Hitlers Bilder

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Frisch zur Buchmesse erschienen ist die deutsche Ausgabe eines Buches, das in Schweden schnell ein Bestseller war: „Hitlers Bilder – Kunstraub der Nazis – Raubkunst in der Gegenwart“ von dem schwedischen Journalisten Anders Rydell, spannend unter anderem durch die außerdeutsche Perspektive und die Erkenntnis, wie international die Problematik ist – eine Tatsache, der ich mir bislang nicht wirklich bewusst war.

Rydell Hitlers Bilder Raubkunst der Nazis

Das Buch fasst unterschiedliche Aspekte zum Thema Raubkunst zusammen, sowohl die Entfernung „entarteter Kunst“ aus dem öffentlichen Raum als auch die Aneignung von wertvollen Kunstwerken aus ausländischem Museumsbesitz/öffentlichem Besitz, sei es zur persönlichen Bereicherung, etwa für die Kunstsammlung Hermann Görings, oder zur Verwirklichung einer größenwahnsinnigen Vision, wie im Fall von Hitlers Besessenheit zur Gestaltung seiner Fast-Heimat-Stadt Linz zum kulturellem Weltzentrum, mit einem „Führermuseum“, das Museen wie den Louvre oder die Eremitage übertreffen sollte. Es geht aber auch um die Frage der Schuld in unseren Tagen, in denen wir alle als Museumsbesucher zu unrechtmäßigem Kunstgenuss kommen – in der ganzen Welt.

Raubkunst in alle Welt verteilt

Schon der Verkauf der geraubten Kunst in den 1930er- und 40er-Jahren hat für die internationale Verbreitung gestohlener Bilder gesorgt, und auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem seit den 1960er-Jahren, wurden die Bilder über den Kunsthandel weiter verteilt. Dazu kamen noch die Millionen von Bildern und anderen Kunstgegenständen, die von den amerikanischen „Monuments Men“ sichergestellt oder anders aufgefunden worden waren und bis 1949 am Munich Central Collecting Point oder anderen Sammelstellen gelagert wurden. In der überwiegenden Zahl der Fälle konnten die rechtmäßigen Eigentümer damals nicht ermittelt werden. Die amerikanische Verwaltungdrängte auf eine schnelle Rückgabe an die Herkunftsländer. Diese verzichteten auf weitere Bemühungen, die Besitzer zu ermitteln, und waren häufig froh, mit den Kunstwerken ihre nationalen Museen ausstatten zu können. Andere Bilder gelangten auf den Kunstmarkt, und einige öffentliche amerikanische Kunstsammlungen hätten nicht den Stellenwert, die sie heute haben.

Ein Nolde für Stockholm

Auch das Stockholmer Moderna Museet erwarb 1967 ein Werk, das einer jüdischen Familie gehört hatte, die ihre Kunstsammlung auf der Flucht verloren hatte. Der jahrelange, 2009 schließlich beigelegte Streit um die Rückgabe von Emil Noldes Gemälde „Blumengarten“ aus dem Stockholmer Moderna Museet an die Familie des ursprünglichen Besitzers war für Anders Rydell  Anlass, die Geschichte der Raubkunst bis in die Gegenwart hinein zu recherchieren und dabei den Blick auch auf die Verstrickungen zu richten, die heute das Problem der Kunstrestitution umgeben.

Provenienzforschung

Ein Kernpunkt des Problems ist die Behauptung, den Kauf „in gutem Glauben“ getätigt zu haben. Nachdem in den 1960er-Jahren die meisten Nazi- und Kriegsverbrechen verjährt waren, stand der Markt für die Raubkunst offen. Auch öffentlche Sammlungen bedienten sich da gern. Und niemand fragte nach der Herkunft der begehrten Bilder. Erst nach der von 44 Staaten unterzeichneten, juristisch unverbindlichen „Washingtoner Erklärung“ des Jahres 1998 rückte die Fragwürdigkeit dieser Handlungsweise allgemein in den Fokus. Zu einer aktiven Herangehensweise zur Aufklärung der Provenienz der in öffentlichen Sammlungen vorhandenen Kunstwerke sind die Unterzeichner nun zumindest moralisch verpflichtet. Nach den Erkenntnissen von Anders Rydell sind dem bislang die allerwenigsten Staaten auch nur annähernd gerecht geworden. In Deutschland und Österreich immerhin gibt es öffentliche Datenbanken zur Provenienzforschung. Außerdem wurde z. B. in Deutschland vereinbart, dass die abgelaufenen Verjährungsfristen nicht in Anspruch genommen werden.

Gut und böse

Was mir beim Lesen des Buches einmal mehr klar wurde: Die Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern ist nicht leicht. Auch auf dem Gebiet des Kunstraubs und der (unterlassenen) Restitutionen gibt es einen breiten Graubereich, in dem schwer zu sagen ist, wer „Recht“ hat und wer „Unrecht“.

Alles nur Gier?

Da ist einmal das Misstrauen gegen die Geschäftstüchtigkeit der Anwälte: Tatsächlich ist es wohl so, dass etliche Familien nie mehr in den Besitz ihrer verlorenen Bilder kommen werden. Auch wenn diese ihnen zurückgegeben werden, sind der dafür notwendige Rechtsstreit und die Anwaltshonorare aber so teuer, dass die Kunstgegenstände verkauft werden müssen, um das Geld aufbringen zu können. Nur wenige Familien sind so wohlhabend, dass das nicht nötig ist. Andererseits ist die unterstellte Gier der Anwälte – und der „angeblicher Opfer“ – auch ein willkommenes Motiv, um gegen die Rückgabe Stimmung zu machen – so z. B. geschehen im Fall der Rückgabe von Ernst Ludwig Kirchners „Berliner Straßenszene“.

Deutsch, stark, streng – und doch verfolgt

Emil Nolde war einer der von den Säuberungen deutscher Museen 1937 am stärksten betroffenen Künstler – angeblich wurden mehr als 1000 Bilder von ihm beschlagnahmt – und zugleich ein Künstler, der sich den Nationalsozialisten mehrfach andiente, um die deutsche Kunst zu erneuern. Aus einem Brief Noldes an Goebbels zitiert Rydell: „Meine Kunst ist deutsch, stark, streng und innerlich“.

Hildebrand Gurlitt – Profiteur oder Retter?

Anders Rydells Recherchen erschienen in Schweden genau zu dem Zeitpunkt als Buch, als der „Schwabinger Kunstfund“, die Beschlagnahmung der Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt in München, international für großes Aufsehen sorgte. Dass das Buch in Schweden ein Bestseller wurde, ist unter anderem auch diesem Zufall zu verdanken.

Urheber der Sammlung war Hildebrand Gurlitt, der Vater von Cornelius Gurlitt. Seine Rolle ist nicht so einfach zu beurteilen. Der Förderer der Expressionisten und „Vierteljude“ eröffnete erst dann eine Galerie, als er von den Nazis Museumsleiter entlassen worden war. Er wurde einer der Kunsthändler, die die „entartete“ Kunst für die Nazis zu Geld machten und selbst dabei Gewinn machten. Er stieg schließlich sogar zu einem der Einkäufer für Hitlers Linzer „Führermuseum“ auf. Nach dem Krieg führte Hildebrand Gurlitt für sich ins Feld, dass er die expressionistischen Bilder vor der Zerstörung gerettet habe.

Auch das ist wohl richtig.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

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