Ein Bärendienst für die Krebsforschung: #krankesSchwein Rosi

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Jetzt ist es raus, und alle Beteiligten haben bis zum Schluss dichtgehalten: Die Website mit dem unsäglichen Tierversuch war ein Fake der Deutschen Krebshilfe, um auf die Gefahren von UV-Strahlung aufmerksam zu machen. „Rosi hat Schwein gehabt“ lautet der  Titel der Kampagne. Kein Tier wurde verletzt, keine Wissenschaftler waren beteiligt und eigentlich hat es kaum jemanden interessiert. Erst jetzt wird in der klassischen Presse überall die Stellungnahme der Deutschen Krebshilfe wiedergekäut, nachdem alles in der Sendung sternTV aufgelöst wurde. Die Methoden der Werbekampagne werden dabei kaum thematisiert. 

Assholes

Was die Werbeagentur Jung von Matt jetzt als Erfolg verkauft, war – wie Sascha Lobo es nannte – in Wirklichkeit “das misslungenste Viral des Jahres”. Es hat weder den gewünschten Effekt gehabt (Hautkrebs in die öffentliche Diskussion zu bringen), noch eine nennenswerte Zahl von Menschen erreicht und von diesen vermutlich niemanden primär über das Nachdenken über Solarien angeregt. Es ist fraglich, ob ein gefakter Schweineversuch das richtige Mittel ist, um so eine Botschaft zu übermitteln. Stattdessen sendet die Aktion folgende Signale: Wissenschaftler sind gewissenlos und handeln im Zweifelsfall auch unethisch, Tierversuche sind grausam und nutzlos. 

Zielgruppe und Effekt verfehlt

SternTV übertitelte den dazugehörigen Videobeitrag mit

Ein Schwein unter UV-Bestrahlung – ist das ein grausamer Tierversuch? Fest steht: Die Empörung darüber hat klar gemacht, welche Folgen Solariumsonne haben kann.

Nein, überhaupt nicht.

In der sehr lebhaften Diskussion auf Twitter tauchte nicht einmal das Wort “Hautkrebs” auf, vielmehr wurde eine drastische Aktion einer Tierrechtsorganisation vermutet, die gegen grausame Tierversuche sensibilisieren wollte.  Die Frage war also nicht etwa, was richtet UV-Strahlung auf Schweine- oder Menschenhaut an, sondern warum man öffentlich einem Tier sinnlos Leid antut. Es bestand ja immerhin die Möglichkeit, dass das Setting „gefälscht“ war, aber immer noch ein echtes Schwein gequält wird. Die Motive der Macher lagen schließlich bis zuletzt im Dunklen. 

Sehr schöne Worte hat Patrick Breitenbach (@breitenbach) zum Thema „Verhältnismäßigkeit und Wahl der Mittel“ gefunden:

Was die Menschen benötigen, sind andere Menschen, mit denen sie sich sinnvoll austauschen können. Ein Krebsnetzwerk, ein Ratgeber, ein Tagebuch wie von Frau Meike. Mensch-zu-Mensch Kommunikation und keine witzig gemeinten Fake-Kampagnen, die sich viral verbreiten und bei SternTV kontrovers diskutiert werden. Bei Krebs ist Kontroverse fehl am Platz, weil Krebs so unglaublich eindeutig ist. Krebs benötigt Hoffnung und Trost, Behutsamkeit und Achtsamkeit, Austausch und Interaktion. Krebs ist kein Haudrauf-Thema und sollte daher auch nicht mit Haudrauf-Methoden kommuniziert werden. Es ist nicht unethisch oder unanständig, es ist schlichtweg am Thema vorbei kommuniziert. 

Wahrscheinlich hatte einzig die Werbeagentur etwas davon, die sich damit profilieren konnte. Dabei wurde die Seite weder viral, noch konnte sie eine signifikante Menge an Menschen bewegen. 

Schlecht gemacht, ohne “viralen” Erfolg und schnell vorbei

Von Anfang an wurde von vielen auch nach oberflächlicher Betrachtung ein Fake vermutet. Handwerklich war die Aktion nämlich schlecht durchgeführt, nicht einmal die Erstellungsdaten der Fotos passten mit den Experiment-Zeitpunkten überein. Das hätte man dabei so einfach fälschen können.

Die Suche nach der IP-Adresse, unter das Experiment lief, lieferte tagelang gar nichts, und dann nur einen (nämlich unseren) Artikel und die Tweets der Handvoll Leute, die sich darüber unterhielten. Man sollte meinen, das man zuerst die Adresse googelt, um herauszufinden, worum es sich handelt. Auf dem oben genannten Artikel fanden sich aber kaum 3000 Klicks ein, was ziemlich jämmerlich ist für ein „Viral“. Eine epidemieartige Ausbreitung der von Links zur Aktion fand nicht statt, so viel steht damit fest.

Die Sache konnte durch die schnelle Reaktion der Twitter-Community (und @terrozicke im Speziellen) gar nicht an Fahrt gewinnen, denn nachdem die Polizei am 5. September den Stecker zog, war der Ofen aus und es kamen kaum Leute nach. Es ist nicht nachvollziehbar, wie Jung von Matt da von einem “vollen Erfolg” reden können. Gefühlt haben die nicht mehr als eine Handvoll Leute erreicht.

Wissenschaft, Tierversuche und Krebsforschung

Mir wurde in der Aufregung gestern abend nur langsam klar, worüber ich eigentlich so sauer war. Nicht darüber, dass man versucht hat, die Community hinters Licht zu führen, diese Intention war den meisten ja recht früh klar gewesen. Dass @Nilzenburger auf irgendeine Art und Weise dahintersteckte, hatten einige vermutet, und das kann man ihm auch verzeihen, denn er hat das im Glauben an eine gute Sache gemacht. Er ist ja auch kein Fachmann. 

Mich stört vor allem die Art, wie Wissenschaft und die Motive und die Durchführung von Tierversuchen dargestellt wurden, und welche Konsequenzen diese Darstellung nun hat.

Jung von Matt sagt

Dazu war eine Webseite online, auf der tausende User beobachten konnten, wie ein ominöses Forscherteam tagelang ein Schwein intensiver UV-Strahlung aussetzte. Videos, Dokumente und Bilder dokumentieren den Leidensweg des Tieres und die drastischen Auswirkungen auf Haut und Vitalwerte. (Projektseite „Rosi hat Schwein gehabt“)

Wissenschaftler sind also „ominös“, wurden als schlampig arbeitende Tierquäler dargestellt, die Versuche durchführen, die von keiner Ethikkomission der Welt genehmigt worden wäre, die Tiere steif als “Objekt” bezeichnen und einer – von fast jedem als solche erkennbar – zweifelhaften Methodik unterziehen. Was bei vielen hängen bleiben dürfte: Wissenschaftler, das sind die mit den weißen Kitteln, die unsystematisch Tiere quälen.

Die meisten Menschen können mit Tierversuchen ganz gut leben, wenn sie wissen, dass sie sinnvoll und damit ethisch gerechtfertigt sind, also unnützes Tierleid möglichst vermieden wird. Das war hier ganz klar nicht der Fall. Hier wurden Wissenschaft und Tierversuche in schlechtes Licht gerückt.

Wenn man bedenkt, dass die Krebsforschung zu einem Großteil auf Experimenten an Tieren  basiert, drängt sich die Frage auf, ob sich die Deutsche Krebshilfe sich damit nicht einen Bärendienst erwiesen hat.  


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  • Veröffentlicht in: Tiere

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

5 Kommentare

  1. Naja, Entschuldigung hin oder her. Der Bokelberg ist nicht erst seit gestern im Internet unterwegs und wenn sich eine Agentur meldet, dann fragt man vorher sehr genau nach, welche Rolle man bei so einem Projekt einnimmt. Da macht es dann auch einen Unterschied, ob man darüber berichtet oder ob man so eine Aktion lanciert.

    Das sollte man als Blogger eigentlich wissen. Und da ich ihn nicht für ganz dumm halte, war er da wohl einfach naiv.

    Naja, letztlich fällt es auf ihn zurück.

  2. Gegen Solarien, echt?

    Und Solarien werde ich weiterhin gelegentlich nutzen. Denn in Maßen ist UV-Licht auf der Haut relativ ungefährlich und sehr angenehm. Besonders im dunklen norddeutschen Winter.

  3. Solarien

    Sie sagen: “Wahrscheinlich hatte einzig die Werbeagentur etwas davon, die sich damit profilieren konnte”. Sie sollten einmal fragen, von wem Herr Prof. Breitbart bezahlt wird. Dessen einzige Lebensaufgabe scheint darin zu bestehen, die künstliche Sonne mit falschen und nicht belegbaren Argumenten zu bekämpfen.
    Der überwiegende Teil der Solarienbetreiber betreibt das Geschäft verantwortungsbewusst im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Er leistet damit der Prävention im Gesundheitswesen einen großen Dienst (z.B. Vitamin D-Bildung). Hinter diesen Aktionen muss also eine sehr finanzstarke Lobby stehen!!!

  4. Genau. Ich wünsche mir, alle Beteiligten müssten das zur Strafe hundermal abschreiben:

    Krebsforschung ist auf Tierversuche angewiesen.

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