Werdende Väter sind auch ein bisschen schwanger

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Joachim Retzbach, Diplom-Psychologe und Redaktionsmitglied bei “Gehirn und Geist”, hat sich auf die Spur eines merkwürdigen Phänomens gemacht: Männer in anderen Umständen. Kommt es doch gar nicht so selten vor, dass werdende Väter unter körperlichen und psychischen Beschwerden leiden.

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Wie kommt man dazu, über “Männer in anderen Umständen” zu recherchieren?

Ganz einfach: Meine Frau ist schwanger. Irgendwann, noch ziemlich am Anfang der Schwangerschaft, war mir mal zwei Tage am Stück ein bisschen übel. Das war ungewohnt. Wir haben dann gewitzelt, dass ich mich bestimmt nur solidarisch zeigen wolle, denn meine Frau litt zu dieser Zeit auch unter leichter Übelkeit. Ich habe spaßeshalber im Internet danach gesucht, ob andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben – und war überrascht, dass das Ganze recht verbreitet ist und sogar einen medizinischen Namen hat: Couvade-Syndrom.

Was glaubst du, ist das Couvade-Syndrom echt oder eine kuriose Modeerscheinung des sensiblen Mannes?

Der sensible Mann scheint mir gerade eher wieder aus der Mode zu sein, überall wird man ja mit langweiligen Uralt-Stereotypen über Männer und Frauen bombardiert. Daher fand ich die Forschung zum Couvade-Syndrom auch erfrischend. Es betrifft ja insgesamt nur eine Minderheit von Männern, bei denen glaube ich aber schon, dass es echt ist. Zumindest gibt es recht eindeutige Belege dafür, dass werdende Väter – genau wie die Mütter – eine Hormonumstellung durchmachen. Dass so etwas körperliche Symptome hervorrufen kann, finde ich plausibel. Zudem scheint es ja meistens so zu sein, dass die betroffenen Männer das Phänomen gar nicht kennen und sich ihre Wehwehchen deshalb irgendwie anders erklären, mit Stress, Überarbeitung oder damit, dass sie etwas Falsches gegessen haben … Pure Einbildung kommt daher als Auslöser eher weniger in Frage.

Gibt es etwas von den Phänomenen, die du bei Dir selbst beobachten konntest?

Es blieb bei den zwei Tagen Übelkeit, damit qualifiziere ich mich wohl eher nicht für die “volle” Diagnose eines Couvade-Syndroms. Auch vom häufigsten Anzeichen, der Gewichtszunahme, blieb ich bislang verschont. Allerdings wird da zumindest bei den Weißbüscheläffchen vermutet, dass sich die werdenden Väter mehr Speck anfuttern, weil sie später ihre Kleinen die ganze Zeit mit sich herumtragen müssen und dafür ein paar Energie-Reserven brauchen. Vielleicht kam mein Körper zu dem Schluss, dass bereits ausreichend “Reserven” vorhanden sind.

Was passiert mit der Psyche eines Mannes, wenn seine Liebste ein Kind erwartet?

Ich vermute, das ist höchst individuell. Natürlich gibt es viele Dinge, über die man sich dann erstmals Gedanken macht. Aber bei den meisten, die ich in dieser Situation kennengelernt habe, überwiegen doch deutlich Vorfreude und die Neugier darauf, was da kommt.

Hier geht’s zum Artikel in “Gehirn und Geist”: Couvade-Syndrom

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

3 Kommentare

  1. Werdende Väter sind auch ein bisschen schwanger

    Da ist was dran, danke für das Interview und den Hinweise.

    MFG
    Dr. W

    • Ohne mit einem Virus biologistisch werden zu wollen und ohne psychologisch, könnte es natürlich auf Seite des Männchens so sein, dass insbesondere die erste Schwangerschaft des begatteten Weibchens als derart wichtig erachtet wird, weil die Familie in der danach folgenden Anzahl unterschiedliche Größe bis zur Größe 1 bedeuten könnte, dass besonderer Stress ausgelöst werden könnte [1], der sich nach Erfolg und bei folgender gleicher Maßnahme wieder abschwächen könnte – und dies natürlich nur ganz am Rande angemerkt,
      von Ihrem Dr. W
      MFG

      [1] bestimmte zivilisatorische Gesellschaft meinend

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