Die deutsche Identität und der deutsche Pass: Geht beides zusammen?

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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In fast allen Lebensbereichen vollzieht sich zusehends die Republikanisierung des Deutschen nach US-amerikanischem Muster, verbunden mit dem hartnäckigen Versuch, die deutsche Identität allein von der Staatsangehörigkeit abhängig zu machen.
 
Drei Geschichten wichtiger Personen, die den Deutschen verloren gehen würden, wenn es eines Tages hierzulande, wie in den USA, wirklich nur auf den "Pass" ankäme:
 
Martin Luther brachte es 2003 in der ZDF-Sendung "Die größten Deutschen" [sic] auf den honorablen zweiten Platz. 1483 geboren und 1546 gestorben, war er Untertan verschiedener Herrscher im sächsischen Raum, darunter des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen. Eine deutsche Staatsangehörigkeit besaß er allerdings nie, zumal es zu seiner Lebenszeit noch gar keinen deutschen Nationalstaat gab und sein theologisch-politisches Wirken auch nicht gerade zum Zusammenhalt des multiethnischen Reiches beitrug.
 
Johann Wolfgang (von) Goethe verlieh – ob willentlich oder nicht – seinen Namen an den offiziellen Kulturvermittler der Bundesrepublik im Ausland, das Goethe-Institut e. V., das sich mit dem 1749 geborenen und 1832 gestorbenen Dichter schmückt, obwohl Letzterer nie in den Genuss der deutschen Staatsangehörigkeit kam. Zunächst dem Frankfurter Stadtrat unterworfen, wurde er schnell ebenfalls Untertan verschiedener Herrscher wie der berühmten Herzogin Anna Amalia und, schließlich, der Großherzogin Marija Pawlowna Romanowa. Nebbicherweise starb er ganze 117 Jahre vor der Gründung des Staates, der sich heutzutage zu PR-Zwecken des nunmehr wehrlosen Dichters rühmen möchte.
 
Albert Einstein wurde 1879 in Ulm geboren und war mithin zunächst Untertan von König Karl I. von Württemberg, damals Mitglied im Staatenbund des Deutschen Reiches. Inzwischen Staatbürger des demokratischen Freistaates Preußen geworden, entschied er sich im April 1933 infolge der nationalsozialistischen Machtergreifung zum Verzicht auf die preußische Staatsangehörigkeit, d.h. noch bevor Hitler 1934 erstmals in der Weltgeschichte eine "deutsche" Staatsangehörigkeit schuf.
 
Letzteres übrigens, zusammen mit der Abschaffung der deutschen Staaten, war notwendig, um die Juden 1935 zentral ausbürgern zu können. Und in diesem hitlerschen Erbe, der "deutschen" Staatsangehörigkeit, steckt Deutschland bis heute.

Schade, wenn es jetzt wieder nur auf die Staatsangehörigkeit ankommen sollte; schade, wenn solche Geistesgrößen zwangsläufig entdeutscht würden, nur damit der eine oder andere Gemüsehändler (um mit Sarrazin zu sprechen), der zufälligerweise an einen deutschen Pass gelangt ist, sich sofort ganz und gar, ja richtig deutsch fühlen könnte, als ob das geschichtsträchtige Deutschland eine Art Kanada oder Australien wäre.

Nach einer Veranstaltung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ging eine junge Türkin auf mich zu. Ihre Worte beschreiben diese Problematik ganz zutreffend:
 

Ich bin Türkin. Mein Pass ist deutsch, einen anderen habe ich nicht, aber ich bin keine Deutsche. Und ich kann es nicht leiden, wenn man mich und meinesgleichen Deutsch-Türken nennt. Hätte ich einen deutschen Elternteil, gut, dann wäre ich Deutsch-Türkin. Aber meine Großeltern sind alle Türken, meine beiden Eltern sind Türken, darum bin ich auch Türkin. Eine Türkin mit einem deutschen Pass.

 
Mir bleibt also nichts übrig als nochmals für die jüdische Herangehensweise zu plädieren: eine grundsätzliche Trennung zwischen der Staatsangehörigkeit und der Volkszugehörigkeit. Nicht jeder Bürger des jüdischen Staates ist Jude, nicht jeder Jude ist Bürger des jüdischen Staates, und genauso muss es auch möglich sein, zwischen Deutschen (welcher Staatsangehörigkeit auch immer) einerseits und Bürgern der Bundesrepublik (welcher Volkszugehörigkeit auch immer) andererseits korrekt zu differenzieren.
 
Mehr dazu in "Staatsangehörigkeit vs. Volkszugehörigkeit" und "Die Sprache neu besetzen".
 
PS.
Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich überzeugt, dass die Gemüsehändler, Hummusverkäufer u. dgl. – ob mit oder ohne den bundesrepublikanischen Pass – tatsächlich eine kulturelle Bereicherung darstellen, schließlich könnte ich mich ohne sie wohl kaum in Berlin ernähren.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

8 Kommentare

  1. Identität und Pass

    Mal ganz naiv gefragt: Was ist verkehrt daran, das “Deutscher Sein” vom Pass abhängig zu machen? Vielleicht bin ich im Grunde meines Herzens ein Fußballspieler, aber “Bayern München” bin ich eben, wenn ich dort Mitglied bin. Du hast versucht, die Frage zuzuspitzen, indem Du Goethe und Luther nanntest — die waren eben Mitglieder früherer deutscher Staaten und dadurch Deutsche. Bei Einstein ist das schon komplizierter, der war verschiedenes und zuletzt meines Wissens nicht mehr Deutscher. Mancher fühlt sich einer Kultur oder einer Region zugehörig, und manchmal ist das Thema die Staatsangehörigkeit. Vermutlich werden diese Aspekte oft durcheinandergebracht. Was ist denn eigentlich das Problem, auf das Du hinaus willst?

  2. @ Kai

    Das Problem, das ich hierin erblicke, ist die immer geringer werdende Differenzierung zwischen der Staatsangehörigkeit und der Volkszugehörigkeit in Deutschland. Es hat mit Hitler begonnen, der die Staatsangehörigkeit vom Volkszugehörigkeit abhängig machen wollte und zu diesem Zweck erstmals eine “deutsche” Staatsangehörigkeit schuf (nach dieser Logik müsste es jetzt auch eine “jüdische” Staatsangehörigkeit geben). Heutzutage versucht man nochmals, diese Verwischung zu erreichen, nur umgekehrt: die Volkszugehörigkeit von der Staatsangehörigkeit abhängig zu machen. Meines Erachtens ist beides grundsätzlich verfehlt, weil solch eine künstliche Koppelung den besonderen Verhältnissen des Deutschen nicht Rechnung tragen.

    Goethe und Luther waren nicht deswegen Deutsche, weil sie “Mitglieder” (um deinen Begriff zu verwenden) einstiger deutscher “Staaten” waren. Sie wären auch dann Deutsche gewesen, wenn in den jeweiligen Regionen Nichtdeutsche geherrscht hätten. Deutsche waren sie aus denselben Gründen wie die Eltern des jetzigen Bundespräsidenten, die in Bessarabien keineswegs “Mitglieder” eines deutschen Staats waren. Und sollte Horst Köhler eines Tages auf die bundesrepublikanische Staatsangehörigkeit verzichten, so würde er dadurch nicht aufhören, Deutscher zu sein.

    Ich möchte hier keine Diskussion darüber eröffnen, inwiefern Einstein Deutscher war. Meine Behauptung ist nämlich: Wenn (und sofern) er Deutscher war, dann war es aus Gründen Deutscher, die nach 1933 nicht erloschen, sondern auch weiterhin galten (z. B. Muttersprache, Kultur etc.).

  3. Apropos “Trennung zwischen der Staatsangehörigkeit und der Volkszugehörigkeit” – dann wäre aber Albert Einstein kein gutes Beispiel für eine wichtige Person, die den *Deutschen* verloren gehen würde…

  4. @ M. L.

    Es ist in der Tat ein etwas polemisch gedachtes Beispiel: Die meisten Menschen, die behaupten, jeder eingebürgerte Türke sei schon alleine durch den nagelneuen Pass quasi augenblicklich Deutscher geworden, würden Einstein 100%-ig als Deutscher zählen, obwohl er nie den “deutschen” Pass hatte.

    Nichtsdestoweniger kann Einstein sehr wohl als Deutscher angesehen werden – das kommt halt auf die jeweilige Perspektive des Zurückblickenden an. Doch wenn, dann nicht wegen des deutschen Passes, den er ja nicht hatte, sondern aus Gründen, die auch nach 1933 noch galten.

  5. Wie würdest du denn das Wort Volk überhaupt definieren?

    Nach meiner Definition bin ich Deutscher, weil ich in dieser Kultur aufgewachsen bin, die deutsche Sprache spreche und die deutsche Staatsbürgerschaft besitze. Allerdings hindert mich diese Definition nicht daran, meine Volkszugehörigkeit als Jude anzugeben. Schließlich sind meine Eltern Juden, auch wenn sie im Laufe der Jahrhunderte Untertanen verschiedener ethnischer Gruppen und Nationalstaaten waren.

    Hier kollidieren doch lediglich die Begriffe Nationalität (Zugehörigkeit zu einem Staat) und Volkszugehörigkeit (Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe). Rein rechtlich scheint diese Sichtweise ebenfalls korrekt zu sein. Zumindest kann man es entsprechend in Grundgesetzt, Artikel 116 nachlesen.

    Auch etymologisch scheint es keine Probleme zu geben, denn „Volk“ kommt von Folgen. Eine Gruppe von Menschen folgt einem einen Anführer, auf seinem Weg schließen sich ihr weitere Menschen an und folgen ebenfalls. Aus der Gruppe wird ein Volk. Die Gleichsetzung von Volk und Ethnie entstand vor nicht so langer Zeit, im 19. Jahrhundert.

    Aus den Begriffsverwirrungen wird Neusprech, da alle Begriffe nach Belieben gebraucht werden.

  6. @ Roman

    Ich bin nicht der Meinung, dass Völker sich heutzutage noch weitgehend ethnisch konstituieren, sondern vielmehr narrativ, auch wenn sie ihre Ursprünge oft in ethnischen Gruppierungen haben (Israel entstand jedoch wohl von vornherein als Mischung verschiedener Ethnien aus dem ägyptischen, kanaanäischen und hethitischen Raum).

    Zudem bin ich nicht der Meinung, dass solche “inneren” Zugehörigkeiten sich ausschließen müssen. Man kann also unter Umständen, je nach Selbstverständnis, sowohl Deutscher als auch Jude sein. Das sind jedoch m. E. Konstruktionen, die auf Dauer nicht von Bestand sind. Im Laufe der Generationen wird die eine oder andere Zugehörigkeit die Oberhand gewinnen.

    Auch muss die Nationalität nicht von einem spezifischen Staat abhängig und somit zu einem Synonym der Staatsangehörigkeit gemacht werden, so steht etwa in meinem Personalausweis “Nationalität: jüdisch”. Die Nation kann also auch als eine Steigerung des Volksbewusstseins angesehen werden: Ein Volk, das einen Staat hat, wird zur Nation. Wichtig ist dabei allerdings, darauf zu achten, dass man dabei keine anderen Völkerschaften einfach verschlingt, wie etwa die Deutschen in Rumänien, die Ungarn in der Slowakei oder die Palästinenser in Israel.

  7. Diskriminierung erlaubt?

    Hallo Yoav,

    ich verstehe den Vorteil der genauen Differenzierung nicht, man könnte natürlich auf dem Pass die Volkszugehörigkeit vermerken, ähnlich wie die Religion z.B:

    Staatsangehörigkeit: Deutsch

    Religion: Griechisch-Orthodox

    Volkszugehörigkeit: Türkei

    wobei Türke wiederum schwer zu Definieren wäre, ist die Person nun wirklich Türke oder doch, Kurde, Laze, Grieche oder Jude? Irgendwann stellt sich die Frage, warum ist das eigentlich wichtig? Ich glaube der Staat versucht das Ideal zu erreichen Menschen nur noch nach ihren Leistungen zu beurteilen, die Wichtigkeit von Volks-und Religionszugehörigkeit soll relativiert werden.

    Es geht wieder darum ob der Staat diskriminieren sollte oder nicht . Welchen anderen Grund sollte ein Vermerk auf dem Ausweis über die Volkszugehörigkeit sonst haben?

    Viele Grüße

    Alex

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