Cranberrysaft nicht wirksam gegen Blasenentzündung

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Cranberrysaft oder auch Preiselbeersaft* wird ja gern zur Vorbeugung von Harnwegsinfekten empfohlen. In meiner Verwandtschaft und im Freundeskreis scheint das recht beliebt (ok, Stichprobe ist recht klein), wodurch ich mich genötigt sah, das mal etwas eingehender nachzuforschen.

preiselbeeren

Schwedische Preiselbeeren, keine nordamerikanischen Cranberries*

Diese tolle Infografik über Nahrungsmittelergänzungen von „Information is Beautiful“ basiert auf verschiedenen Studienergebnissen, die man öffentlich in dieser Google-Tabelle einsehen kann. Eigentlich ist die Grafik einen eigenen Blogeintrag wert, so toll finde ich die. Die Blasen auf der Grafik konkurrieren um den besten Platz (oben), und je weiter oben die Blase ist, desto stärker die Belege für eine Wirksamkeit.

snakeoil

Was äußerst interessant ist: In der neuesten Version vom 9. Mai 2011, die wohl in Zusammenarbeit mit der Cochrane Collaboration entstanden ist, findet man die Blase für Cranberry nicht mehr auf Höhe der „starken“ sondern nur noch unter den „geringfügigen“ Hinweisen. Ich hatte mich über die alte Version gewundert und Autor David McCandles kontaktiert, der eine Überarbeitung in Aussicht stellte. Mit der neuen Version kann ich mich sehr viel besser anfreunden.

Alt

Die alte Version, hier läuft die Blase noch bei strong, also starker Evidenz.


Neu

Neue Version: Die Blase ist nur noch bei slight, also unter „geringfügigen“ oder „etwas“ Belegen.

In die neue Version sind neue Studiendaten eingeflossen:

Zum ersten Punkt muss man noch sagen: haben die Cochrane-Analysen in der Regel auch eine hohe Qualität, hat Mark Crislip recht, wenn er die Studie mit „man werfe Fäkalien gegen eine Wand, prüfe, ob etwas hängen geblieben ist, und male dann eine Zielscheibe darum herum“, beschreibt. Die Qualität der Meta-Analyse hängt natürlich maßgeblich von der Qualität des Ausgangsmaterials ab. In diesem Fall war das Ausgangsmaterial wohl nicht mehr wert, als eine Palette spanischer Gurken und damit sind selbst die „geringfügigen“ Belege, die die Autoren gefunden haben wollen, mit Vorsicht zu genießen.

Der zweite Punkt ist interessant, und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es in der EU folgende Regelung: Wenn mit gesundheitlichen Effekten geworben wird, müssen diese zukünftig auch belegt werden. Und zwar mit wissenschaftlicher Literatur! So soll der Verbraucher vor möglicherweise leeren Versprechen wie Joghurt, der „Abwehrkräfte strärkt“, oder Margarine, die den Cholesterinspiegel senkt, geschützt werden. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertet die Arbeiten und fällt das Lebensmittel bei der Expertenprüfung durch, ist es vorbei mit der vollmundigen Werbung.

Das Urteil der EFSA-Experten zu der Wirkung von Cranberryprodukten auf Blasenentzündungen war eindeutig: Auf Basis der eingereichten Studien könne man solche Behauptungen nicht stützen. Der Cranberry-Produzent Ocean Spray erhielt also eine Abfuhr, und ich bin sicher, dass es nicht an der mangelnden Literaturrecherche des Herstellers gelegen hat.

Eine dritte Untersuchung kann man hier sicher noch anführen, die dazu auch noch ganz frisch ist, praktisch alle Ansprüche an eine Studie bedient und im Titel schon den Ausgang der Untersuchung verrät: „Kranbeerensaft versagt bei der Vorbeugung von Harnwegsinfekten: Ergebnisse einer randomisierten placebo-kontrollierten Studie“. Cranberrysaft wurde über einen Zeitraum von sechs Monaten an weibliche College-Studenten verabreicht, und die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die Einnahme von Kranbeerensaft nicht besser gegen Harnwegsinfekte hilft, als ein Placebosaft. Die Wahl eines Placebosafts (anstatt eines „echten“, neutralen Placebos) halte ich für eine gute Idee, schließlich ist man auf der Suche nach einem spezifischen Effekts von Cranberries.

Das erinnert mich irgendwie an das Phänomen von Studien über die Homöopathie, denn dort gilt: Je besser die Studie, desto kleiner der Effekt.

***

*Preiselbeeren (wissenschaftlicher Name: Vaccinium vitis-ideae, englisch: lingonberry) und Cranberries (Kranbeere, Vaccinium macrocarpon) sind nicht dasselbe, gehören aber der gleichen Gattung Vacciunium aus der Familie der Heidekrautgewächse an. Kranbeeren werden unsinnigerweise oft als Kulturpreiselbeeren vermarktet. Allerdings kommen eine Reihe der möglicherweise wirksamen Stoffe – Proanthocyanide, Tannine, Ascorbinsäure, etc. – typischerweise auch in anderen Angehörigen von Vaccinium wie Preiselbeeren oder Heidelbeeren vor.



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Quellen und Links

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

11 Kommentare

  1. Die letzte Studie

    “Beide Säfte hatten sogar Ascorbinsäure (Vitamin C) zugesetzt, welche als Wirksubstanz in der Diskussion war.”

    Ist das nicht etwas unsinnig, wenn ich Vitamin C als Wirksubstanz vermute es zuzusetzen?

    Dann kann ich ja nur ausschließen, dass es nicht am Vitamin C liegt.

    Wenn jetzt Cranberrysaft wegen seines hohen(?) Vitamin C Gehalt schützt dann bleibt das ja im Bereich des möglichen, weil ich dazu keine Kontrollgruppe hab.

  2. @Bini

    Guter Punkt! Das stimmt natürlich, wenn gegen Ascorbinsäure nicht kontrolliert wurde, kann man darüber keine Aussage treffen.

    Die Studie selbst hat sich eher auf die Proanthocyanide als Wirkstoff konzentriert, die Anmerkung zu Ascorbinsäure als Wirkstoff stammt von mir. Ich vermute, dass Ascorbinsäure als Konservierungsmittel zugesetzt wurde. In der Publikation findet sich nur

    both juices contained ascorbic acid in their formulations.

    In der Diskussion findet man noch die Anmerkung, dass sich in früheren Untersuchungen Ascorbinsäure als aktive Wirksubstanz nicht bestätigt hat:

    Both placebo and cranberry juice contained ascorbic acid, which has also been suggested to prevent UTI [23], but has not been demonstrated to reduce risk in controlled trials.

    Vielleicht sollte ich die Anmerkung im Text einfach herausnehmen …

  3. Nur eine Meinung …

    Vorbeugend? Sogar heilend, war meine letzte Information von vor einem Jahr. Nun, man/frau soll im entsprechenden Krankheitsfall viel trinken und tut es, wenn das Getränk schmeckt. Darin und im Glauben daran sehe ich die Wirkung vieler solcher angeblicher Wundermittel, wobei ich durch richtige Studien schon öfter überrascht worden bin. Mir fehlt allerdings Kirschsaft auf der schönen Grafik (fiebersenkend,hieß es früher).

  4. Was denn nun?

    Der Titel des Artikels legt nahe, dass es um die Wirksamkeit von Cranberrysaft bei der Behandlung eines bestehenden Infekts geht.

    Im Text dagegen, gleich im ersten Absatz, steht, dass Cranberrysaft zur “Vorbeugung gegen Harnwegsinfekte” empfohlen wird.

    Was denn nun? Das sind doch unterschiedliche Paar Schuhe?

    Mir ist nicht bekannt, dass Cranberrysaft eine vorbeugende Wirkung haben soll, der behauptete Mechanismus zur Bekämpfung eines bestehenden Infekts soll – ich gebe nur weiter, was man mir gesagt hat, ohne Wertung – in seiner Fähigkeit liegen, den pH-Wert des Harns zu senken, d.h., ihn zu übersäuern, was angeblich die Keime nicht mögen.

    Aber Vorbeugung ist da wieder ganz was anderes.

  5. @Michael Khan

    Michael, hast du dich vielleicht verschrieben und meintest eher

    “Der Titel des Artikels legt nahe, dass es um die Wirksamkeit von Cranberrysaft bei der Behandlung einer Blasenentzündung geht.”

    Wenn ja, dann sei dir gesagt, dass eine Blasenentzündung in fast allen Fällen durch einen Harnwegsinfekt verursacht wird, weswegen es sich hier also nicht um zwei Paar Schuhe handelt.

  6. @Sebastian: Bin verwirrt

    Sebastian, danke für die Erklärung. Sebastian und Martin: Entschuldigung, wenn ich begriffsstutzig wirke, aber ganz verstanden habe ich es immer noch nicht.

    1.) Geht es um eine Wirkung, die eine bestehenden Harnwegsinfekt bekämpft oder um eine Wirkung, die der Entstehung eines Harnwegsinfekts vorbeugt.

    2.) Falls ad 1.) ersteres, ist die mir von anderer Seite genannte Erklärung, dies habe mit einer Reduzierung des pH-Werts des Harns zu tun, stichhaltig?

  7. 1.) Geht es um eine Wirkung, die eine bestehenden Harnwegsinfekt bekämpft oder um eine Wirkung, die der Entstehung eines Harnwegsinfekts vorbeugt.

    Es geht um Vorbeugung von Harnwegsinfekten, zumindest in den vorgestellten Publikationen. Mit einem Heilungsversprechen lehnen sich die Befürworter ja noch weiter aus dem Fenster, als mit der Behauptung „erniedrigt das Risiko einer Neuinfektion“

    ist die mir von anderer Seite genannte Erklärung, dies habe mit einer Reduzierung des pH-Werts des Harns zu tun, stichhaltig?

    Nein, das ist völliger Blödsinn. Erstens, müsste jeder saure Saft die gleiche Wirkung haben, es ist nicht erkennbar, warum gerade Vaccinium-Beeren einen spezifischen Effekt haben sollten; zweitens, müsste für einen sauren Urin der Säurespiegel im Blut recht stark ansteigen (das bedeutet in der Regel den Tod, IIRC) und drittens ist mir nicht ersichtlich, weshalb E. coli nicht mit geringen Schwankungen des pH-Werts klarkommen sollten.

  8. geringfügige wirkung der cranberry

    da können von mir aus studien über studien existieren oder unternommen werden, meine meinung steht.

    kenne sehr viele leute, denen dieser sadt geholfen hat. sogar bei einer chemo.

    ich glaube es sind an die hundert leute. das müsste reichen, um den gesamten vorigen beitrag als nichtig zu erklären.

    auch ortsansässige heilpraktiker schwören drauf und erzielen ihre erfolge, wo die schulmedizin aufgab.

    aber es gibt ja immer neunmal-kluge, die alles besser wissen wollen. leider. 😉

  9. also ich glaube das hat ja viel mehr was mit der “Gedankenkraft” etwas zu tun wenn das wirklich klappt mit dem Cranberry-Saft 🙂

    Zumindest bei mir wirkt es wirklich überhaupt nicht

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