Bildlich geschrieben

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Ich hatte ja schon einmal geschrieben, dass Literatur – und weiter gezogen alle Kommunikation – davon lebt, nicht einfach alles direkt auszusprechen. Nicht nur Satire lebt von Vergleichen, Similes, Metaphern, Metonomie und und und. Jede Kurzgeschichte, jeder Roman, Gedichte, sogar Filme verstecken Bedeutung, um den Rezipienten zum Mitdenken zu bewegen.

Dabei geht es nicht allein darum zu zeigen, wie genial der Autor doch ist, was er alles weiß, wie tolle Rätsel er bauen kann. Manchmal [siehe Satire] geht es um das schiere Überleben des Schreibers. Es geht aber auch darum, den Leser oder Zuschauer gut zu unterhalten – auch lange nach der Lektüre.

Natürlich bedingen solche narrativen Elemente, dass der Leser Wissen mitbringt und seinen Kopf nicht nur zum Nicken, sondern zum Denken dabei hat. Selbst journalistische Texte verlassen sich nicht darauf, einfach nur die Fakten runterzuschreiben. Die Autoren bemühen sich, hoffentlich, darum, abstrakte Phänomene konkret zu machen, sie an die Lebenswelt der Leser anzubinden.

Wissenschaft populär

Einer der erfolgreichsten Popularisierer wissenschaftlicher Ideen, Richard Dawkins, ist dies nicht geworden, weil er trocken alles das niederschreibt, was schon jeder über Evolution gesagt hat. Bereits die Titel seiner Bücher greifen sind voller Metaphern, die den Leser direkt packen:

  • The Selfish Gene
  • The Blind Watchmaker
  • Climbing Mount Improbable
  • River Out of Eden
  • Unweaving the Rainbow

Es sollte jedem halbwegs gebildeten und intelligenten Menschen klar sein, dass Gene keine [menschlichen] Intentionen mitbringen, also auch nicht in diesem denotativen Sinne selbstsüchtig sind. Es gibt auch keinen Berg namens Unwahrscheinlich, auf den wir mit Bergsteigerausrüstung klettern könnten; Eden ist kein realer Ort, der Regenbogen kann nicht wie ein Stoff entwebt werden.

Dawkins stützt sich nicht nur auf seine Imagination, er benutzt auch bestehende Bilder und stellt sie in einen neuen Zusammenhang. Der Uhrmacher aus seinem Buchtitel geht zurück auf George Paley, der logisch beweisen wollte, dass Komplexität einen Gestalter braucht. Dawkins dreht das Bild um, macht den Uhrmacher blind für die Zukunft, zu jemandem, der aus dem, was ihm vorliegt, etwas schaffen muss, dass im Moment funktioniert.

Literatur unpopulär

Anspruchsvollerer Lesestoff ist vielleicht deswegen nicht so beliebt, weil wir gewöhnt sind, alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Und genau das tun literarische Schreiber selten. Gedichte werden vor allem in der Schule gelesen, unter Zwang und am besten auch nur die noch recht einfach zu entschlüsselnden, z.B. von Keats oder Wordsworth oder Kipling. Dylan Thomas, T.S. Eliot, e.e. cummings fordern uns. Bewusst!

Sie wollen, dass der Leser sich müht, sich mit ihren Worten beschäftigt, nicht einfach drüber saugt. Der interessierte Leser befasst sich länger mit einem Werk, auch wenn dies kurz ist. Sollte dem Literaten noch gelungen sein, treffende Bilder und Vergleiche zu schaffen, wird ein Text auch nach dem Lesen im Kopf bleiben.

Für populärwissenschaftliche und literarische Texte gelten somit geradezu entgegengesetzte Gründe für den Einsatz von Metaphern. Der Wissenschaftler/Wissenschaftsjournalist möchte schwierige Sachverhalte durch sie dem Leser verständlich machen, während der Literat es dem Leser absichtlich schwer macht. Sehr vereinfacht geschrieben.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

9 Kommentare

  1. Intelektuellismus

    Es gibt Menschen, für die es wichtiger ist, als Intellektuelle zu gelten, als von Menschen, die nicht der Elite angehören, verstanden zu werden. Diese Leute geben ihr Bestes, “unverständliche” Werke zu produzieren.
    Das Ziel bestimmt den Stil.

  2. Grosse Literaten sind versteckt Physiker

    Der Frage Was die Welt im innersten zusammenhält können nicht nur Physiker sondern auch Schrifststeller nachgehen – auch wenn Schriftsteller nach etwas ganz anderem suchen als Naturwissenschaftler.

    Das Wissen um die Vielschichtigkeit der Welt und die Koexistenz von Harmnonie und Dissonanz, die unterschiedlichen Sichten, die verschiedene Personen einer Geschichte und sogar die gleiche Person haben kann ist wohl allen grossen Schriftstellern gemein. Wenn grosse Literaten geheime Botschaften in ihren Werken verbergen oder Alliterationen machen, die nur Eingeweihte verstehen, so machen sie das in der Regel so, dass jemand, der den Hintergrund nicht kennt, immer noch etwas gewinnt.

    Dass Werke mehr enthalten als man auf den ersten Blick sieht ist allerdings weder neu noch auf die Literatur beschränkt. Sogar in Genre-Filmen wie Blade Runner von Ridely Scott gibt es versteckte Hinweise für den “Passionierten” (wie z.b. die in einer unbedeutenden Szene gemachte Enthüllung, dass der Verfolger und Exekutor der Replikanten selbst ein Replikant ist).

  3. Mit Einschränkungen

    Danke dir! Es tut gut, auch am 1. April mal etwas ernsthaftes zu lesen.

    In der Polupärwissenschaft finde ich jedoch die Bilder manchmal zu einfach. Dort noch etwas Raum zum Nachdenken zu lassen, kann auch nicht schaden.

    ich habe dazu mal was gebloggt. Unter der Überschrift “Die Macht der Bilder” oder so ähnlich. Bin gerade zu faul zum Suchen.

  4. Dawkins und Wilde

    Ich hab “The Selfish Gene” immer für ein kryptisches Zitat von Oscar Wilde, “The Selfish Giant”, gehalten, kann mich aber nicht entsinnen, ob Dawkins das in seinem Buch auch explizit macht.

  5. Das müsste dann unbewusst gewesen sein, Helmut, denn er erwähnt es mit keiner Silbe im Buch. In allen anderen Fällen erwähnt er aber explizit, worauf er seine Titel [auch Kapitel] bezieht.

    Damit hast du etwas angesprochen, dass mir für zwei weitere Beiträge genügen sollte …

  6. zeitgeschichtlicher Kontekt

    Ich denke dass Wissenschaftler manchmal auch ihre Erkenntnisse oder ueberlegungen bewusst in ‘codierten’ Bilder vermitteln die sich nicht jedem direkt erschliessen. Ich denke da an den sensorischen oder motorischen Homunculus der Neuroanatomen.

  7. @ Joe Dramiga

    Inwiefern findest Du die sensomotorischen Homunculi von Penfield “codiert” oder “nicht direkt aufschlüssig”?

    (Du meinst doch diese scheinbar grotesk verzerrten Figuren im Gyrus prae- und postcentralis, oder?)

  8. @ Helmut Wicht

    @ Helmut Insofern, dass sie die mittelalterliche alchemistische Idee eines kleinen kuenstlichen Menschen als Allgemeinwissen voraussetzt. Fuer mich wird da codiert eine konstruktivistische Sichtweise der kortikalen Karte vermittelt. Da diese Hirnareale ja untereinander kommunizieren (plus neuronale Plastizitaet) geht Penfields Homunculus ueber die blosse Abbildung sensorischer Wahrnehmungen und motorischer Steuerungen hinaus.

  9. @ Joe

    ..ach so – Du meinst mehr den Terminus “Homunculus” als sein Bild auf der Hirnrinde (welches ich für überaus selbsterklärend und gelungen halte, gar nicht kryptisch).

    Der Terminus “Homunculus” hat eine lange Wissenschaftstradition. Als “Samentierchen” oder eben “Homunculus” taucht er bei den frühen Mikroskopikern, Hartsoeker z.B.:

    http://bit.ly/HJqRq9

    auf. Präformationisten nannte man diese Forscher, weil sie glaubten, im Samen winzige vorgebildete Menschen zu sehen.