Lesung im Dunkeln aus “Die Stadt der Blinden”

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Ganz ehrlich, ich bin schon ziemlich aufgeregt. Zwar habe ich in den letzten Jahren einiges an Moderationserfahrung gesammelt und bin auch Menschenmassen gegenüber eher unerschrocken, aber die Lesung von Nina Petri aus José Saramagos “Die Stadt der Blinden” in der stockdunklen Alten Feuerwache in Mannheim, mit der anschließenden Podiumsdiskussion, die ich zu leiten habe, ist schon eine ganz besonderes Ereignis. Die Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mit ihren Zeitschrift “Gehirn und Geist” ist Medienpartner und darüber freuen wir uns natürlich.

Blinde Stadt - eine Lesung im Dunkeln

Schon das Plakat ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie Botschaft und Bild zusammenpassen können. Zu den Hintergründen und zum Kartenvorverkauf führt dieser Link:

Lesung im Dunkeln, gelesen von Nina Petri

Das wird definitiv ein Abend für starke Nerven, den sich die Initiatoren der Schloss-Schule Ilvesheim (Blindenschule) da ausgedacht haben. Nicht nur, weil die Veranstalter schon jetzt versuchen, auch noch die kleinste Lichtritze zu verrammeln und das etwa 200 Köpfe zählende Publikum alle Lichtquellen (Uhren und Mobiltelefone) wegpacken muss. Nein, es ist auch die Thematik, die ganz schön unter die Haut geht. Der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger von 1998 hat einen brillanten Roman zu einem apokalyptischen Thema verfasst.

Was würde passieren, wenn die Menschen einer nacheinander von einer mysteriösen weißen Blindheit (die Betroffenen beschreiben das als ein Gefühl, wie mit offenen Augen in Milch zu schwimmen) erfasst würden? Wie lange hat die menschliche Zivilisation unter solchen extremen Bedingungen Bestand?

Seine Antworten fallen düster aus. Als der Verlust des Augenlichts immer weiter wie eine bösartige Seuche um sich greift, reagiert der Staat brutal. Die kleine Gemeinschaft der zuerst Betroffenen, die in eine leer stehenden Psychiatrie zusammengepfercht ist, wird bald von Chaos und Gewalt regiert. Einzig die Frau eines Augenarztes, die sich aus Liebe zu ihrem Mann mit hat einsperren lassen, behält ihre Sehfähigkeit und versucht, sich dem Elend entgegenzustemmen. Erst ganz am Ende, als die Menschlichkeit schon kapituliert zu haben scheint, keimt zarte Hoffnung auf. Wie und warum, wird an dieser Stelle aber nicht verraten.

Ich bin froh, dass Schülerinnen und Schüler sowie einige Lehrkräfte der Schloss-Schule es übernommen haben, das Publikum in der absoluten Dunkelheit auf die Plätze zu führen und sich dort auch um sie zu kümmern. Sie sind selbst blind oder den Umgang mit blinden Menschen gewöhnt; und ich bewundere sie für die Ruhe, die sie auch in kritischen Situationen bewahren. Es ist nämlich eine Sache, sich Blindheit nur vorzustellen, und eine ganz andere, sie so hautnah zu erleben, dass man sich in ihr aufzulösen scheint.

Nina Petri wird in einer so genannten “Blackbox” lesen, was die Dramaturgie des Mannheimer Nationaltheaters an sinnvoll zusammenhängendem Text zusammengestellt hat. Ich bin unglaublich froh, dass sie die Aufgabe übernommen hat. Vom Äußeren entspricht die Schauspielerin nämlich ziemlich genau dem Typ Frau, wie ich mir die Heldin aus “Die Stadt der Blinden” vorgestellt habe.

Nach einer kurzen Pause, in der ganz langsam die Beleuchtung wieder eingeschaltet wird, findet dann das von mir zu verantwortende Gespräch statt. Mit von der Partie sind Nina Petri, die Dramaturgin, jemand von der Alten Feuerwache, die Schulleiterin der Schloss-Schule und glücklicherweise Jungen und Mädchen von dort. Sie sind ungemein offen und erlauben jede Menge neugieriger Fragen, das weiß ich aus gemeinsamen Veranstaltungen mit ihnen.

Gibt es Fragen, die ich unbedingt stellen sollte?

Bislang habe ich mir überlegt, dass ich gerne verstehen würde, ob ihre Blindheit schwarz ist im Gegensatz zu der weißen Blindheit, wie sie Saramago im Buch beschreibt. Und ob es verschiedene Arten von Blindheit gibt? Aber auch, wie sie sich in der Welt der Sehenden orientieren, ob sie sich genauso ausgesondert fühlen wie die Blinden im Buch und ob es ihnen gut tut, wie bei der “Lesung im Dunkeln” auch mal die Führung übernehmen zu können? Von der Schulleiterin würde ich gerne wissen, was sie und ihr Team machen, um Ausgrenzung zu vermeiden und ob sie weiß, was aus ihren Schützlingen in der Welt der Sehenden wird? Weitere Ideen sind willkommen.

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

4 Kommentare

  1. Gibt es Fragen, die ich unbedingt stellen sollte?

    Ja, Sie sollten sich jetzt und fortlaufend fragen, welche zivilisatorischen Voraussetzungen die Systeme haben, die zurzeit “westlich” betrieben werden.

    Ja, es gibt ‘verschiedene Formen der Blindheit [RR: “Blindheit”]’.

    HTH
    Dr. W

  2. Ein Punkt, der bei Saramago nur am Rande angesprochen wird, ist das Verhältnis zwischen den Neuerblindeten und Menschen, die schon vor der Epidemie blind waren. Nur ein “Altblinder” kommt vor und der auch nur als Werkzeug des Anführers der verbrecherischen Gruppe. Dabei wäre das natürlich eine interessante Frage: Wie unterscheiden sich Blinde, die nie sehen konnten von später erblindeten Menschen?

  3. Ich habe eine Frage: Bei Sehenden tragen zum ersten Eindruck, den man von einem Menschen hat, Aussehen, Mimik und Gestik stark bei. Was beeinflusst Blinde am stärksten, wenn Sie einen Menschen zum ersten Mal treffen?

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