Was wird nun aus den Verlagen?

Im akademischen Bereich schimpfen ja viele auf die Verlage. Sie würden überteuerte Produkte anbieten, die sie zudem noch nicht einmal selbst herstellen. Die komplette Umstellung auf Open Access, in welcher Variante auch immer, sei der richtige Weg. So gut ich mir das bei wissenschaftlichen Zeitschriften, Dissertationen und Proceedings vorstellen kann, glaube ich doch, dass etwa die Herstellung eines guten Lehrbuchs eines Verlags bedarf. Und erst recht gilt dies für den klassischen Buchverlag, der Sachbücher und Belletristik verlegt. Hier werden Bücher als Produkte entwickelt und am Markt platziert, und eine solche Produktion kann, beispielsweise bei einem Bildband, einem Kochbuch oder einem Ratgeber, erhebliche Ausmaße annehmen, sodass Spezialisten aus vielen verschiedenen Bereichen zusammenarbeiten müssen. Wer dies einmal selbst erlebt hat, er weiß, wieviel anderes neben dem eigentlichen Schreiben des Autors dazugehört, ein Buch zu einem Erfolg werden zu lassen. Verlage besitzen deshalb auch weiterhin eine wichtige Funktion.

Werden Bücher aber anders hergestellt, wenn dies unter den Bedingungen der Digitalisierung organisiert werden muss? Wird das Produkt Buch selbst ein anderes, wenn es in digitaler Form vorliegt? Und muss es anders beworben werden, wenn der Vertrieb per Internet erfolgt? Die Digitalisierung führt schließlich dazu, dass Bücher immateriell werden – und billiger. Schon seit einiger Zeit sehen sich manche Sachbuchverlage als Content Provider, deren Produkt nicht Bücher sind, sondern inhaltliche „Substanzen“. Substanzen in diesem Sinne sind etwa die Inhalte von Wörterbüchern, Lexika, Reiseführern, Kochbüchern oder Nachschlagewerken. Sie werden in Datenbanken abgelegt, aus denen die einzelnen Buchausgaben „ausgekoppelt“ werden. Mittlerweile begreifen selbst manche Literaturverlage ihre Geschichten als Substanzen. Aus Substanzen entstehen erst in einem zweiten Schritt Buch-Produkte, die Arbeit an Substanz und Buch geschieht getrennt voneinander. Autoren sind für die Inhalte in der Substanz zuständig, die Herstellung eines Produkts erfolgt halb- oder vollautomatisch nach Gesichtspunkten der Vermarktung.

Für die Verlage werden dabei zwei Aspekte immer wichtiger: Metadaten in den Substanzen und leseanalytische Daten bei der Buchproduktion. Metadaten, Zusatzinformationen in den Texten, ermöglichen es, die Textteile nach Bedarf neu oder anders zusammenzustellen. Leseanalytische Daten, wie sie von E-Book-Lesegeräten erhoben werden, ermöglichen einen Einblick in den Leseprozess. Beides zusammen wird die Herstellung von Büchern immer stärker „kundenbezogen“ prägen – ein ähnlicher Prozess hat sich bei der Produktion von Fernsehsendungen durch die Einbeziehung zu erwartender Einschaltquoten vollzogen. Zusammen mit den notwendigen vertriebstechnischen Statistiken – wie viele Bücher werden wo und von wem gekauft? – werden die Verlage künftig zunehmend gezwungen sein, sich auf die Herstellung bedarfsgerechter Buchprodukte zu konzentrieren, die schnell und mit automatisierten Verfahren erzeugt werden können.

Für die Verleger sind leseanalytische Daten Gold wert: Erstmals bringen sie etwas darüber in Erfahrung, wie die Leser ein Buch tatsächlich lesen. Sie wissen, dass sie den dritten Teil von Suzanne Collins‘ Hunger Games in einer Geschwindigkeit von 57 Seiten pro Stunde lesen und nach Beendigung des ersten Bandes der Trilogie gleich den zweiten Band herunterladen.[i] Sie erfahren etwas darüber, wie lange die Leser durchschnittlich am Stück lesen und wie lange es dauert, bis sie weiterlesen – und alles bezogen auf unterschiedliche Genres und Autoren. Und sie ziehen Konsequenzen daraus: Nachdem die Analyse des Leseverhaltens bei Sachbüchern des amerikanischen Verlags Barnes & Nobel ergeben hatte, dass die Leser die Lektüre längerer Texte oft abbrechen, brachten sie Bücher mit kürzeren Reportagen zu einem buntgemischten Themenstrauß auf den Markt. Ähnliches hat soeben auch der Hanser-Verlag für ein neues E-Book-Label angekündigt.

Das Leseverhalten, früher die große Unbekannte im Verlagsbusiness, wirkt nun also auf die Texte zurück. Es ist davon auszugehen, dass auch Bestsellerautoren solche Analysen nicht unberücksichtigt lassen. Bücher, vor allem belletristische, werden sich dadurch in ähnlicher Weise verändern, wie dies durch die Analyse der Zuschauerdaten – Stichwort Einschaltquoten – beim Fernsehen geschehen ist. Sogar „Testbücher“ werden inzwischen digital platziert, um das Leserverhalten noch vor dem offiziellen Buchstart als Printausgabe zu testen und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Die „Überwachung“ des Lesers wirft natürlich auch die Frage auf, ob diese Daten nicht auch von Behörden genutzt werden, wenn es darum geht zu erfahren, was ein Verdächtiger gelesen hat, also möglicherweise weiß, oder wodurch er beeinflusst worden ist. In Bildungszusammenhängen können anhand des Leseverhaltens Rückschlüsse auf die Intensität des Lernens, möglicherweise sogar auf Persönlichkeitseigenschaften einer Person gezogen werden.

Manche Bücher können allerdings überhaupt nicht mehr gedruckt werden. Es handelt sich um E-Books, die Tonsequenzen, Filme, Animationen oder interaktive Grafiken enthalten. Derartiger Bücher lassen sich nur noch auf digitalen Endgeräten lesen, und auch das Lesen selbst wird dabei zwangsläufig ein anderes. Multimediale Bücher bilden für Verlage die größte Herausforderung im inhaltlichen Sinne, müssen sie doch grundlegend anders hergestellt werden als die allermeisten Bücher bisher. Werden diese noch von einem oder wenigen Autoren, vielleicht zusammen mit Grafikern oder Illustratoren geschrieben, sind multimediale Bücher nur als Großproduktionen zu entwickeln und werden sich mit den Funktionen und der Ästhetik der avanciertesten Computerspiele messen lassen müssen. Der Vertrieb multimedialer Bücher kann nur über das Internet erfolgen, weshalb sie auch von vornherein auf diesen Vertriebsweg ausgerichtet sein müssen. Welche Eigenschaften werden diese Bücher aufzuweisen haben, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Wie wird der erste multimediale Bestseller aussehen, der nur als E-Book erscheint? Auf diese Fragen müssen Verlage bald eine Antwort finden.

 

[i] Vgl. Alter, Alexandra (2012). Your E-Book Is Reading You. The Wall Street Journal 2012 (19.7.2012).

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www.lobin.de

Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

13 Kommentare

  1. Guter, sehr anregender Blogartikel. Ja, die Trennung von Inhalt, Medium und Form auch bei Büchern eröffnet ganz neue Verwertungsmöglichkeiten und eine viel engere Leserbindung (Kundenbindung). Gerade Reise- und Stadtführer, Kochbücher, Bildbände (Kunst, Architektur etc) könnten in mehrer Hinsicht davon profitieren. Am Beispiel Kochbuch bieten sich folgende Szenarien an;
    1) Das gleiche Kochbuch kann entweder mit nüchternen Anleitungen allein, zusammen mit opulenten Bildern oder mit Video ausgeliefert werden
    2) Als E-Book könnte ein Kochbuch sich automatisch updaten (gegen eine kleine Gebühr), es könnte auf Kundenwunch Rezepte hinzugeliefert werden, es könnten Korrekuren und hilfreiche Zusatztexte eingefplegt werden – und das ohne dass der Kunde je das Haus verlassen muss
    3) Das Kochbuch als E-Buch oder App auf dem Mobiltelefon könnte Einkauslisten für ein Rezept generieren oder eine bestehende Einkaufsliste ergänzen
    4) Das Kochbuch als E-Book oder Mobilapplikation könnte Verbindungen zu anderen Applikationen herstellen und beispielsweise Restaurants vorschlagen in denen ein Kochbuch-Menu auf der Speisekarte steht
    5) Zum Kochbuch könnte ein Forum geschaffen werden, denkbar sind auch Austausch von Kundenerfahrungen (Erfahrungen mit dem Kochen der Kochbuchgerichte).
    6) Das E-Book könnten mit der Anzahl der Likes der Leser/Kunden upgedated werden und mit Kundenerfahrungen beim Nachkochen.

  2. Ich sehe da auch Probleme bei diesem Phänomen:

    Neue Inhalte entstehen durch Denkarbeit, nicht durch neue Zusammenstellungen alter Inhalte. Was einmal in einem Buch gedruckt erscheint, gewinnt quasi automatisch die Weihen der Wahrheit, auch wenn der Käse vormals x-mal ohne Prüfung abgeschrieben wurde. wenn es dann auch noch automatisch repliziert wird, stehen der unbegrenzten Fehlervermehrung keine Hindernisse mehr im Weg. Schon ein Lektorat ist teuer, geschweige denn eine inhaltliche Prüfung. Denkarbeit ist immer noch Menschenarbeit.

    Es wird mit bedarfsgerechten E-Büchern dasselbe passieren, was mit Fernsehen und Internet auch schon passiert, kluge Menschen werden durch die kluge Auswahl klüger, dumme aber dümmer. Beim Privatfernsehen gab es erstmal eine Qualitätsspirale nach unten. Oder neutraler formuliert: jeder bekommt seine privat eingestellte Filterblase.

    Auch der Erwerb von E-Büchern geschieht ja typischerweise elektronisch, so dass dem profiling durch Werbeagenturen, Versicherungen, Geheimdiensten und sonst wem keine Grenzen mehr gesetzt sind.

    • Im Gegenteil: Inhalte werden wichtiger wenn man sie als wiederverwertbare Ressource betrachtet, denn jedes Giessen in eine Form bringt nur dann Zufriedenheit, wenn die Inhalte qualitativ hochstehend sind. Wenn die Aussagen also verifiziert sind, Referenzen relevant sind und etwas taugen. Sind die Inhalte dagegen fragwürdig, erzeugen sie lauter Mist, Mist in verschiedenen Varianten, falls sie mehrere Dokumente damit erzeugen.

      Doch gleichzeitig muss ich Ihnen recht geben: Wenn das eigentliche Produkt – das Buch – automatisch generiert wird, kommt viel mehr auf den Markt. Auch viel mehr Mist weil es fast nichts kostet diesen Mist zu erzeugen. Es gilt dann halt die Spreu vom Weizen zu trennen.

      Konkret: Wenn die Wikipedia-Einträge zu London qualtitativ hochstehend sind (wir betrachten sie hier als Inhalte), dann könnten sie daraus einen Stadtführer generieren. Dieser Stadtführer wird nur dann angenommen werden (verkauft werden), wenn er bestimmte Anforderungen besser abdeckt als andere Konkurrenzprodukte. Eine Stärke der Wikipedia-Einträge könnte beispielsweise ihre Aktualität sein oder die Relevanz der Referenzen.

      Sie haben übrigens ihren Vergleich mit dem Privatfernsehen nicht zu Ende gedacht. Sie schreiben:

      Beim Privatfernsehen gab es erstmal eine Qualitätsspirale nach unten. Oder neutraler formuliert: jeder bekommt seine privat eingestellte Filterblase.

      Wer es sich leisten kann bezieht heute seine Fernsehinhalte von Netflix ( House of Cards, etc.) und tut sich das Privatfernsehen nicht mehr an. Genau das gleiche wird mit Büchern geschehen.

      • “Dieser Stadtführer wird nur dann angenommen werden (verkauft werden), wenn er bestimmte Anforderungen besser abdeckt als andere Konkurrenzprodukte.”

        Aber wie misst man die Qualität von Faktenaussagen, wenn nicht durch Fachleute? Das Publikum kann das nicht. In Stadtführern stehen ja nicht nur die Lokale, die gerade angesagt sind, sondern auch Informationen zu Geschichte und Kultur, von denen vielleicht viele naiverweise annehmen, “the science is settled”, das seien alles knallharte Fakten. Mitnichten … Inhalte müssen auf dem Markt heute mehr unterhalten, als hochwertig sein.

        Wikipedia scheint gut zu funktionieren, das denke ich vor allem, wenn ich Einträge lese, die nicht in meinem Fach liegen. Dort, wo ich Ahnung habe, sehe ich massenhaft Fehler und berichtige sie auch bisweilen (die Arbeit wäre endlos). Das ist keine Generalkritik, aber die meisten user haben nicht die Kritikfähigkeit von Wissenschaftlern, und bei denen
        fällt sie bisweilen auch aus.

        “Wer es sich leisten kann bezieht heute seine Fernsehinhalte von Netflix ( House of Cards, etc.) und tut sich das Privatfernsehen nicht mehr an. Genau das gleiche wird mit Büchern geschehen.”

        Aber genau das meine ich ja. Wer anspruchsvoll genug ist, holt sich besseres, aber viele Leute haben ja keine Ansprüche, weil es entweder zu “anstrengend” ist oder weil sie besseres gar nicht erst kennen lernen.

        Vielleicht bin ich ja etwas zu pessimistisch.
        Der Buchdruck wurde lange als große geistige Errungenschaft gefeiert (siehe 2. Symphonie von Mendelsohn-Bartholdy) Aber es entstand auch die Propaganda und mit jeder neuen medialen Revolution expandiert auch die Propaganda, die ja keineswegs nur von Berufspropagandisten gemacht wird, sondern auch von ganz normalen Deppen, die Propaganda nachplappern, siehe Klimaskeptiker.

        • “Aber wie misst man die Qualität von Faktenaussagen, wenn nicht durch Fachleute? “ Wer solche Qualität will muss dafür bezahlen und sollte als Gegenleistung ein Zertifikat erhalten, welches die fachliche Prüfung nachweist und vielleicht sollte er sogar das Recht erhalten, bei Bedarf einem der Fachleute per EMail Fragen zu stellen.

  3. “Bücher, vor allem belletristische, werden sich dadurch in ähnlicher Weise verändern, wie dies durch die Analyse der Zuschauerdaten – Stichwort Einschaltquoten – beim Fernsehen geschehen ist.”

    Ich weiß nicht, aber ich bekomme schon bei dem Gedanken leichte Bauchschmerzen. Denn der Blick auf die Einschaltquote hat beim Fernsehen nun wirklich messbare negative Auswirkungen auf die Programme. Ich sehe die ernste Gefahr, dass durch die Analyse des Leseverhaltens eine Nivellierung auf dem niedrigsten gemeinsamen Nenner stattfindet. Im Prinzip scheint das, das Beispiel von Barnes & Noble lässt grüßen, schon passiert zu sein. Das Problem werden all diejenigen haben, die gerne fundierte und längere Analysen lesen. Gewinnen werden alle, die auf kurze kleine und mundgerechte Häppchen stehen.

    • Ja, nach Einschaltquote gestaltete Belletristik-Bücher werden im Durchschnitt nach unten nivelliert sein. Es werden mehr gewöhnliche Leute (igit-igit) Belletristik-Bücher lesen, weil sie mehr auf sie zugeschnitten sind. “Krieg und Frieden” wird auf Wunsch mit kitschigen Bildern aus einer der Verfilmungen daherkommen und mit Audiomittschnitten der herzerweichensten Dialoge.

      Doch es wird auch Bücher speziell für den Bibliophilen geben. Mit handschriftlichen Notizen des Autors im Anhang, mit Werkgesprächen, klugen Kritiken und Hinweisen für den Connaisseur. Also etwas für sie.

  4. Imagine: Das Instant-Book “London-Sigthseeing 08/21/2014 City-of-Westminster to Islington” wird für sie auf ihre Anforderung hin gedruckt wobei ihre Präferenzen einfliessen. Passend dazu eine App, die ihnen über die Kopfhörer ihres Mobiltelefons die passenden Stellen aus dem Instantan-Reiseführer vorliest.

  5. “glaube ich doch, dass etwa die Herstellung eines guten Lehrbuchs eines Verlags bedarf” – auf welchen Erfahrungen beruht das?

    Bei dem einen Lehrbuch, an dem ich mitgearbeitet habe, gab es Null redaktionelle Unterstützung vom (durchaus renommierten) Verlag. Auch kein Lektorat. Und einigen Lehrbüchern selbst bekannter Fachverlage sieht man das durchaus an.

    • Ja, es gab einmal Verlage, die sich darum gekümmert haben, vielleicht gibt es auch noch einige, aber dem Kostendruck und der Kommerzialisierung fällt so etwas immer mehr zum Opfer. Aber man kann ja in den alten Lehrbüchern abschreiben, warum soll falsch sein, was zuvor einmal galt?
      :-;

  6. Verlage waren für Autoren bzw. für die Kulturproduktion immer auch so etwas wie Risikotransformatoren. Auf der einen Seiten traten sie gegenüber den Autoren als Vor-Finanzierer auf (man lese dazu z.B. die Briefwechsel von Josef Roth-Stefan Zweig oder von Thoams Bernhard mit Unseld), auf der anderen Seite konnten sie sich dieses mäzenatische Vergnügen nur leisten, weil sie ihr Risiko auf eine Vielzahl von Titeln, Genres, Autoren, Zielmärkte verteilten. Soweit die Arbeit eines Autors noch von einem Vorschuss abhängig ist, gibt es für ihn also auch künftig gar keine Alternative zu Verlagen, zumal wenn sich Autoren keinesfalls sicher sein können, mit ihrer Arbeit Erfolg zu haben. Dann doch lieber einen Verlag, der darauf wettet, dass die Autorin/der Autor vielleicht mit dem zweiten oder dritten Buch Profitabilität erreicht, und der bis dahin mehr in den Schreiber investiert, als er damit zurückverdienen kann (“einen Autor aufbauen” nennt man das und das ist immer noch ein wichtiger Teil der Geschäftsstrategie von Verlagen).
    Die Funktion des Risikotransformators ist natürlich auch für Auslandsmärkte unerlässlich (Übersetzungen) – welcher Autor kann es sich denn leisten, seinen Roman auf eigene Kosten ins Englische, Französische, Spanische, Italienische übertragen zu lassen?
    Veilleicht könnte man “delphisch” sagen, dass die Verlage künftig alles das noch verlegen werden, was es ohne sie nicht gäbe, also Buchproduktionen, bei denen ein finanzielles Risiko bzw. eine Chance involviert sind.

    • Das Überleben der Verlage hängt davon ab, wie gut sie im Preiskampf sich behaupten können. Das ist nicht allein ein Problem der Digitalisierung, sondern auch der Preisdumping z.B. durch amazon (mit Rabatten), wogegen jetzt eine Protestwelle läuft. Wenn Verlage aber durch das Preisdumping in profitablen Bereichen keinen ausreichenden Gewinn mehr erzielen, fällt auch die Quer- oder Mischfinanzierung für anspruchsvollere Sachen für ein kleineres Publikum aus. Bei Lektorat und Übersetzung wird möglichst gespart. Die Druckkosten machen heute oft nur 10% der Gesamtkosten aus, habe ich gerade in einem Gespräch im Deutschlandfunk gehört. Falls jetzt auch noch die Buchpreisbindung in Folge des geplanten Freihandelsabkommen aufgehoben werden sollte, dann sieht es düster aus. Auch ein Mäzen muss Geld haben, wenn er Vielfalt und Qualität produzieren will.
      Es hilft auch nicht, auf irgendwelche Nischen im Netz zu verweisen. Bücher sollen ja auch von mehr als vier Personen (Autor, Lektor, Übersetzer, nächststehende Person zum Autor) wahrgenommen werden. Das geht meist nur über Buchhandlungen.

  7. Leseanalytische Daten, wie sie von E-Book-Lesegeräten erhoben werden, ermöglichen einen Einblick in den Leseprozess.

    Für die Verleger sind leseanalytische Daten Gold wert: Erstmals bringen sie etwas darüber in Erfahrung, wie die Leser ein Buch tatsächlich lesen.

    Mag so sein, der kritische Schreiber dieser Zeilen, der Webbaer, regt in diesem Zusammenhang zu einem kleinen praktischen Experiment an, das wie folgt geht:
    1.) Mozilla Firefox-Browser starten
    2.) die sog. Browser-Konsole aktivieren
    3.) den HTTP-basierten Traffic in einer geeigneten Registerkarte zK nehmen, der während des Lesens vom geladenen Webinhalt inklusive Skripten generiert wird
    4.) dies bei den SciLogs, den ScienceBlogs, der FAZ, dem SpOn und gerne auch bei anderen Medien wie der TAZ [1] versuchen – hier Angaben zum ‘etracker’ oder ähnliches beachten

    Diese Daten, die erhoben, aggregiert & persistiert werden und aus denen sich über geeignete Abfragen nicht nur ‘Gold’, das allgemeine Leserverhalten bzw. die Abnehmerzufriedenheit betreffend gewinnen läßt, sondern auch ‘Gold’ einzelne Leser [2] betreffend, sind natürlich “nicht ganz” unproblematisch. [3]

    MFG
    Dr. W (der davon ausgeht, dass, sollte Bedarf entstehen, viele Leser oder Nutzer beginnen werden sich aus dieser Dauerbelauerung herauszulösen, was technisch möglich ist; im Web, beim Kindle und so eher (Idee: der anonyme Erwerb) nicht)

    [1] dem, Eigenbeschreibung, großen linken Nachrichten-Portal
    [2] es gibt Software, die sich um die Entitätenbildung auf sozialer Ebene kümmert, Personen betreffend
    [3] der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich in diesem Zusammenhang an bestimmte Aufregung im Kontext einer Volkszählung in der BRD, es könnte so um 1986 gewesen sein

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