Logenplatz ins All

BLOG: Clear Skies

Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Freitag Abend, der Mond wird erst spät aufgehen, der Himmel ist wolkenfrei, endlich wieder Gelegenheit für einen Ausflug ins All – mit den eigenen Augen, und vom Odenwald aus. Es wird die letzte Nacht sein, in welcher die Sonne in meiner Beobachtungsbreite und in diesem Jahr weiter als 18 Grad hinter dem Horizont verschwinden wird. Bis zum 8. Juli wird dann für mich die sommerliche Zeit der "Mitternachtsdämmerung" angesagt sein.

Um den ganz krassen Lichtglocken des Rhein-Neckar-Raums zumindest ein Stück zu entfliehen, fahre ich auch heute in den Odenwald. Neben meinem 10-Zoll-Dobson und meinem 10×70-Fernglas ist auch beim heutigen Beobachtungstrip wieder ein Köfferchen mit vier Ultraweitwinkelokularen dabei, die ich derzeit zum Testen nutzen darf.

Die bürgerliche Dämmerung geht langsam in die nautische über, als ich meinen Wagen neckaraufwärts steuere, Richtung Norden abbiege, und die Straßen immer kurviger und enger werden. Auch heute schlängel ich mich verbotenerweise über einen land- und forstwirtschaftlichen Weg hoch zu meinem persönlichen Logenplatz ins All, der in knapp 430 Metern Höhe liegt, und einen passablen Rundumblick auf den Sternhimmel bietet. Ich schrecke einen Feldhasen auf, der sich wundern mag über den späten Besucher in seinem Revier. Angekommen, landet mein Newton direkt in seiner Rockerbox, um abzukühlen. Hier oben ist es angenehm, und sieben, acht Grad kühler als eben im Rheingraben. Es ist ruhig hier oben, fantastisch ruhig. Ganz in der Ferne kläfft ein Hund. Das Seeing scheint mittelprächtig bis gut zu sein, das ist prima. Die Sonne ist noch nicht weit genug unter dem Horizont verschwunden, die Venus strahlt am Westhimmel, langsam aber sicher präsentieren sich die helleren Sternbilder. Obwohl sich Mars nur schüchtern zeigt, und zur Zeit lediglich ein Fünftel der Größe hat, auf die er im Sommer 2003 anwuchs, da er der Erde mit 55,76 Millionen Kilometern besonders nahe kam, so verrät er sich dennoch auf den ersten Blick: Sein rotes Scheibchen steht knapp 1,5° neben Regulus im Sternbild Löwe, dem er in den kommenden Nächten noch näher auf die Pelle rücken wird. Ich nehme die beiden zum Justieren von Telrad und Sucherfernrohr, einem mit Winkeleinblick. Das ist eine Sucherkombination, die ich wärmstens empfehlen kann, damit finde ich jedes Objekt, sofern es in Reichweite meiner Optik liegt.

Meine Laune ist kurzzeitig etwas gedämpft, als mir beim Auspacken mein Campingtisch entgleitet, der Sternkarten und Aufzeichnungen tragen soll. Ich denke mit Blick auf die abgeschlagene Ecke des Tischs an Loriot und seinen genialen Sketch "Das Bild hängt schief", in dem der Meister in Minutenfrist ein ganzes Zimmer zerlegt.

Ich bin heute ohne großen Plan ins Feld gegangen, abgesehen vom Kometen C/2009 R1 McNaught, den ich unbedingt zu fortgeschrittener Stunde erspähen möchte. Normalerweise überlege ich mir einen Teil meines Beobachtungspensums; heute lasse ich mich einfach treiben, und beginne mit ein paar alten Bekannten.

M 51 im Sternbild Jagdhunde steht in Zenitnähe, und obwohl der Himmel noch immer nicht dunkel ist – und der Hauptspiegel noch nicht auf Umgebungstemperatur – habe ich ihn direkt im Fokus. Die beiden Galaxien NGC 5194 und die kleinere NGC 5195, welche Charles Messier mit einem Katalogeintrag versah, zeigen sich erstaunlich deutlich. Mit großer Austrittspupille und kleiner Vergrößerung (27 mm; AP= 5,5; V=46) zeigt die größere Galaxie bereits Struktur und zeigt im 20-mm-Okular bei etwas höherer Vergrößerung ihren helleren Kern. Rüber geht es zu Merak, und ich habe im großen Gesichtsfeld des 27-mm-Okluars beide beisammen: M 97 und M 108 im Sternbild Großer Bär. Im Eulennebel M 97 kann ich keine Struktur ausmachen, er zeigt sich als kleines Wölkchen. Rüber geht es zur etwa 46 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie M 108, bei der sich dunklere Bereiche mit helleren abwechseln.

Ich schwenke den Dobson weiter herunter und hänge die Optik in den Virgo-Galaxienhaufen. Hier ist schon eine sehr detaillierte Sternkarte notwendig, um die vielen Galaxien, die sich schon in einem Instrument wie meinem 10-Zöller zeigen, identifizieren zu können. Dichtgedrängt stolpert man hier regelrecht über feine Objekte wie M 99 oder M 98 und ihre benachbarte, schwächere NGC 4216. Ich versuche mich vor allem an Markarians Galaxienkette, die bei M 84 und M 86 ihren Anfang nimmt, mit den Objekten NGC 4435, NGC 4438, NGC 4458/59, NGC 4461 und NGC 4473. Irgendwie ist das alles ziemlich diffus, und ich bin mir auch nach längerem Beobachten nicht wirklich sicher, ob ich jene Objekte, die ich – bei wechselnden Vergrößerungen – in meinen Okularen sehe, auch allesamt richtig identifiziere. Das Galaxienpaar NGC 4567-4568, das mit M 58 im selben Gesichtsfeld meines 27-mm-Okulars steht, ist interessant: Diese beiden "Siamesischen Zwillinge", wie sie genannt werden, sind zwar weit schwerer zu erkennen als die Galaxie M 58, aber lassen ihre wechselwirkende Natur dennoch ähnlich klar erahnen wie M 51.

Da sind andere Deep-Sky-Objekte denn doch "einfacher" als die vielen Virgo-Galaxien, und ich wechsel zu etwas leichter zugänglichen Himmelsobjekten. Die Milchstraße ist schon deutlich höher gestiegen, und sie leuchtet am inzwischen dunklen Firmament. Ich tauche ein in die Sternfluten der Milchstraße, und bleibe beim Sternbild Cassiopeia hängen. Der offene Sternhaufen NGC 7789 ist einfach schön, auch hier ist es spannend, stetig kürzere Okularbrennweiten zu verwenden, solange, gerade bis zu jenem Punkt, da er seinen Charakter durch zu hohe Vergrößerung bzw. zu kleines Gesichtsfeld verliert.

Zwar in Horizontnähe, aber ungemein imposant zeigt sich am SSO-Himmel ein Teil des Sternbildes Skorpion, auf das ich mein Teleskop zunächst richte. In den drei Scheren verbergen sich die beiden Kugelsternhaufen M 4 und M 80. Während M 80 sich nicht auflösen lässt, zeigt M 4 ganz deutlich einzelne Sterne.

Auch die beiden Kugelsternhaufen M 13 und M 92 im Sternbild Herkules dienen mir als Testobjekte für die vier Ultraweitwinkelokulare, die ich auch heute Nacht immer im Wechsel mit meinen Okularen in den Okularauszug klemme. Mit riesigem scheinbarem Gesichtsfeld wirken gerade diese Objekte faszinierend. Beide löst meine Optik bis ins Zentrum auf, ich weiß, hier 400.000 (M 92) bzw. 600.000 (M 13) Sonnenmassen vor mir zu haben, und ich schwebe direkt davor, obwohl sie mehr als 25.000 Lichtjahre entfernt sind. Sich durch Wechsel zu kürzeren Okularbrennweiten in solche Objekte "hineinzuvergrößern", hat schon was Spezielles. Wenngleich ich auch diese beiden Himmelsobjekte schon zigfach betrachtet habe, so suche ich sie immer wieder gerne auf. Die vier Test-Okulare machen sich auch an ihnen sehr gut, und zeigen einmal mehr, dass der Beobachtungspass mit Okularen, die ein großes scheinbares Gesichtsfeld bieten, einfach größer ist, als mit Tunnel-Okularen. Blöde nur, dass einem selbst Weitwinkel-Okulare im Vergleich mit Ultraweitwinkel-Okularen schnell wie Tunnel-Okulare erscheinen… 😉

Die Rufe zweier weit voneinander entfernter Waldkäuze schallen mehrfach durch die Nacht. Herrlich! Was sich die beiden wohl zurufen? Mir geht mal wieder die Vermessenheit Jener durch den Kopf, die allen Ernstes glauben, sie seien in der Lage, sich mit Außerirdischen – im Falle der (völlig unwahrscheinlichen, pers. Anm.) Begegnung mit ihnen – "unterhalten" zu können. Der Mensch kann nicht mal irdische Vertreter aus Fauna und Flora "verstehen", bekanntermaßen auch die allermeisten seiner eigenen Spezies nicht. 🙂  Nun gut…

Der Sternhimmel präsentiert sich zunehmend hochsommerlich: Ich nutze die Zeit bis zum Mondaufgang und schaue mir zum sicher tausendsten Mal den Ringnebel M 57 in der Leier an. Auch hier müssen die vier Test-Okulare zeigen, was sie können, und ich fülle Blatt um Blatt mit meinen Notizen. Blöderweise nervt mein Rotlicht; ich muss daheim den Grund des Wackelkontakts finden. Egal.

Auch heute Nacht sammele ich die Photonen mehrerer Deep-Sky-Objekte, die Charles Messier vor einem Viertel Jahrtausend deshalb in seinem Himmelskatalog aufgenommen hatte, um ihnen bei seiner intensiven Suche nach Kometen nicht wieder und wieder auf den Leim zu gehen. Schon witzig, dass dieser berühmte Himmelsobjekte-Katalog nur Nebenprodukt einer erfolgreichen anderen Tätigkeit war: Kometen zu entdecken. Ich bewundere Charles Messier für seine Ausdauer und Geduld. Man muss den Sternhimmel schon weit mehr als nur genau kennen, um einen Kometen im Sternmeers "entdecken" zu können. Beim Blick durch die makellose Optik meines Newtons geht es mir auch in dieser Nacht mehrfach durch den Kopf, was Messier wohl mit heutigem Equipment unternommen hätte. Er nutzte mickrige Teleskope unter pechschwarzem Himmel, wir haben heute tolle Instrumente unter lichtversautem Himmel.

An Messier denke ich eine ganze Weile nach Mondaufgang ein weiteres Mal, als ich Komet C/2009 R1 McNaught ins Okular des Dobsons nehme, der sich gegen Ende meiner Beobachtungsnacht im Nordosten im Sternbild Andromeda zeigt. Zwar spärlich, aber immerhin: Etwa 7 mag hell, ohne Schweif und mit etwa 10 Bogenminuten kleiner, gräulicher Koma. Im 10×70-Fernglas ist der Himmel schon zu hell. Zwar ist der Komet zu sehen, aber fast ertrinkt er im aufgehellten Himmelshintergrund.

Müdigkeit macht sich langsam denn doch bemerkbar, zum Glück ist Samstag, Gelegenheit zum Ausschlafen. Ich packe mein Zeugs zusammen, schweife noch ein paar Minuten gelassen mit meinem 10×70-Fernglas (auf Einbeinstativ) durch die inzwischen schon deutlich aufgehellten (und für dieses Glas mit einer Austrittspupille von 7 mm freilich schon zu hellen) Sternfluten, genieße die Ruhe und die frische Luft, ehe es dann heimwärts über leere Straßen und durch leere Orte geht.

Nachtrag: Leider habe ich erst heute (7. Juni), da ich meinen Beobachtungsbericht zur Nacht 4./5. Juni online stelle, vom Einschlag auf Jupiter erfahren, von dem Jan und Carolin berichten. Ich habe mir den Riesenplaneten in jener Nacht nicht näher betrachtet.

Clear Skies! Stefan Oldenburg

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

2 Kommentare

  1. Ja, so sollte es sein. Leider habe ich mich in den Nacht zuvor mehr mit meiner Nachführung für das McNaught-Bild abgeärgert, und bin kaum zum gucken gekommen. Sch***-Technik! War auch mal wieder ein wirklich astronomiefreundliches Wochenende, mit all den Nebenwirkungen, die das so mit sich bringt (Muss ich beizeiten auch mal einen Blog drüber schreiben…)

  2. Die böse Nachführung

    Jedes Mal, wenn beim gemeinsamen Spechteln Astrofotografen dabei sind, erlebe ich die wahre Natur kaputter Kabel, leerer Batterien oder ansonsten vollkommen unauffälliger Kleinteile. Diese Dinge versagen frechweg ihren Dienst oder Ersatz wurde daheim vergessen, weshalb dann eine ganze Beobachtungsnacht versaut sein kann. 🙂 Das hat auch was von Loriot, und ist einer der Gründe, weshalb ich es liebe, den Sternhimmel ganz puristisch und rein visuell zu erkunden. Freilich geben Worte allein bei weitem nicht so viel her wie Astrofotos wie Dein beeindruckendes Bild vom Komet C/2009 R1 McNaught. So hat alles sein Für und Wider. 😉

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