Belletristik ist kein Journalismus

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Da ist er wieder, mein Lieblingsaufreger. Diesmal verkleidet als Gutachten eines Menschen, der sich auskennt, ein gebildeter Mensch äussert sich, ein Mensch, der schon durch seinen Titel ‘Redakteur im Feuilleton’ Kompetenz ausstrahlt. Ich will ihm die auch gar nicht grundsätzlich absprechen, nicht zuletzt, weil ich nur eine – vermutlich stark – gekappte Version seiner Auslassungen über Siegfried Lenz’ Deutschstunde gelesen habe. Nämlich den als Artikel verkleideten Teaser bei FAZ Online.

Normalerweise sind es gescheiterte Oberlehrer und alternde Redakteure, die in Büchern und Artikeln zu “gutem Stil” eine Idee von Literatur verbreiten, die mich ärgert. Dort wird von kurzen Sätzen gefaselt, von Wahrhaftigkeit, von Adjektiven, die man besser weg lässt


Beginn Rant

Nein, Adjektive haben eine sehr sinnvolle Aufgabe, sie ermöglichen uns überhaupt erst genaue Beschreibungen. Ausserdem können mit ihnen   Emotionen beim Leser aufgerufen werden, die Substantive und Verben alleine nicht schaffen.

Stellen Sie sich vor, sie befinden sich auf einer Party und wollen Ihre Begleitung auf eine Frau auf der anderen Seite des Raumes aufmerksam machen. Da ist es wenig hilfreich zu sagen, ‘Siehst du die Frau dort im Kleid?’ Mit einem Adjektiv, attributiv eingesetzt wird das was: ‘Siehst du die Frau dort im roten Kleid?’

Ende Rant


und all diesem generalisierten Unsinn, den sie raten. Als Beispiel für guten Stil wird dann auf Ernest Hemingway verwiesen – knapp, kurz, einfach, verständlich. Wie ein journalistischer Text sein sollte. Es sind aber nur wenige Journalisten, die aus Journalismus grosse Literatur schufen1, und meist dann, wenn sie die Regeln brachen.

Es ist allerdings nicht sinnvoll alle Literatur unter journalistischen Kriterien anzusehen. So entfällt der grösste Teil literarischer Werke auf Fiktionales; das könnte man glatt als genaues Gegenteil von Journalismus bezeichnen.2 Literatur, grosse Literatur ist mehr als Fakten in eine Sprache zu kleiden, die möglichst alle Menschen verstehen. Nicht selten ist Literatur bewusst sperrig, richtet sich nicht an alle.3

Deutschstunde ist keine Biografie, die Namen der Personen sind ausgedacht, der Künstler im Roman mag an Emil Nolde angelehnt sein, aber er ist nicht Emil Nolde. Er ist ein Ideal. Wie auch alle anderen Figuren, ja, die ganze [dörfliche] Welt, die Lenz entwickelt. So wie die Kempowskis in Walter Kempowskis Bürgerlicher Chronik – das Herzstück seines Werkes, jene sechs Romanen, die ein Bild der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland aus bürgerlicher Sicht zeichnen – idealisierte Figuren sind und nicht blosse Abziehbilder der echten Menschen.4

Notes:
1. Ich selbst mag Hemingway nicht so sehr, er hat ein paar sehr gute Kurzgeschichten geschrieben, seine Novelle/novelette The Old Man and the Sea gefällt mir auch.
2. Ob es BILD und Yellow Press gefällt oder nicht.
3. In der Werbung, auch im Verlagswesen, spricht man von Zielgruppen. Auch wenn zu oft lieber eine grosse Reichweite angestrebt und erst recht projiziert wird, geht es im Grunde darum zu wissen wen man anspricht. ‘Alle’ ist dabei fast immer eine schlechte Antwort.
4. Von Karl Mays Romanen gar nicht erst zu reden.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

5 Kommentare

  1. Ihr Kommentatorenfreund, der auch eher abwegig erscheinende politische bundesdeutsche Webinhalte scannt [1], ist zufällig zeitnah auf eine Inhalteeinheit gestoßen, die sich PI nennt, und Ihre Kritik, ein wenig rustikaler womöglich, auf den Punkt bringt, kann das sein, Herr Haasis?

    MFG
    Dr. W

    [1] ohne sich gemein zu machen und ohne in jenen Umgebungen zu kommentieren

    • Falls Sie meinen, ich hätte abgeschrieben: Nö. Ich lese PI-News [und eine ganze Menge anderer Sites] nicht; Dreck ist aus meiner Sicht nur dazu da, weg geputzt zu werden.

      • Die Frage war jetzt nicht, ob andernorts “Dreck” vorliegt, sondern ob Sie Ähnliches wie an jener Stelle im Hinterköpfchen hatten.
        Die Nazifizierung der “Deutschstunde” scheint künstlich hinzugebaut, oder?

        MFG
        Dr. W (der den “Rant” dieses WebLog-Artikels zu diesem Zeitpunkt, in diesem Moment, auch eher als verklemmt einzuordnen hat; es geht wohl kaum um Adjektivierungen, die auf Seiten des FAZ-Feuilletons anzumängeln wären)

  2. “Deutschstunde” macht ein für seinen Antisemitismus bekanntes NSDAP-Mitglied zum fiktiven Widerstandskämpfer, ist der Vorwurf des verlinkten Artikels Was bleibt von der „Deutschstunde“? Ein Welterfolg unserer Literatur gerät ins Zwielicht. Das mag ein ungerechtfertigter Vorwurf sein, denn der Kunstmaler, der in Deutschstunde zum Widerständler aufgebaut wird, ist eine fiktive Figur.
    Und doch bestätigt dieser Befund bei mir eben, was ich in den letzten Jahren immer mehr realisiert habe: Nicht nur das gemeine Volk, sondern auch die Repräsentaten dieses Volkes in der schöngeistigen Welt der Literatur und Kunst waren oft entweder deutsche Antisemiten oder Juden, die dann von ihren deutschen Antisemitenkollegen ins Exil getrieben wurden. Zu solchen geistigen Grössen gehörte auch Martin Heidegger, wie seine schwarzen Hefte nun belegen und auch heute noch lässt sich ein undifferenzierter, voller uralter Juden-Klischees behafteter Antisemitismus sowohl bei der Rechten als auch bei der Linken ausmachen – also bei denen die das Polititsche und Moralische verwalten. Am meisten verblüfft hat mit ja das Gedicht von Günter Grass, das er wohl 80 Jahre mit sich herum getragen hat und in dem wieder Klischees wie das der Juden (äh Verzeihung Israelis), die den Weltfrieden gefähren, auftauchen. So etwas kommt so oft vor, dass ich mich frage, ob der deutsche Antisemitismus vielleicht über das Erbut weitergegeben wird, möglicherweise in Form einer epigenetischen Aufprägung auf Gene, die nun als “Antisemitengene” fungieren und die von Generation zu Generation weitergeben werden.
    Eine näher liegende Begründung ist aber eine andere Beobachtung von mir: Rassismus und verwandte Phänomene scheinen tatsächlich zur Ausstattung des Menschen zu gehören. Fast jeder erliegt irgendwann solchen Anflügen und zwar fast unabhängig von seiner Intelligenz. Gerade die antisemitischen Äusserungen Heideggers in seinen schwarzen Heften zeugen von einer Primitivität und Klischeehaftigkeit, die man einem intelligenten Menschen, als der er doch glit, nicht zutraut. Das bestätigt jedoch eine Erkenntnis, die ich schon sehr früh hatte: Scheinber “geschliffenes” Denken und rational daherkommende Überlegungen wurzeln sehr oft im Unbewussten, jedenfalls in einer andern Welt als in der sie sich schliesslich ans Tageslicht wagen.

    • Das bestätigt jedoch eine Erkenntnis, die ich schon sehr früh hatte: Scheinber “geschliffenes” Denken und rational daherkommende Überlegungen wurzeln sehr oft im Unbewussten, jedenfalls in einer andern Welt als in der sie sich schliesslich ans Tageslicht wagen.

      Wobei hier das ‘scheinbar’ in der Bedeutung a des Duden gemeint gewesen sein müsste. – Dann wäre dies hier zustimmungsfähig; der Schreiber dieser Zeilen spricht in diesem Zusammenhang auch von “orthogonalen Denkern”, die primär scheinbar geleistet haben.

      Auch der FAZ-Artikel scheint “orthogonaler” Natur zu sein.

      MFG
      Dr. W