Ganz schön bissig

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Nachdem ich Ironie als gegen sich selbst gerichteten Spott definiert habe, fehlt noch jener Spott, der den Splitter ins Auge des anderen drückt: Sarkasmus. Er wird immer als bissig und böse empfunden, eben weil derjenige, der ihn anwendet, sich nicht mehr von sich selbst distanziert und so ein klares Bild seiner eigenen Schwächen erhält, sondern nur noch aufzeigt, wie dumm die anderen sind.

Anders als der einfache Witz auf Kosten anderer – meist einer Gruppe, deren Schwäche sich nicht aus ihr selbst heraus ergibt, z.B. Frauen, Menschen mit Behinderungen/Krankheiten, Ausländer – greift der Sarkasmus meist individuelle Fehlleistungen an. Verbreitetste und harmloseste Form ist die sarkastische Antwort1 auf eine dumme Frage:

‘Oh, ist Ihnen der Zug vor der Nase weg gefahren?’

‘Na, verscheucht habe ich ihn.’

Durch seine Bissigkeit rutscht der Sarkasmus leicht in den Zynismus, dessen Bedeutung sich ähnlich entwickelt hat, wie die der Ironie. Vermutlich gibt es mehr Definitionen dafür, als es Menschen in der Geschichte gab. Es ist nicht einmal ganz klar, was die alten Griechen ursprünglich damit meinten, als sie Diogenes und seine Schüler als Zyniker2 bezeichneten. War es wegen ihrer Lebensweise auf der Straße? War es eine Beleidigung analog zu unserem ‘Schwein’? Meinten sie die bissige Philosophie, die alle traditionellen ethischen Werte in Frage stellte?

Die griechischen Philosophen dieses Namens verachteten den einfachen Glauben an bestimmte Werte und den daraus erfolgenden Handlungen. Nicht die Werte an sich, die durchaus gut sein können – wenn man sie sich immer wieder neu erarbeitet. Nicht unähnlich dem Aphorismus

Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich immer neu erkämpfen.

Es fällt recht leicht, ‘Zyniker’ und ‘Zynismus’ negativ zu verwenden. Die Verachtung der Tradition als Grundlage von Moral ist schnell missverstanden als Verachtung der Werte selbst. Von da ist es nur ein kleiner Schritt Zynismus mit Menschenverachtung gleichzusetzen.

Doch Wörter wie ‘Sozialtourismus’ oder ‘Kollateralschaden’ oder ‘Humankapital’, die eine menschenverachtende Sicht hinter Buchstabenverschleierung3 versucht zu verstecken, sind nicht zynisch, sie sind eher nihilistisch, bestreiten, dass es allgemeingültige Werte überhaupt gäbe.

Wie Satire richtet sich Zynismus gegen Starke, nicht gegen Schwache, er zeigt die Hohlheit der Gesellschaft auf, nicht das Unvermögen des Einzelnen [dafür gibt’s ja wieder den Sarkasmus]. Zusammengehalten werden Satire, Zynismus, Sarkasmus und Ironie durch den Gedanken, Erkenntnisgewinn zu schaffen. Das liegt dem Witz im engeren Sinne, also dem, was in Büchern und Comedy-TV-Shows gesammelt wird, nicht zugrunde. Er will zum Lachen bringen, je mehr Menschen, desto besser. Was oft dazu führt, dass er nur den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht – Fürze, dicke Frauen oder nervende Schwiegereltern.

Notes:
1. Patzige Antworten sind noch was anderes.
2. vom altgriechischen ‘kynikos’ bzw. ‘kynos’ – hündisch, Hund.
3. ’Newspeak’, wie es George Orwell in 1984 nennt.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

1 Kommentar

  1. Der Sarkasmus ist das spöttische unangenehme Austoßen, das intendiert oder bewirkt wird oder werden soll. Für Sie womöglich das “Menschenverachtende”, für andere Anderes.

    Er richtet sich gerne auch gegen Schwache oder vermeintlich Schwache, die Grenzen zur Hundigkeit (“Zynismus”) sind hier schnell überschritten.
    In übelstmöglicher Form richtet sich der Sarkasmus, im Sinne eines voraufklärerischen Humors, an Weisungsbefugte oder Beherrschte, beispielhaft in der Art: “Der Sklave will nicht gehorchen, man schneide im beide Ohren ab, um dann zu sehen, wie es horcht. *Muahahahahah* ” – in dieser Form wäre er zu verwerfen.


    Insgesamt, und der Schreiber dieser Zeilen beobachtet die hiesige Nachrichtenlage schon seit Längerem, wie kriegen Sie es hin, als Humortheoretiker, möglicherweise sogar als geborener, Meinungen als ‘Nicht-Meinungen‘ dastehen zu lassen, wäre es nicht cooler diese abzuweisen?

    MFG
    Dr. W