Was man mit offenen Daten machen kann …

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Informatik, Daten und Privatsphäre
Datentyp

„Schon wieder ein Fall am Neumarkt! Der hängt alle ab. Die Kautzstraße ist weit abgeschlagen.“ Was wie eine Live-Reportage zu einem Sportwettbewerb klingt, ist die echte Begeisterung über eine lange Tabelle mit Daten, die auf Laptops betrachtet und von drei Daten-Begeisterten kontrovers diskutiert wird. Solche Szenen spielten sich vor zwei Wochen bei einem „Hackday“ in der Stadt Moers am Niederrhein ab. Die Stadt ist eine Vorreiterin bei der Bereitstellung von offenen Daten.

Ziel des Hackdays ist das gemeinsame Entwickeln von kreativen Lösungen rund um offene Daten. Die zu lösende Problemstellung wird dabei von den Teilnehmenden selbst vorgebracht, dabei kann es um eine gemeinsame App-Entwicklung, die Visualisierung von Datensätzen, transparente Entscheidungsprozesse oder um das Design der Aufbereitung am Bildschirm gehen; die Lösung soll möglichst gemeinsam mit anderen entwickelt werden. Kern einer Problemstellung beim Hackday ist es, einen gesellschaftlichen Nutzen erbringen zu können.

Unter offenen Daten versteht man die Bereitstellung von nicht personenbezogenen Daten des öffentlichen Sektors, die von Bund, Ländern und Kommunen im Interesse der Allgemeinheit zur weiteren freien Nutzung zugänglich gemacht werden. Nutzen können diese Daten Bürgerinnen und Bürger, Institutionen aber auch Unternehmen, die damit neue Geschäftsmodelle entwickeln.

Der eingangs erwähnte Datensatz, bei dem der „Neumarkt“ weit vorne liegt, ist eine Auflistung der Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr der Stadt Moers des vergangenen Jahres, der freundlicherweise von der Stadt über ihr Datenportal zur Verfügung gestellt wird.  Fast 50.000 verteilte Knöllchen wurden erfasst und mit Datum, Uhrzeit, Tatort und Tatbestand maschinenlesbar aufbereitet. Der Grund, dass diese Daten nun im Rahmen des Hackdays analysiert werden, liegt aber nicht etwa darin, dass es in der Großstadt im Kreis Wesel keine richtige Kriminalität gäbe und man deshalb auf die Betrachtung von Ordnungswidrigkeiten ausweichen müsste. Nein, diese Daten haben es in sich – und man kann sie für Zwecke nutzbar machen, die mit der Erziehung von Parksündern wenig zu tun haben.

Tatsächlich sagt eine Vielzahl von Parkverstößen innerhalb eines geographisch beschränkten Gebietes weniger etwas über den Verfall der Sitten am Niederrhein und die Bereitschaft zu Regelverstößen aus. Eher kann man davon ausgehen, dass die Parkplatzsuche im Gebiet schwierig ist und die Nachfrage nach Parkmöglichkeiten das Angebot übersteigt. Es lassen sich daher Annahmen aus den analysierten Daten ableiten, die für eine weitere Verwendung nützlich erscheinen.

  • Wenn trotz vorhandener Parkflächen eine hohe Anzahl von kurzen Parkzeitüberschreitungen innerhalb der Geschäftszeiten stattfindet, lassen sich positive wirtschaftliche Impulse für Handel und kurzfristig erbringbare Dienstleistungen annehmen: Viele potentielle Kunden frequentieren hier Geschäfte oder andere öffentlich zugängliche Einrichtungen (z. B. Behörden, Postämter, Ärztehäuser) und verlassen den Ort rasch wieder. Die Nachbarschaft ist daher für die Standortwahl von Geschäften mit gleicher Zielgruppe gut geeignet.
  • Verbotswidriges Gehwegparken oder das Parken im Haltverbot deuten auf Parkflächenmangel und längerfristiges Verweilen hin (insbesondere bei Verstößen außerhalb der Geschäftszeiten). Diese Ergebnisse können für stadtplanerische Aktivitäten oder die Suche einer geeigneten Wohnung interessant sein.

Einen guten optischen Eindruck von der Datenlage erhält man, wenn die Tatbestände geographisch als Heatmap visualisiert werden. Man erkennt dank der fleißigen Datensammler des Ordnungsamts auf einen Blick, wo in Moers geschäftiges Treiben herrscht oder wo es eher ruhig zugeht.

Hier ist was los in Moers. (Open Street Map, Lizenz ODbL)
Hier ist was los in Moers. (Open Street Map, Lizenz ODbL)

Natürlich muss man bei nahe liegenden Aussagen auf Grundlage der Daten vorsichtig sein. Wenige Knöllchen können bedeuten, dass es wenige Verstöße gibt oder auch dass wenig kontrolliert wird, die Verteilung auf Tageszeiten mag mehr über die Mittagspausen-Gewohnheiten  der Ordnungsamtbeschäftigten aussagen als über den Mangel an Parkplätzen zur Tagesmitte hin. Eine Verknüpfung mit weiteren verfügbaren Daten ist geboten, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden. Aber der kritische Umgang mit Daten und den damit scheinbar belegten Behauptungen sollte ohnehin geübt werden; das gilt für Rohdaten aus dem Datenportal wie auch für aufbereitete Grafiken in der Presse. Medienkompetenz beinhaltet in zunehmender Weise Datenkompetenz.

Knöllchen nach Tageszeiten (Lizenz CC0)
Knöllchen nach Tageszeiten (Lizenz CC0)

Dass aber aus den Parksünderdaten und weiteren ortsbezogenen Datensätzen spannende Anwendungen gebaut werden könnten, liegt auf der Hand: Standortwahl für Geschäftsansiedlung und Wohnungsbau, Planungsgrundlagen für Parkplätze und Parkhäuser, Prognosen für Laufkundschaft in Abhängigkeit von Tageszeit und Wochentag, Beobachtung der langfristigen Entwicklung (Vergleich mehrerer Jahre) zur Schätzung von Gewerbemieten oder auch einfach eine App, die bei der Parkplatzsuche hilft – eine wirtschaftliche Nutzbarmachung der Ordnungswidrigkeiten in Form von Datensätzen ist keineswegs abwegig,

Die kürzlich erschienene Open-Data-Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung rechnet vor, dass offene Verwaltungsdaten in Deutschland einen jährlichen volkswirtschaftlichen Mehrwert von 43 Milliarden Euro erzeugen und dabei 20.000 Arbeitsplätze schaffen könnten. Diese großen Zahlen überraschten auch so manchen Open-Data-Enthusiasten, nicht allein der hohen Zahlen wegen sondern auch die Quelle betreffend. Themen wie transparentes Verwaltungshandeln, Open Data und Open Government wurden bisher in der programmatischen Nähe von Grünen oder der Piratenpartei verortet. Eine Google-Suche nach entsprechenden Veranstaltungstiteln bestätigt diesen Eindruck. Diese Verortung wandelt sich nun und die Themenbesetzung scheint sich nun mit der Veröffentlichung der Studie der CDU-nahen Stiftung endgültig verlagert zu haben. Mittlerweile haben auch Industrie- und Handelskammern das Thema „Open Data für Unternehmen“ für sich entdeckt und bieten entsprechende Veranstaltungen an.

Die Studie verweist insbesondere auf den wirtschaftlichen Nutzen von offenen Daten: Start-Ups entwickeln neue Geschäftsmodelle; Finanzinvestoren nutzen verfügbare Daten zur Risikoanalyse und für Entscheidungsfindungen. Entscheidungen in Politik und Unternehmen werden transparenter, was das Vertrauen in der Bevölkerung stärkt. Darüber hinaus wird wissenschaftliche Arbeit ermöglicht oder beschleunigt, was wiederrum neue wirtschaftliche Impulse geben kann.  Es wird aber auch kritisch analysiert, dass Deutschland im internationalen Vergleich abgerutscht ist und das Risiko in Kauf nimmt, den Anschluss an die Entwicklungen im Bereich Open Data zu verlieren.  Vorreiter im europäischen Vergleich sind Großbritannien, Dänemark und Finnland, während Deutschland eher dem unteren Mittelfeld zuzuordnen ist.

Das lokale Potential offener Daten wird von engagierten Open-Knowledge-Labs demonstriert. Diese Labs gehen auf eine Initiative der gemeinnützigen Open Knowledge Foundation Deutschland zurück, die Entwicklungen im Bereich Transparenz, Open Data und Civic Tech in Deutschland fördert und begleitet. Labs sind regionale Zusammenschlüsse von Aktiven, die in ihrer Freizeit Apps entwickeln, über Webauftritte die Öffentlichkeit informieren, die Gesellschaft positiv gestalten und die Arbeit von Verwaltungen und Behörden transparenter machen wollen. Auch die Organisation der Hackdays geht meist auf das Engagement lokaler Labs zurück.

Leider bieten die meisten deutschen Städte bisher kein Portal für offene Daten an. Die Vorstellung, amtliche Daten „einfach so“ herauszugeben, ist vielen Amtsleitungen fremd. Datensätze schlummern daher noch in Aktenschränken oder auf Festplatten der Verwaltung, ohne dass sie für die Stadt und ihre Bevölkerung nutzbar gemacht werden. Der Wandel findet langsam statt. Vorbilder sind dabei beispielsweise die Städte Berlin, Köln und Hamburg, die bereits umfangreiche Datenbestände freigegeben und viele Anwendungen ermöglicht haben, aber auch das niederrheinische Moers, das in Open-Data-Kreisen mittlerweile Kultstatus genießt, gehört dazu, und der gut besuchte Hackday in Moers zeigt, dass das Angebot begeistert angenommen wird. Realisiert wurden dabei sehr unterschiedliche Projekte: Visualisierung der Trinkwasserqualität, Aufbereitung der Geburten- und Sterbezahlen nach Stadtteilen (was nicht mit dem Trinkwasser zusammenhängt), Pünktlichkeitswerte des Personennahverkehrs oder eine App, die hilft, Trendsportarten und entsprechende Sportstätten in der Umgebung zu finden – um nur eine Auswahl zu nennen. Auf die kürzlich befreiten Bußgelddaten stürzten sich gleich mehrere Gruppen, manches Geheimnis könnte hier noch gelüftet werden: Wird in einigen Nachbarschaften weniger vom Ordnungsamt kontrolliert? Kann man mittags unbesorgt falsch parken? Genug Material für investigative Datenenthusiasten ist vorhanden. Der nächste Hackday kommt bestimmt.

 

Der Autor lehrt Informatik an der Hochschule Rhein-Waal und engagiert sich in den OK-Labs Ruhrgebiet und Niederrhein.

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”The purpose of computing is insight, not numbers.” (Richard Hamming) Ulrich Greveler studierte in Gießen Mathematik und Informatik, arbeitete sechs Jahre in der Industrie im In- und Ausland, bevor er als Wissenschaftler an die Ruhr-Universität nach Bochum wechselte. Seit 2006 lehrt er Informatik mit dem Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Fachhochschule Münster (bis 03/2012) und der Hochschule Rhein-Waal (seit 03/2012). Sein besonderes Interesse gilt datenschutzfördernden Technologien und dem Spannungsverhältnis zwischen Privatsphäre und digitaler Vernetzung.

1 Kommentar

  1. Die kürzlich erschienene Open-Data-Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung rechnet vor, dass offene Verwaltungsdaten in Deutschland einen jährlichen volkswirtschaftlichen Mehrwert von 43 Milliarden Euro erzeugen und dabei 20.000 Arbeitsplätze schaffen könnten.

    IdT. – Ist auch vglw. lustig. Allerdings erzeugt (“schafft”) nicht die Bereitstellung der Daten den annoncierten Mehrwert, sondern es sind die Geschäftstreibenden, die auf Basis dieser Datenlagen profitieren könnten, so ein Profit entstehen könnte, der auch steuerlich und somit allgemein gesellschaftlich förderlich abgeschöpft werden könnte (wobei die Bereitstellung von Geschäft natürlich per se bereits einen allgemeinen Nutzen darstellt).
    Auch diese kleine Formulierung – ‘in der Großstadt im Kreis Wesel’ – kam hier gut an.
    BTW, “Knöllchen” meinen Zahlungen, die als sogenannte Ordnungswidrigkeit angeleitet werden; tatsächlich nimmt der diese Verwarnungen Provozierende in der Regel die sich möglicherweise anschließende Zahlung in Kauf, er ist insofern monetär vglw. locker wie zahlungswillig wie zahlungsfähig.
    Gar vermögend; Ordnungswidrigkeiten kennen keine Tagessätze.

    Keep on hacking,
    MFG
    Dr. Webbaer

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