Weitere vier Favoriten-Missionen der ESA

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Haben Sie 2020 schon etwas vor? Nein? Die ESA schon.

Die europäische Weltraumbehörde ESA schießt Forschungssatelliten ins All und hatte vor kurzem die Wissenschaftler gefragt, welches Projekt der Mittelklasse (sog. medium-class mission) auf ihrer Wunschliste steht. So haben sich unterschiedliche Communities und Forschungszweige Gedanken gemacht und in mühevoller Detailarbeit ihre Wunsch-Mission ausgearbeitet. Ganz am Anfang steht eine wissenschaftliche Frage und am Ende steht ein komplexes Gerät, das im Weltraum Messdaten sammelt, um die Ausgangsfrage zu lösen. Am 25.02.2011 hat die ESA vier Kandidaten für eine sog. M-Klasse-Mission bekanntgegeben.  Die Starttermine sind zwischen 2020 und 2022 und sind Teil der langfristigen Pläne der ESA, der sog. Cosmic Vision 2015-2025.

Der Aufruf der ESA war bereits im Sommer 2010. Insgesamt gingen 47 vorgeschlagene Missionen ein, die von einem Expertengremium begutachtet wurden. Massgeblich bei der Auswahl ist, ob die jeweilige Mission einen wissenschaftlichen Durchbruch verspricht.
Die Fantastischen Vier hören auf die klingenden Namen EChO, LOFT, MarcoPolo-R und STE-QUEST. Dazu in aller Kürze:

EChO steht für Exoplanet Characterisation Observatory. Ziel ist die Erforschung der Atmosphären von Exoplaneten, also Planeten außerhalb des Sonnensystems. Davon sind mittlerweile mehr als 400 bekannt. Die Forscher möchten herausfinden, ob diese Atmosphären chemisch so zusammengesetzt sind, dass sie extrasolares Leben ermöglichen. EChO sucht damit im Prinzip nach Außerirdischen.
An Bord von EChO befindet sich dazu ein hochauflösendes Multi-Wellenlängen-Spektrometer zur Bestimmung der Atmosphärenchemie, Temperatur und ihrem Rückstrahlvermögen (Albedo, z.B. extrem hoch bei den Venuswolken).

LOFT bedeutet Large Observatory For X-ray Timing. Forschungsziel ist die Untersuchung von Materie in der unmittelbaren Nähe der Ereignishorizonte  von Schwarzen Löchern. Dieses an das Loch verfütterte Material ist so heiß, dass es im Röntgenbereich strahlt – X-rays sind Röntgenstrahlen. Beim Timing möchte man zeitlich hochaufgelöste Röntgen-Signale messen, denn die zeitlichen Variationen der Röntgenstrahlen können sehr kurz sein, z.B. hervorgerufen durch schnelle Umläufe des Röntgenstrahlers um das Loch oder durch schnelles Aufblitzen (flares). Untersucht werden sollen nicht nur Schwarze Löcher, sondern auch Neutronensterne, bei denen ebenfalls Röntgenstrahlung frei wird. 
Um das zu leisten, soll LOFT zwei Instrumente an Bord haben: einen Halbleiterdetektor großer Fläche und einen Monitor mit großem Gesichtsfeld.

MarcoPolo-R:  Nur gucken ist langweilig? Okay. MarcoPolo-R ist eine "Komm-wir-fliegen-da-hin-und-nehmen-etwas-mit-Mission". Und zwar soll hier auf einem erdnahen Asteroiden (near-Earth asteroid, NEA) gelandet werden, um von dort eine Materialprobe zu entnehmen und sie in irdische Labore zwecks Untersuchung zu bringen (vergleiche STARDUST). Ziel ist es mithilfe der Proben den Ursprung des Sonnensystems und des Lebens (Panspermie-Hypothese) zu erforschen. MarcoPolo als einer der berühmtesten Entdecker war Namenspate. Aber wofür steht das "R"? Keine Ahnung – "R"ichtig schwierige Mission?

STE-QUEST ist ein handliches Akronym für dieses Wortungetüm: Space-Time Explorer and Quantum Equivalence Principle Space Test. Diese Mission soll hochpräzise Messungen von Gravitationseffekten auf Zeit und Materie bewerkstelligen. Das Äquivalenzprinzip ist ein fundamentales Gesetz der Relativitätstheorie. Es besagt, dass schwere und träge Masse nicht unterscheidbar sind. Was heißt das? Stellen wir uns vor, wir sitzen in einem Kasten ohne Fenster. Beobachten wir in dem Kasten, dass alle Gegenstände nach unten fallen, so können wir nicht sagen, ob das daran liegt, weil der Kasten auf der Erde steht ("schwerer Kasten") oder ob das daran liegt, weil der Kasten gerade mit einer Rakete von der Erde weg beschleunigt wird ("träger Kasten"). Nach Einsteins Äquivalenzprinzip der Relativitätstheorie beschreiben beide Fälle diesselbe Physik.
Ob das wirklich exakt gilt, soll STE-QUEST testen.Dazu wird STE-QUEST im Prinzip Uhren vergleichen, und zwar extrem genaue Atomuhren, die mit STE-QUEST mitfliegen mit denjenigen Atomuhren auf der Erde. Aufgrund der allgemein relativistischen Zeitdehnung müssen diese Uhren unterschiedlich schnell gehen.STE-QUEST soll auch die Universalität des freien Falls testen. Experimente auf der Erde zeigen ja, dass eine Feder in einem evakuierten Gefäß (also ohne Luftwiderstand) genauso schnell zu Boden fällt, wie eine Metallkugel in einem evakuierten Gefäß. Gilt das wirklich immer? Nach Einstein schon. Misst man Abweichungen, dann signalisiert das neue Physik jenseits von Einstein.

ESAs Mittelklassen M1, M2, M3
EChO, LOFT, MarcoPolo-R und STE-QUEST sind die Favoriten für die dritte M-Klasse-Mission, kurz M3. Derzeit gibt es drei Missionen – Euclid (Dunkle Energie), PLATO (nahe Exoplaneten) und Solar Orbiter (Sonne) – von denen zwei als M1 und M2 zwischen 2017 und 2018 starten sollen. Die Entscheidung über M1 und M2 fällt Ende 2011. 

Quelle: Press release ESA Science Programme 25.02.11
Mehr zu LOFT als arXiv paper

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

9 Kommentare

  1. Lass’ mal die Katze aus dem Sack!

    OK, also “Butter bei die Fische”! Bitte mal eine klare Ansage: Welche Mission ist dein Favorit?

    Bei mir, ganz klar: MarcoPolo-R. Asteroids or bust.

  2. Schrödingers Katze

    Ich bin natürlich biased und votiere für LOFT zur Messung von Materie am Raumzeitschlund.

    Aber alle vier sind auf ihrem Gebiet eine schöne Sache und ich bin froh, dass wenigstens eines davon kommen wird.

    Sind wir mal ehrlich: Wirklich neu ist von der Technik her keines der Proposals, was an der im Antrag geforderten unmittelbaren Verfügbarkeit der zu verwendenden Technologie (technological readiness level, TRL) liegen wird. Rischdisch?

    Beste Grüße,
    Andreas

  3. Die R-Frage

    Ah, der Lars ist clever! Klingt plausibel….

    Aber plausibel klingt auch:
    R = Reloaded (von wegen: Marco Polo Reloaded)
    R = Rocks! (von wegen: Marco Polo Rockt!)
    R = Runter kommen sie alle…
    R = Raketenfracht
    R = Rischdisch teuer
    R = Ritz am Baa (iss ja bald Fasching…)

    😉

  4. @Andreas

    Wie peinlich, dass ich das nicht wusste. Immerhin war ich bei Marco Polo der Missionsanalytiker und werde das auch bei MP-R sein – wenn sie mich jetzt noch trotz meiner offenkundigen Wissenslúcke nehmen.

  5. Namen sind Schall und Rauch

    Lieber Michael

    Mach’ Dir nix d’raus. Man kann ja nicht bei allen Akronymen auf dem Laufenden sein, zumal sie sich ständig ändern – sogar während des Projekts.

    Siehe z.B. WMAP: Hieß früher MAP und später kam einfach noch ein “W” dazu. Es steht für etwas, auf das man niemals durch Nachdenken kommen würde: den US-Kosmologen Wilkinson, der in Princeton tätig war.

    Und Glast heißt jetzt Fermi. Und Raider heißt schon lange Twix.

    Beste Grüße,
    Andreas

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