Hellerau: Musentempel, Kaserne, Mythos

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Es gibt etwas zu sehen
Denkmale

Seit ich in der Schulzeit zum ersten Mal von Hellerau gehört habe, war das für mich ein mythischer, unerreichbarer Ort. Nicht nur, weil er in der DDR lag, sondern weil vom einstigen Festspielhaus angeblich nicht mehr viel übrig geblieben und das Gelände im Besitz des sowjetischen Militärs war. Die oft grobkörnigen Fotos vom Bühnensaal mit den Aufführungen schürten bei mir umso stärkeres Verlangen.

Dresden Festspielhaus HellerauSachlich, glatt, reduziert, so wollte der Architekt Heinrich Tessenow das Festspielhaus Hellerau bauen. Wenn der heutige Betrachter diese neoklassizistische Architektur beklemmend findet, dann liegt das auch daran, dass Tessenows Schüler und Assistent Albert Speer prägend für die nationalsozialistische Architektur wurde. Tessenow dagegen durfte nach 1933 nicht mehr bauen.

Der Architekt Heinrich Tessenow hatte 1911/12 in dem damaligen Dresdner Vorort Hellerau ein gewaltiges Festspielhaus mit einer großen Freiluftarena und umlaufenden Licht- und Sonnenhöfen geschaffen, die von Pavillons eingefasst waren, die als Pensionshäuser dienten. Das Ensemble wurde für den Schweizer Emile Jaques-Dalcroze gebaut, der hier eine „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“  einrichtete, die mit der Wechselbeziehung von musikalischen, körperlichen und emotionalen Erfahrungen und einer ganz neuen Bühnenästhetik zum wichtigen Impulsgeber für den modernen Ausdruckstanz wurde und zum Beispiel auch Mary Wigman und Gret Palucca entscheidend beeinflusste.

Private Finanzierung

Finanziert waren das Gebäude und die Bildungsanstalt als Teil der Gartenstadt Hellerau von dem Möbelfabrikanten, Gründer des Deutschen Werkbunds und Anhänger der Lebensreform Karl Schmidt. Mit der Gründung der Gartenstadt wollte der Unternehmer seinen Arbeitern menschenwürdigen Wohn- und Lebensraum schaffen. Das Festspielhaus sollte nach den Vorstellungen seines Generalsekretärs Wolf Dohrn die kulturellen Bedürfnisse der Einwohner in ihrem direkten Umfeld befriedigen. Dohrn war es auch, der den Komponisten Jaques-Dalcroze für Hellerau gewann und die Siedlung damit zu einem kulturellen Mittelpunkt machte.

1913 pilgerten Europas Künstler und Intellektuelle zu den Festspielen. Unter den Besuchern sollen zum Beispiel George Bernard Shaw, Stefan Zweig, Franz Werfel, Rainer Maria Rilke, Lou-Andreas Salomé, Darius Milhaud, Serge Rachmaninoff, Konstantin Stanislawski, Max Reinhardt, Gerhart Hauptmann, Hugo Ball, Oskar Kokoschka, Henry van de Velde und Else Lasker-Schüler gewesen sein.

Der Anfang vom Ende

1914 war dann alles schon fast wieder vorbei: Wolf Dohrn verunglückte tödlich und der Schweizer Jaques-Dalcroze kam nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr zurück nach Deutschland.  Der Niedergang war in den 1920er-Jahren offenbar nicht aufzuhalten  – trotz aller Versuche, die experimentelle musikalische Ausbildung fortzuführen und obwohl hier die reformpädagogischen Anfänge von A. S. Neill lagen. Die Nationalsozialisten machten das Gelände dann zur Polizeischule, nach dem Zweiten Weltkrieg logierte die russische Armee im Festspielhaus.

Dresden Hellerau Festspielhaus innen sowjetischer SiegeszugZeugnis der Geschichte: Einige Wandmalereien aus der Zeit der Nutzung durch das sowjetische Militär wurden im Treppenhaus des Festspielhauses Hellerau konserviert .

Nach der Wiedervereinigung wurde das Land Sachsen Eigentümerin des Gebäudes. Seit 1994 wurde restauriert und saniert. Der sowjetische rote Stern im Giebel wurde wieder mit dem bauzeitlichen Symbol für Yin und Yang ersetzt. Seit dem Jahr 2006 wird das Festspielhaus wieder als kulturelles Zentrum genutzt. Noch sind aber nicht alle Bauteile des Ensembles instandgesetzt.

Reanimierung

Die Wiederbelebung scheint insgesamt schwierig, sicher auch wegen der geografischen Randlage. Als ich im Oktober zum Tonlagen-Festival in Hellerau war, schien der Ort – zumindest unter der Woche – seltsam vereinsamt. Dabei unternimmt unter anderem die Stadt Dresden allerlei, um an den einstigen Ruf anzuknüpfen und den Ort wiederzubeleben. Das kostet eine Menge Geld. Schon kurz nach der Eröffnung 2006 stand die Fortführung des Programms des „Europäischen Zentrums der Künste“ aus finanziellen Gründen in Frage.

Mit William Forsythe hatte man 2004 aus städtischen Mitteln und Landeszuschüssen einen der bedeutendsten zeitgenössischen Choreografen mit seiner Gruppe als Company-in-Residence nach Hellerau geholt. Dieses Engagement ist seither (wie Kulturausgaben wohl überall)  heiß umstritten – eben erst wurde nach langem Ringen der Vertrag mit der Forsythe Company bis 2016 verlängert. Das Festspielhaus Hellerau soll das wichtigste Zentrum zeitgenössischer Kunst in Ostdeutschland werden, daran arbeitet jedenfalls Dieter Jaenicke, der künstlerische Leiter des “Europäischen Zentrums der Künste Dresden” nach wie vor. Nicht nur dem zeitgenössischen Tanz, sondern auch der Musik, der bildenden Kunst und Spartenübergreifendem wie dem aktuell laufenden Festival für computergestützte Kunst CYNETart soll hier Raum zur Entfaltung gegeben werden.

Die Liste der mit dem Festspielhaus verbundenen Vereine und Organisationen ist lang, darunter neben der Trans-Media-Akademie Hellerau e. V., die  CYNETart veranstaltet, auch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, der Deutsche Werkbund Sachsen  und der Neue Sächsische Kunstverein. Es fehlt weder an gutem Willen noch insgesamt an künstlerischem Niveau.

Und die Dinge scheinen Fahrt aufzunehmen: Für die Spielzeit 2011/12 wurden um fast 30 Prozent gesteigerte Besucherzahlen verbucht. Insgesamt kamen 37 724 Besucher, im Durchschnitt also mehr als 100 pro Tag, offiziell wird von einer Auslastung von 88 % gesprochen.

Was bleibt vom Mythos Hellerau?

Als avantgardistische und ambitionierte Architektur ist das Festspielgelände inzwischen wieder fassbar, wenn auch längst noch nicht fertig. Nachdem 2009 dem Dresdner Elbtal wegen des Baus der Waldschlösschen-Brücke der Titel “UNESCO-Welterbe” aberkannt wurde, nominierte der Freistaat Sachsen die Gartenstadt Hellerau samt Festspielhaus für die Unesco-Weltkulturerbe-Liste unter dem Titel „Hellerau – Laboratorium einer neuen Menschheit“. Der Titel lässt die Magie wieder aufleben, die mit der Stätte einst verbunden war, wenn auch nur verblüffend kurz: Einfluss und Ruhm begründen sich letztlich auf die drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Schwieriger als die Restaurierung der baulichen Substanz ist die Frage, ob es überhaupt möglich ist, den innnovativen Geist und die Anziehungskraft von Hellerau wieder spürbar zu machen.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

2 Kommentare

  1. Finanziert waren das Gebäude und die Bildungsanstalt als Teil der Gartenstadt Hellerau von dem Möbelfabrikanten, Gründer des Deutschen Werkbunds und Anhänger der Lebensreform Karl Schmidt. Mit der Gründung der Gartenstadt wollte der Unternehmer seinen Arbeitern menschenwürdigen Wohn- und Lebensraum schaffen. Das Festspielhaus sollte nach den Vorstellungen seines Generalsekretärs Wolf Dohrn die kulturellen Bedürfnisse der Einwohner in ihrem direkten Umfeld befriedigen. Dohrn war es auch, der den Komponisten Jaques-Dalcroze für Hellerau gewann und die Siedlung damit zu einem kulturellen Mittelpunkt machte.

    Hier stimmt etwas nicht, die Finanzierung wurde hauptsächlich von der Familie Dohrn,in erster Linie Dr. Wolf Dohrn und Harald Dohrn geleistet. Dr. Wolf Dohrn war der Initiator der Gründung des Festspielhauses. Sämtliche vorhandenen Unterlagen beweisen das.

  2. @Michael Dohrn

    Oh, das ist natürlich sehr interessant, herzlichen Dank für diese Information. Meist heißt es, dass Harald Dohrn das Festspielhaus 1922 gekauft habe – was den offenbar falschen Umkehrschluss nahelegt, dass es zuvor Schmidt gehörte.

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