Was ist warm und stinkt nach Aas?

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Frische Kuhfladen oder ein verwesendes Stück Aas stinken fürchterlich. Wir Menschen wenden uns angewidert ab. Dennoch ziehen beide viele Fliegen und Käfer gerade zu magisch an, vor allem wenn es warm ist. Einige Pflanzen, wie z. B. die ostasiatische Vodoo-Lilie (Typhonium venosum), nutzen den Drang mancher Insekten nach Aasgeruch und Wärme für ihre Fortpflanzung. Ihre Blüten locken mit ihrem Aasgeruch Insekten als Bestäuber an und verstärken diese Geruchswirkung noch indem sie sich um 12 °C über die Umgebungstemperatur aufheizen. Ist ein Insekt erstmal auf einer Blüte gelandet, sorgt die Wärme dafür, dass es dort als Bestäuber aktiv bleibt. Schließlich sind die Insekten oft stundenlang in einer engen Blüte eingesperrt. Da sie sich dort kaum bewegen können, benötigen die wechselwarmen Insekten diese Extraportion Wärme.

Abb.1: Fliegen auf einem Blatt der Voodo-Lilie (Typhonium venosum)

Wärmebildung ohne ATP
Die Wärmebildung geschieht in den Zellen dieser sogenannten thermogenen Pflanzen in speziellen Zellorganellen, den Mitochondrien (siehe Abb.2). Dort wird bei der Zellatmung die chemische Energie erstmal in Form von ATP gespeichert bevor sie in Wärme umgewandelt wird.  Dieser Prozess geschieht in der inneren Mitochondrienmembran über eine Elektronentransportkette (siehe Abb.3) die über fünf Multienzymkomplexe (die Komplexe I – V) geht. Interessanterweise kann die Voodoo-Lilie die chemische Energie direkt in Wärme umsetzen, ohne dass sie dabei ATP als Zwischenspeicher benötigt. Biochemiker bezeichnen diesen Vorgang als alternative cyanidunempfindliche Zellatmung, weil giftiges Cyanid normalerweise die Zellatmung hemmt indem es die Cytochrom c-Oxidase in Komplex IV blockiert. In der Voodoo-Lilie wird zwar die ATP-Bildung, nicht aber die Wärmeproduktion gehemmt. Das liegt daran, dass es bei ihr zwischen Komplex II und Komplex III eine Verzweigung, eine Alternative zum normalen Weg gibt:  Die Elektronen können bei ihrem Transport von Ubichinon, welches sich zwischen Komplex II und Komplex III befindet, statt auf Cytochrom c alternativ auf die terminale Alternative Oxidase übertragen werden. Das kann man in dieser schönen Abbildung sehen.

Abb.2: Das Mitochondrium ein Zellorganell eukaryotischer Zellen

Die Voodoo-Lilie kann ihre Wärmeproduktion steuern. Sie heizt sich nur dann auf, wenn sie blüht. Seit 1937 vermuteten die Pflanzenforscher, dass ein pflanzliches Hormon, das vor dem Blühen produziert wird, die alternative cyanidunempfindliche Zellatmung anschaltet. Die Botaniker nannten dieses unbekannte Hormon „Kalorigen“. Es dauerte 50 Jahre bis die beiden Pflanzenphysiologen Raskin und Meeuse dieses Kalorigen mit Hilfe der Chromatografie identifizierten [1]. Und siehe da… es handelte sich um eine alte Bekannte: die Salicylsäure, die in ihrer acetylierten Form auch als Wirkstoff des Aspirins bekannt ist. (In der menschlichen Leber wird dieser Acetylrest aber entfernt.)

Abb.3: Schematische Darstellung der Elektronentransportkette (Atmungskette) in der inneren Membran der Mitochondrien
Abb.3: Schematische Darstellung der Elektronentransportkette (Atmungskette) mit den Komplexen (I, II, III und IV) sowie der ATP Syntahse (Komplex V) in der Innenmembran der Mitochondrien

Salicylsäure induziert die Wärmeproduktion

Der Salicylsäuregehalt der Voodoo-Lilie steigt an dem Tag vor dem Aufblühen auf das Hundertfache an [2]. Salicylsäure induziert in der Voodoo-Lilie die Expression des Gens alternative oxidase precursor protein (aox1) [3]. Dieses Gen befindet sich im Nukleus nicht in den Mitochondrien, daher muss die alternative Oxidase (EC 1.2.3.1) noch vom Cytoplasma in die innere Membran der Mitochondrien transportiert werden.

Die alternative Oxidase ist ein Transmembranprotein das aus 349 Aminosäuren besteht und als Homodimer vorkommt. Die beiden Monomere sind durch Disulfidbrücken miteinander verbunden. Jedes Monomer bindet zwei Eisenatome. Die Struktur eines Proteins ist oft ein Anfang um einen Wirkmechanismus zu finden, der die Funktion chemisch erklärt. Doch während die Wissenschaftler versuchen mehr über die Biochemie und Gene der Wärmeproduktion in thermogenen Pflanzen zu erfahren, träumen manche Menschen schon von transgenen Pflanzen die frostresistent sind und sich auch in kalten Regionen kultivieren lassen oder im Winter gar unsere Häuser heizen.

Thermogene Pflanzen gibt es auch in Deutschland: den Gefleckten Aronstab, die Drachenwurz und den Kalmus. Wen jetzt als Hobbygärtner die Forscherneugier packt sollte diesem Trieb nachgehen und daran denken: Auch Mendel hat mal klein angefangen 😉

Weiterführende Links

Stinkende Riesenblume: Titanwurz blüht in der Schweiz

Der Chloroplast eine Zelle in der Zelle

Warum die ganze Erbsenzählerei?

Weiterführende Literatur

[1]  Raskin I, Ehmann A, Melander WR, Meeuse BJ. Salicylic Acid: a natural inducer of heat production in arum lilies. Science. 1987 Sep 25;237(4822):1601–1602.

[2] Raskin I, Turner IM, Melander WR. Regulation of heat production in the inflorescences of an Arum lily by endogenous salicylic acid. Proc Natl Acad Sci U S A. 1989 Apr;86(7):2214–2218 

[3] Rhoads DM, McIntosh L. (1991) Isolation and characterization of a cDNA clone encoding an alternative oxidase protein of Sauromatum guttatum (Schott). Proc Natl Acad Sci U S A. 188(6): 2122-2126.

Bildnachweis

Abb.1: Fliegen auf einem Blatt der Voodo-Lilie (Typhonium venosum)

Titel: Typhonium venosum

Autor: Abrimaal

Datum: 9.5.2010

Quelle: Wikimedia Commons

Lizenz: Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

Abb.2: Das Mitochondium ein Zellorganell eukaryotischer Zellen

Autor: translated by Tirkfl, original by LadyofHats [Public domain], via Wikimedia Commons

Datum: 15 Oktober 2007

Quelle: Wikimedia Commons 

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

2 Kommentare

    • Der Mechanismus ist derselbe, der Unterschied ist, dass die Elektronen aus der Oxidation von Fettsäuren kommen. Ob das gleiche Enzym wie in thermogene Pflanzen an der Entkopplung beteiligt ist, weiß ich nicht.

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