Bauer Information schlägt König Monopol

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Als ich vor vor einigen Tagen die ersten Teile der BBC-Dokureihe A History of Britain von Simon Schama sah, kam ein Gedanke wieder hoch:

Die Kraft, die Gesellschaft verändert, ist nicht hegel’scher Geist, der durch die Geschichte weht, es ist kein vager Trieb der Menschen, Freiheit zu suchen. Es ist auch nicht die gewalttätige Revolution, die dauerhaft etwas an den Verhältnissen ändert. Wesentliche Triebfeder ist die Massenfertigung von Produkten zur Verbreitung von Nachrichten und Informationen.

1381 erhob sich in England das Landvolk gegen Pläne, Steuern zu erhöhen. Natürlich waren es nicht die Ärmsten, die ihre Mistgabeln schwangen, sondern zuerst einmal die nicht adeligen Besitzenden, die es zu Ruhm, Ansehen und Geld gebracht hatten. Sie fanden allerdings Unterstützung durch die Arbeiter, die wegen des Mangels an arbeitenden Menschen – die Pest wütete – recht gute Löhne verhandeln konnten. Auch diese sollten über die Einführung von festen Tarifen beschnitten werden.

Den ersten Schritt hin zu einer Demokratisierung in England war 1215 die Magna Carta, deren Kern die Schaffung eines Rechtes ist, dass über allen Menschen steht und sie bindet – auch den König. Für die Barone und Grafen waren mit ‘Menschen’ natürlich nur sie selbst gemeint, der König und die Priesterschaft. Nicht die Bauern.

Die Grundlagen waren somit nicht schlecht, dem König und dem Adel nun Rechte für alle abzutrotzen. König Richard II. versprach dann so Einiges, hielt aber nichts. Der Spuk peasant revolt war nach wenigen Wochen vorüber.

Die Bibel

Es dauerte noch einmal etwa 150 Jahre bis ein ganz anderes, viel friedlicheres Ereignis eine grundlegende Änderung der englischen Gesellschaft hervorbrachte: 1526 erreichten gedruckte Exemplare des Neuen Testaments übersetzt von William Tyndale die britischen Inseln.

Kopien verbreiteten sich zuerst schnell, die Kirche wetterte zwar gegen diese abomination, der König hatte aber keine Einwände, Gottes Wort außerhalb der Kirchen zu tragen. Viel wichtiger für die Verbreitung war jedoch der Preis. Mit dem kurz zuvor erfunden Buchdruck mit beweglichen Lettern war es möglich, schnell und billig zu produzieren. Eine Handschrift konnte sich das Landvolk niemals leisten, aber die neuen Druckwerke schon. William Caxton verdiente nicht schlecht an allen möglichen Arten von Büchern, auch an Bibeln.

Selbstverständlich setzten sich die bisherigen Informationshamsterer bald beim konservativen König Henry VIII. durch und die Bibel durfte wieder nur in Kirchen von Priestern gelesen werden. Aber wie auf dem Kontinent oder heute mit dem Internet war die Büchse der Pandora geöffnet und entließ ihre Schrecken – für die Herrschenden, die Informationen und ihren Austausch nicht mehr beschränken und damit teuer machen konnten.

Epiphonema

Ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Teil der Modernisierung ist die Demokratisierung von Informationen, die es jedem erlaubt, Mythen selbst zu lesen, zu hinterfragen und durch Fakten zu ersetzen.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

11 Kommentare

  1. “Die Kraft, die Gesellschaft verändert, ist nicht hegel’scher Geist, der durch die Geschichte weht, es ist kein vager Trieb der Menschen, Freiheit zu suchen. Es ist auch nicht die gewalttätige Revolution, die dauerhaft etwas an den Verhältnissen ändert. Wesentliche Triebfeder ist die Massenfertigung von Produkten zur Verbreitung von Nachrichten und Informationen.”

    Bibel: ins Deutsche übersetzt von M.Luther. Bevor also etwas zur Massenanfertigung schreitet, muß ein inspirierter Geist vorhanden sein. Fehlt dieser, so landen wir bei der Massenanfertigung von Dieter Bohlen 🙂

  2. Nachtrag

    Die Kraft, die die Gesellschaft verändert, ist also die Kraft des Einzelnen. Eine grölende Meute hat noch nie Geschichte gemacht. Im Guten wie im Schlimmen!

  3. Luther bloggte Kurzbeiträge (Pamphlete)

    Luther selbst erkannte die Möglichkeiten der eben erst aufgekommenen Durckerpresse und nutzte sie eifrig.
    Vor allem der Einsatz von Pamphleten, also von kurzen 8 bis 16 Seiten langen Texten, die über Nacht gedruckt und verteilt werden konnten (dazumalige Flugblätter) kann ohne weiteres als ein frühes Propagandamittel interpretiert werden. Da ihr aufrühererischer Charakter dazumal eine Unerhörtheit war liessen sie sich auch gut verkaufen und machten damit das wirtschaftliche Risiko, für den, der die Pamphlete druckte, klein. Pamphete waren im Gegenteil sogar ein sicheres Geschäft, deshalb zirkulierten oft schon nach kurzer Zeit tausende von Exemplaren.

    Überhaupt dominiert in den Schriften Luthers die “kleine Form”, womit er sehr viele Leute in kurzer Zeit erreichte. Hier ein Zitat aus dem oben verlinkten Wikipedia-Artikel: Of the total lifetime printings of Luther, estimated to be around 3183, 2645 were written in German and only 538 in Latin.Luther’s predominance meant that the Protestant propaganda campaign was cohesive, with a consistent and accessible message.
    Luther produced other works: sermons, which were read in Churches around the Empire; translations of the Bible, primarily the New Testament written in German; doctrine on how to conduct oneself within the church and society and a multitude of letters and treatises. Often Luther wrote in response to others who had criticized his works or asked for clarification or justification on an issue

  4. Nachtrag2

    Was heißt “Geschichte machen”? Antwort: es muß schon einmal ein Jahr überleben. Wenigstens das. Man möchte müde werden und sich ins Bett legen!

  5. Wahrscheinlich schnarcht Gott den Schlaf des Gerechten, weil wir so langweilig sind.

  6. @ Martin Holzherr

    Also geschichtliche Rahmenbedingungen. Mhm. Muß ich nachdenken. Sicher: Luther, Hitler, Jesus sind eingebettet in ihrer Zeit. Aber was mich fasziniert, ist das Hinauswollen (Wille!). Nicht Knecht des Zeitgeistes, sondern inspiriert zu sein, den Bogen zu spannen, der über das Menschlich allzu Menschliche hinausweist. Ja, ich weiß -alles kann mißverstanden werden! Stets müssen Handschuhe getragen werden!

  7. @ Nietzsche

    “Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen können.” -wahre Worte!

  8. @ Nietzsche

    Übermensch hin oder her. Du bist mir eine Antwort schuldig geblieben. Ich weiß nicht, was das ganze Theater des Daseins überhaupt soll. Diese ganzen Verrenkungen im Angesichts des Todes oder des Irrsinns…bäh. Götterdämmerung. Menschendämmerung. *kotz*

  9. hegelscher Geist

    Hallo, Dierk,
    ich habe erst vor Kurzem den “hegelschen Geist” kennengelernt, daher interessiert es mich, wie der aktuelle Stand der Wissenschaft ist. Kannst Du kurz erklären, warum die hegelsche Annahme nicht wirksam ist?

    Gruß, Kai

  10. In kürzester Form:

    Geschichte läuft nicht logisch ab, wie Hegel voraussetzt. Es gibt kein Ziel, auf dass historische Abläufe zwingend hingehen. Es gibt weder eine Entität noch ein Phänomen, die uns in die richtige Richtung ziehen.