Die Hoffnung stirbt zuletzt

BLOG: Das Sabbatical

Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Das Paradies liegt von Puerto Maldonado gerade einmal eine Dreiviertelstunde mit dem Boot den schlammigen Dschungelfluss hinab entfernt. Nur der Schlag der Ruder ist zu hören an diesem nebligen, frühen Morgen am Lago Sandoval, ansonsten gleitet das Boot fast geräuschlos dahin. Wir wagen kaum zu atmen. “Ein Augenblick für die Ewigkeit”, sagt die Entwicklungshelferin aus Seattle leise zu mir. Nach und nach erwachen die Vögel, die Kaimane und Schildkröten. Auch die bis zu zwei Meter langen Riesenotter ist hier zu Hause. Doch sie hat sich längst in den Teil des Sees zurückgezogen, wo kein Mensch mehr hin darf.

P1030847Wer es bis hierher ins Amazonasgebiet geschafft hat, sollte das Geld für einen mindestens zweitägigen Ausflug mit Übernachtung im Urwald unbedingt aufbringen (das ist für umgerechnet 120 Euro inklusive Essen und Übernachtung zu schaffen). Vielleicht würden wir es nicht als Ökotourismus bezeichnen, denn auch Baumwipfelpfad und Seilrutsche gehören zum Programm, aber im Großen und Ganzen läuft es ziemlich umweltverträglich ab.

Nun aber zum Kletterpfad: Zuletzt musste ich beim beruflich bedingten Tandemfallschirmsprung vor fast fünf Jahren so viel Mut zusammen nehmen. Typisch deutsch lasse ich mir alles zwei Mal erklären, verlange einen weiteren Check meiner Sicherheits-Strampelhose und muss mich sehr zusammennehmen, dass ich nicht zu früh bremse und wieder ein Stückchen zurückrutsche.

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Für die jungen, engagierten Touristenführer sind diese Abenteuertripps in der Luft, zu Fuß und mit dem Boot ihre Lebensgrundlage. Und wenn sie die Tiere und Pflanzen gut erklären und immer wieder zeigen können, dann werden sie rund um das Reserva Nacional Tambopata immer wieder Menschen finden, die ihnen beim Schutz dieses Edelsteins der Erde helfen.

Hier gibt es Aras, Anakondas, Affen aller Art und natürlich Ameisen (die feurigen und die, die Blätter schneiden). Indira, die junge Führerin, die uns zwei Tage lang begleitet, kennt sie alle und noch viel mehr. Sie zeigt uns Pflanzen, deren Saft Schlangengift aus dem Körper zieht, weiß, was zum biologischen Viagra taugt und was bei der weiblichen Libido Wunder verspricht. Aber damit nicht genug, die Urwaldbewohner können sich bei Malaria helfen, bei infizierten Wunden und das Zitronengras und die Pomelo wachsen hier einfach so.

Rund um die Monte Amazonia Lodge wimmelt es von gestrandeten Urwaldbewohnern, die nun eine Art Haustier geworden sind. Dazu gehört Papagei Polly, der verletzt aufgefunden wurde, einfach nach der Genesung geblieben ist und jetzt die Schuhe der Besucher attackiert.

P1030822Etliche Urwald-Wildschweine, ein Ara und natürlich die vielen tropischen Schmetterlinge, die es mir besonders angetan haben.

P1030874Sie sind mir das liebste Symbol für meine eigene Entwicklung geworden, die ich nicht zuletzt durch das Sabbatical in Peru eingeläutet sehe. Ein Schmetterling hat ganz andere Bedürfnisse als eine Raupe, habe ich für mich verstanden. Die Zukunftsängste des Kriechtieres fesseln “Mariposa” (wie der Schmetterling auf Spanisch heißt) nicht mehr am Boden. Er weiß, dass nach diesem Dasein auf dieser Erde für ihn nichts mehr kommt, das macht die Momente im Diesseits kostbar und sorglos zugleich.

Wer die dröhnende Stille der Nacht im Urwald genießen darf (Licht und Generator werden um 9.30 Uhr blitzartig abgeschaltet und dann hilft nur noch Stirnlampe oder Fühlen), der hat kaum eine andere Möglichkeit, als wesentlich zu werden. Die Zahl der Ablenkungen ist begrenzt und trotzdem sind die Eindrücke so vielfältig, dass es immer wieder auch Phasen der Ruhe geben muss, sonst überwältigt einen alles. Die Kapuzineraffen oder Schildkröten in ihrer natürlichen Umgebung erleben zu dürfen, erfüllt mich mit Ehrfurcht. So wundervoll ist diese Schöpfung, so stark und so fragil zugleich.

P1030815P1030860“Que lindo” (wie zauberhaft), sagen auch die jungen Peruaner, die immer zahlreicher Ferien haben und dabei ihr Heimatland erkunden. Vor allem junge Frauen, als Ingenieurinnen oder Computerfachfrauen ausgebildet, nützen die Chance. Sie gibt es grundsätzlich nur im Doppelpack. Sie sind gut ausgebildet, voller Neugierde und freuen sich wie kleine Mädchen. Eine weitere Facette der peruanischen Frauen, die mir gut gefällt.

Und dann geschieht noch eine Art kleines Wunder, an dem dieses Land so reich ist. Die Frau der Exkursionsagentur wendet sich an dem Tag unserer Abfahrt an die zwei Weißen, die ihr der Zufall ins Büro gespült hat. Sie ist alleinerziehende Mutter dreier Kinder und die älteste Tochter droht aus dem Ruder zu laufen. Eigentlich sind es typische Pubertätsprobleme, aber für sie die Tropfen, die das Fass ihrer Belastung zum Überlaufen bringen. Immer wieder stehen ihr die Tränen in den Augen und ich kann kaum ermessen, wie groß ihre Verzweiflung sein muss, dass sie sich Wildfremden so öffnet. Was tun auf die Schnelle in einer fremden Sprache? Bleibt eigentlich nur, sie dabei zu ermuntern, keine Schuld bei sich, dafür aber das Gespräch mit ihrem Kind zu suchen. Die Frau darin zu bestärken, von ihren Gefühlen zu erzählen, nicht anzuklagen, nicht zu verurteilen und sich Unterstützung zu holen. Gut fühlen wir uns nicht danach, sondern eher hilflos und ungenügend.

Am nächsten Tag, nach einer atemberaubenden Rückfahrt in den Sonnenuntergang, holt sie uns mit dem Kleinsten am Bootsteg ab. Sie wirkt verändert, ihre Körperhaltung ist aufrechter, das Gesicht entspannter. Ein Wunder ist geschehen, sagt sie, sie konnte nicht nur mit ihrer Tochter sprechen, sondern auch mit ihrem Ex-Mann und beide konnten sie in ihrer Not sehen und sie um Verzeihung bitten. Ein neuer Anfang ist gemacht. Danke, dass wir der Katalysator sein durften. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

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