Die karolingische Torhalle in Lorsch – sichtbar, erlebbar, konsumierbar?

Karolingische Torhalle in Lorsch von Westen

In der heute südhessischen Provinz steht seit mehr als elf Jahrhunderten ein erstaunliches kleines Bauwerk: die sogenannte „Torhalle“ oder „Königshalle“ des ehemaligen fränkischen Reichsklosters Lorsch, von der man nicht mehr weiß, welche Funktion sie ursprünglich hatte. Für eine Torhalle war sie wohl gar nicht geeignet, da die Rundbögen für die beritten zu denkenden Würdenträger zu niedrig scheinen. Ob es sich um ein Gerichtsgebäude, eine Bibliothek oder einen großen Reliquienschrein gehandelt hat oder auch um ganz etwas anderes wird seit Jahrzehnten diskutiert. Es ist auch kein anderes unter den raren erhaltenen karolingischen Gebäuden bekannt, das der „Torhalle“ geglichen hätte.

Karolingische Torhalle in Lorsch von Westen
Frisch restauriert: die Lorscher Torhalle im November 2013, Ansicht von Westen. Es handelt sich um einen zweigeschossigen Saalbau mit drei offenen Arkaden im Untergeschoss und einem rechteckigen Raum im Obergeschoss, der über zwei Treppentürme erreichbar ist.

Die Dekoration der beiden Fassaden ist typisch karolingisch und zeigt doch so eigentümliche Elemente wie die quadratischen und sechseckigen „Kacheln“, die sonst eher aus der damaligen Fußbodengestaltung bekannt sind. Vielleicht waren es gerade die große Kunstfertigkeit, der Erfindungsreichtum, die Detailfreude und Schönheit, die das Bauwerk vor seiner Zerstörung bewahrt haben. Denn während fast alle anderen Gebäude der bis ins 12. Jahrhundert immer weiter ausgebauten Anlage nach der Aufhebung des Klosters im 16. Jahrhundert abgebrochen und von den Bewohnern der Stadt Lorsch als Baumaterial genutzt wurden, blieb die kleine Halle nahezu unberührt stehen. Auch als das inzwischen als Kapelle benutzte Gebäude um 1800 an eine benachbarte Gemeinde verkauft worden war, um abgebrochen und als Baumaterial für die dortige neu zu errichtende Kirche verwendet zu werden, blieb es zunächst unangetastet. 1803 kam es dann in den Besitz der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, der Abriss wurde später auf Anraten des großherzoglichen Baurats Georg Moller verboten.

 

Königshalle Lorsch um 1900
Credit: Foto Marburg – Die karolingische Torhalle in Lorsch um das Jahr 1900, es fehlt der 1842 eingestürzte nördliche Treppenturm, die Rundbögen sind zugemauert.

So blieb von dem einst mächtigen Kloster, das unter anderem über einen offenbar riesigen Kirchenraum verfügt hatte, vor allem dieses rätselhafte, kleine aber schmucke Überbleibsel. Bis ins 20. Jahrhundert wurde es immer wieder als Kapelle genutzt und dafür auch entsprechend baulich verändert. Schon im 19. Jahrhundert begann sich das Interesse der Archäologen an der Torhalle und ihrer Umgebung zu regen, was nicht verhinderte, dass gleichzeitig eine Straße mitten durch die Kloster-Düne gegraben und viele Befunde zerstört wurden.  Die umfangreichsten archäologischen Grabungen erfolgten um die 1930er-Jahre durch den Archäologen und Bodendenkmalpfleger Friedrich Behn unter zeitweiser Beteiligung des Reichsarbeitsdienstes. Behn glaubte, durch die Ausgrabungen (bei denen nochmals vieles zerstört wurde) zu einem gesicherten Bild der Gesamtanlage des Klosters gekommen zu sein. Heute ist man vorsichtiger: Es ist Demut aufgekommen, was als „gesicherte“ Erkenntnis angesehen werden kann.

 

karolingische Königshalle Lorsch von Westen um 1922 mit Holztoren
So sah die Torhalle des Klosters Lorsch im Jahr 1922 aus: Die im Osten zugemauerten Rundbögen sind vorn mit Toren geschlossen, um den Innenraum nutzen zu können.

Schon lange wird die Tor- oder Königshalle nicht mehr benutzt. Zusammen mit dem Gesamtensemble des Klosters ist sie zum Denkmal avanciert und wurde 1991 wurde in die Liste der Welterbestätten der UNESCO aufgenommen. In der jüngsten Vergangenheit hat sich rund um die Torkhalle viel getan. Aus dem “Investitionsprogramms nationale UNESCO-Welterbestätten” der Bundesregierung wurden im Förderzeitraum 2009 bis 2014 für das Kloster Lorsch knapp 5 Millionen Euro bewilligt. Das Geld dient der Erhaltung der Denkmäler, aber auch der Tourismusförderung. Es soll für eine nachhaltige Stadtentwicklung eingesetzt werden und Impulse für Beschäftigung und Wachstum in den Regionen geben.

Die Verwaltung Staatliche Schlösser und Gärten Hessen als Eigentümerin des Areals möchte das Kloster nun nach eigenen Worten „erlebbar“ machen. Torhalle, Klostermauer und Kirchenfragment werden freigestellt, die ehemaligen Gebäude, soweit bekannt, in einer Rasenfläche mit „Bodenabdrücken“ angezeigt. Als ein Publikumsmagnet ist ein “experimentalarchäologisches Freilichtlabor karolingischer Herrenhof Lauresham”“ konzipiert, der gerade auf einer großen Ackerfläche in der Nähe des Klosters entsteht und mit diesem nur insofern in Zusammenhang steht, als das Kloster eine karolingische Gründung war. Der rekosntruierte Herrenhof aus der Karolingerzeit soll – gemäß dem jeweils aktuellen Forschungsstand – eine Vorstellung vom damaligen Leben und den Strukturen der mittelalterlichen Grundherrschaft geben  und Langzeitversuche in Ackerbau und Viehzucht umfassen – samt Gänsen, Schweinen und Rindviechern.

Die Mönche des Klosters und später die Lorscher Bürger benutzten die Torhalle (auf welche Weise auch immer) über mehr als 1000 Jahre, sie lebten mit ihr. Heute steht das kleine Bauwerk unter Schutz – und ist damit dem „wirklichen Leben“ entzogen. Wie es nun wohl trotzdem “erlebbar” wird? Am Ende doch einfach nur besser konsumierbar? Vielleicht wird es ja gelingen, auch die Geschichtlichkeit des Ortes zur Geltung zu bringen.

 

Torhalle Kloster Lorsch November 2013 von Osten klein
Die Lorscher Torhalle im November 2013: Noch wird daran gearbeitet, einen Eindruck von der ehemaligen Gliederung des Geländes zu schaffen. Mitte 2014 soll das Gros der Arbeiten abgeschlossen sein.

 

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

9 Kommentare

  1. Wenn Museen irgend etwas “erlebbar” machen wollen, ist damit eigentlich immer eine geschützte Zurschaustellung gemeint, denn es geht ja letztlich darum, das Publikum an den Kosten der Konservierung zu beteiligen.

  2. Lorsch ist fast eine Nachbarstadt von uns. 12 km Radweg bis zum Kloster. Ich bin oft dort, im Sommer, sitze in den Cafes des Marktplatzes. Die Lorscher nutzen es als Kulisse. Auch und gerade zur Kerb. Es ist Teil des Marktes, mit dem alten Rathaus auf der Gegnseite. Ich persönlcih träume davon, dass es in der Torhalle eine Lesung althochdeutscher “Lyrik”, wie dem Lorscher Bienensegen gäbe….oder meiner :)) Mit Bild, dort entstanden… Man nennt das “Tor” auch das “Paradies”.

    • Na ja, Lorsch ist heute nicht gerade ein kulturelles oder politisches Zentrum. Ist ja nicht schlimm, und heißt auch nicht, dass es dort z.B. an aktueller Kultur nichts zu erleben gäbe.

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  4. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass aus karolingischer Zeit nur winzige Bauten oder besser gesagt Bauteile erhalten sind. So fällt es schwer, sich das “riesige” Kloster Lorsch vorzustellen und die sicherlich auch nicht gerade kleine Kaiserpfalz, zu der die Aachener Palastkapelle einst gehörte.

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