Ulm – Die Synagoge Albert Einsteins vor dem Wiederaufbau

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
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Am 14. März 1879 wurde in Ulm der wohl berühmteste Sohn der Stadt Ulm geboren: Albert Einstein. Seine Eltern Hermann und Pauline waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde Ulms, die auf eine gleichzeitig lange und kurze Geschichte zurück sah. Lang, weil die erste (bekannte) schriftliche Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in der Stadt bereits auf das Jahr 1241/1242 zurück geht. Kurz, weil diese 1349 in einem Pestpogrom vernichtet und wieder zuziehende Juden 1499 aus Ulm verwiesen wurden. Erst ab 1806 zogen wieder – zunächst vereinzelte – Juden in die Stadt, 1856 gründete sich schließlich eine jüdische Gemeinde. Erster Lehrer und Vorstand war Simon Einstein aus Laupheim. Die Gottesdienste fanden noch lange im Gasthaus Schwanen statt – erst 1873 konnte eine eigene Synagoge errichtet werden. 1880 lebten in Ulm 694 Juden, was 2,1% der Bürgerschaft entsprach und den bisherigen Höchstand markierte. Auch Einsteins Familie siedelte in diesem Jahr nach München um.

Die Ulmer Juden waren integrierte Bürgerinnen und Bürger und Patrioten und der größte Teil der Gemeinde neigte dem liberalen Judentum zu. So erhielt die Ulmer Synagoge sogar eine Orgel und 20 jüdische Ulmer fielen als Soldaten und Offiziere im ersten Weltkrieg für Volk und Kaiser. Auf die wissenschaftlichen Erfolge Albert Einsteins waren Stadt und Land zunächst stolz und nach ihm wurde unter anderem eine Albert-Einstein-Straße benannt. Und noch 1928 baute die jüdische Gemeinde ihre Synagoge um und entfernte auf zunehmend nationalistisch-rassistische Kritik hin die Kuppeln, damit ihr Versammlungshaus nicht mehr so "orientalisch" wirkte.

Doch es half alles nichts: Der Antisemitismus breitete sich aus und richtete sich – hier von Carsten Koenneker beschrieben – zunehmend auch gegen Albert Einstein und dessen wissenschaftliche Leistungen (wie die Relativitätstheorie). 1933 wurde die Einstein-Straße in Fichte-Straße umbenannt.

In der Pogromnacht im November 1938 wurde die Synagoge am Weinhof von SA-Leuten an mehreren Stellen gleichzeitig in Brand gesteckt. 29 Juden wurden öffentlich mißhandelt und verhaftet, die ersten in Lager deportiert. Das Gebäude, das durch den Brand hauptsächlich im Innern schwer beschädigt war, wurde auf Anordnung der Stadtverwaltung (!) noch im selben Jahr abgerissen. Die Ulmer Juden flohen oder wurden ermordet – nur eine Handvoll der Gebliebenen überlebte die NS-Vernichtunskampagnen. Noch 1944 wurden Verwandte Einsteins in Italien von deutschen Soldaten ermordet – wobei sich ein Soldat geweigert haben soll, daran teilzunehmen. So viel zur von Edgar Dahl neu vertretenen These, man habe von "nichts gewusst"…

Pläne für ein NS-Gebäude auf dem Synagogengelände wurden nicht mehr realisiert, aber statt dessen 1944 ein betonierter Löschwasserbehälter zur Brandbekämpfung im Bombenkrieg gebaut. 1958 wurde das Gelände mit einem Gebäude der Kreissparkasse neu bebaut (Grundstück Neue Straße 66). An der dem Weinhof zugewandten Seite wurde eine Gedenktafel angebracht. 1988 wurde zusätzlich ein Denkmal für die ehemalige Synagoge und die aus Ulm deportierten jüdischen Personen im Weinhof aufgestellt.

Die Geschichte des Ulmer Judentums flackerte, aber sie erlosch nicht: Die jüdische Gemeinde belebte sich gegen alle Erwartungen wieder. Wenige Juden blieben, andere zogen zu – und als die deutsche Regierung Kohl Juden aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion die Zuwanderung nach Deutschland gestattete, fand sich wieder das Potential für einen lebendigen Gemeindekern. Unter Stadtrabbiner Shneur Trebnik wurden wieder ein Betsaal und eine Kindergartengruppe eingerichtet, Religionsunterricht, Jugend- und Dialogarbeit wieder auf die Beine gestellt.

Vor wenigen Tagen war es dann soweit: Der Spatenstich zum Wiederaufbau der Synagoge Ulm am Weinhof erfolgte – wenige Meter vom historischen Standpunkt entfernt, am Schwörplatz, im Herzen der Stadt. Dazu erklärte die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs Barbara Traub: "Wir wünschen uns, dass dieses Gebäude von den jüdischen und nichtjüdischen Bürgern angenommen wird als ein Ort der Begegnung und ein Ort des Friedens."

Hier sehen Sie einen kurzen Überblick über den zerstörten Alt- und geplanten Neubau, gesprochen von Frau Traub und dem Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner:

Die Initiatoren hoffen, dass der Bau erfolgen und die Einweihung bis zum 9. November 2012 – dem 74. Jahrestag ihrer Zerstörung – gelingen könnte. Stadt, Land und Gemeinde tragen erhebliche Summen zum geplanten Neubau bei, aber es kommt entscheidend auch auf Spenden von uns Bürgerinnen und Bürgern an! Gerne möchte ich daher hier um Unterstützung für das historisch außerordentliche Bauvorhaben bitten:

Bitte unterstützen Sie das Projekt "Neue Synagoge in Ulm" 

Spenden auf das "Spendenkonto Synagoge Ulm" 
Sparkasse Ulm: Kontonummer: 211 537 30 BLZ 630 500 00.
oder an den "Förderverein Neue Synagoge in Ulm e.V." 
Sparkasse Ulm, Kontonummer: 210 875 52 BLZ 630 500 00. 

Geben Sie als Spendenzweck bitte an: "Für den Neubau der Synagoge in Ulm"  

Auch möchte ich anregen, eine eigene Initiative von uns Wissenschaftlern für den Neubau der Synagoge Ulm zu überdenken. Wäre es nicht schön, wenn viele von uns den Neubau durch Aufrufe, Spenden und Initiativen unterstützen würden? Wenn in Blogs, Mails und Zeitschriften Texte zur Geschichte Albert Einsteins und der jüdischen Gemeinde Ulm erschienen? Wenn ein Raum (die Bibliothek?) der Synagoge nach dem großen Wissenschaftler benannt werden könnte?

Auf meinem Blog hat es bisher noch nie einen Spenden- oder Aktionsaufruf gegeben – aber diesmal muss es sein!

Wir können die Geschichte nicht ungeschehen machen und die heutige Generation trägt auch keinerlei Schuld an ihr. Aber wir können, jede(r) von uns, ein Zeichen dafür setzen, dass Hass und Tod nicht das letzte Wort hatten, dass Respekt und Demokratie gewonnen haben, dass wir mit Stolz auch die Beiträge jüdischer Deutscher zu Kultur und Wissenschaft anerkennen und dass Juden, Christen, Muslime, Anders- und Nichtglaubende einer gemeinsamen, freiheitlichen Zukunft in unserem Land entgegen gehen.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

7 Kommentare

  1. Erinnerung –

    Danke, gute und notwendige Erinnerung. Und nicht nur das.
    Mich macht etwas traurig bis wütend, wohl nicht nur ein Nebenaspekt:
    Formulierungen auf den Gedenksteinen für die zerstörten Synagogen.
    In Heilbronn zum Beispiel heißt es:
    „Das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde unserer Stadt wurde am 10. November 1938 von den nationalsozialistischen Machthabern in Brand gesteckt.“
    Die kamen wohl von auswärts, gar aus Berlin?
    In Speyer : die Synagoge sei „bis zu ihrer Zerstörung durch eine ruchlose Tat zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes der Mittelpunkt des Lebens unserer jüdischen Mitbürger“ gewesen.
    Schön anonymisierend…
    Formulierungen, die mehr verschleiern als erklären. Man kann sich ein bisschen vorstellen, wie da in Stadträten diskutiert wurde – nicht nur in Heilbronn und Speyer. Peinlich. Da müsste man auch mal was aufarbeiten.

  2. Schön, dass an einigen Punkten mal etwas für eine gemeinsame Zukunft aufgebaut wird und Anerkennung findet.
    Man kann nur hoffen, dass gerade der Wiederaufbau der Synagoge Einsteins als Beispiel und Vorbild wirkt!

  3. Schade um die wertvollen Parkplätze und noch bedauerlicher eine Synagoge für so wenige Leute an einem so teuren Bauplatz hinzustellen.
    Warten wir mal ab bis unseren muslimischen Mitbürger auf die Idee kommen auf dem Münsterplatz eine Moschee aufzustellen. Von der Anzahl Moslems in Ulm wäre dies ja gerechtfertigte.

    Armes arschkriechendes Deutschland. Ich denke bei einer Bürgerbefragung in Ulm würden andere Entscheidungen fallen.

  4. Genie – Albert Einstein

    Albert Einstein ist für mich das größte Genie, was es bisher gab…
    Studiere Physik und habe vor kurzem das Buch über Albert Einstein gelesen… einfach nur Genial dieser Mensch. Liebe seine Zitate wie: “Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.” oder “Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.”
    Toller Artikel… sollte man unbedingt unterstützen… spreche mal einen Freund drauf an, der auch einen Blog hat 🙂

  5. Pingback:Liebe auf den zweiten Blick – Einstein und die Religion von Markus Mühling › Natur des Glaubens › SciLogs - Wissenschaftsblogs

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