Wir sind alle Urheber

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Immer noch geht es heiss her in der Debatte um unser gegenwärtiges Urheberrecht.

Eine kleine Abschweifung zu Beginn

Bevor wieder einige Naseweise antanzen und was von Begriffsverwirrung faseln: Wer in dieser Diskussion drin ist, weiss inzwischen, dass es ein persönliches Urheberrecht gibt, von dem sich alle anderen Lizenzrechte ableiten. Zu letzteren gehören z.B. Vertriebs- und Verwertungsrechte, die oft von Urhebern der Einfachheit halber komplett an entsprechende Unternehmen, wie Verlage, abgegeben werden.

Diese Sekundärrechte hängen alle am persönlichen Urheberrecht und sind nicht zuletzt deswegen in Deutschland in einem Gesetz geregelt, das Urheberrechtsgesetz heisst. Dazu gibt es ein Urheberrechtswahrnehmungsgesetz sowie das Verlagsgesetz.

Ich erlaube mir, ‘Urheberrecht’ als Oberbegriff zu benutzen, auch wenn ich hin und wieder über abgeleitete Rechte spreche. Ansonsten geht es mir in diesem Beitrag vorwiegend um das persönliche Urheberrecht.

Positionsbestimmung

Einige Gegner des derzeitigen Urheberrechts lehnen bereits die Vorstellung eines singulären Urhebers ab. Sie sehen in einem Autor einen Filter gesellschaftlicher Strömungen, der bloss aufschreibt, was er wahrnimmt. Auf der anderen Seite der Debatte behaupten wiederum manche, dass nicht jeder, der etwas erschafft, überhaupt ein Urheber sei. Dafür müsse man Profi sein.

Ich halte beide Positionen für unhaltbar.

Da wäre zuerst einmal die Rechtsposition. Unser Urheberrecht geht davon aus, dass jeder, der ein Werk schafft, Urheber ist. Weder die Qualität spielt dafür eine Rolle noch, ob jemand zu seinem Haupterwerb kreativ tätig ist. Diese beiden Kriterien werden schon deshalb ausgeschlossen, da sie schwer zu beurteilen sind. An erster beissen sich Schüler, Lehrer, Feuilletonisten und Literaturwissenschaftler die Zähne aus. Letztere bedingt, dass Künstler von ihren Arbeiten leben können, regelmässig publizieren und möglicherweise an offizieller Stelle registriert sind – so wie es bei Handwerks- und Lehrberufen üblich ist.

Bereits heute haben Gerichte Schwierigkeiten, ‘Schöpfungshöhe’ sinnvoll zu definieren. Eine Faustregel ist dabei die Länge eines Werks. Einzelne Sätze, selbst ganze Witze, gelten als eher nicht schutzwürdig. Offensichtlich kann dies aber kein absolutes Kriterium sein, sonst wären Aphorismen gar nicht schützbar – sicherlich überraschend für so manchen Autor.1

Ebensowenig lässt sich historisch erkennen, dass nur professionell Schaffende unter das Urheberrecht fallen sollten, wurde es doch entwickelt, um vor willkürlicher Nichtveröffentlichung und Ausbeutung zu schützen. Es sollte Amateuren auch ein Einkommen ermöglichen. Basis dafür ist die im Grunde ganz simple Erkenntnis, dass es unmöglich ist, den Urheber eines Textes von seinem Text zu trennen.

Wenn A etwas geschrieben hat, dann hat A es geschrieben, nicht B.

Natürlich bedeutet das nicht, dass A komplett aus dem Nichts geschaffen hat. Das bezweifelt aber wohl kaum jemand ernsthaft. Isaac Newton schrieb 1676 an Robert Hooke

If I have seen further it is by standing on ye shoulders of giants. 2

Eine Metapher die bis in die Antike zurückgeht, also auch von Newton “geklaut” wurde. Ja, Autoren sind letztendlich Filter. Aber wie diese Filter arbeiten, was sie hervorbringen, ist damit noch nicht geklärt.

Ausgefiltert

Zuerst einmal trifft das Filterargument vor allem auf journalistische und wissenschaftliche Artikel zu. Das ist nicht überraschend, sind dies doch zwei Bereiche, über die am meisten diskutiert wird: Wissenschaft als Open Access und Zeitungsverlage, die ein Leistungsschutzrecht fordern.

Wissenschaftler und Journalisten eint, dass sie die Welt vor allem auf faktischer Ebene erkunden und erkennen wollen. Sie filtern aus vielen einfliessenden Beobachtungen diejenigen heraus, die ein Phänomen oder eine Entität am besten zu erklären scheinen.3 Im Idealfall spielt der einzelne Forscher keine Rolle, was immer er entdeckt, kann von jedem anderen entdeckt werden.

Sicherlich hängt die Relativitätstheorie nicht an Albert Einstein, sie wäre früher oder später vielleicht von Hermann Schultz entdeckt worden. Viele praktische Entdeckungen, wie das Telefon oder das Radio, wurden sogar mehrfach entwickelt. Ein klein wenig schwieriger wird es im Journalismus, da oft aktiv gegen Entdeckung gearbeitet wird. Denken Sie nur an die Watergate Affäre. Doch auch hier hängt die Aufdeckung prinzipiell nicht an Bob Woodward und Carl Bernstein.

Literatur im engeren Sinne – auch Musik, Fotografie, Malerei, Film, darstellende Kunst etc. – ist aber mehr, als die neutrale Aufarbeitung von Fakten und Vorkommnissen. Glauben Sie ehrlich, Ulysses oder Lady Windermere’s Fan oder Cymbeline oder Notting Hill könnten von anderen als James Joyce, Oscar Wilde, William Shakespeare, Richard Curtis geschrieben worden sein?

Nein. In der künstlerischen Arbeit geht es um die persönliche Handschrift, hier werden individuelle Schicksale, Wahrnehmungen, Ansichten im günstigsten Fall so miteinander verwoben, dass ein Werk eine allgemeine Aussage erhält.4 Kein Individuum ist exakt so wie ein anderes, selbst miteinander aufgewachsene eineiige Zwillinge unterscheiden sich. Daher können auch keine zwei Menschen dasselbe Werk schaffen.

Manchmal mögen sehr ähnliche Dinge entstehen, vor allem oberflächlich betrachtet, so sind Plots nicht gerade wie Sand am Meer vorhanden. Strawberry Fields Forever konnten aber nur die Beatles schreiben.5

Wir lizenzieren uns

Es sollte auch offensichtlich sein, wie weit daneben das Argument liegt ‘nicht jeder, der etwas schreibt, ist ein Urheber’. Woran soll denn der professionelle Urheber erkannt werden? John Kennedy Toole, der einen der meistgelobten amerikanischen Romane der letzten 50 Jahre schrieb, hat die Veröffentlichung nie erlebt. Es dauerte fast 15 Jahre bis ein Verlag A Confederacy of Dunces auf den Markt brachte. Toole hat sonst aber nichts weiter geschrieben 6.

Auch Anne Frank war keine professionelle Autorin. Nur weil sie oder Toole nur ein Buch geschrieben haben, nicht einmal zu Lebzeiten veröffentlicht, macht sie das nicht zu Urhebern?

Michael Seeman sieht sich nicht als Urheber

Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann schrieb mir über Twitter auf Nachfrage, dass er sich nicht als Urheber sähe. Natürlich ist er trotzdem einer, unabhängig davon, wie unser Recht das sieht [es spricht ihm Urheberschaft zu]. Wie auch sonst könnte er seine Werke z.B. mit einer Creative Commons Lizenz versehen?

Es ist das Lizenzmodell, das Seemann von klassischen Urhebern, wie den inzwischen fast sprichwörtlichen Tatortautoren, unterscheidet. Er kümmert sich selbst um grundlegende Rechtsfragen zu seiner Arbeit. Er gesteht anderen die Verwendung seiner Texte zu, ohne sofort die Hand aufzuhalten. Er schliesst seine Texte nicht in einen Safe und lässt sie von beisswütigen Hunden bewachen. Er möchte, dass seine Sachen gelesen, gesehen, gehört und diskutiert werden.

Wer schreibt, der bleibt

Das Recht des Urhebers mit seinem Werk verbunden zu sein, scheint mir überhaupt nicht zur Debatte stehen zu können. Lange bevor es Gesetze zum Schutz von Urhebern und Werken gab, wurden Autoren mit ihren Stücken verbunden. Wir haben sie auch – sofern sie berühmt und interessant genug waren – nie vergessen. De bello gallico – Julius Gaius Cäsar, Lysistrata – Aristophanes, Ilias – Homer. Wir verbinden mittelalterliche Denker wie Duns Scotus, William of Ockham oder Thomas Aquinas mit bestimmten Idee und Manuskripten.

Der gegenwärtige Streit dreht sich um die sekundären Rechte. Von einigen sehr lauten Polemikern mal abgesehen. Es wäre allen viel geholfen, würde man sich darüber klar – auf beiden Seiten der Debatte.

Update

Dieter fragt zurecht, ob ich mir ‘Profi vs. Amateur’ nur ausgedacht habe, um einen Startpunkt für den zweiten Teil meines Arguments zu haben. Wie ich im Kommentar unten ausführe, habe ich das leider nicht. Hier Links, die das Argument, mehr oder weniger subtil, enthalten:

Das SYNDIKAT

Kommentar zu einem nach meinem Beitrag erschienen Artikel bei Thomas Stadtler.

DIE [bösen Kopierer und Reproduzierer] gegen UNS [gute Kreative] beim Handelsblatt.

Wir sind DIE Urheber in der ZEIT. [Nicht etwa ‘Wir sind Urheber’ oder ‘Wir sind auch Urheber’; man beachte den feinen Unterschied. Nein, ich wusste vor meinem Artikel nichts von diesem Pamphlet – schon seltsam …]

Woran diese Profis zu erkennen sein sollen, sagt uns leider nie einer derjenigen, der da reklamiert, Kunst sei Kommerz [nicht ‘auch’!]. Sie halten uns nur vor, wir seien die ANDEREN, die Diebe, die Amateure, die keine Ahnung haben, Hobbyisten, die mal was ins Blog schreiben. Nur sie selbst sind selbstverständlich die grossen Künstler, die wie alle anderen grossen Künstler vor ihnen, noch ihre Urenkel von ihren Werken ernähren können müssen.*

Notes:
1. Oscar Wilde, George Bernard Shaw, Mark Twain, Kurt Tucholsky, Karl Kraus, Gabriel Laub, um nur einige zu nennen, die gerne zitiert werden.
2. Unter anderem hier zu finden.
3. Wie sie dies genau machen, welche Schwierigkeiten und Restriktionen ihre Arbeit limitieren, spielt hier keine Rolle.
4. Die ist nicht immer einfach zu entschlüsseln. Das hier angeschnittene Thema verdient aber ein oder zwei eigene Beiträge.
5. Die beiden genannten Komponisten des Songs, die vier Musiker und der Arrangeur und Produzent.
6. Nur einen, wie er selbst gestand, schlechten Roman, als er 16 war

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

8 Kommentare

  1. Ihr mögt ja alle Urheber sein …

    … ein Kommentator jedoch gilt bloß als Aufrührer. Oder als ungehobelter Aufrührer.

  2. Eher Katalysator als Filter

    Da das hier ja ein Wissenschaftsblog ist, möchte ich die Verfeinerung einbringen, daß Künstler eher Katalysatoren als Filter sind. Was durch den Künstler durchgeht, bleibt nicht einfach nur hängen, sondern es läuft eine Reaktion ab, der Künstler ist ja nicht einfach passiv.

    Die Unterscheidung zwischen Wissenschaftlern und Journalisten halte ich für unnötig, denn was für Künstler gilt, kann auch für Wissenschaftler gelten. Am Ende steht Erkenntnis, aber der Weg dahin ist unterschiedlich. Für Einstein möchte ich hinzufügen, daß laut Bill Bryson (tiefergehende Informationen zu Einstein sind von mir nicht zu erwarten) das nur für die spezielle Relativitätstheorie gilt. Auf die allgemeine Relativitätstheorie würden wir nach C.P.Snow ohne Einstein immer noch warten. Ein anderes Beispiel ist Fermats Theorem. Vielleicht hat er geflunkert und gar keinen Beweis gehabt, aber der Beweis, den Andrew Wiles gefunden hat, ist bestimmt nicht das, was sich Fermat gedacht hat, denn das trifft darauf nicht zu: “Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis gefunden, doch ist der Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.” Wiles Beweis hätte auch auf einen breiteren Rand nicht gepaßt, so weit ich weiß.

    Den Punkt, daß einige behaupten, man müsse Profi sein, um Urheber zu werden, halte ich für ein Strohmann-Argument. Das ist so durchsichtig, daß es sofort widerlegt werden kann. Also muß man es gar nicht aufführen, oder Sie sollten einen Namen nenne, wer so etwas vertritt, damit er oder sie auch die volle Breitseite der Kritik abbekommt.

  3. xytrblk meint: Sehr hilfreiche Klärung

    Danke für die umfassende und gründliche Klärung. Ich bin seit gut 40 Jahren aktiv in der VG WORT, wo dieses Thema samt Unterthemen immer wieder von zentraler Bedeutung war. Kaum jemand außerhalb dieses Gremiums ist sich darüber im Klaren, dass beispieslweise die Bibliothekstantieme für die Autoren ungeheuer wichtig und – als Zubrot – hilfreich ist. Das selbe gilt für die Geräteabgabe, auch für Computer und Kopiergeräte.
    Aber wer durch das Internet an die “Kostenlosigkeit” geistiger Inhalte gewöhnt ist, würde derlei “Sekundärrechte” gerne auf den Müll werfen. Cave canem – kann ich da nur sagen.
    >> selbst miteinander aufgewachsene eineiige Zwillinge unterscheiden sich
    JvS: Was die Zwillinge angeht: Das wäre mal ein interessantes Naturexperiment, wenn – möglichst eineige Zwillinge beide unabhängig voneinander einen Romen (oder meinetwegen auch ein Sachbuch)schreiben würden. Es kamen dabei, ganz in deinem Sinne, völlig verschiedene Bücher herasu, selbst wenn es um das gleiche Thema ginge, ja sogar um eine autobiographsiche aufarbeitugn der (weitgehend gemeinsamen) Familiengeschichte.

  4. Katalysator

    So schön das Bild vom Katalysator auch ist. Es passt nicht ganz. Ein Katalysator befindet sich nach der Reaktion wieder im Ausgangszustand. Die Wechselwirkung bewirkt bei ihm keine bleibende Veränderung. Bei einem Künstler oder Wissenschaftler hoffentlich schon.

  5. @Dieter

    Für das oben aufgerollte Argument spielt es keine Rolle, ob wir Schaffende als Filter oder Katalysatoren sehen. Ich denke auch, dass deine Wahl es besser trifft – und damit eigentlich selbsterklärend sein müsste -, aber aus dem PIRATEN-Umfeld kommt nun einmal der Terminus ‘Filter’.

    Ich würde herzlich gerne zustimmen, dass ‘Profi vs. Amateur’ nur ein Popanz ist, den ich benötigte, um den zweiten Teil des Arguments aufzurollen. Leider wurde es in den letzten Wochen immer wieder in die Runde geworfen, teils direkt, wenn z.B. die Lobbys der Profitippsler einen Aufruf überschreiben ‘Wir sind die Urheber’. Oft natürlich – ebenso wenig subtil – indirekt, wenn diese Aufrufe so tun, als seien nur die Unterzeichner Urheber, wir anderen aber alle Diebe und Mordsgesindel.

    Sie finden Aussagen in diese Richtung in Handelsblattartikeln, beim Krimiautorenverbund ‘Das SYNDIKAT’, in Äußerungen einzelner Autoren. Das geht von ‘Kunst kommt von können’ [was so auch falsch ist] über ‘Blogs eher nicht’ [von Sven Regener] bis eben hin zur direkten Infragestellung, ob wir uns auf Amateure verlassen wollen, wenn es um unsere Bildungs-/Kulturgesellschaft geht.

    Aufgrund technischer Grenzen der Kommentare werde ich sehen, ob ich ein Update mit ein paar ausgewählten Links an den Artikel oben anhänge.

    @Jürgen
    Nur zur Klarstellung, ich benutze ‘Sekundärrechte’ hier ganz wertfrei. Ich teile die Einschätzung, es gäbe eine weit verbreitete Kostenlossubkultur im Internet übrigens nicht – immerhin hat sogar Kino.to Geld verdient, das ja von irgend jemandem bezahlt worden sein muss.

  6. Beunruhigung wird geteilt

    Die Beunruhigung über das was sich zuträgt, erfasst offensichtlich nicht nur den Autor dieses Beitrags, sondern auch einen ganze Reihe von deutschen Autoren und “Kreativen”. Wer mehr wissen will soll 500 Künstler gegen Gier und Geiz lesen.

  7. @Martin Holzherr

    Wenn Sie zu Herrn Dietz was sagen wollen, tun Sie das bitte bei ihm oder in Ihrem eigenen Blog.

  8. Ist die entscheidende Funktion, die vor dem Urheben kommt nicht das Finden, denn das zufällige oder systematische Finden von Erkenntnissen und Zusammenhängen ist oft die Vorraussetzung für neue Patente oder Techniken. Das Finden ist aber eher eine Frage Zeitablaufes? Warum sollten daraus Rechte abgeleitet werden? Warum sollte ein später Geborener weniger Chancen auf Rechte haben, weil schon das meiste weggefunden und mit Rechten versehen wurde?