Schwindel? Das Nahrungsergänzungsmittel Vitatonic von Jürgen Spona

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Gedanken, biologisch abgebaut
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Die österreichische Firma Vitalogic bewirbt das Nahrungsergänzungsmittel Vitatonic, das wundersame Wirkungen entfalten soll.

Ihr Teint wird wieder frisch wirken, die Hautqualität verbessert sich. Haarausfall nimmt ab, Ihr Haar wird wieder kräftig und glänzend, auch brüchige Nägel gehören der Vergangenheit an.

Das ist aber noch längst nicht alles. Außerdem verspricht Vitatonic „Steigerung von Leistungsfähigkeit, Denkleistung und Konzentration“ und sogar „Stimulation des Immunsystems“ und „Steigerung derKonzentration“. Aushängeschild ist die angebliche Wirkung gegen Burnout und Depression. Ein Allround-Präparat also, das gegen eine Bandbreite von Alltags-Problemen helfen soll.

Belege?

Neben den üblichen Erfahrungsberichten ist eine Autorität der Beweis der Wirksamkeit: der Chef, Prof. JürgenSpona, der das Mittel nach „15 Jahren Forschung“ ausgeheckt hat. Spona ist ein echter Wissenschaftler, der gelegentlich auch publiziert. Seine Erkenntnisse werden auf der Website in den höchsten Tönen besungen.

Die wissenschaftliche Basis für die Wirksamkeit von Vitatonic ist meiner Meinung nach ziemlich bescheiden, trotz der eigens durchgeführten klinischen doppelblinden Studie zu „Burnout und Depression“.[1] Die Ergebnisse der Studie werden so zusammengefasst:

Patients of the experimental group showed a significantly better improvement of depression and a higher responder rate than those of the placebo group. The results suggest that oral application of a deficit oriented amino acid mixture can improve the therapeutic outcome of an antidepressant.

Das hört sich auffallend zurückhaltender an als die vollmundigen Heilsversprechen auf der Vitatonic-Website. Kein Wort über Effekte bei Gesunden! Das Präparat kann möglicherweise das therapeutische Ergebnis einer Behandlung mit Antidepressiva verbessern. Und: selbst die Kontrollgruppe hat sich in den Tests stark verbessert, die Vitatonic-Gruppe aber stärker (better improvement).

Nachtrag: Ich habe gerade festgestellt, dass die Website in denletzten Wochen (?) doch gründlich überarbeitet wurde. Inzwischen bezieht sich die Aussage zu Burnout und Depression recht eindeutig auf die Verbesserung der Medikamentenwirkung. Eine Version, die derjenigen, auf die ich mich zum Zeitpunkt des Verfassens bezog, zumindest ähnlich ist, ist hier beim Internetarchiv zu finden.

Stützt die eigene Studie die Behauptungen? Was ist Vitatonic überhaupt genau?

Vitatonic basiert auf einer Zusammenstellung von proteinogenen Aminosäuren, wie viele andere Nahrungsergänzungspräparate. Der angebliche Clou an Vitatonic: Auf Basis eines „Aminogramms“, einer Bestimmung der Aminosäurelevel im Blut, wird eine individuelle Rezeptur hergestellt, die „Defizite“ ausgleichen und so pharmakologisch wirken soll.

Belege dafür, dass diese Analysemethode echte Defizite im Körper aufzeigt, habe ich nicht gefunden. Was aber die orale Supplementierung angeht, sagt die Studie selber, dass sich die Aminosäure-Spiegel nach der Verabreichung nicht verändern. Teilweise erniedrigen sie sich sogar! Die Begründung wird auch gleichmitgeliefert:

Taurine was the only amino acid with an increase after therapy in patients of the experimental group. This may be due to the better resorption of taurine compared to the other amino acids. The serine levels were even lower for both groups after therapy than at baseline. A possible explanation is that serine is a very reactive amino acid with high concentrations in all cell membranes. The supply of amino acids could result in an increase of metabolism with an increased consumption of amino acids.

Mich überzeugt diese Begründung nicht wirklich. Letztendlich ist das ja auch nur Spekulation, aber das lässt den Ansatz, die ganze Therapie auf den Aminosäurespiegeln aufzubauen, weniger gültig erscheinen.

Pharmakologische Wirkung von verschiedenen Aminosäuren

Wie sieht es allgemein mit empirischen Belegen zu der pharmakologischen Wirkung von oralen Aminosäuresupplementen aus? Es gibt ein wahre Fülle an Studien, dabei sind aber wenige mit „harten Endpunkten“ dabei. Verschiedene Wirkungen von Aminosäure-Gaben scheinen belegt zu sein, etwa für Arginin oder Tryptophan. Dabei variiert die Studienqualität recht stark. Metastudien gibt es wenige, ich habe auf die Schnelle nur zu Trp eine Cochrane-Studie gefunden.

Ich war bei meiner oberflächlichen Recherche nicht besonders erfolgreich, die in Wikipedia-Einträgen zu den Aminosäuren beschriebenen pharmakologischen Effekte waren fast vernachlässigbar. Ich habe Prof. Spona nach klinischen Beweisen für die Wirkung von Aminosäuregaben gefragt, wobei er leider nicht sehr hilfreich war. Seiner Meinung nach mangelt es an Interesse der Industrie, da die Substanzen nicht patentierbar seien und somit auch an Forschungsgeldern. Somit gäbe es auch keine großen evidenzbasiertenStudien. Dass das Unsinn ist, kann man hier im Nachbarartikel nachlesen. Die Industrie der Alternativmedizin fährt Milliarden ein und investiert fast nichts in die Forschung. Weiter seinen nach Spona die Erfahrungsberichte der Anwender genauso gute empirische Beweise – auch in diesem Punkt sieht die Realität etwas anders aus. Wenn jemand ein paar Studien in die Kommentare posten könnte, wäre ich sehr dankbar dafür. Prof. Spona kam dieser Bitte auch in den Kommentaren des alten Blogs leider nicht nach, wie man hier nachvollziehen kann.

Außerdem: Wenn Vitatonic tatsächlich pharmakologische Wirkungen hat – müsste es dann nicht eher als Arzneimittel, denn als Nahrungsergänzungsmittel gelten? In Deutschland dürfen Nahrungsergänzungsmittel nicht mit krankheitsbezogenen Aussagenbeworben werden, wobei Aussagen zur Verringerung eines Krankheitsrisikos zulässig sind (siehe hier beim BfR). Diese Kriterien werden von Vitalogic erfüllt, denke ich.
Medikalisierung der Gesellschaft

Ich wand gegenüber Prof. Spona ein, dass es ein Trend sei, gegen jedes beliebige, noch so komplexe Problem einfach eine Pille einzuwerfen und sich dann einzubilden, dass diese das Problem beheben würde. Ein Beispiel dafür ist die grassierende Homöopathie-Seuche oder auch die Fischöl-Pillen-Manie im Vereinigten Königreich, über die Ben Goldacre immer mal wieder berichtet. Mit Vitatonic wird meiner Meinung dieser Trend unterstützt. Prof. Spona wies diesen Vorwurf zurück:

Aber ob das diese Kritik gerade bei Nahrungsergänzungsmittel einsetzen sollte?

Schuld sind, wie immer, die anderen. Ich finde ja, wenn man keine Stoffwechselstörung hat und sich nicht einseitig ernährt, braucht man nie im Leben ein Nahrungsergänzungsmittel. Damit bin ich nicht alleine, das sagt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung.

Fazit

Meiner Meinung passt das alles hinten und vorne nicht. Das Produkt wird als „Komplettlösung zur Nahrungsergänzung“ beworben, die Wirkungsweise und die Effekte des Zusammenspiels des Cocktails wirdan keiner Stelle kommuniziert. Wissenschaftliche Belege werden auf der Website nicht gebracht, nur zweifelhafte Testimonials, die keine empirischen, kontrolliert erhobenen Daten ersetzen können. Überhaupt wird der Ansatz, fehlende Aminosäuren zu substituieren, nirgends schlüssig nachvollziehbar dargelegt. Weisen Aminosäurespiegel im Blutwirklich auf einen physiologischen Mangel hin? Hat der „Ausgleich“ durch orale Supplementierung überhaupt einen krankheitsbezogenen Effekt? Wenn ja, wäre das dann nicht ein Arzneimittel?

Vielleicht habe ich die ganze Sache noch nicht zu Ende gedacht, aber ich fürchte, ganz schlau werde ich daraus nie werden.

Nachtrag: ich bin übrigens positiv überrascht, dass die Aussagen auf der Website seit meinem Mailwechsel mit Prof. Spona (Februar/März2010) deutlich vorsichtiger geworden sind. Ich habe wohl den Fehler gemacht, nicht noch einmal die Seite zu überprüfen, bevor ich diesen Artikel hier online gestellt habe.

Anmerkungen
[1]Hier ist der Studienbericht zu finden, in der 40 stationär behandelte Depressions-Patienten beobachtet wurden. Die Hälfte bekam so etwas wie Vitatonic, also ein individuell zusammegestelltes Präparat, die andere Hälfte bekam ein Placebo. Depression, Selbstmordverhalten undAggressionsverhalten wurden anhand von Fremdfragen-Tests beurteilt,etwa der Hamilton-Skala für die Beurteilung von Depressionen. Das sind natürlich keine „harten“Endpunkte, dafür hätte man die wahre Selbstmordrate betrachten müssen usw.

Bildquellen
weißes Pulver: meggie auf flickr, CC-NC-BY-SA

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

3 Kommentare

  1. Another charlatan taking advantage…

    I could not find anything in the literature, except from Spona himself to supportany of his claims & my requests for info were never answered by him. What whe world’s 2 most knowledgeable experts told me was there is no way to predict amino acid needs from blood analysis. Thank you for writing this article!
    Prof Abdul-Haqq Sartori, MD

  2. Nahrungsergänzungen sind ja allgemein sehr umstritten und ich halte von den meisten eigentlich auch nichts. Dennoch sagen sogar manche Ärzte, dass es Nahrungsergänzungen gibt, die durchaus Sinn machen. Leider kann ich jetzt auch nicht sagen welche das sind. Welche die B12 beinhalten sollen wohl sinnvoll sein. Nahrungsergänzungen werden ja auch mit den tollsten Versprechungen angeboten. Hier mal eine Frage mit interessanten Antworten dazu.
    http://www.gutefrage.net/…line-produkten-gemacht

  3. Ich frage mich in wieweit es überhaupt sinnvoll ist, auf einer einmaligen Blutprobe baiserend, den mittelfristigen Bedarf an AS zu “ermitteln” und diesen dann künstlich auszugleichen.
    Das manche Menschen evtl einen erhöhten Bedarf haben kann ich einsehen (zB. Sportler oder Gensende). Aber warum dann nicht einfach alle AS dazugeben? Der Körper wird schon wissen, was er braucht.

    Beachtet Vitatonic eigtl auch die verfügbaren Carrier des Körpers?

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