Zur Benutzung freigegeben: Haus Schminke in Löbau

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Es gibt etwas zu sehen
Denkmale

Übermorgen, am 8. September 2013, ist wieder „Tag des offenen Denkmals“. Seit  mehr als zwanzig Jahren, immer am zweiten Sonntag im September,
öffnen mehrere tausend Denkmale in Deutschland Türen, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Ziel ist es, die Liebe zum kulturellen Erbe zu wecken und die Menschen für die Belange der Denkmalpflege zu interessieren.

Im Denkmal übernachten: Haus Schminke in Löbau

Bei einem der deutschen architekturhistorischen Highlights des 20. Jahrhunderts ist das ganze Jahr über „Tag des offenen Denkmals“:  Das Haus Schminke, 1930–33 von dem bedeutenden Architekten Hans Scharoun für die Familie des Nudelfabrikanten Fritz Schminke und seiner Frau Charlotte erbaut, kann zwar an vielen Tagen ganz normal besichtigt werden. Wer will, kann aber auch für eine Nacht oder gar  mehrere Tage selbst im Haus Schminke wohnen.

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Das Haus öffnet sich zum Garten – mit einem nahezu ungehinderten Blick von innen nach außen und von außen nach innen.

In dieser Zeit darf man alle Einrichtungsgegenstände (einschließlich der „Frankfurter Küche“) benutzen, im Bett der Bauherrin schlafen, nach Herzenslust durch Haus und Garten spazieren und nicht zuletzt die ausführlichen Videos mit privaten Filmausschnitten betrachten, die nacherleben lassen, wie die Familie in den 1930er- und 1940er-Jahren in dem Haus gewohnt hat. Die vielen Fotos von Alice Kerling an den Wänden zeigen das Haus kurz nach der Erbauung und eine weitere Fotoserie mit identischen Aufnahmewinkeln gibt es aus der Zeit der Nutzung in den 1970er-Jahren.

Die Einnahmen sind ein wichtiger Baustein zur Finanzierung der Unterhaltungskosten für das Haus. Es ist aber auch ein sehr schönes Angebot für Architekturfans. Entrücken museale Zusammenhänge ihren Gegenstand sonst meistens in die Unantastbarkeit, so geht das aktuelle Nutzungskonzept des Hauses Schminke den genau umgekehrten Weg. Der Besucher erhält die Möglichkeit, das denkmalgeschützte Bauwerk durch eigenen Gebrauch kennenzulernen.

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Der Teich im Garten war nicht nur als schmückendes Element gedacht, das das Licht reflektierte. Im Winter nutzten die Kinder der Familie Schminke ihn zum Eislaufen, im Sommer zum Baden.

So ist das Haus seit seiner Erbauung bis heute fast ununterbrochen in Benutzung. Allerdings entsprach es nur die ersten zwölf Jahre dem Zweck, für das das Einfamilienhaus gebaut wurde. Mit dem Krieg kam die Besetzung durch russische, später polnische Soldaten. Nach dem Krieg betrieb Charlotte Schminke ein Erholungsheim für Kinder, bis sie 1951 ihrem Mann in den Westen folgte. Zu DDR-Zeiten war das Haus Schminke zunächst ein Klubhaus für die Freie Deutsche Jugend (FDJ), später bis zur Wende ein “Haus der Pioniere”. 1990 richtete die Stadt Löbau im Haus Schminke ein Freizeitzentrum für Kinder und Jugendliche ein. 1999 erfolgte dann die Sanierung für mehr als 3 Millionen D-Mark. 2006 entwickelte die Stadt Löbau ein Konzept zur Nutzung als Architekturdenkmal, das heute von der Stiftung Haus Schminke – unter finanziell schwierigen Bedingungen – fortgeführt wird.

Die verschiedenen Nutzer hinterließen überraschend wenige Schäden im Hinblick auf bauliche Eingriffe. Auch die Übernachtungsgäste erweisen dem Gebäude den erforderlichen Respekt. „Bislang haben wir noch keine schlechten Erfahrungen gemacht“, sagt Claudia Muntschick, Projektleiterin bei der Stiftung Haus Schminke.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Wer im Gästebuch stöbert, stößt auf viele ausgesprochen emotionale Äußerungen. Auch die Vielzahl der Eintragungen lässt vermuten, dass das Architekturerlebnis eine ganz besondere Verbundenheit mit dem Haus Schminke erzeugt.

Konzept: Benutzbarkeit

Dazu liegt eine gewisse Unverwüstlichkeit sicher auch schon in der Konzeption des Hauses begründet. Charlotte und Fritz Schminke planten das Haus in enger, später auch freundschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Architekten Hans Scharoun. Dabei wurde besondere Aufmerksamkeit auf das Zusammenleben mit den vier Kindern der Familie gerichtet. Zum Beispiel gibt es in den Außentüren farbige Bullaugen in Kinderhöhe, die den Blick nach draußen bunt einfärben. Die Betonung der Gemeinschaftsräume, die bei Bedarf durch Schiebewände unterteilt werden können, geht auf Kosten der Größe der individuellen Räume. Bescheidene Dimensionen hatten nicht nur die Kinderzimmer, sondern auch das Elternschlafzimmer.

Eingang Haus Schminke in Löbau, Architekt Hans Scharoun

Der Vater hatte noch eine echte Fabrikantenvilla geplant. Die junge Familie Schminke legte auf Repräsentatives keinen Wert. Wichitger waren praktische Erwägungen: Das vor Regen schützende Vordach über dem Eingang ragt weit über den Weg.

 

Ledigenwohnheim Bauausstellung 1929 Breslau Scharoun

Auf den Architekten Hans Scharoun aufmerksam geworden waren Charlotte und Fritz Schminke durch dessen Ledigenheim für die Bauausstellung von 1929 in Breslau (hier bei der Sanierung im Sommer 2013) – ein markanter Schritt zur Abkehr  von der  noch vom Vater des Bauherrn geplanten Repräsentationsarchitektur.

 

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Im Original überdauert hat die mit einem kräftigen Orange hinterlegte Lichtdecke von Hans Scharoun im Wintergarten des Hauses.

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Nicht mehr ganz wie damals ist die Sitzgruppe im Wohnzimmer. Unter den Fenstern verlief eine lange gepolsterte Sofabank, die von den Kindern der Familie Schminke ausgiebig zum Toben genutzt werden durfte, wie alte Filmaufnahmen noch heute dokumentieren.

 

 

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

5 Kommentare

  1. Offenheit = Moderne

    Die verspielte Offenheit, die das Haus zum Garten hin anbietet aber auch die schnörkellose Fassaden und Innenraumgestaltung ordnen das Haus Schminke in die heute als zeitlos empfundene Bauhaus beeinflusste Moderne ein. Die Website, welche das Haus zur Vermietung anbietet präsentiert es noch “moderner”, indem es die Zimmer hell und wohl leicht überbelichtet abbildet.

    Hätte Scharoun die Nachkriegszeit nicht in der DDR verbracht, hätte er wohl mehr bauen können. Dort, in der DDR, war die “Moderne” nämlich verpönt, sowohl in der Architektur als auch in der Malerei (die russische Avantgarde wurde einkassiert).
    Zitat Wikipedia: “Scharouns Entwürfe waren den Vorstellungen des Bauhaus verpflichtet, dessen strenge und funktionalistische Architektur von der SED als bourgeois, dekadent und formalistisch abgelehnt wurde. Die politische Führung der DDR forderte eine Antikultur zum Internationalen Stil des Kapitalismus. Die Stalinallee wurde schließlich in neoklassizistischen Formen (mit Anleihen beim sozialistischen Zuckerbäckerstil und beim Schinkel’schen Klassizismus) gebaut”

    Im Kunst- und Architekturgeschmack war die DDR wie das Nachkriegsrussland aus unserer Sicht reaktionär. Wenn man die rechts- und nationalorientierten Gruppierungen der Nach-DDR und des postsowjetischen Russland anschaut war wohl auch die Politik reaktionär, wenn sie nach aussen auch ein anderes Bild abgeben wollte.

    Überrascht hat mich zuerst, dass Hans Scharoun, obwohl DDR-Bürger auch einige Bauten in Westdeutschland erstellt hat. Bis ich dann merkte, dass das vor dem Krieg war.

  2. Scharoun in der DDR

    Eigentlich arbeitete Scharoun nach dem Krieg nur wenige Jahre in der DDR. Seit den frühen 1950er-Jahren bis zu seinem Tod 1972 war er im Westen tätig.

  3. Repräsentation versus Funktionalismus

    Ein sehr schönes Haus, zweifellos. Allerdings würde ich, wie in den Bildunterschriften, “Repräsentation” und “prakitsche Erwägungen” nicht so in Gegensatz setzen. Solch eine moderne Architektur war damals ganz schön auffällig und sicherlich auch ganz schön teuer. Die Bauherren lieferten damit auch das Bekenntnis ab, zu einer Art “Geschmackselite” zu gehören, welche die dekorationslose Ästhetik und perfekte komponierte “Einfachheit” zu schätzen wussten. Auch konventionelle Fabrikantenvillen dürften Vordächer verwendet haben.
    Die Funktionalität des Funktionalismus hatte übrigens auch seine Grenzen. Flachdächer sind in unseren Breiten nur bedingt funktional. Dass es ein besonderes Erlebnis ist, in so einem Hause zu leben, glaube ich gern. Aber wie steht es mit den Heizkosten im Winter?

  4. Repräsentation und Moderne

    Nicht nur wegen der Flachdach- und Heizproblematik würde man das Haus genau so heute sicher nicht mehr bauen. Ich wüsste auch gern, wie das Haus mit den Jahren und der Familie gewachsen wäre. Nicht mehr ausgeführt wurden zum Beispiel wegen des Krieges Pläne, das Gästezimmer als Zimmer für den Sohn umzubauen.
    Inwieweit ein avantgardistischer Bau in Löbau damals zum Statussymbol taugte, kann ich nicht beurteilen. Die betont unspektakuläre Gestaltung des Eingangs ist aber schon ein interessantes Statement, finde ich. Das Vordach ragt übrigens so weit über den Weg, dass man zum Beispiel trockenen Fußes aus einem vor der Tür haltenden Auto ins Haus kommen konnte.

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