. Zugleich muss er sich natürlich als für die Bearbeitung der Natur geeignetes Gerät erweisen. So richtig Teil der individuellen Einheit kann er wohl nur für die werden, die ihn nicht zur Tankstelle fahren müssen. Vielleicht gibt es deswegen so viele Kleintankstellen und Hofzapfsäulen; evtl. sind ökonomische Beweggründe hierfür nur vorgeschoben. Insgesamt läuft es wohl darauf raus, dass vergessen oder so gut wie möglich verdrängt wird, dass der Traktor von außen kam.
    Dass eine solche Darstellung Zweifel am Verstand von “uns bekennenden Konservativen” aufkommen lässt, leuchtet mir ein. Dennoch glaube ich, dass wir uns nur dazu bekennen, ein Denkmuster in uns zu tragen, das zumindest sehr verbreitet ist, wenn es sich auch vielleicht in unterschiedlichen Bereichen des Wahrnehmens und Handelns äußert. Für die Wahrnehmung von Landschaft ist es meines Erachtens unumgänglich prinzipiell prägend – wenn ich auch, wie schon mal in einem der hier geschriebenen Kommentare angedeutet, davon ausgehe, dass man diese Prägung der eigenen Wahrnehmung als Mensch mit Verstand nicht immer ernst nehmen kann, weswegen ggf. so etwas wie eine Ironisierung dieser Wahrnehmung bzw. der mit ihr verbundenen moralischen oder ästhetischen Implikationen stattfindet. Was das genau bedeutet, muss ich selbst erst mal noch überlegen.

  9. @ Simon und Ludwig

    „Es ist die universelle Technik, die dem individuellen Schaffensprozess des Land-Leute-Systems entgegensteht als etwas, das der universalistischen Vernunft, also der Aufklärung, entspringt.“ (Simon)
    Ich glaube man muss hier aufpassen, in welchem Sinn man „Technik“ verwendet: „universelle Technik“ bezieht sich hier ja v. a., wenn ich es richtig interpretiere, auf die Gegenstände, die durch eine bestimmte Kultur (der „universalistischen Vernunft“) hervorgebracht werden (im Gegensatz zum Schaffen, das ja einen Prozess kennzeichnet). Aber was genau zeichnet diese aus? Kann man nicht auch den Prozess des Schmiedens von Nägeln oder Hufeisen in gewisser Weise als industriellen Prozess betrachten? Gut, der Schmied schmiedete selbst und heute werden die Nägel von Maschinen „geschmiedet“, denen ein Mensch „dient“, der kein Schmied mehr sein muss und eher ein Steuermann ist. Aber was genau ist der Unterschied? Vielleicht versteh ich das mit der Unvereinbarkeit der Denkmuster auch einfach nicht.

    Zur „Kreolisierung“: Es geht ja weniger (wie auch Ludwig sagt) um eine „Verschmelzung der Kulturen“ als vielmehr (das sag jetzt ich) um die Assimilation neuer Elemente. Aber unter welchen Bedingungen werden sie assimiliert? Einfach dann, wenn sie lange genau da sind und sich in bzw. als Tradition bewährt haben? Das wäre dann ja recht beliebig (wie Ludwig am Beispiel der Bergarbeiter schreibt); man könnte sagen jede Technik die sich „durchsetzt“ wird Teil der Tradition. Oder geht es schlicht und ergreifend darum, dass man im konservativen Denken eben jene Symbole zu schätzen lernt, die Gefahr laufen, zu verschwinden (irgendwann also vielleicht auch Handysendemasten, wenn die Kommunikation nur noch über Satelliten läuft). Aber das widerspricht doch Ersterem in gewisser Weise.

    „Ergebnis ist nicht eine Mischung, sondern etwas substanziell Neues.“ (Simon)
    Über die „Mischung“ kann man ausgehend von den Perspektiven reden, die das bestimmen, was gemischt wird, das „substantiell Neue“ aber verlangt eine neue Perspektive unter der die Mischung als Einheit betrachtet werden kann – man macht da sozusagen einen Sprung auf eine andere Ebene (ähnlich wie bei der „Emergenz“, aber doch anders).

    „Die traditionelle Landbewirtschaftung hat universelle Elemente der technischen Moderne aufgenommen“ (Simon).
    Siehe oben: das verstehe ich nicht so recht, denn auch die traditionelle Landwirtschaft beinhaltet ja in gewisser Weise solche Elemente; nicht jeder Bauer stellt seinen Pflug her, sondern den bekommt er halt auch vom Schmied wie alle anderen Bauern. Klar als Symbol ist das vielleicht was anderes. Vielleicht liegt mein Problem aber auch darin, dass ich das „von Außen“ betrachte, durch die Brille der „Moderne“ und nicht „von Innen“, durch die Augen derjenigen, die im konservativen Paradigma denken.

    „Ich glaube, dass diese Bedeutung der in der Architektur insofern ähnlich ist, als Postmoderne da, soweit ich weiß, in etwa bedeutet, dass Gebäude nicht einfach nur funktional gebaut werden, sondern unter Einbeziehung eines Ortsbezugs.“ (Simon)
    Das es hierbei nur um „Historismus“ geht (wie Ludwig mit Hinweis auf die Wilhelminische Architektur schreibt) stimmt nicht, wenn ich mich richtig erinnere. Denn wie Simon richtig sagt, geht es der „Postmoderne“ (über „Form, die der Funktion folgt“ hinaus) um den konkreten räumlichen (historischen) Kontext in den das Gebäude gesetzt wird. Wir haben damals im Architekturstudium Aldo Rossi („Die Architektur der Stadt“: 1966) zu lesen bekommen. Wobei man hier vielleicht überlegen könnte, ob dabei nicht in gewisser Weise eine Erweiterung des Funktionsbegriffs vorgenommen wird: es geht nicht mehr nur um die „innere“ Funktion eines Gebäudes (Wohnen, Arbeiten usw.), sondern darum, dass es im (historischen) Kontext der Stadt „funktioniert“ (wobei aber von der Ebene der Nutzung auf die Ebene der Symbolik springen muss) – ein Problem ist vielleicht, dass die Formen von Gebäuden halt viel variabler sind, als die von Windkraft- oder Solaranlagen (scheint mir zumindest so, vielleicht hat sich aber einfach noch kein Designer drangesetzt; für Strommasten zumindest gibt’s da ja Ansätze zur Variation, ich glaube von niederländischen Designern, weiß es aber nicht mehr genau); da ist der Kontrast einfach viel stärker. Aber man könnte ja fürs erste mal anfangen, sich moderne Gebäude anzuschauen, die in die Landschaft passen, weil sie aus einer Auseinandersetzung mit der Kulturlandschaft entstanden sind (für mich wären das z. B die von Peter Zumthor oder Hermann Kaufmann; gerade bei letzterem weiß ich, dass die Entwürfen einer (seiner) tiefen Verwurzelung in der Vorarlberger Kultur entstammen und trotzdem als modern betrachtet werden).

    „Doch in erster Linie ist es (im konservativen Denken) ein Gegensatz nicht zwischen Kulturen, sondern zwischen ‘Kultur’ und ‘Zivilisation’, d. h. zwischen Kultur und dem Ende von aller Kultur.“ Das ist wohl der Kern. Aber „macht“ das die universelle Technik oder ist sie eben nur Symbol dafür? Und ist „Zivilisation“ nicht auch irgendwie „Kultur“? Unter welchem Gesichtpunkt differenziert man das?

    Nebenbei: Kann man eigentlich „Allgemeinplatz“ sagen oder sagt man „Gemeinplatz“?

  10. @ Simon Putzhammer

    „… Kreolisierung bei Glissant eine andere Qualität ist als Integration: Es wird nicht nur etwas aufgenommen und akzeptiert bzw. toleriert, sondern aus verschiedenen Teilen entsteht etwas Neues.“

    Eignet sich denn dann dieser Begriff zur Charakterisierung unseres Phänomens? Ein paar Fragen stellen sich mir:

    – Wenn ich es richtig verstanden habe, dann geht es bei der Kreolisierung um Verschmelzung von Kulturen. Aber kann man vom Verhältnis zwischen Moderne und Vormoderne (ich nenne das jetzt mal so) von Kulturen reden? In gewissem Sinne schon: die Moderne wird von den Antimodernen mit konkreten Kulturen und auch Orten gleichgesetzt: american way of life vor allem, aber auch mit „den Juden“ oder mit bestimmten Städten, im 19. Jahrhundert Paris, im frühen 20. Jahrhundert Berlin, im späteren 20. Jahrhundert New York …). Doch in erster Linie ist es (im konservativen Denken) ein Gegensatz nicht zwischen Kulturen, sondern zwischen „Kultur“ und „Zivilisation“, d. h. zwischen Kultur und dem Ende von aller Kultur.
    – „nicht Modernes in die Tradition integrieren, sondern Tradition in die Moderne.“ War das nicht genau das, was der Historismus und diese ganze Wilhelminische Architektur gemacht haben? Moderne Bahnhöfe im Stile gotischer Kathedralen? Und kann es denn bei den Windrädern anders laufen? Wird da wirklich Moderne (die Windräder) in eine konservativ gesehene Landschaft integriert? Nicht etwa Reste vorneuzeitlicher Kultur als Verzierung in einer Industrielandschaft beibehalten?
    – Vielleicht gibt, was die Traktoren angeht, die Deutung der alten Industrie am Beispiel des Ruhrgebiets durch Wolfram Höfer mehr her als die Kreolisierung: In der Dienstleistungs- und High-Tech-Gesellschaft erscheinen Bergleute und Stahlarbeiter genauso konkret-erdgebunden wie vorher die Bauern, Symbol für eine mit der Natur verbundene Lebensweise. Bergarbeiterromantik ist wie Bauernromantik. Darum kann das, was vorher zerstörte Landschaft war (Ruhrgebiet) jetzt als erhaltenswerte Landschaft gesehen werden. – Das ist im Grunde das, was mit den konkreten konservativen Vorstellungen ständig geschieht: die bürgerliche Familie, erst verteufelt, als der Konservativismus noch die Adelsherrschaft gegen das Bürgertum verteidigte, wird zum Inbegriff konservativer Werte: der Kapitalismus, erst das Feindbild überhaupt, wird von den konservativen Parteien verteidigt als dem Menschen natürliche Lebensweise, usw. Was man halt „von jeher“ kennt, bekommt des Geruch des Ewigen und Natürlichen. Für Dich sind Traktoren so was, gehören eben zum Land. Bei mir funktioniert das nicht so, denn in meiner Kindheit gab es noch keine Traktoren.

  11. @ Georg & Ludwig

    Ich finde die Diskussion und die Hinweise anregend und überlege, mich an einen Text zum Thema zu setzen.
    Auf die Frage, welche Technik in der Landschaft stört, gibt es, so meine ich, eine für die Windenergieanlagen hinreichende Antwort: Es ist die universelle Technik, die dem individuellen Schaffensprozess des Land-Leute-Systems entgegensteht als etwas, das der universalistischen Vernunft, also der Aufklärung, entspringt. Das Land-Leute-System ist ja ein Denkmuster der Gegenaufklärung. Darum ist das unvereinbar. Das habe ich nicht erfunden, ich kenne es von Thomas Kirchhoff.
    Wie aber ist es mit den Traktoren? Mit den neuen ist es klar. Warum aber stören die alten nicht mehr – einfach, weil man sich daran gewöhnt hat und weil in jedem Kinderbuch in Landschaften nette Traktoren rumtuckern? Da steckt doch mehr drin, meine ich. Ich glaube auch, zu wissen, was – und es läuft sich meiner Einschätzung nach – mit einem gedanklichen Zwischenschritt – doch auf Postmoderne raus:
    Zunächst mal erscheint mir der Prozess, dass die alten Traktoren Teile von Landschaft geworden sein mögen (zumindest für Manche), einer der Kreolisierung. Die beste Beschreibung dieses Effekts in Bezug auf Landschaft, die ich kenne, findet sich bei Glissant (2005). Dort wird der wohl üblicherweise vor allem für die Verschmelzung von Sprachen verwendete Begriff allgemein für die Verschmelzung von Kulturen und auch die Sichtbarkeit einer kulturellen Verschmelzung in der Landschaft gebraucht. Ergebnis ist nicht eine Mischung, sondern etwas substanziell Neues. Dass etwa eine Landschaft, in der ein wettergegerbter älterer Herr mit einem wackligen Traktor herumfährt, einst (als die Traktoren neu waren) kein harmonisches Bild gewesen wäre, sondern ein mit einer Störung behaftetes, steht außer Frage. Ferner haben wir es mit etwas Anderem zu tun als z. B. der zur Gaucho-Kultur – einer aus indigenen, europäischen und evtl. noch anderen kulturellen Elementen entstandenen Kultur – gehörende Landschaft: Es haben sich mit der Etablierung von Traktoren nicht Elemente von Kulturen zu etwas Neuem gefügt, sondern die traditionelle Landbewirtschaftung hat universelle Elemente der technischen Moderne aufgenommen. Damit ist diese Variante der Kreolisierung meines Erachtens postmodern.
    Ich sage das übrigens, ohne mich umfassend mit dem Begriff der Postmoderne beschäftigt zu haben: Ich weiß, dass es einen Diskurs darum gibt, ob wir in der Moderne oder der Postmoderne leben und ich kenne ein paar Ausführungen zu postmoderner Architektur (von einem Autor namens Bourassa; den Titel habe ich gerade nicht zur Hand.) Das war’s abgesehen von ein paar Gemeinplätzen. Es scheint mir aber so, dass unter Postmoderne viel Verschiedenes verstanden wird; in welcher Bedeutung ich den Begriff hier verwende, ist ersichtlich. Ich glaube, dass diese Bedeutung der in der Architektur insofern ähnlich ist, als Postmoderne da, soweit ich weiß, in etwa bedeutet, dass Gebäude nicht einfach nur funktional gebaut werden, sondern unter Einbeziehung eines Ortsbezugs. (Es werden nicht einfach ornamental traditionelle Formen einbezogen, sondern diese werden mit Blick auf die Funktion und geänderte Wahrnehmungsweisen neu interpretiert.) Es findet also auch eine – in diesem Fall geplante – Kreolisierung statt. Dass die geplant ist, dürfte daran liegen, dass die Agierenden nicht Modernes in die Tradition integrieren, sondern Tradition in die Moderne. Planen ist ja prinzipiell etwas Modernes, anti-traditionelles.
    Vielleicht stehen sich in meinem Blick auf die Windenergieanlage in der Landschaft auch eben diese beiden Motive gegenüber: Ich sehe, dass versucht wird, in einer Weise zu gestalten, die sich “optisch” besser einfügt. Zugleich sehe ich, wie zwar ein paar Grundbesitzer profitieren und auch alle Bewohner des Landes, die in ihren alten Bauernhäusern inzwischen ja auch Strom verbrauchen, wie aber zugleich der “Einbruch” der universellen Technik in die Landschaft doch so massiv ist, dass eine Integration nicht so einfach klappt. (Angemerkt werden sollte noch, dass Kreolisierung bei Glissant eine andere Qualität ist als Integration: Es wird nicht nur etwas aufgenommen und akzeptiert bzw. toleriert, sondern aus verschiedenen Teilen entsteht etwas Neues.)

    Glissant, É. (2005): Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Wunderhorn, Heidelberg. Franz. Originalausgabe 1996.

  12. @ Georg Hausladen, Simon Putzhammer

    Ich merke, daß mich das Thema überfordert, meine Kenntnisse der aktuellen ästhetiktheoretischen Diskussion reichen nicht. Ich weiß z. B. nur sehr nebelhaft, was „Postmoderne“ bedeutet. Aber vielleicht bringe ich doch ein paar nicht ganz nutzlose Gedanken zustande.

    Vielleicht hilft es, mal zu schauen und zu sortieren, welche doch sehr verschiedenen Arten von Fragen in dem Thema stecken.

    (1) „Technik“. Die interessiert ja hier nur in zwei Hinsichten: (a) insofern sie im engeren Sinn ästhetisch sein kann (ich finde z. B. die Gestängemasten schöner, weiß aber nicht, ob das „interesseloses Wohlgefallen“ ist). (b) in ihrer Symbolik. Und da scheint es mir bisher nur zwei relevanten symbolische Funktionen zu geben: moderne Technik symbolisiert die moderne, industrielle (und kapitalistische) Gesellschaft, und handwerklich-bäuerliche Technik symbolisiert die vorindustrielle, vormoderne Welt. Symbolisiert wird jeweils ein schwer zu entwirrendes Knäuel von Gutem und Angenehmem.

    (2) Die Frage, wie ein Mensch durch Sehenlernen seine Landschaft verändern kann. Dabei muß man sicher unterscheiden, was da bewußt möglich ist und was durch gesellschaftliche Veränderungen mit einem geschieht.

    (3) Die Frage, welche Relevanz (2) gesellschaftlich hat; es handelt sich ja beim bewußt Möglichen um Fertigkeiten, die, wie auch z. B. das Verstehen avantgardistischer Kunst, Sache einer kleinen Minderheit sind. Aber ohne Einfluß auf die allgemeinen Sehgewohnheiten ist das ja auch nicht.

    (4) Die Frage, welche Bedeutung die unbezweifelbare Tatsache, daß „Landschaft … ohnehin immer eine Illusion“ ist und von Anfang an war, daß es im wesentlichen um Zeichen geht, die für Ideen stehen, dafür hat, ob es von Bedeutung ist, daß dieses Zeichen irgendwie „wirklich“ da ist. Immerhin, die Landschaft hat nun mal die Eigenheit, bis zum Horizont zu reichen, und das wirklich sehen zu können, ist auch für ihre Wirkung als Zeichen relevant.

    (5)Die Frage, ob man sich denn mit dem Charakter des symbolischen Verweisens zufriedengeben kann. Für die konservative Landschaftsvorstellung ist ja gerade wesentlich, daß die Landschaft nicht nur Zeichen für die gute Welt, sondern diese selbst sein soll, bzw. sie ist soll Ausdruck dieser Welt sein, nicht Zeichen für sie oder Bild von ihr.

    (6) Die Frage der Entwicklung der Landschaft. Anfangs war es im Rahmen der konservativen Landschaftsidee essentiell, daß die Landschaft („Land-und-Leute-Einheit“) eine sich entwickelnde Ganzheit ist. Sie hatte sich zur Vollendung zu entwickeln. Das heißt aber nicht nur, daß Neues hinzukommen darf, ja muß, sondern auch, daß neu Hinzukommendes sich dem im Ursprung Angelegten (eben dem Wesen der Landschaft) einfügen muß, sonst stört es. Daß die Landschaft immer so sein muß wie sie einst war (imaginiert wird), so daß jede Veränderung stört, ist erst im Laufe des 19. Jahrhunderts dazugekommen, scheint aber heute tief eingefressen. Im Rahmen nicht-konservativer Landschaftsvorstellungen ist es vielleicht möglich, das ganz anders zu sehen, doch setzen wir hier, im Rahmen der Windrad-Diskussion, ja voraus, daß die konservative Vorstellung wirksam bleibt.

    Sicher stecken noch mehr solcher Frage-Typen drin.

  13. Technikpessimismus und Technikoptimismus

    Vorab noch ein anderer Gedanke zur „Identitätslose Zwischenstadt“? Könnte es nicht sein, dass die „Zwischenstadt“ deshalb noch keine Identität hat, weil sie „neu“ ist und man eben noch keine gefunden hat. Bei dem, was Simon schreibt kam mir die Frage, was denn eigentlich nun das „Konservative“ ist. Darf da nichts anders werden? Geht es um das Bewahren des Ist-Zustands? Aber Landschaft hat sich doch schon immer verändert (was natürlich eine triviale Feststellung ist) und immerzu sind neue Elemente zur Landschaft hinzugekommen (die, die sich in der Tradition bewährt haben). Ich könnte mir vorstellen, dass es für die Menschen vor hundert Jahren sehr merkwürdig war, als man plötzlich mit Traktoren statt mit Ochsen und Pferden über die Felder fuhr und doch gehören eben diese Traktoren heute viel eher zur Landschaft als ihre modernen Nachfahren (oder was wäre wenn man überhaupt keine Traktoren mehr bräuchte und daher nicht mehr sehen würde?) Da könnte man sich ja noch allerhand ausdenken, z. B. neue Baustiele, neue Nutztierarten, neue Werkzeuge – kurz: neue Techniken. Entscheidend scheint aber ja irgendwie der Punkt zu sein, dass sich hier was „entwickelt“, statt einfach „konstruiert“ zu werden (aber in welchem Verhältnis steht das zueinander?). Und vielleicht mussten sich all diejenigen, die damals schockiert von den technischen Neuerungen waren (wie ihr heute von den Windkraftanlagen) irgendwie daran gewöhnen, wobei das nicht heißt, sie einfach zu akzeptieren, sondern es auch gut zu heißen. Vielleicht ist man der Entwicklung, dem Kontrast, der Neuerung immer schon in buddhistischer Meditation oder heideggerscher „Gelassenheit“ gegenübergetreten, um sie zu verkraften.

    Ich sehe da keine „Postmoderen“ – mir ist ja noch nicht mal richtig klar, was die „Moderne“ genau sein soll. Was macht die aus?

    Interessant scheint mir allerdings, dass immerzu von „der Technik“ die Rede ist, welche die Störung (bezogen auf was?) bewirkt, und dabei scheint man nicht erkennen zu wollen, dass das, was man da schön findet, ja oft (meist/immer?) auch nur ein Produkt von Technik ist (auch das scheint mir relativ trivial, aber was soll’s). Wichtig ist wohl, dass man sich nicht an „der Technik“ stört (so wie man nicht „die Natur“ schön findet), sondern eben an der industriekapitalistischen Technik, die eben all das „Reproduzierbare“ hervorbringt, das uns das Leben (natürlich nur das materielle – eben da liegt vermutlich ja das Problem) ermöglicht. (Wobei man auch bei dem „Reproduzierbaren“ bedenken müsste, dass es nur unter bestimmten Bedingungen reproduzierbar ist). „Man“, d. h. die „Naturschützer“, denn die anderen (die „Ökotechnokraten“ und alle anderen „Kapitalisten“) stört es ja gar nicht – die Windkraftanlagen sind was Gutes und man wird reich dabei – wo also liegt das Problem? Die Technik die stört, ist also die, die den Gewinn (das Kapital) maximieren kann, nicht „die Technik“, und damit sind wir halt wieder bei der Frage, welche (kapitalistische) Alternative „das System“ restrukturieren könnte (bzw. restrukturiert, denn da tut sich ja vielleicht was) und keinen Schritt weiter.

    Bemerkenswert erscheint mir zudem, dass es da die Sehnsucht gibt, dieser Welt „der Technik“ zu entfliehen (um dabei immer wieder dort zulanden). Das liegt wohl v. a. daran, das man gemerkt hat, dass der Mensch (und alles Leben) hier kein Mensch mehr ist (d. h. im Grunde kein Subjekt, sondern eben nur noch Objekt – noch so ein Allgemeinplatz, aber für die „Technokraten“ vielleicht ein Bissen, an dem sie ein bisschen zu kauen haben). Und worin suchen die Naturschützer die Lösung (dass man immer nur in den saueren Apfel beißt und sich den Kontrast zurechtrückt reicht ja wohl nicht)? Die Technik soll’s wie immer richten (auch wenn’s keiner sagen mag, weil man das in den konservativen Naturschutzkreisen halt nicht macht), denn die Eindrücke die man haben will von all dem Leben da draußen, werden doch heute allerorts erzeugt (man sagt „renaturiert“), um den Genuss zu reproduzieren, der einem so wichtig ist (darüber wiederum könnten die „Naturschützer“ ein Weilchen nachdenken). Und sogar darüber hinaus soll es gehen: zur Landschaft+ oder 4 oder zur dritten oder was weiß ich wievielten Natur – vielleicht zur Wildnis 2?

    Kurz und knappt: Die „Technik“ sollte man nicht verwechseln mit der Kultur, die man bekämpft.

    Zwei Anmerkung zur Fußnote in der ich genannt wurde: (1) Vielen Dank für die Blumen! Ich weiß allerdings nicht, ob ich in dieser Reihe wirklich eine Rolle gespielt habe – vielleicht als Postbote. (2) „Steuerung und Sicherung“ sind bei Heidegger die wesentlichen Kennzeichen dessen, was er „Gestell“ nennt, womit er „das Wesen“ der modernen Technik beschreibt (Heidegger 1962). Christoph Hubig sagt dazu, dass Heidegger das zwar richtig gesehen habe, dass „Steuerung und Sicherung“ die Grundoperationen technischen Handelns seien, insofern aber falsch lagt, als dies schon immer (seit der neolithischen (Agrar-)Revolution) für Technik galt (Hubig 2006). Hubig bezieht sich zudem speziell auf Ashby, der ausgearbeitet hat, was genau man sich unter „Steuerung“ und „Sicherung“ (Ashby spricht von „Steuerung“ und „Regelung“: Ashby 1956) vorstellen kann. (die Seitenzahlen kann ich gerade nicht angeben, weil ich die Bücher nicht zur Hand habe).

    Ashby, R. W., 1956: An Intruduction to Cybernetics. Chapman & Hall. London.
    Heidegger, M., 1962: Die Technik und die Kehre. Klett-Cotta. Stuttgart.
    Hubig, C., 2006: Die Kunst des Möglichen I – Technikphilosophie als Reflexion der Medialität. transcript. Bielefeld.

  14. Postmoderne Landschaft?

    Wieder bin ich nicht ganz glücklich mit dem, was ich geschrieben habe. Vielleicht ist das, was ich sehe, wenn ich eine Landschaft mit Windkraftanlagen darin sehe, doch einfach eine postmoderne Landschaft. Ebenso wie in der postindustriellen oder postapokalyptischen der Comics findet eine Versöhnung statt; hier, weil die Industrie Formen gefunden hat, die mich weniger stören als andere: Die schlichten Masten sind weniger geschmacklos als die Gestängemasten, zumindest, wenn sie nicht rot-weiß gestreift sein müssen. Das ist zwar nur ein gradueller Unterschied. Auch empfinde ich die Ästhetisierung technischer Anlagen in Werbeprospekten als unangenehmes Einschleichen. Dennoch: Die Mischung von Tradition und Moderne in der Landschaft spricht mich mehr an, wenn ein technisches Element einerseits guten Zwecken dient und andererseits nicht zu… eckig ist. Dann machen die Anlagen noch die Lutbewegung sichtbar bzw. unterstreichen z. B. eine Windstille mit Stillstand. Sie sind wie eine Projektion des mathematisch-physikalischen Teils meines Denkens in die Landschaft. Des Teils, der in meinem Denken der Irrationalität entgegensteht.
    Die Illusion der Unberührtheit einer Landschaft zerstören sie selbstverständlich. Darum will ich sie nicht überall sehen müssen, vor allem nicht dort, wo von Horizont bis Horizont nur beschauliches Leben zu sein und Magie möglich scheint.
    So sehr ich solche Qualitäten schätze: Mich der ästhetischen Auseinandersetzung mit einer besseren Technik zu stellen, drängt es mich. Ich will wohl tatsächlich, dass in Landschaft eine Mischung von Altem und Neuem Gestalt annimmt. Da darf auch mal universelle Technik dabei sein, solange die Landschaft soweit individuell bleibt, dass sie weiterhin die Erkenntnis verbildlicht, dass ein Leben in Bedeutungslosigkeit nicht erfüllen kann. Zugleich steht das Universelle vielleicht in einer mich ansprechenden Weise einer scheinbaren Individualität von Gemeinschaften durch Sturköpfigkeit gegenüber, wie sie auf dem Land so verbreitet ist. Ich glaube, ich schwanke zwischen der Faszination an Konstrast, der manchmal zu verschwinden scheint, und Versöhnung, die (noch?) nicht richtig gelingt. Vielleicht ist das postmodern. Dass ich auf Landschaft ohne Windkraft weiterhin so schauen kann wie ich bisher auf Landschaft geschaut habe, ändert sich dadurch zum Glück nicht.

  15. @ Ludwig Trepl

    Offen gestanden: Mich stören die Strommasten wohl mehr als die Windenergieanlagen. Bzw. mehr als die Anlagen mit den Säulen – die mit den eiffelturmartigen Gerüsten sind wie die Strommasten, aber die baut man ja nicht mehr. Warum das so ist (das mit dem weniger stören), weiß ich nicht so recht.
    Ich glaube selbstverständlich nicht, dass ein bisschen Grün genügt, um die Funktion der Landschaft zu erfüllen. (Davon abgesehen hoffe ich, Brecht dreht sich nicht im Grabe um, weil der bedichtete Pflaumenbaum für ihn vielleicht etwas ganz Anderes symbolisierte als das, was ich unterstelle.) Etwas lebendig-Grünes kann aber doch, wenn man nichts Besseres hat, immerhin als Anklang an Landschaft ein Lichtblick sein. Üben hilft trotzdem wahrscheinlich nicht, sich die Stadt drum herum wegzudenken. Es ist wohl viel guter Wille notwendig, und wir können ja bekanntlich nicht wollen, was wir wollen. Mir hat auch heute erst jemand eine Geschichte erzählt, von einem idyllsichen Flecken irgendwo in einer Mittelgebirgslandschaft, mit einem wunderschönen Hof und einem alten Bauern, der sehr gemütlich wirkte. Das Bild funktionierte bis eben eine Windenergieanlage ins Bild kam.
    Kann man dann noch mit Genuss auf das eben noch Geschätzte schauen? Wie? Ich nehme an, dazu muss man die Gegend tatsächlich als Zwischenstadt auffassen und sich ästhetisch auf diese einlassen können. Leider habe ich Veras Arbeit nicht gelesen und kenne sie daher nur in Ansätzen. Ich schätze, dieses ästhetisch Neue, worauf ich da hinauswollte, geht schon in ebendiese Richtung.
    Wenn es sich auf die Zwischenstadt rausläuft, dann kann man deren Auftreten allerdings nicht an einen Ort wie den Stadtrand binden. Sie ist dann überall dort, wo man sie wahrnimmt. Sie ist dann nicht am Stadtrand präsent, wenn man die nahe Stadt (gerade) nicht störend wahrnimmt, sondern doch die dort evtl. noch erhaltene Landschaft. Und sie kann “mitten in der Landschaft” sein: In dem Moment, wo ich einen entsprechenden Kontrast wahrnehme. Ich schätze mal, etwas Ähnliches ergibt sich auch bei Vera – sofern sie nicht doch etwas anderes thematisiert als das, was mir eben vorschwebt. Ich meine micht zu entsinnen, dass sie weniger ein Kontrastbild meint als vielmehr die Bedeutungslosigkeit eines Raumes, dem weder Stadt noch Land ihr typisches Gepräge verleihen, sondern der einfach nur identitätslos an den Stadtrand hingewürfelt ist.
    Tut mir leid, dass du in der Gegend um Nauen nun Gelegenheit zum “üben” bekommst. Vielleicht hilft ja das Denkmuster aus dem Taoismus (oder war es eine andere Ausprägung des Buddhismus?), nach dem das Meditieren über unlösbare Gegensätze irgendwie in Richtung Erleuchtung führt. Oder waren es Paradoxa? Da gab es doch diese Fragen wie: Wenn im Wald ein Baum umfällt, und niemand ist da um es zu hören: Gibt es ein Geräusch? Vielleicht ist der innere Konflikt der Ökologiebewegung ja ähnlich erleuchtend. Wenn eine Landschaft durch störende Bauwerke verschandelt ist, kann sie dann noch Landschaft sein?
    Ich will nicht zu sehr abschweifen. Das mit dem Kirchturm als offensichtlicheres Kennzeichen von Landschaft als die Blumenwiese mag verbreitet sein. Dass es da, wo ich herkomme, fast nirgendwo mehr Blumen wie Blutströpferl (Geum rivale), Schusternagerl (Gentiana verna) und Bocksbart (Tragopogon pratense) gibt, ist allerdings auch meiner Oma schmerzlich aufgefallen, die von Naturschutzmaßnahmen nicht viel hält und keine Hobby-Botanikerin oder so etwas ist. Sie ist auf dem Land aufgewachsen und hat ihr Leben lang Heu gemacht; da merkt man dann eben, dass sich etwas ändert in der Landschaft. (Ich will ihr mal nicht unterstellen, dass das Verlustempfinden nur von Heimatfilmen kommt. Ich glaube, sie hatte aber mal einen Lehrer, der den Blick für sowas geschärft hat.) Für meinen Vater waren es dann die Segelfalter auf den Schlehenhecken oder die blühenden Ranken, die von alten Mütterlein gemäht wurden. Ob ihn das zum Naturschutzgedanken brachte oder der Naturschutzgedanke ihn dazu, kann ich wieder nicht sagen. Die Leute, die Grasansaaten nicht von Wiesen unterscheiden können, haben vielleicht aber auch einfach nie eine Wiese kennengelernt. Wer nie Margeriten gesehen hat, wird sie nicht vermissen. Wer aber mal durch einen breiten, flachen, geschwungenen Bach mit Kieseln und davonhuschenden Fischen gelaufen ist, wird den Unterschied zu einem verschlammten grabenartigen Gewässer doch erkennen – im Wesentlichen unabhängig davon, ob der den ersteren “Biotop” nennt. Ich glaube, dass ich, wie auch andere, da weniger dressiert und verbildet bin als vielmehr einfach etwas darüber weiß, wie es auch sein könnte. Eingeprägte Bilder sind ja doch etwas anderes als Dressur. Dummerweise macht es gerade das Wissen andererseits oft schwierig, sich auf Landschaft einzulassen, die – für uns offensichtlich – von Landschaftsplanern gestaltet ist. Das ist aber eben so: Ich will etwas Echtes und das werden z. B. die Ausgleichsflächen nur vielleicht in vielen Jahren, wenn die Gestaltung in irgendeiner Weise von etwas Gewachsenem überprägt wird – z. B. wenn die gebauten Strukturen solchen weichen, die sich etwa durch Beweidung ergeben oder Ähnliches. (Solche Strukturen mögen auch gewollt sein, aber wenn sie sich ohne weiteres direktes planerisches Zutun entwickeln, stört mich das nicht mehr. Ist der Dreiecksverband in der Hecke mal nicht mehr erkennbar, dann wird sie für mich irgendwann zu einer “echten” Feldhecke.) Mich stört es übrigens auch nicht, wenn eine Landschaft nur noch existiert, weil sie “geschützt” wird. Sicher, wie du immer meintest: Wenn aus Nutzung Pflege wird, weil die Nutzung eben nicht mehr rentabel ist, dann ist die Landschaft nicht mehr so richtig “echt”. (Außer die Subventionierung der Aufrechterhaltung der Nutzung, welche bisher prägend war, wird von den Nutzern als Möglichkeit zur Erhaltung einer ländlichen Lebensform genommen.)
    Die Traditionen finde ich übrigens für das Bild vom Land gar nicht so entscheidend (wenn ich auch tradierte Gemütlichkeit und aus jahrhundertelanger Erprobung gewachsenes Geschick in der Landbewirtschaftung oder im Handwerk als Werte schätze) – wahrscheinlich, weil mir das meist gekünstelte und zwanghafte Traditionsgetue, das ich in meiner Kindheit auf dem Dorf kennengelernt habe, zum Hals heraushängt, ebenso wie der typische bornierte Chauvinismus. Das hindert mich aber nicht daran, Landschaft schön zu finden. Ich glaube, diese war für mich nie so sehr ein Produkt der Tradition, sondern ein Ort des Schweifenlassens und Entdeckens. Allerdings wurde ich als Kind auch so geprägt: Für mich war es immer schon so, dass die meisten Leute – gerade die meisten anderen, die ein Stück Land bewirtschaften – kein Gefühl dafür haben und alles, was “nur” ideellen Wert für andere hat, unbekümmert oder sogar voller Genugtuung zerstören. (Andere Kinder waren auch so: “Ich glaube, das ist ein Knabenkraut. Das ist was Besonderes!” “Dann steig ich mal drauf. Haha!” Vielleicht wird ästhetisches Interesse von denen, die es nicht haben, oft neidvoll als eine Art Besserwisserei interpretiert. Vielleicht war ich aber damals auch ein Neunmalklug.)
    So, nun bin ich sehr abgeschweift. Zurück zur Zwischenstadt bzw. zum Reiz des Kontrastbildes: Muss es denn so sein bzw. ist das für manche Leute wirklich so, dass man für bestimmte Konstellationen jeweils bzw. immer nur eine Wahrnehmungsweise hat? Kann man nicht angesichts des Windparks in der Geest für eine Weile trotzdem auf die ihn umgebende Kulturlandschaft schauen, bevor man sich wieder dem Kontrast zuwendet? Kann man überhaupt einen Kontrast wahrnehmen, wenn man nicht auch die Landschaft sieht und ihre Stimmung wahrnimmt? Gibt es also neben der Gleichzeitigkeit des untrennbaren Nebeneinander nicht auch ein Nacheinander? Ist nicht nur das Schweifenlassen des Blickes erschwert – deshalb, weil das oft nicht an der Störung vorbei gelingt? Und ist Landschaft nicht ohnehin immer eine Illusion, die eine Weile andauert und hinter der (fast?) durchgehend die Realität lauert – das Wissen, dass das Betrachtete bzw. das Imaginierte nicht mit der eigenen Lebensweise vereinbar ist? Ist es nicht schön, dass dieses ästhetische Abschweifen vom Zeitgeist dennoch funktioniert? War es jemals anders mit der Landschaft? Stand der “Realität”, die in ihrer Alltäglichkeit, Seelenlosigkeit oder auch Prägung durch die Verstädterung und Industrialisierung nicht gefällt, nicht schon immer die Phantasie entgegen, zu welcher die Landschaft anregen kann? Ist es nicht irgendwie schön, dass gerade die Störung der Illusion, wenn man sich auf das gestörte Bild einlässt, ebenfalls die Phantasie anregen und zu einem Spiel von Anschauungsweisen und Gedanken einladen kann? (Vielleicht besteht doch eine Parallele zum Taoismus. Moment, ich habe eben das Internet befragt, es ist wohl der Zen-Buddhismus.)
    Sicher: Man nennt dieses vom Kontrast geprägte Bild dann nicht Landschaft – auch nicht Zwischenstadt, den Begriff kennen schließlich nur sehr wenige und mir persönlich erscheint er für das, was ich im Sinn habe, nun doch nicht passend. Aber das spricht ja nicht dagegen, dass ein neuer ästhetischer Zugang zur Welt sich entwickelt – oder vielleicht vielfach schon lange entwickelt hat und nur eines Begriffes harrt. Man könnte es ja in der Tradition von Douglas Adams mit einem passenden Ortsnamen bezeichnen. Nicht dass sich einer seiner Scherzbegriffe für unbenannte Dinge jemals durchgesetzt hätte. Man kann es wohl nicht erzwingen, ebensowenig wie ich “sitt” bin, wenn ich getrunken habe. Ich bin mal gespannt, ob’s ein Anglizismus wird oder gerade nicht, wenn’s denn jemals kommt… oder ob es dann eben doch wieder Landschaft heißt oder gar in der Sprache der “Designer” ‘Landschaft+’.

  16. @ Simon Putzhammer

    Das sind ja mal wirklich weiterführende Gedanken! Ich glaube, wenn ich alles genau durchdenke, muß ich dir in den wesentlichen Punkten zustimmen. Nur ein paar Fragen und kleine Einwände.

    Die selektive Wahrnehmung funktioniert sicher bei allen Landschaftsfreunden. Es gäbe sonst nirgends mehr Landschaft zu sehen. Mir z. B. gelingt es seit eh und je gut, die Strommasten auszublenden. Es ist sicher auch richtig, daß selbst winzige Stückchen traditionelle Landschaft („Pflaumenbaum“) als Symbole genügen, um die Funktion zu erfüllen, die man sich von Landschaft erhofft. Aber umgekehrt genügt halt (oft, meist) ein einziges Zeichen der Moderne, den Eindruck zu zerstören. Hilft da Üben? Vielleicht, ich weiß es nicht. Vielleicht wird man ja dadurch gerade auf das aufmerksam, was man übersehen möchte. Wenn ich vergessen möchte, daß die Landschaft fast überall da, wo sie noch traditionell-bäuerlich aussieht, in Wirklichkeit Produkt der modernen Landschaftsplanung ist, dann kommt mir dies letztere doch gerade in den Sinn.

    „Ich habe, wie wohl auch viele Andere, einen Blick auf die Landschaft, der weniger den Kirchturm als höchstes Bauwerk braucht als das Wissen, dass an einem Ort noch Fische in den Bächen und Flüssen sind, ein paar richtige Wiesen …“
    Na, das ist wohl der Blick von in bestimmter Hinsicht professionalisierten Leuten (oder durch ihr Hobby dressierten). Der Normalmensch sieht nicht, daß etwas Grünes keine richtige Wiese ist. Der Kirchturm wird wenigstens von der gesamten Bildungsbürgerschaft bemerkt (Arbeiter sehen ihn typischerweise nicht).

    „…industriell überprägt sind, sei es durch andere Bauwerke oder durch intensive Landwirtschaft … Da hätten schon noch ein paar Gestänge Platz, meine ich.“

    Genau so eine Gegend ist die um Nauen. Dumm ist nur, daß das vor meiner Haustür liegt. Überall anders – um Leipzig, bei Duisburg … – hätten in der Tat noch ein paar Gestänge Platz, aber nicht auf den paar Feldern zwischen Riesenstromleitungen da, wo ich wohne. Bei Nauen ist ein gewaltiger Windpark entstanden, mein wichtigstes Auslaufgebiet ist weg.

    Die Gestaltung mittels des Gegensatzes oder das Erwerben des Blicks für den Gegensatz da, wo er ohnehin ist: Klar, so etwas kann, wenn man es einmal sehen gelernt hat, seinen ästhetischen Reiz haben, und diese Art Ästhetik ist sicher nicht mit den politischen Abgründen verbunden, mit der der „idealisiert-vergangenheitsorientierte Blick auf Landschaft“ verbunden ist. Denn zu Dorfkirche/Dorflinde/Dorfteich gehört auch die Dorfjungfrau, die diese Rolle annimmt, und zwar nicht mit Absicht, nach gründlicher Reflexion, sondern ganz naiv. Sonst ist die Dorfidylle ja nicht echt, und nichts ist für sie wichtiger als die Echtheit.

    Aber: Wäre der ästhetische Reiz dieser Gegensatz-Landschaft denn etwas anderes als das, was wir in der Peripherie der großen Städte (bzw. in der „Zwischenstadt“) bereits empfinden können, was viele mit etwas avantgardistischem Geschmack auch tatsächlich können? Das ist, so empfinde ich es, aber etwas ästhetisch Neues, die Landschaft in diesem Gebieten ist weg, die Reste von ihr, die noch da sind, empfinde ich nicht als traditionelle Landschaft, und darum auch nicht die traditionelle Landschaft in ihrem Gegensatz zur Moderne, sondern nur als Bestandteile des neuen Ganzen, das da entstanden ist; ich bin weder in der Stadt (in der modernen Welt) noch in der Landschaft (der alten Welt).

  17. Gestaltung oder Wahrnehmung?

    Wenn ich es mir recht überlege, würde ich noch etwas weiter gehen: Das mit der selektiven Wahrnehmung brauche ich, um die Landschaft zu sehen, wie sie der auch in mir wirksamen konservativen Aufklärungskritik entspringt. Eine Kulturlandschaft mit Windrädern – das geht nicht, selbst wenn ich diese positiv bewerte, weil sie eine Energiequelle mit vergleichsweise geringen Ressourcenschäden etc. darstellen und ein Zusatzverdienst für die Leute auf dem Land sein können. Sie sind technisch-industriell und uniform und sie dienen der energiehungrigen Stadt und der technisierten Lebensweise.
    Jedoch: Vielleicht gibt es neben der Hoffnung auf eine versöhnende Gestaltung eine versöhnende Wahrnehmung, die etwas anderes ist als die “eigentliche” Landschaftswahrnehmung, aber dennoch viel mit Landschaftswahrnehmung zu tun hat. Ich werfe da auch gleich mal noch den Begriff Postmoderne ins Spiel, um mich dann zu erklären.
    Grundsätzlich erscheint es mir und auch Anderen[1] so, dass gerade ein Bild bzw. ein Panorama einer Gegend, in dem Landschaft im Kontrast zu einem technischen Bauwerk steht, einen eigenen ästhetischen Reiz haben kann, und zwar in zweierlei Hinsicht:
    1) Die Landschaft kann, konfrontiert mit dem, was ihr symbolisch entgegensteht, nicht nur verschwinden oder “beeinträchtigt sein”, sondern sie kann auch gerade durch die Polarisierung hervortreten als die eine Seite dieses Gegensatzes. Die bei der Entstehung des Gedankens des Landschaftsschutzes nicht unbeteiligte Besinnung auf Landschaft als Wert im Gegensatz zur Verstädterung findet sich in der direkten Gegenüberstellung wieder. Selbst der kleinste Anklang von Landschaft – als solcher mag z. B. Brechts Pflaumenbaum als Verheißung von Freiheit in einer kalten, entmenschlichten Welt gelten – muss gegenüber einer zubetonierten und funktional geregelten Umgebung nicht untergehen, sondern kann um so bedeutender hervorstechen.
    2) Dieser Gegensatz im Bild muss nicht verhindern, dass ein neues Gesamtbild entsteht, das ebenfalls wieder Landschaft ist: Nicht die Landschaft, die eine Seite des Gegensatzes darstellt, sondern eine Landschaft, in der Gegensätze nebeneinanderstehen und dazugehören. Drängt es sich nicht geradezu auf, die eigene Zugehörigkeit zur Moderne einzugestehen und zuzulassen, dass neben dem idealisiert-vergangenheitsorientierten Blick auf Landschaft auch einer entsteht, der die eigene Zerrissenheit nicht leugnet? Ist ein solcher Blick, der der Moderne ihren rational-utopistischen Idealismus nicht (umfassend) glaubt, aber zugleich dem Konservatismus keinen totalen Anspruch zuerkennt, nicht das einzige, was uns nach der Moderne, die den Großteil unseres Lebens bestimmt, bleibt, um nach neuen, vorwärtsgewandten Freiheiten zu suchen – auch ästhetisch? Hat es nicht eine eigene – auch ästhetische – Qualität, wie die Widersprüche der Weltbilder sich in der Landschaft verbildlichen und dadurch anregen, einen gestalterischen Weg jenseits der dogmatischen Gegensätze zu ersehnen? Gibt es nicht Gestaltungsbeispiele, in denen der Kulturlandschaft entlehnte Elemente z. B. mit moderner Architektur gerade im Sinne dieser Sehnsucht harmonieren? Deutet sich eine ästhetische Versöhnung nicht auch in den zwar modernen und uniformen, aber doch in ihrer gleichmäßigen Bewegung friedvollen und wegen ihrer Symbolik (auch) wohlwollend betrachteten Windkraftanlagen an?

    Warum wir uns gegen Punkt 2) mehr oder weniger stark wehren, liegt auf der Hand: Wir haben Angst um die “eigentliche” Landschaftswahrnehmung, die selbstverständlich eine eigene Qualität darstellt. Wir schaden dieser Qualität aber meines Erachtens, wenn wir nicht auch ihre Ironisierung zulassen, wenn wir sie also mit zu viel Ernst und Sorge betrachten. Wenn sie für uns unverändert einen Wert hat oder haben kann – wovon ich überzeugt bin – wird sie durch das Zulassen einer – wohlgemerkt zusätzlichen, nicht als Surrogat zu verstehenden – Wahrnehmung nicht verloren gehen. Meine eigene Erfahrung mit dieser Form der Wahrnehmung zumindest lässt mich daran glauben. Ich lerne jedoch selbst noch dieses “Zulassen”: Selbstverständlich widerstrebt es mir und widerspricht es einem utopischen Idealbild, das mir “vom Gefühl her” erstrebenswert erscheint und von dem ich weiß dass es einer Welt entspricht die es so nie gab und vielleicht nicht geben kann. (Die Leute, die um 1850 – als “die Welt noch in Ordnung war” und die Landschaft so vielfältig wie seither nie wieder – lebten, hatten sicher nicht das Leben, das wir ihnen gerne zuschreiben.) Selbstverständlich ist das Geschmacksurteil in Bezug auf Landschaft, frei vom funktionalen Denken der Landschaftsplanung, eine zentrale Motivation des Naturschutzes und ein wichtiger Gegenpol zu einer (scheinbar) rationalen Welt. Eine neue Sichtweise zu erschließen, die meines Erachtens so subjektiv (in einem die Bedeutung herunterspielenden Sinn) gar nicht sein könnte, weil sie sich gerade aus dem vorliegenden Konflikt ergibt, ist nicht nur unumgänglich, um vielleicht die Energiewende zu retten oder irgend jemandem “die Realität vor Augen zu halten”. Sie erscheint mir vielmehr notwendig zur Wahrung der Freiheit des Blickes auf die Welt als Landschaft: Der Freiheit auch von einem Festhalten an der gewohnten Anschauungsweise als einzig wahre, neben der es – abgesehen vom Teufel Rationalismus – nichts geben kann. Der Freiheit zu einem Nebeneinander von Gegensätzen als Motiv und Motivation der Anschauung, wobei die befreiende Aufhebung des Gegensatzes, so unmöglich sie im Grundsatz als Aufhebung kategorieller Unterschiede sein mag, als nicht völlig unbegründete Hoffnung durchscheinen mag.

    [1] Schindler, R. (2005): Landschaft verstehen. Industriearchitektur und Landschaftsästhetik
    im Schwarzwald. Modo, Freiburg im Breisgau.

  18. Notwendiges Übel?

    Zum Glück zielt die angestrebte “Energiewende” nicht nur auf Windenergie. Jedoch: Auch Solarzellen machen sich nicht gut in der Landschaft und die unsäglichen Groß-Biogasanlagen tun ihren Teil zu den Zweifeln, die einem da seit einiger Zeit kommen an dem, was die Grünen und Komparsen immer so begeistert anpreisen. Ist nicht außerdem der Greenpeace-Ökostrom mitverantwortlich dafür, dass immer noch mehr Gebirgsflüsse verbaut werden? Abgesehen von Solarzellen auf Dächern bleibt, trotz des schlechten Wirkungsgrades, nicht viel.
    Kann man als Alternative zu den AKWs und Kohlekraftwerken nur auf effiziente Kernfusion hoffen? Wird die Industrie weniger verbrauchen oder vielfach abwandern, wenn sich entscheidet, dass die gegenwärtigen Vergünstigungen nicht rechtens sind? Wird das Weltklima besser, wenn statt dessen in China oder Brasilien produziert wird? Was sagen all die Leute dazu, die den durchschnittlichen Stromverbrauch in Privathaushalten so weit über den meinen treiben? Sollten wir Herrn Altmaier nicht dennoch davon abhalten wollen, die “Energiewende” zu kippen?
    Für letzteres spricht, dass es auch Landschaften gibt, die ohnehin bereits in großem Umfang technisch-industriell überprägt sind, sei es durch andere Bauwerke oder durch intensive Landwirtschaft – nicht nur in der ehemaligen DDR. Da hätten schon noch ein paar Gestänge Platz, meine ich – die Reste traditioneller Kulturlandschaft müssen halt möglichst weiträumig ausgespart werden. Ich weiß, die geeigneten Standorte machen das oft schwierig – jedoch: In einer gewissen Entfernung hat man heute ohnehin immer irgendeine Anlage vor Augen, die das Bild stört – da macht eine Windenergieanlage oft nichts mehr aus, gelegentlich auch ein Windpark nicht.
    Mehrere weitere Punkte sollten bei der Diskussion um die Ästhetik dieser Anlagen nicht vergessen werden: Man könnte sie, wenn es dereinst Alternativen geben sollte, recht schnell und völlig spurlos wieder abbauen. Man sieht ihnen, wie kaum einer anderen Form der Energiegewinnung, an, was sie tun. Gerade ihre häufige Präsenz ermahnt vielleicht zum Sparen. (Letzteres ist allerdings wohl sehr optimistisch.)
    Zurück zum spurlos wieder abbauen: In meiner Landschaftswahrnehmung spielt das eine Rolle. Wenn für die Biogasanlagen immer mehr Wiesen umgebrochen und mit Mais etc. bebaut werden bis zu einem schmalen Streifen am Bach, auf dem bald nur noch Brennnesseln wachsen, leidet das Landschaftsbild für mich mehr als wenn es “eigentlich” erhalten bleibt und nur durch symbolkräftige Bauwerke der energiehungrigen Gesellschaft gestört wird. Wasserkraftanlagen machen Flüsse zu etwas, das man kaum noch so nennen kann. Eine große Rolle spielt für mich wohl: Ich habe, wie wohl auch viele Andere, einen Blick auf die Landschaft, der weniger den Kirchturm als höchstes Bauwerk braucht als das Wissen, dass an einem Ort noch Fische in den Bächen und Flüssen sind, ein paar richtige Wiesen mit Grillen etc. da sind, der Acker nicht mit Unmengen Schweine- oder Putenmist gedüngt und ständig gespritzt wird – und dass es hier folgerichtig noch ein paar Leute gibt, die “ein Gefühl dafür haben” oder es einfach nicht “besser” wissen. Wenn es an einem Ort so ist, ist eine Windenergieanlage ein Wermutstropfen, der zwar durchaus zum Kippen einer Gegend in die rationalistische Bedeutungslosigkeit führen kann – aber nicht muss. Die Landschaft bleibt im günstigsten Fall ein ästhetischer Gegenpol. Das hat – bei aller Kritik an den Psychologen unter uns Landschaftsplanern, die übrigens auch ihren Teil zu den Zonen mit abnehmender Wirkung beigetragen haben – auch etwas mit selektiver Wahrnehmung zu tun: Wenn ich die Windenergieanlagen als notwendiges Übel betrachte und mir bewusst mache, was sie vielleicht alles verhindern, gelingt es mir – nicht immer, aber doch in der Regel – gar nicht auf sie zu schauen. Ich störe mich dann an ihen ebenso wenig wie an der Brille, durch die ich sie betrachte oder der Regenjacke aus Plastik, in der ich herumlaufe. Sie gehören nicht dazu und ich vergesse sie beim Blick auf die Landschaft dann ebenso wie mein Wissen darum, dass diese Landschaft etwas ist, das in der modernen Welt von Vielen nur noch geduldet ist, weil es ihren – wirtschaftlichen oder sonstwie rationalistischen – Interessen entgegensteht. Sicher: Einen Moment später sehe ich sie vielleicht doch wieder und vielleicht ärgere ich mich darüber. Dennoch ist die verbliebene Landschaft viel mehr als eine Erinnerung, es ist noch Substanz da. Vielleicht “lebt” sie für mich noch, trotz des unpassenden Accessoires, ähnlich wie ein Mensch, der in eine Berghütte kommt und seine Super-Outdoor-Funktions-Jacke gegen gemütliche Kleidung tauscht und sich ein Bier kauft.
    Wenn ich Fernseh- oder Radiowerbung für Dumme dafür machen wollen würde, würde ich vielleicht sagen: “Ich glaube an die Kraft der Landschaft.” Tatsächlich hoffe ich durchaus, dass es den Windenergieanlagen nicht “gelingt”, so viel zu versauen, dass niemand mehr das wahrnimmt bzw. erleben kann, was wir vor ihnen schützen wollen. Ebenso sind mir Offshore-Windparks als Energiequellen tatsächlich lieber als Bohrtürme.
    Hinweisen möchte ich – einerseits wegen der Aktualität der Problematik und andererseits wegen der diversen zweifelhaften Euphemismen und sonstigen sprachlichen Höhepunkte – auf folgende Aktion von Avaaz:
    http://www.avaaz.org/…ten_b/?bggECdb&v=23196

  19. @ Balanus

    „Aber viele, wenn nicht gar die meisten, stehen zwischen diesen Flügeln … Der Konflikt zwischen Naturschutz und Öko-Technokratie findet, so scheint mir, also weniger zwischen als vielmehr im Menschen statt.(“

    Das stimmt sicher.

    „Dass Ästhetisches und Kulturelles etwas Subjektives ist, bedeutet m. E. vor allem, dass es wandelbar ist. Was heute von den meisten als hässlich und schrecklich empfunden wird, könnte in der Zukunft als lebensnotwendig gesehen und darum als schön empfunden werden“

    (1) Es stimmt, es bedeutet, daß es wandelbar ist, aber ich wollte oben vor allem darauf hinaus, daß subjektiv im heute modischen naturalistischen Denken als nebensächlich gilt, und das ist ein Irrtum.

    (2) Daß etwas als angenehm empfunden wird, sei es, weil es das unmittelbar ist, sei es, weil es Angenehmes symbolisiert (z. B., weil es lebensnotwendig ist und Leben grundsätzlich als angenehm gilt), muß man davon unterscheiden, daß es als schön empfunden wird. Das ist eine fundamentale Differenzierung, die man seit der Aufklärung kennt und die man nicht einfach verschwinden lassen sollte. Wir sind in der Lage, ein Schloß oder eine Kathedrale als schön zu empfinden, auch wenn uns die von ihnen über die Symbolik erweckten Assoziationen (Monarchie, Adel; Religion) politisch-weltanschaulich unangenehm sein mögen. Wenn wir das nicht können, sondern z. B. Schloß und Kirche wegen der damit verbundenen (empfundenen) politisch-weltanschaulichen Assoziationen nicht mehr in ihrer Schönheit erkennen können, wäre das ein gewaltiger zivilisatorischer Rückschritt (Diktaturen haben mit diesem Rückschritt Politik gemacht). – Auch innerhalb der Symbolisierung von Angenehmen muß man Stufen unterscheiden. Eine Fabrik mag etwas Angenehmes herstellen und darum positive Gefühle wecken; aber indem sie eine Fabrik ist, weckt sie negative Gefühle, weil Industrie für den Konservativen in uns negativ besetzt ist.

    Was das alles für die Frage der Windräder bedeutet, weiß ich auch nicht, nur, daß die Frage ihrer (zukünftigen) Ästhetik komplizierter ist als man zu denken geneigt ist.

  20. Sowohl als auch /@Ludwig Trepl

    Wenn man sich einem der beiden hier beschriebenen Flügel der Ökobewegung voll und ganz zuordnen kann, ist man zumindest mit sich im Reinen.

    Aber viele, wenn nicht gar die meisten, stehen zwischen diesen Flügeln (so wie ich). Einerseits wollen sie (mit technischen Mitteln) Ressourcen und Klima schonen, andererseits liegt ihnen der Erhalt der Kulturlandschaft am Herzen (weil es letztlich gut für den Menschen ist).

    Der Konflikt zwischen Naturschutz und Öko-Technokratie findet, so scheint mir, also weniger zwischen als vielmehr im Menschen statt.

    Helfen mir nun die im Beitrag formulierten Ratschläge bei meiner Zerrissenheit in dieser Öko-Frage?

    Ästhetisches und Kulturelles ist für sie [konservative Naturschützer], so wie für ihre technokratischen Gegner, „nur subjektiv“, also nichts Objektives, und das soll vor allem heißen, daß es nebensächlich ist.

    Das richtet sich also an beiden Seiten. Und das sehe ich anders. Dass Ästhetisches und Kulturelles etwas Subjektives ist, bedeutet m. E. vor allem, dass es wandelbar ist. Was heute von den meisten als hässlich und schrecklich empfunden wird, könnte in der Zukunft als lebensnotwendig gesehen und darum als schön empfunden werden (z. B. Windräder).

    Aber dieses Wissen bzw. diese Vermutung hilft mir heute nicht weiter. Es ist einfach kein Trost, dass die hässliche Windkraftanlage, die mir den freien Blick zum Himmel verwehrt, in Zukunft vielleicht anders gesehen wird.

    Entschärft könnte der Konflikt dadurch werden, daß die Öko-Technokraten einen ähnlichen Rat befolgen, wie ich ihn eben den konservativen Naturschützern gegeben habe.
    […]
    Sie dürfen nicht wie Bauingenieure denken, sondern müssen denken wie Architekten.

    Das scheint mir ein guter Ratschlag an die Öko-Technokraten zu sein. Wenn der Mensch eine Skyline (selbst die von Frankfurt/Main) schön finden kann, sollte es doch möglich sein, eine Windkraftanlage so zu bauen, dass sie (zumindest aus der Ferne) einen schönen Anblick bietet.

    Doch falls so etwas nicht realisiert werden kann (was wahrscheinlich ist), bleibt nur die Hoffnung, dass irgendwann die (Überlebens-)Notwendigkeit der Energiegewinnung das subjektive ästhetische Empfinden verändert (schön ist, was hilft, elementare menschliche Bedürfnisse zu befriedigen).

  21. @ Johannes Pain

    Lieber Johannes,

    schön, daß ich auf diese Weise mal wieder von Dir höre. Das Internet ist doch nicht in jeder Hinsicht ein Fluch.

    „Leider muss ich der Einschätzung zustimmen, dass eine Überwindung des Gegensatzes durch die Mittel der architektonischen Gestaltung wenig wahrscheinlich ist.“

    Wenig wahrscheinlich sicher, aber interessant wäre, ob er unmöglich ist.( An sich, meine ich, müßte man schon dafür sein, daß das Ingenieursdenken auch auf diesem Gebiet durch das architekturtypische Denken ersetzt wird, ob man da nun optimistisch ist oder nicht. Ich wüßte jedenfalls kein Argument dagegen. Fraglich scheint mir aber, ob eine architektonische, d. h. wesentlich künstlerische Lösung speziell des Gegensatzes zwischen Moderne und Tradition überhaupt möglich ist im Hinblick auf die Landschaft. Das, was „man“ (bzw. der Konservativismus) von dieser will, könnte so beschaffen sein, daß es auch auf diese Weise keine Versöhnung geben kann. Irgendwie ist der im Laufe des 19. Jahrhunderts entstandene Gedanke, daß – ganz anders als man das vorher sah – die Landschaft so sein muß wie sie war, und zwar nicht nur nicht beliebig verändert werden darf, sondern sich auch nicht entwickeln darf, nicht mehr aus der Denk- und Gefühlswelt unserer Gesellschaft herauszubekommen.

    „Zweifel habe ich an der Annahme, die konservativen Naturschützer seien zur Ökologiebewegung zu rechnen …“

    Irgendwie stimmt das natürlich. Wenn man sich den Kern-Typ dieser Leute vor Augen hält (alte Männer in Lodenmänteln): Die wollen sich der Ökologiebewegung ja gar nicht zuzählen. Aber alles in allem genommen scheint mir diese Bewegung doch eher eine Einheit, die sich in sich differenziert, als ein Zusammengehen von Gruppen verschiedener Ausrichtung, die zufällig an bestimmten Punkten gemeinsame Ziele verfolgen. Oder vielleicht besser: Das war sie eher am Anfang. Ich hätte 1980 (als ich noch ohne große Abstriche zu dieser Bewegung gehörte) kaum sagen können, was mich mit Leuten wie Weinzierl verbindet, man hatte halt punktuell gemeinsame Anliegen. (Doch schon damals beanspruchten die verschiedenen Gruppen, ein Flügel „der“ Ökologiebewegung zu sein, und zwar der Flügel, der sie eigentlich repräsentiert, die anderen haben sich nur angehängt.) Aber wenn ich sehe, was heute etwa bei den Grünen ist oder welche Menschen es sind, die in BUND-Ortsgruppen zusammensitzen, dann kommt mir das ziemlich homogen vor, verglichen mit damals wenigstens.

    Freilich, da hast Du sicher recht, verglichen mit den großen ideologischen Strömungen (Liberalismus, Konservativismus, Demokratie/Sozialismus), die es seit dem 18. Jahrhundert gibt, hat die Ökologiebewegung doch viel mehr den Charakter des temporär Zusammengeklebten.

  22. Naturschützer

    Eine schöne Analyse!
    Leider muss ich der Einschätzung zustimmen, dass eine Überwindung des Gegensatzes durch die Mittel der architektonischen Gestaltung wenig wahrscheinlich ist.

    Zweifel habe ich an der Annahme, die konservativen Naturschützer seien zur Ökologiebewegung zu rechnen und nun drohe die Einheit dieser Bewegung zu zerbrechen. Könnte man nicht auch sagen, dass sich an der Kontroverse über die Windenergie trennt, was eigentlich nie zusammengehörte? Natürlich gibt es Anliegen, die Naturschützer und Öko-Technokraten gemeinsam vertreten können, z.B. den Kampf gegen eine neue Umgehungsstraße. Das tun sie aber aus ganz unterschiedlichen Gründen. In diesem Beispiel wegen der Zerstörung “unberührter” Kulturlandschaft im Gegensatz zur grundsätzlichen Ablehnung des Straßenverkehrs als Symbol umweltschädlichen Verhaltens.

  23. Ökologisten vs. ökologisch Bemühte

    Doch feiert nur die eine Hälfte dieser Bewegung. Die andere muß erleben, daß das, wofür sie sich engagiert, gerade durch diesen Erfolg in einem Maße zerstört wird, wie es in der Geschichte vielleicht noch nie vorgekommen ist.

    Loge! – Ökologisten [1], denen es nur wenig um die Beschaffenheit der Natur geht, die stattdessen eigenes projiziertes Wohlbefinden suchen, beispielsweise im Rückbau der Produktionsverhältnisse oder der Menschheit allgemein, sei es zum Zwecke eines nur behaupteten ökologischen Gleichgewichts, sei es aus postreligiösem Befinden heraus, müssen härter angegangen werden. Denn ihr Bemühen mündet zwingend darin, dass sie sich selbst gut fühlen die Umwelt betreffend, nicht aber darin dass es der Umwelt auch gut geht.

    Viele Dank für diesen Artikel!

    MFG
    Dr. W

    [1] Der Ökologismus hat klare Tendenzen zerstörerisch zu wirken, er bedarf der kritischen Bearbeitung. – Es ist schon lustig, dass es bspw. in der bekannten Online-Enzyklopädie nur wenig hierzu zu lesen gibt, der Duden kennt das Wort gar nicht. Im englischen Sprachraum als ‘Environmentalism’ geführt ist das Problem dort wesentlich bekannter.

  24. @ Quentin Quencher

    „…dass gerade bei den Öko-Technokraten nicht nur ökologische Gründe für ihre Agenda ausschlaggebend sind, sondern Kapitalismuskritik.“

    Das halte ich nur für bedingt richtig. Unter den Öko-Technikraten sind sicher auch Kapitalismuskritiker, aber überwiegend andere, nämlich solche, die meinen, unter den Bedingungen des Kapitalismus – sei es mit mehr Planung im Rahmen dieser Wirtschaftsweise, sei es mit dem Liberalismus eher gemäßen Methoden – ließen sich die sog. ökologischen Probleme lösen. „Technokratie“ ist gegenüber dem Gegensatz Kapitalismus-Sozialismus neutral, das paßt zu beidem.

    „Die Linken hatten ja ursprünglich mit Umweltschutz oder Ökologismus nicht viel am Hut“

    Das stimmt meines Erachtens nur halb. Einerseits schon, die Linken waren wie die Liberalen auf der Seite des Fortschritts und das bedeutete selbstverständlich, daß man die Natur ganz den Bedürfnissen „des Menschen“ unterwirft. Andererseits war es innerhalb des linken Denkens auch immer möglich (anders als im liberalen, wo man grundsätzlich auf eine unbegrenzte Innovationsfähigkeit setzt, die auftretende Umweltprobleme schon lösen wird – was im klassischen linken Denken, sei es sozialdemokratisch, sei es kommunistisch, aber auch möglich war), den Umweltschutz sozusagen in die Produktionsziele einzubeziehen. Man muß bedenken, daß solche riesigen Landumgestaltungsprojekte, wie man sie in der Sowjetunion zur Stalinzeit plante und zum Teil auch durchführte, unter der Überschrift der Umweltverbesserung liefen. Das ist natürlich nicht das, was sich konservative Naturschützer darunter vorstellen, aber mit den derzeitigen Energiewende-Vorstellungen paßt es gar nicht so schlecht zusammen.

    „Die Linken … haben hier nur eine Möglichkeit gesehen, ihre ursprünglichen Anliegen gut zu verpacken.“

    Das stimmt auch nur halb, das weiß ich noch aus eigener Erfahrung. Die Gefühle der Grünen linker Herkunft waren schon echt. Fast in jedem, egal wo er politisch überwiegend hingehört, steckt halt auch das, was die klassischen Konservativen, etwa die Heimatschützer, motivierte. Und außerdem hat ja der Umweltschutz eine Komponente, die gar nichts zu tun haben muß, was die Naturschützer bewegt. Wenn es etwa gegen die Luftverschmutzung in Industriegebieten, die Umwelt am Arbeitsplatz, die Gefahren der AKWs usw. ging, dann waren das genuin linke Anliegen (jedenfalls da, wo der Sozialismus nicht an der Macht war).

    Man sollte bei all diesen Fragen auch noch bedenken, daß es links (jedenfalls dem Selbstbild nach) in der Ökologiebewegung immer noch eine andere und mächtige Strömung gab, die alles andere als technokratisch ist, sondern „basisdemokratisch“ und ideologische Wurzeln im alten Anarchismus hat.

  25. Moral und Gewissen in allumfassender

    Bewußtseinsbetäubung, wo längst geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein die Möglichkeiten der Kraft des Geistes (der / die uns alle im SELBEN Maß durchströmt) wirklich-wahrhaftig / eindeutig und zweifelsfrei menschenwürdig gestalten sollte.

    @Diana Weidner

    “Eigentlich verfolgen vermutlich alle das selbe Ziel: die eigene menschliche Existenz sichern. Die einen so, die anderen anders.”

    – genauso ist es, im geistigen Stillstand seit der “Vertreibung aus dem Paradies” (erster und bisher einzige GEISTIGE Evolutionssprung durch Mutation), wo Mensch aus seiner GLEICHERMAßEN unverarbeiteten / MANIPULIERBAREN Bewußtseinsschwäche in Angst, Gewalt und “Individualbewußtsein” nur die Hierarchie von und zu materialistischer “Absicherung” in Suppenkaspermentalität auf stets systemrationaler Sündenbocksuche gemacht hat, woraus die Konfusion / die Welt- und “Werteordnung” in Überproduktion von multischizophrenen KOMMUNIKATIONSMÜLL resultiert.

  26. Linke und Rechte

    Im Prinzip stimme ich dem Beitrag zu, gebe aber zu bedenken, dass gerade bei den Öko-Technokraten nicht nur ökologische Gründe für ihre Agenda ausschlaggebend sind, sondern Kapitalismuskritik. Die Linken hatten ja ursprünglich mit Umweltschutz oder Ökologismus nicht viel am Hut, haben hier nur eine Möglichkeit gesehen, ihre ursprünglichen Anliegen gut zu verpacken. Dr. Frank Uekötter meinte im SWR2 Forum: „ Die Umweltbewegung ist deshalb in Deutschland stärker als in anderen Ländern, weil es einen Zusammenfluss von Rechten und Linken, oder sagen wir besser, aus konservativen Gruppen und Neomarxisten gegeben hat.“
    http://glitzerwasser.blogspot.de/…nenblumen.html

    Aber die Frage ist durchaus berechtigt: Wie lange hält dieser Zusammenschluss noch?

  27. @ Diana Weidner

    „Eigentlich verfolgen vermutlich alle das selbe Ziel: die eigene menschliche Existenz sichern.“

    Aber doch mit einem entscheidenden Unterschied: Während die einen, diejenigen, die ich „Ökotechnokraten“ genannt habe, mit menschlicher Existenz nur die Überlebenssicherung, also eigentlich gar nicht die Sicherung einer menschlichen Existenz meinen, meinen die anderen, die Naturschützer, gerade die Sicherung der menschlichen Existenz. Von dieser haben sie allerdings eine bestimmte Vorstellung, die nicht gerade alle teilen: die der konservativen Zivilisationskritik. „Natur“ ist für sie nicht „Ökosystem“, ein Inbegriff von Faktoren, die das physische Überleben bedrohen oder eben sichern können, sondern „Landschaft“, ein kultureller Gegenstand.

    Allerdings gibt es im Rahmen dieses zivilisationskritischen Naturschützer-Denkens auch die Möglichkeit, zu meinen, daß es gar nicht um die menschliche Existenz ginge. Dabei wird aber dann typischerweise der Mensch gar nicht als Mensch, sondern als eine bestimmte Tierspezies aufgefaßt, die für „die Natur“ – und um deren Existenz geht es dann – bedrohlich ist.

  28. der Globus ist geduldig

    Eigentlich verfolgen vermutlich alle das selbe Ziel: die eigene menschliche Existenz sichern. Die einen so, die anderen anders.
    Der Globus hat ja bereits so einige größere und kleinere Katastrophen und Massen-Aussterben hinter sich gebracht.
    Die einen kommen – die anderen gehen.

    Der Planet braucht uns nicht – er wird sich weiter drehen und Platz für viele Lebewesen bieten. So oder eben anders.

    Wir Menschen sind es, die auf eine intakte Umwelt zum Überleben angewiesen sind. Wenn wir diese unsere Lebensgrundlage weiter zerstören, werden wir wohl mit den Konsequenzen leben bzw. sterben müssen.

    Solange Macht- und Profitgier, Korruption und Skrupellosigkeit, Kurzsichtigkeit und Ignoranz, Bequemlichkeit und Eigennutz regieren, “kämpfen wir gegen Windmühlen” …

  29. Industrialisierung der Landschaft

    Schon der Begriff “Industrialisierung der Landschaft” zeigt worum es eigentlich geht: Die Industrie erhält als neuen Standort tendenziell unseren gesamten Lebensraum – nicht nur dort wo wir arbeiten, sondern auch dort wo wir wohnen und dort wohin wir Ausflüge und Wanderungen machen. Diejenigen, die das bekämpfen, wollen nicht, dass es an immer mehr Orten so aussieht wie früher im Ruhrgebiet. Womit wir aber bereits sehr stark im subjekten Bereich sind. Denn es gibt ja auch Leute, die Windräder ästhetisch finden und die den Vergleich einer mit Windrädern überstellten Landschaft mit dem früheren Ruhrgebiet als äusserst ungerecht empfinden.

    Warum ist eine menschengemachte, grossräumige Landschaftsveränderung für viele Menschen schwer akzeptierbar? Wohl weil viele sich ein Bild ihrer Heimat geschaffen haben, das sie nicht einfach aufgeben wollen wie sie ein gebrauchtes Auto ohne viel Bedauern weitergeben oder verkaufen.

    Oft ist ein ganzes Lebensgefühl mit einer Landschaft verbunden. Viele, die an der britischen Küste aufgewachsen sind und immer noch dort leben, verbinden das landschaftliche Bild, das sich ihnen eingeprägt hat mit ihrem Leben. Es ist kein Wunder, dass sich deshalb in Grossbritannien besonders heftiger Widerstand gegen die völlige Überbauung ihres Lebensraums ausgebildet hat.

    Ein Bild welches gut demonstriert, wie nur schon eine einzige Windturbine einen Ort völlig verändern kann, diene die Website Country Guardian mit dem Bild, das man sieht wenn man ganz nach unten scrollt.