Warum Religion natürlich ist und Wissenschaft nicht…

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

…so lautet die Übersetzung des neuen Buches von Robert McCauley, Direktor des Center for Mind, Brain and Culture an der Emory University: Why Religion is Natural, and Science is Not.

Als Robert in Barcelona von seinem Buch erzählte, war ich schon neugierig. Aber die Erwartungen wurden sogar noch übertroffen.

Im ersten, großen Teil von WRiNaSiN stellt Robert den Kenntnisstand und weitgehenden Konsens der Kognitionsforschungen zu Religiosität dar, wie ihn Leserinnen und Leser von Gott, Gene und Gehirn auch bereits kennen: Demnach entsteht der Glauben an überempirische Akteure (nach McCauley: supernatural oder kontraintuitive CI-agents) durch die Kombination menschlicher Kognitionen etwa bei der Überwahrnehmung von Wesenheiten (Hyper-Agency Detection, HAD), der auch empathisch-emotionalen Mentalisierung (Theory of Mind, TOM) und des entsprechenden Verhaltens (wie Reputation Management). So entstünden aus natürlich-angeborenen Veranlagungen immer wieder Mythen und Rituale “populärer Religiosität” (popular religion).

Von diesen populären Formen seien reflektierte Theologien zu unterscheiden, die von kleinen Eliten verwaltet würden und sich um die Ordnung und Normierung dieser populären Religionsformen bemühten. Diese seien zu ihrem Erhalt auf institutionelle Unterstützung angewiesen.

Moderne, empirische Wissenschaft aber ordnet McCauley ebenfalls diesem reflektierten Bereich zu: Auch Wissenschaften setzten sich in immer abstrakteren Formeln und Metaphern von den Alltagserfahrungen der Menschen (etwa mit Alltags-Biologie, -Physik o.ä.) ab und seien zunehmend nur noch von hoch spezialisierten, von Förderung abhängiger Experten zu leisten. So arbeitet der Autor sieben Schlussfolgerungen heraus:

1. Traditionelle Vergleiche von Wissenschaft und Religion gehen fehl, da sich Religion auf veranlagte Wahrnehmungstendenzen stützen kann, wogegen Wissenschaft zunehmende, kognitive Schwierigkeiten zu meistern hat.

2. Theologische Inkorrektheit ist unvermeidbar, da abstrakte “Theologien” mit den gleichen, kognitiven Schwierigkeiten wie (andere) Wissenschaften zu kämpfen haben.

3. Wissenschaft stellt keine Bedrohung für Religion dar, da jede verschwindende religiöse Mythologie schnell durch neue, kognitiv wieder ansprechende Varianten ersetzt werden wird.

4. Bestimmte Behinderungen machen Religion unverständlich, zum Beispiel Autismus.

5. Wissenschaft ist grundsätzlich sozial, da es Zusammenarbeit, Institutionen und Vorkehrungen wie das Peer-Review braucht, um die kognitiven Vorprägungen der einzelnen Wissenschaftler zu überwinden. 

6. Wissenschaft hängt entscheidender von institutioneller Unterstützung ab als Religion, zumal die höchsten Formen “eingeübter Natürlichkeit” (wie schon beim Lesen und Schreiben) oft langes, spezialisiertes Training erfordern, von den Kosten für Projekte, Labore, Publikationen etc. ganz zu schweigen. Dagegen wachse populäre Religiosität sogar umso schneller, wie ihr keine geförderten, akademischen Theologien gegenüber stünden. 

7. Die Existenz von Wissenschaft ist nicht gesichert, da sie ohne institutionelle (meist: staatliche) Unterstützung schnell zusammenbrechen würde. Dagegen hielten sich religiöse Traditionen selbst in antitheistischen Diktaturen. Entsprechend verteidigten z.B. religiöse Kreationisten, Klimaskeptiker usw. verbissen ihre Mythologien – und hätten etwa in den USA längst ihre strategischen Vorteile genutzt, um Stimmung gegen vermeintlich arrogante und atheistische Wissenschaftlerkasten zu machen.

Nach der hervorragenden Dissertation dazu von Sebastian Schüler hatte ich eigentlich nicht damit gerechnet, aus der Perspektive der Kognitionspsychologie so schnell wieder An- und Aufregendes zur Evolution von Religiosität und Religionen zu lesen. Doch Robert McCauley hat gezeigt, dass wir erst beginnen zu verstehen, was die Befunde der letzten Jahrzehnte auch für unser Selbstverständnis bedeuten.

* English version of this review at “Biology of Religion”, scilogs.eu

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

14 Kommentare

  1. Uih

    Weil Religion so einfach ist, Wissenschaft aber komplex und vor allem, sie schafft Wissen und Technik?
    Vorhersagbare Resultate außerdem.

    Mal ehrlich, man kann die Ergebnisse auch als Fehlschaltung zur Vereinfachung der Realität werten …

  2. Die Existenz von Wissenschaft ist nicht gesichert?

    Ja, das macht mir am meisten Sorgen. Ich erinnere an das römische Reich. Wenn staatliche Strukturen zusammenbrechen, kümmert sich kein Mensch mehr um die wissenschaftliche Arbeit, die mühevollst über Jahrzehnte und Jahrhunderte erarbeitet wurden. Gut, aufgrund der Globalisierung ist das Wissen der Welt fast in jedem Erdwinkel auf die eine oder andere Art (am besten in Form von Büchern) gegeben. Das gibt wieder Hoffnung. 😉

  3. Religion und Wissenschaft liefert jeweils Modelle der Welt und unterstützen damit das Überleben der Organisationen, die sie betreiben. Der Output der Religion sind Regeln für menschliches Verhalten, die die effektive Zusammenarbeit und die Vermehrung der Gläubigen fördert, der Output der Wissenschaft sind Werkzeuge, die das Überleben fördern. Beides macht Sinn, ist natürlich und funktioniert.
    Wissenschaft, die profitable Werkzeuge liefert, wird auch ohne staatliche Subventionen funktionieren. Wissenschaft zum reinen theoretischen Erkenntnisgewinn ist wie Kunst und Kultur auf Sponsoren angewiesen.

  4. 4 Behinderungen ..

    Was ist 4 für eine Aussage?

    Schwere geistige Behinderungen machen Wissenschaft oder auch jegliches Verstehen auch “unverständlich” – so what?

  5. Wissenschaft

    … bzw. das Bemühen um Erkenntnis ist genau so ‘natürlich’ (btw: Hat jemand gerade eine Definition für die Natürlichkeit einer Sache oder eines diesbezüglichen Verhalts zur Hand?) wie die Religion.

    Auch ansonsten ist hier unklar, wie genau unterschieden worden ist und was der Subtext bzw. die “Message” der Publikation ist oder sein soll.

    MFG
    Dr. Webbaer (dem zu jeder These eine Begründung einfiele, warum es sich mit der Wissenschaft ähnlich oder genau so verhalten könnte)

  6. @einer: Erklärung

    Sie sollten nicht irrig ausgehen, dass Schriften, die “Wissenschaft” im Namen tragen, selbst einen wissenschaftlichen Anspruch haben oder frei von Unverschämtheiten sind.

  7. Konkurrenz und Konstrukte

    …konkurrieren nicht.

    [In einer idealen Welt. :-)]

    Hmm, also dieser Schreiber hat schon den Glaubensentscheid für die Moderne Wissenschaftlichkeit getroffen, es gibt auch andere und zudem ist die Wissenschaftlichkeit zudem ein wenig flexibel, von bekannten Standards wie dem Skeptizimus einmal abgesehen, und natürlich erscheint die Sache auch.

    MFG
    Dr. Webbaer (der allgemein noch nicht ganz folgen kann)

  8. Natürlich?

    Hallo!
    Natürlich könnte bezeichnet werden, was sich ohne zutun einer Institution herausbildet. So wäre die Sprache natürlich, insofern alle Menschen, die nicht krank sind, eine Sprache entwickeln auch wenn keine Sprache von aussen angeboten wird. Es gibt dafür einige Beispiele von Taubstummen Menschen oder Sklaven, die diese These stützen. Chinesisch oder deutsch ist hin gegen ein Kulturgut, insofern diese auf eine langen Kette von Traditionen beruht.
    Religion gibt es in allen Kulturen und vieles spricht dafür, dass sich religiöse Vorstellungen spontan bilden, auch wenn wenn keine Religion tradiert oder gelernt worden ist.
    Wissenschaft und die enge Verknüpfung zur Mathematik in der modernen Form ist nicht natürlich: sie ist eine Kulturleistung ersten Ranges. Aber auf welchem natürlichen Verlangen ruht Wissenschaft? Meine Vermutung ist, dass Bezugnahme zu Tatsachen sehr wohl natürlich ist. Gemeint ist, dass es zu allen Zeiten Menschen gab, die eine Referenzierung auf einen unvermittelten Erfolg durch die Tat priorisieren.
    Ich habe mal von einer Geschichte gehört, deren Herkunft ich nicht kenne, aber doch für glaubwürdig halte, in der ein nativer Amerikaner (ich glaube vom Stamm der Schwnee) von einem Missionar gefragt wurde, was er glauben würde was nach dem Tod käme. Er hätte mit einer Ohrfeige geantwortet und kommentiert, dass, weil noch niemand zurückgekommen sei, diese Frage sich verbiete.
    Das sind durchaus sehr basale Ansätze: Die Unterscheidung zwischen entscheidbaren und nicht entscheidbaren Sätzen ist doch wohl eine der zentralen Säulen auf der Wissenschaft ruht.
    Zwei weitere Säulen ist die Stützung der Schlussfolgerungen zum Einen auf einfache, rationale Kausal-Beziehungen und zum Zweiten auf methodisches Beobachten. Diese und weitere Elemente (wie tüfteln) aus der Wissenschaft besteht sind wohl natürlich, aber die Ausarbeitung zur modernen Wissenschaft ist kulturell.
    Oder?

  9. @einer: McCauleys 4

    Wie viele andere Kognitionsforscher auch erkundet Robert McCauley, welche Beeinträchtigungen sich auf welche Fähigkeiten auswirken (sog Läsionenanalysen). So sind Autisten oft zu außerordentlichen, kognitiven Leistungen in der Lage, aber die Fähigkeit der Mentalisierung (TOM) ist eingeschränkt – und damit (wohl, so Robert) auch die durchschnittliche Religiosität.

    Auch weist Robert darauf hin, dass Autismus bei Männern sehr viel häufiger als bei Frauen auftritt – während für Religiosität das Umgekehrte gilt.

    Zu dem Thema Autismus-Religiosität laufen aber derzeit international eine ganze Reihe von empirischen Studien, so dass ich deren Ergebnisse gerne erst einmal abwarten würde. Ich will da erst mehr Daten sehen, bevor ich’s glaube! 🙂

  10. @Wilhelm Druben: Ja! @Webbär

    Lieber Herr Druben,

    nun wollte ich gerade auf @Webbär antworten, da haben Sie (und @Tom) mir das schon vorweg genommen.

    Denn ganz klar: Alle menschlichen Kulturleistungen bauen selbstverständlich auf natürlichen Grundlagen auf. Robert unterscheidet jedoch zwischen jenen, die in Menschenkulturen universal auftreten – wie die von Ihnen zu Recht erwähnte Sprache, aber auch Musik und eben Religion – und jenen, die nur bestehen bleiben, wenn sie durch Institutionen kulturell vermittelt werden – etwa Lesen und Schreiben oder eben Wissenschaft. So haben wir selbstverständlich auch proto-biologische, proto-physikalische, proto-methodische (usw.) Kognitionen. Ohne institutionelles Lernen (und Lesen und Schreiben) kann daraus aber, so der Autor, keine “Wissenschaft” im modernen Sinn werden. Umgekehrt bewirken Institutionen und Schrift eine “Theologisierung” der populären Religionsformen.

  11. @ Gerd Rolofs

    „Religion und Wissenschaft …konkurrieren nicht.“ Warum auch – schließlich stammen sie aus einer Quelle! Das ergibt sich u. a. aus den sumerischen Epen (Gilgamesch Epos…, Enuma Elisch) – und den Heiligen Schriften. Wir Menschen haben aber aus verschieden Gründen beide streng getrennt, Gemeinsamkeiten? Und so sind Götter etwas völlig Unwissenschaftliches, Mysthisches – wo kommen wir denn sonst hin…
    Wir rätseln, wer baute den Mechanismus von Antikythera? Schauen wir ins Buch Mormon, gab es z. B. aus himmlischer Werkstatt einen Kompass – und das war nur eins von vielen Objekten.
    Dazu siehe: „Die Geschichte einer Besonderheit“ unter http://www.science-shop.de/…d=6&et_lid=50293 .

  12. Wissenschaft und Religion

    Wissenschaft und die enge Verknüpfung zur Mathematik in der modernen Form ist nicht natürlich: sie ist eine Kulturleistung ersten Ranges.

    Das dürfte auch für die Religionen gelten, zumindest für diejenigen, die sich durchgesetzt haben, die den Status als Weltreligion genießen. Die implementierten Kooperationsregeln beispielsweise sind doch sehr beeindruckend (oder zumindest: wirksam), sogar das gelegentlich implementierte und ritualisierte Eskalationsprinzip.

    Wissenschaft und Religion konkurrieren zudem heutzutage in modernen Gesellschaftssystemen, erkennbar unter anderem auch daran, dass wissenschaftlich teilweise mit großer Zähigkeit Aussagen über Werte getätigt werden, was Richtung Szientismus gehen kann, aber auch oft sinnvoll erscheint.

    Das Unterscheidungskriterium McCauley’s scheint zwar zu funktionieren, aber ist es, hmmm, natürlich?

    Aber auf welchem natürlichen Verlangen ruht Wissenschaft?

    Typischerweise auf dem Nutzen, auch wenn das heutzutage nicht direkt glaubhaft ist, aber zumindest der erhoffte Nutzen ist es, der staatliche und privatwirtschaftliche Gelder letztlich freiwerden lässt. Politik und Wirtschaft haben sozusagen ein Primat über die Wissenschaft. – Religionen passen sich dagegen an, wenn die Anpassungen, das Zweite Vatikanische Konzil fällt hier ein, opportun erscheinen, Religionen sind üblicherweise nicht statisch (aber natürlich auch meist (Church of Satan? – btw: ein interessantes Thema, nein Dr. W kein Anhänger 🙂 nicht modisch, modische Religionen persistieren nicht).

    MFG
    Dr. Webbaer

    PS: Sorry, so besser, das Quoten ist hier auf White Space abgewiesen, was vergessen worden ist.

  13. Frühe Religionsquellen

    „Demnach entsteht der Glauben an überempirische Akteure…“ – das kann man aber auch kompliziert ausdrücken! Wenn man im Gilgamesch Epos [1] nachliest – heißt es einfach Götter und sie waren einfach auch Personen (Enlil, Ea, Ischtar…), die mit den (ausgewählten) Menschen sprachen, denn schließlich hatten sie den Homo sapiens aus dem Homo erectus (nach 1.Mo 1,26) vor gut 300.000 Jahren geschaffen, was Prof. Pääbo über die Lebenszeit des Homo sapiens in der DNA-Analyse herausfand http://www.mpg.de/…rder=TL&research_topic=BM . Ein weiteres Beispiel dafür, dass aktuelle Forschungsergebnisse die Überlieferungen bestätigen. Und so ergibt sich daraus, dass das ein eindeutiger Evolutionssprung war, denn ohne diesen Schöpfungsakt gäbe es uns heute noch nicht!

    „So entstünden aus natürlich-angeborenen Veranlagungen immer wieder Mythen und Rituale…“ Da fällt mir unser türkischer Reiseleiter ein, der immer Geschichten von den griechischen Göttern erzählt hatte. Da fragte ich ihn: „Wo kommen die Geschichten eigentlich her?“ – „Das hat sich so überliefert!“ Und so erzählte ich ihm: „Als wir nach der Sintflut wieder genug Menschen auf der Erde waren, sie lange Weile hatten, gingen sie in die Berge und hauten mit ihren Steinäxten tonnenschwere Steine so exakt aus dem Felsen, dass sie ohne Mörtel erfinden zu müssen, riesen Tempel und Paläste erbauten. Abends am Lagerfeuer sahen sie in den Funken Raumschiffe und setzen Götter hinein…“ – „So war es aber auch nicht.“
    „…was die Befunde der letzten Jahrzehnte auch für unser Selbstverständnis bedeuten.“ Ich denke nicht, dass Religion und Wissenschaft so vergleichbar sind. In den Heiligen Schriften gibt es eine Menge Hochtechnologie-Infomationen, aus gutem Grund – aber das wollen wir so (noch) nicht wahrhaben, wird unterdrückt und auch geleugnet, vgl. https://scilogs.spektrum.de/…-religion-born-in-the-usa Hight-Tech Buch Mormon vom 05.05.2009, 16:18 . Ein typisches Beispiel ist auch http://www.hiddenmysteries.org/…/vol4/ezek.shtml .

    [1] Maul, St. M.: Das Gilgamesch-Epos. Beck, München 2005

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