Lakritze ist nicht aus Pferdeblut

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Ich komme gerade aus dem Urlaub in dem Land der Heringe, Tulpen, Pommes mit Mayo und Lakritze: den Niederlanden. Wie auch die Skandinavier scheinen die Niederländer ein inniges Verhältnis zur Lakritze zu pflegen. Es gibt in den Drogerien sogar Theken, in denen man sich seine eigene Mischung aus hartem, weichen, salzigem, süßem, starkem, mildem, gezuckertem, mit Lorbeer, Minze, Honig aromatisiertem Lakritz zusammenstellen kann.

Für mich ist das das Schlaraffenland, denn ich liebe Lakritz! In Deutschland dagegen ist der Markt für Lakritze eher überschaubar. Die meisten Leute, die ich kenne, hassen das schwarze Zeug. Sie behaupten mitunter, Lakritze sei aus Pferdeblut gemacht.

Dabei ist das natürlich Unsinn, fiese Gerüchte der Lakritzehasser! In Lakritze ist kein Pferdeblut. Der Grundstoff für Lakritze, der Süßholzsaft, wird aus der Wurzel einer wunderbaren Pflanze gewonnen, der Süßholzpflanze Glycyrrhiza glabra. Man erkennt sofort, dass sie ein Schmetterlingsblütler ist; nicht nur an den Blüten, sondern auch an den gefiederten Blättern und den Hülsenfrüchten. Die Verwandtschaft zu Bohne und Erbse ist offensichtlich. Eigentlich tut das nichts zur Sache, aber irgendwie muss ich dieses Bild der Süßholzpflanze ja einleiten:

lakritzpflanze

„Glycyrrhiza“ bedeutet auf griechisch nicht viel mehr als „süß“ (glykys) und „Wurzel“ (rhiza). Damit wäre zum Namen fast alles gesagt. Vielleicht ist noch interessant, dass das griechische Wort eine abenteuerliche Transformation ins lateinische liquor erfahren hat, um anschließend zu liquiritia zu werden, woraus dann die im romanischen Sprachraum legorizia (italienisch), regaliz (portugiesisch), reglisse (französisch) wurde. Von dort war es nicht weit zum deutschen „Lakritz“.[1]

Als regaliz habe ich in Portugal auf Märkten auch kleine Wurzelstückchen kaufen können, auf denen ich herumkauen und Lakritz in unverfälschter Form genießen konnte. Die Holzstückchen waren wirklich verdammt süß – der sprichwörtliche Süßholzraspler hat seinen Namen also nicht von ungefähr!

Interessant war, dass man an den angespeichelten Seiten der Holzstücken Schaum produzieren konnte, sobald man in das gegenüberliegende Ende hineinblies. Leider habe ich das nie fotografiert! Der Grund für die Schaumbildung liegt wohl in dem Stoff, der dem Süßholzsaft und damit der Lakritze die charakteristische Süße verleiht, dem Glycyrrhizin (was für ein einfallsloser Name). Dieser Stoff ist fünfzig mal süßer als Haushaltszucker!

Glycyrrhizin wird zur Gruppe der Saponine gezählt, die (lat. sapo = Seife) seifenartige Eigenschaften besitzen. Wie alle „seifenartigen“ Substanzen besitzen sie einen polaren Anteil, der sich gut in Wasser löst – in diesem Fall sind es zwei Zucker-Moleküle – und einen fettliebenden Teil – in diesem Fall ein Terpenoid. Damit wäre klar, weshalb ich mit meinen Holzstückchen Blasen machen konnte.

 

Glycyrrhizic Acid

Man kann an der Strukturformel sehr einfach den wasserliebenden Teil ausmachen: dieser enthält viele polare OH- und COOH-Gruppen (links).  Der fettliebende Anteil rechts enthält, wie andere „ölige“ Stoffe, nur wenige solcher Gruppen.

Ich vermute, dass diese Eigenschaft Lakritz als Husten- und Halsschmerz-Hausmittel so beliebt macht. Seife zerstört die Zellmembranen von Bakterien, warum sollte es bei fiesen Halsschmerz-Bakterien anders sein? Schonender, als mit Pril zu gurgeln, muss das Lutschen von ein paar Lakritzbonbons sein. Man sollte aber vorsichtig sein, denn Saponine greifen auch die roten Blutkörperchen an und wirken damit hämolytisch.

Schaut man sich ein wenig um, dann stellt man schnell fest, dass der im Bild gelb unterlegte Anteil ohne den Zuckerrest (blau unterlegt) vielfältige pharmakologische Wirkungen hat. Es greift unter anderem in den Cortisol- und damit in den Mineralstoffwechsel ein, was letzendlich zu Bluthochdruck und Wassereinlagerungen führen kann, im Extremfall sogar zu Muskelschäden und Nierenversagen. Dafür muss man aber große Mengen über einen längeren Zeitraum zu sich nehmen.

Die Dosis macht eben das Gift. Das gilt natürlich auch für so harmlos erscheinende Naturstoffe wie Lakritze und Glycyrrhizin, weshalb das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt, täglich nicht regelmäßig mehr als 100 mg Glycyrrhizin bzw. 50 g Lakritz zu sich zu nehmen.

Diese Verzehrsempfehlung hat eine Lakritzliebhaberin, die innerhalb von vier Monaten ganze 48 kg Haribo-Lakritz vertilgt hatte, wohl nicht gekannt. Nach gesundheitlichen Problemen zog sie gegen den Gummibärenkonzern vor Gericht – und verlor.

Damit ist Lakritze nicht nur äußerst lecker, sondern auch noch interessant auf vielen anderen Ebenen: etwa etymologisch, botanisch und pharmakologisch.

Links

Anmerkungen

[1] nach Helmut Genaust: „Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen“, 3. Auflage, 1996, Birkhäuser Verlag, Basel.

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

8 Kommentare

  1. @Ulf:

    Aber davon auch nicht zuviel essen, das ist bestimmt auch nicht gesund 😉

    @Jana:
    Pah! Lügen! Ihr Lakritzhasser versucht nur uns Lakritzjünger abspenstig zu machen von der einzig wahren, reinen Lehre!

    @Stephan:

    Danke für den Link!

  2. Lakritz enthält zwar kein Pferdeblut…

    aber dafür (normalerweise) Schweinehaut und -knochen. Finde ich auch nicht gerade appetitlich

    • Das ist noch nicht ganz richtig!
      Die meisten Lakritze werden anders als die meisten Gummibärchen nicht mit Gelatine hergestellt, sondern mit Stärke. Selbst Lakritzschnecken werden mit Mehl und Stärke abgebunden und sind daher vegetarisch. Das einzige verwendete tierische Produkt ist hier Bienenwachs als Überzugsmittel.

  3. Lakritze & Schwangerschaft

    Vielen Dank für den informativen und lebendigen Artikel zum Thema Lakritze. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Saponinen besitzt Glycyrrhizin als charakteristischer Inhaltsstoff der Süssholzwurzel praktisch keine hämolytische Aktivität. In dieser Hinsicht dürfte Lakritze wohl unproblematisch sein.
    Ein heikler Punkt scheint mir dagegen, dass verschiedene Studien auf eine ungünstige Wirkung von Lakritze in der Schwangerschaft hindeuten. Bei Kindern von Frauen, die während der Schwangerschaft Lakritz gegessen hatten, wurden dreimal höhere Cortisol-Level gemessen als bei Kindern gleichen Alters, deren Mütter kein Lakritz konsumiert hatten. Es gibt Befürchtungen, dass Glycyrrhizin die Plazenta durchlässiger für Stresshormone der Mutter machen könnte, und dass dadurch die kognitive Entwicklung des Kindes beeinträchtigt wird.
    Während der Schwangerschaft auf Lakritze zu verzichten, scheint mir daher ein guter Rat. Obwohl ich mich schon auch frage, weshalb angesichts des hohen Lakritze-Konsums in Nordeuropa ein möglicherweise schädlicher Effekt nicht schon längst aufgefallen ist. Es ist allerdings auch eine alte Erfahrung, dass „Erfahrung“ allein den Irrtum oder das Risiko nicht immer ans Licht bringt.
    Details:

    http://heilpflanzen-info.ch/…chwangerschaft.html

    http://heilpflanzen-info.ch/…-besser-meiden.html

Schreibe einen Kommentar