Zum 100. Geburtstag von Salvador E. Luria: Kein Leben im Elfenbeinturm

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Er war der Mentor der Nobelpreisträger James Watson (1962), David Baltimore (1975), Susumu Tonegawa (1987), Phillip A. Sharp (1993) und ein Wissenschaftler, der wegen seines politischen Engagements öfters in Schwierigkeiten mit dem Staat geriet.

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 Abb.1: Salvador Edward Luria (* 13. August 1912 in Turin, Italien † 6. Februar 1991 in Lexington, Massachusetts, USA) An seinem  Schreibtisch an dem Tag als ihm der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen wurde

Lurias Flucht vor den europäischen Faschisten

Unter dem faschistischen Mussoliniregime verlor er als italienischer Jude und Sozialist im Juli 1938 seine Arbeit und ging von Rom nach Paris. Dort besorgte ihm Fernand Holweck ein Stipendium, sodass er am Radium Institut mit Hollweck und Eugène Wollman arbeiten konnte. Als sich im späten Frühjahr 1940 Hitlers Armee Paris näherte, floh er auf dem Fahrrad nach Marseille, wo er ein Visa für die USA bekam. Er nahm ein Schiff nach New York mit nicht mehr als 52 US-Dollar und einem Anzug bei sich. Währendessen wurde Holweck von den Deutschen verhaftet und starb später im Gefängnis. Wollman und seine Frau wurden 1943 von den Nazis deportiert und starben in Auschwitz.

Das berühmte Fluktuationsexperiment: Eine Bestätigung für Darwins Evolutionstheorie

Im gleichen Jahr führte Luria mit Max Delbrück das berühmte Fluktuationsexperiment durch, das der erste molekulargenetische Beweis für Darwins Evolutionstheorie war. Worum ging es in dem Experiment?

Lamarck und Darwin gehen in ihren Evolutionstheorien von einer Anpassung der Individuen an eine sich verändernde Umwelt aus. In Lamarcks Theorie passen sich die Individuen aktiv einer veränderten Umwelt an. In Darwins Theorie sind die Individuen passiv: Es sind die bereits zufällig angepassten Individuen, die überleben und sich bevorzugt fortpflanzen. Das Fluktuationsexperiment mit Antibiotika-resistenten Bakterien beantwortet die Frage, welche der beiden Theorien richtig ist.

Damals war nicht klar, ob die resistenten Bakterien durch eine Anpassung an das neue Milieu resistent gegen das Antibiotikum geworden waren und diese Fähigkeit später an ihre Nachkommen weitervererbt hatten (Lamarckismus) oder ob der Resistenz zufällige Mutationen zugrunde lagen, die dann selektioniert wurden (Darwinismus).

Das Experiment lief so ab, dass man zwei identische Bakterienklone zu Kolonien kultivierte, und zwar einmal auf Agarplatten, die Antibiotika enthielten, die andere Kolonie auf Agarplatten ohne Antibiotika. Stimmte Lamarcks Theorie, müssten auf allen Antibiotikaplatten etwa gleich viele resistente Bakterien gewachsen sein. Stimmte Darwins Theorie, müssten auf den Antibiotikaplatten sehr unterschiedlich viele resistente Bakterien wachsen (Mutationen treten unregelmäßig verteilt auf). Die Resistenz muss übrigens schon vor dem Kontakt mit dem Antibiotikum vorhanden sein, der Kontakt mit dem Antibiotikum selbst spielte also keine Rolle, was die These widerlegte, dass die Antibiotika selbst die Resistenzen in den Bakterien auslösen, sie fördern sie nur indirekt (Selektion). Das Ergebnis des Experiments bestätigte Darwins Theorie.

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Abb.2: Das Fluktuationsexperiment  Schaubild (A) zeigt wie sich Antibiotikaresistenzen in Bakterien nach dem Lamarckismus entwickeln und Schaubild (B) nach dem Darwinismus

Sein Herz schlägt Links: Lurias Politisches Engagement in den USA

1947 bekam Luria die amerikanische Staatsbürgerschaft und unterstützte 1948 offen den kommunistischen Präsidentschaftskandidaten Henry Wallace. Nun begann sich das FBI für ihn zu interessieren. Es begann eine zweijährige Untersuchung, die zum Ergebnis kam, dass er nicht an kommunistischen Aktivitäten beteiligt war. Dennoch wurde ihm von 1952 bis 1959 (also noch in der Mc Carthy-Ära) ein Reisepass verweigert, sodass er die USA nicht verlassen konnte. Giuseppe Bertani, der fünf Jahre mit Luria arbeitete. schreibt:

“He had strong sympathies for leftist movements and called himself a socialist.” He was basically a pacifist, more sensitive to inequalities of class and social injustice than to the deadening consequences of state socialism or the threat of world communism. He seems to have enjoyed the type of social intercourse that goes with political activism, and this fulfilled an emotional need more than it reflected a coherent philosophy.”

Im Oktober 1969 zog er sich wegen seines Engagements gegen den Vietnamkrieg den Zorn der Nixonregierung zu. David Baltimore, der den Nobelpreis für die Entdeckung der Reversen Transkriptase bekam, erinnert sich:

“He was not afraid to call people up and say, ‘I need to raise $10,000 tonight so we can get an ad in the New York Times tomorrow that opposes the bombing of Cambodia.”

Luria kam auf eine „schwarze Liste“ und durfte nicht mehr als Gutachter für Forschungsanträge beim National Institute of Health (NIH) arbeiten. Er erfuhr davon, drei Tage nachdem er den Nobelpreis für Physiologie und Medizin für seine Arbeit über Bakteriophagen erhalten hatte. 1986 sagte er dem Time Magazin in einem Interview:

“I made up my mind that as a citizen, I would be an active participant in American politics, taking advantage of the democratic opportunities that were not available to me in Italy.” “What scientific achievement I have reached is due to the freedom provided in this wealthy country to all aspects of intellectual enterprise.”

Luria der Mentor

Luria mochte Poesie und andere Formen der Literatur. Seine Autobiografie ist voller Zitate der Dichter T. S. Eliot,William Blake und Anderen. Für fünf Jahre hielt er in seinem Haus, zusammen mit seiner Frau Zella, einer Psychologieprofessorin, ein Literaturseminar für Biologie-Doktoranden. Dort lasen sie Dante, Voltaire, Kafka und die Bhagavad Gita. Natürlich ging es dabei nicht darum die Analysen von Literaturwissenschaftlern zu verstehen sondern einfach nur darum seine eigene Meinung zu dem Gelesenen zu äußern. Dieses Seminar setzte er später mit dem Biologieprofessor Frank Solomon fort.

Luria unterstütze seine Doktoranden und PostDocs, wo er nur konnte, und bemühte sich jegliche Störung/Unterbrechung ihrer Arbeit zu verhindern. Bezeichnend ist folgende Anekdote von Philip A. Sharp:

“Upon discovering that a construction project would require an associate professor to move out of his office at a critical juncture before his tenure decision, he went cursing down the hall with the responsible architect in tow.”

und Giuseppe Bertani schreibt:

“I remember the reaction of the late Pat Mc Grady science editor for the American Cancer Society, after a long conversation with Luria. Mc Grady had visited our laboratory to gather material for an article on the phage work. While 1 accompanied him out of the building, he checked with me some of the things he had learned from Luria. As we were parting he paused a moment and then said, almost to himself, “He is so human!”

1972 wurde das Nationale Krebsinstitut (National Cancer Institute, NCI) gegründet, Luria gelang es vom NCI  4.4 Millionen US-Dollar für den Bau des MIT Center for Cancer Research einzuwerben.  Dieses Zentrum (das heutige Koch Institute) wurde 1973 eröffnet und Luria war dort bis 1985 Direktor. Während seiner Leitung machte er zwei – damals neuartige – Ideen in der Krebsforschung populär. Die erste Idee war, die Ursache von Krebs nicht durch klinische Beobachtung sondern durch molekularbiologische Untersuchungen zu verstehen. Die zweite Idee war es, verstärkt Viren als Auslöser für Krebs in Betracht zu ziehen.

Disclaimer: Heute ist nicht der Geburtstag von Salvador Edward Luria aber er hat sich in diesem Jahr zum 100sten mal gejährt und ich wollte das bloggen, bevor das Jahr endet.

Bildnachweis

Abb.2: Das Fluktuationsexperiment

Autor: Madprime

Datum: 13.5.2007

Beschreibung: “Diagram illustrating the two possibilities tested by the Luria-Delbrück experiment (also known as the “Fluctuation test”).”

Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

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