Der Blick in die Zukunft ist nicht reproduzierbar

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Präkognition – das Vorhersehen von in der Zukunft liegenden Ereignissen – hat durch die Versuche des Psychologen Daryl Bem jüngst wieder einiges an Aufmerksamkeit erfahren. Lars Fischer hat im Januar darüber nebenan im Fischblog berichtet:

Der neueste Versuch, sich der Präkognition wissenschaftlich zu nähern stammt von Daryl J. Bem von der Cornell University, einem angesehenen Sozialpsychologen, der sich unter anderem mit Arbeiten zur sexuellen Orientierung einen Namen gemacht hat. Bem hat im Journal of Personality and Social Psychology eine Reihe von Experimenten publiziert (pdf), die nach seiner Interpretation darauf hindeuten, dass seine Probanden – insgesamt über 1000 – in der Lage waren, zukünftige Ereignisse vorauszuahnen.

Der Psychologe Ben Goldacre meinte, dass ihn das nie sonderlich interessierte, und zwar aus den selben Gründen, aus denen mich das ziemlich kalt gelassen hat: Signifikanz hin oder her, ein Einzelergebnis hat eigentlich keine Relevanz. Negative Ergebnisse werden praktisch nicht publiziert. Es kann gut sein, dass solche Tests schon seit Jahren gemacht werden, aber nie Präkognition gezeigt haben, und somit nie das Tageslicht gesehen haben, in der Schublade vergammelt sind. Und in einen statistischen Test ist schließlich eine Irrtumswahrscheinlichkeit eingebaut, das heißt, falsch-positive Ergebnisse sind immer vorhanden. Falsch-positive Ergebnisse, die Effekte beschreiben, die reiner Zufall sind. Falsch-positive Ergebnisse, die man erwartet, und die man widerlegen oder bestätigen kann. Werden sie bestätigt – mehrmals, unabhägig, und mit verschiedenen Verfahren – dann ist es wohl kein „falsch-postives“ Ergebnis, sondern ein positives, ganz reales, ein echter Effekt.

Die Ergebnisse zu reproduzieren, ist essentiell: Können die Versuche unabhängig bestätigt werden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Zufall handelt. So funktioniert (induktive) Wissenschaft.

Stuart Richie, Chris French und Richard Wiseman haben nun Daryl Bems Ergebnisse nachgekocht und keinerlei Belege für Präkognition gefunden. Sie haben ihre Ergebnisse zum Journal of Personality and Social Psychology geschickt, also genau dem Fachjournal, in dem Bem publizierte. Das Manuskript wurde allerdings sofort abgelehnt – das Journal würde grundsätzlich keine replizierten Arbeiten veröffentlichen.

Es kollidieren hier also der Wunsch des Journals, nur Bahnbrechendes, Neues, und Spektakuläres zu veröffentlichen, und die unbedingte wissenschaftliche Notwendigkeit, negative Ergebnisse ebenfalls bekannt zu machen. Das ist leider der Alltag und ein Mißstand, den ich kaum glauben konnte, als ich das erste Mal davon erfuhr. Andererseits können die Journale auch schlecht jeden Mist veröffentlichen, der an sie herangetragen wird – eine Vorselektion muss stattfinden. Was ist der Ausweg aus dem Dilemma? Ein Wissenschaftswiki, das die Publikationen in Journalen ersetzt? Wohl kaum.

Außerdem veranschaulicht der Fall ein zweites Problem, nämlich, dass Widerlegungen, und sogar widerrufene Artikel, die auf erfundenen oder gefälschten Daten basieren, generell gern übersehen und ignoriert werden. Das gilt natürlich vor allem für die Mainstreammedien, für die nur das allerspektulärste gut genug ist, aber denen kann man sowieso nichts glauben.

Jedenfalls konnte man über Bem’s Orakelforschung allerorten lesen, aber über die Widerlegung bzw. die fehlgeschlagene Reproduktion der Ergebnisee werden wieder alle schweigen. Denn es interessiert ja niemanden.

Ben Goldacre ist da recht negativ und titelt „I foresee that nobody will do anything about this problem“ – also „ich sage hervor, dass niemand irgendetwas gegen dieses Problem unternehmen wird“. Ich denke, dass die Einsicht ein erster Schritt zur Besserung ist. Hoffen wir also das Beste …

Quellen und Links

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

12 Kommentare

  1. Einschränkung

    Unser Gehirn produziert dauernd in die unmittelbare Zukunft gerichtete Vorhersagen. Dies ist ein Grund, wieso wir auf aktelle Ereignisse extrem schnell reagieren können. (Literaturtipp: Spektrum Dossier 2/11: Wie Zauberer mit der Wahrnehmung spielen).
    Diesen Spezialfall muss man beim Thema ´Präkognition´ ausklammern.

  2. Stuart Richie, Chris French und Richard Wiseman haben nun Daryl Bems Ergebnisse nachgekocht und keinerlei Belege für Präkognition gefunden.

    Tja, wer hätte das gedacht…

    Aber ich find’s richtig, dass diese Unsinnsversuche nicht noch einmal publiziert wurden. Das Journal hat aus zum Teil falschen Gründen richtig entschieden.

    (Bei sinnvollen aber kontroversen Untersuchungen sieht die Sache anders aus, da können solche “nachgekochten” Studien durchaus mal angezeigt sein)

  3. Na ja, viele Ereignisse sind exakt präkognibierbar wie z.B. Sonnenaufgang, Mondphasen und Sonnenwende. Nur bei den lukrativen Sachen, wie Börse, Lottozahlen und Roulette klappt das leider nicht.

  4. Präkognition vs. Extrapolation

    @Adenosine

    Haha, Sonnenaufgang, Mondphasen sind aber auch nur vorhersagbar, weil wir an die Gleichförmigkeit der Natur glauben. Insofern ist das nicht Präkognition, sondern lediglich Extrapolation 😉

    Passendes Zitat von Bertrand Russell:

    We know that all these rather crude expectations of uniformity are liable to be misleading. The man who has fed the chicken every day throughout its life at last wrings its neck instead, showing that more refined views as to the uniformity of nature would have been useful to the chicken

  5. Exakte Vorhersagen

    Natürlich kann man nichts exakt vorhersagen. Dennnoch glaube ich nicht an den Zufall. Als Beispiel nehme ich die Richtung, in der sich das Wasser in der Spüle dreht, wenn es abläuft. Schon ein kleiner Kalkrand oder ein Luftzug kann das bestimmen, nicht der Zufall.
    “Zufall” wird das genannt, was Menschen nicht exakt vorausbestimmen können. Wäre das möglich, könnte man auch “Gedanken lesen” (also Hirnströme voraussagen). Doch da es immer (auch noch so kleine) Umstände gibt, die nicht in die Kalkulation einbezogen werden (können), man also die Zustände an jedem Punkt des Universums miteinbeziehen müsste, ist es nicht möglich, eine exakte Voraussage zu treffen.

  6. @Paul

    Tja, leben wir also in einem deterministischen Universum? Wer diese Frage beantworten kann, der bekommt sicher einen Preis, den man noch erst dafür erfinden muss 😉

  7. @Martin:

    » Tja, leben wir also in einem deterministischen Universum? «

    Na, auf jeden Fall scheinst Du als empirischer Wissenschaftler ja davon auszugehen, dass es praktisch durchgängig deterministisch ist. Sonst würdest Du wohl kaum wissenschaftlich arbeiten können…:-)

    Daryl J. Bem sieht das möglicherweise etwas anders. Liegt vielleicht am erkenntnistheoretischen Pluralismus, der neben den objektivierbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen noch andere, eben subjektive Erkenntnisse zulässt (wogegen im Grunde nichts einzuwenden ist). Darunter fallen dann aber halt solche Phänomene wie Präkognition, Telekinese, Wasser mit Gedächtnis und was es da sonst noch so alles an “Erkenntnissen” allein durch Nachdenken und Introspektion gibt.

  8. @Balanus

    “Darunter fallen dann aber halt solche Phänomene wie Präkognition, Telekinese, Wasser mit Gedächtnis”

    Das verstehe ich jetzt nicht. inwiefern sind diese Phänomene nicht objektivierbar? Ob jemand mit Gedankenkraft Gegenstände bewegen kann oder ob jemand die Zukunft voraussagt, ist problemlos objektiv unüberprüfbar. Da braucht’s keine weiteren Erkenntnisprozesse.

  9. @ Joachim

    „Ob jemand mit Gedankenkraft Gegenstände bewegen kann oder ob jemand die Zukunft voraussagt, ist problemlos objektiv ueberpruefbar.“

    Ja, schon, aber diese empirisch gewonnenen Erkenntnisse setzen nicht immer die persönlich gewonnenen „Erkenntnisse“ oder Erfahrungen außer Kraft. Was man selbst erlebt hat (dem Gefühl nach), ist oftmals prägender als alle Empirie. Was ich meine, ist, dass der subjektive Erkenntnisweg leicht in die Irre führen kann – leichter jedenfalls, als der wissenschaftliche Ansatz.

  10. Präkognition

    Man kann sehr wohl etwas exakt vorher sagen. Das Problem dabei ist, dass man es im wachen Zustand nur sehr schwer kann. Deshalb kann man sich auch nicht aussuchen was man wissen will. Es geht aber im Traum durchaus. Allerdings sind diese Vorhersagen nur schwer beweisbar, weil sie zwar theoretisch genug Hinweise enthalten können, dies aber meistens nicht so ganz perfekt tun. Sie enthalten selten genaue Zeitangaben (manchmal schon) und sind deshalb oft nicht so leicht zuzuordnen.
    Trauminhalte vermischen sich auch und nur ganz wenige Details innerhalb eines Traums enthalten gut überprüfbare Hinweise auf die Zukunft. Was man da so im Labor macht bringt nicht viel.

    Träumen ist Wahrnehmung.

    Ich beschäftige mich schon sehr lange damit. Wenn es jemanden interessiert, ich habe auch Blogs mit Träumen die (meiner Meinung nach) auch zukünftige Ereignisse zeigen. Der aktuelle: http://traumsammlung-traumstudie.blogspot.co.at/

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