10 Fakten zu der Genetik menschlicher Erkrankungen

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
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Eine Artikel-Kategorie, die hier öfter zu finden sein wird, ist die Kategorie "10-Fakten-über". Dabei soll es sich um relativ kurze Artikel handeln, die zehn interessante Fakten über einzelne Themen kurz und knapp wiedergeben sollen. Heute fange ich mit zehn Fakten über die Genetik menschlicher Erkrankungen an!

  1. Aneuploidien sind numerische Chromosomenaberrationen, wobei die Anzahl einzelner Chromosomen eines Menschen verändert vorliegen. Bei der Trisomie 21 zum Beispiel, liegt das Chromosom 21 dreimal in den Zellen des Menschen vor, anstatt normalerweise nur zweimal. Diese Chromosomenabberation ist auch unter dem Namen Down-Syndrom bekannt und kommt dadurch zustande, dass Chromosomen während der Zellteilung falsch verteilt werden. Solche Chromosomenanomalien sind bis ca. zu 35% für Fehlgeburten verantwortlich.
  2. Die Sichelzellenanämie ist eine Erkrankung der roten Blutkörperchen, bei denen durch einen Gendefekt im β-Globin-Gen das Hämoglobin nicht ausreichend gebildet bzw. gesteigert abgebaut wird. Betrachtet man die roten Blutkörperchen eines Erkrankten unter dem Mikroskop, so besitzen sie eine sichelähnliche, anstatt der üblichen runden Form. Bei dieser Erkrankung liegt eine Pleiotropie vor, dies bedeutet, dass das mutierte Gen verschiedene Auswirkungen auf den Phänotyp hat und es unterschiedliche Abstufungen der Krankheit gibt. Sichelzellenanämien kommen besonders häufig in Malaria-Gebieten vor, da sich Malaria-Erreger in sichelzellenförmigen Erythrocyten schlecht vermehren können und es somit zu einem selektiven Vorteil der Erkrankten kommt. 
  3. Die Krankheit Mukoviszidose, auch bekannt als zystische Fibrose, kommt fast nur bei kaukasischer Bevölkerung vor und ist die in Europa am häufigsten vorkommende autosomal-rezessive Erkrankung des Menschen. Die Ursache dieser Erkrankung ist Mutation in dem Gen CFTR (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) das für ein Membranprotein codiert. Bei 70% der Kranken fehlt in diesem Protein an Stelle 508 die Aminosäure Phenylalanin, wodurch ein  gestörter Chloridtransport durch die Zellmembran stattfindet, weshalb die krankheitsbedingten Symptome (zähflüssiger Schleim in der Lunge, Schweiß enthält mehr Kochsalz, Verdauungsenzyme können aus Bauchspeicheldrüse nicht mehr abfließen, etc.) entstehen.
  4. X-Chromosomale Krankheiten fallen in der Stammbaumanalyse dadurch auf, dass die männlichen Nachkommen betroffener Männer stets gesund sind. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer, jedoch ist der Ausprägungsgrad der Krankheit aufgrund der Inaktivierung eines X-Chromosoms geringer als beim Mann. Die Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms in weiblichen Säugern dient zur Dosiskompensation, die erforderlich ist, um die Dosisunterschiede X-chromosomaler Gene im männlichen und weiblichen Geschlecht auszugleichen. Eine X-chromosomale Krankheit ist die Vitamin-D-Resistenz. Auch als Phosphatdiabetes bekannt, kommt es dabei zu einer vermehrten Ausscheidung von Phosphat, wodurch es zu Knochenwachstumsstörungen kommt.
  5. Mitochondrien sind die kleinen „Kernkraftwerke“ unseres Körpers, die auschließlich über die Mutter weitervererbt werden und so vorkommende Mutationen in der mitochondrialen DNA dadurch mütterlicherseits sind[1]. Betroffen sind dabei überwiegend Gewebe mit hohem Energiebedarf, wie z.B. das Gehirn, das periphere Nervensystem, die Muskulatur, Leber und Nieren, wodurch der Stoffwechsel dieser Zellen gestört ist.
  6. Komplexe Erkrankungen wie Asthma, Diabetes oder Alkoholismus sind auf multifaktorielle Merkmale zurückzuführen, da die Interaktion zwischen den Genen und der Umwelt hierbei ausschlaggebend ist. Diese Erkrankungen zeigen eine kontinuierliche Variabilität, wobei die genetische Prädisposition den Rahmen für ein Gesamtbild bildet, das durch Umwelteinflüsse mitgestaltet wird.
  7. Onkogene, Tumorsuppresorgene und Mutatorgene sind Gene, die bestimmte Signalwege in unserem Körper an- oder ausschalten und bei bestimmten Mutationen, die sich negativ auswirken, zur Krebsentstehung führen. Tumore sind also auf Fehlfunktionen von Genen zurückzuführen, die wichtige zentrale Aufgaben im Zellstoffwechsel haben. Durch eine erhöhte Stoffwechselrate und Teilungsfähigkeit der Zellen können sie so entarten und sich vermehrt proliferieren. Beim Li-Fraumeni-Syndrom ist die Dosis des Proteins p53 verändert, was zur Entstehung von Brustkrebs, Gehirntumoren, Osteosarkomen und Leukämien bereits im niedrigen Alter führt. Dies liegt daran, dass das p53-Protein als Transkriptionsfaktor an die DNA bindet und ihr Ablesen induzieren kann. Stehen bestimmte Gene unter der Regulation dieses Proteins, können diese durch eine veränderte Dosis des Proteins z.B. vermehrt abgelesen werden, wodurch wiederum Zellen entarten können.
  8. Unter individualisierter Medizin versteht man die Entwicklung von Medikamenten, die Polymorphismen des Patienten berücksichtigen, was zur Vermeidung möglicher Nebenwirkungen führen kann. Ein Gen ist nämlich nicht immer ein Gen, da es in unterschiedlichen Menschen anders aufgebaut sein kann, jedoch die gleiche Funktion besitzt. Berücksichtigt man aber solche genetischen Unterschiede, so können die Wechselwirkungen von Medikamenten mit ihren Rezeptoren verbessert, ihre Verteilung im Körper optimiert und die Ausscheidung effektiver gestaltet werden, wozu aber eine genomische Voruntersuchung des Patienten nötig wäre.
  9. Die somatische Gentherapie ist im Prinzip ein einfaches Konzept, wodurch genetisch bedingte Erkrankungen theoretisch heilbar wären. Das Prinzip besteht darin, das man das im Menschen „erkrankte“ Gen durch ein „gesundes“ ersetzt, was sich aber in der Praxis als schwierig darstellt, da es Probleme gibt, das Gen spezifisch im Zielgewebe zu integrieren und es zu exprimieren. Neben anderen Schwierigkeiten war es bisher nur möglich, eine vielversprechende Gentherapie zur Behandlung der X-gekoppelten, angeborenen und schweren kombinierten Immunschwäche zu entwickeln. Als „Überträger“ des gesunden Gens kommen besonders Viren zum Einsatz, die zum Teil einen onkogenen Charakter besitzen, also krebsfördernd sein können.
  10. In der pränatalen Diagnostik kommen Verfahren wie Amniozentese und Chorionzottenbiopsie zum Einsatz, um eventuelle Erkrankungen des Fötus aufzudecken. Bei der Amniozentese wird ca. ab der 15. Schwangerschaftswoche Fruchtwasser entnommen, welches embryonale Stammzellen enthält, die wiederum untersucht werden können. Die Chorionzottenbiopsie ist die Entnahme von Zottengewebe ab der 11. Schwangerschaftswoche, wodurch DNA gewonnen und untersucht werden kann, die zwar von der Mutter stammt, aber mit dem Fötus identisch ist.


  [1]Es gibt aber auch Studien-Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass eine Übertragung von Mitochondrien über die väterliche Seite mittels Spermien existiert. Dies ist aber ein sehr komplizierter Vorgang und ist noch nicht gut genug verstanden.


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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

12 Kommentare

  1. Fakten vs. Hypothesen

    Danke für diese Übersicht. Mir scheint es sich aber doch zumindest bei den Punkten 6 (z.B. Alkoholismus als “komplexe Erkrankung”) und 8 (Traum der individualisierten Medizin) eher um Hypothesen zu handeln, oder?

    Meiner Erfahrung nach sind v.a. bei psychischen Faktoren die genetischen Beiträge verschwindend gering, sodass ich mich frage, ob man dort am rechten Ort sucht — und das trotz genomweiter Assoziationsstudien mit vierstelligen Stichproben.

    Gibt es eigentlich ein positives Beispiel für die individualisierte Medizin? Ich erinnere mich über Aussagen, man könne die individuelle Wirksamkeit von Antidepressiva durch genetisches Wissen verbessern, habe bis heute aber noch kein einziges positives Beispiel gesehen.

  2. Beispiele für personalisierte Medizin

    Hier sind zwei Beispiele, wo personalisierte Medizin Sinn macht und auch hilft:
    Eine sehr aggressive Subpopulation von Brustkrebs ist gekennzeichnet durch HER2/neu Überexpression. Herceptin wirkt dieser Überexpression entgegen, und hilft bei der Therapie dieser Form des Brustkrebs auch gut. Angewendet auf andere Brustkrebsarten, wo HER2/neu nicht überexprimiert wird, bringt der Stoff nix, wäre also Geldverschwendung und würde die Patienten unnötigen Nebenwirkungen aussetzen.

    Warfarin ist ein sehr guter, häufig eingesetzter Blutverdünner. Leider hat es recht heftige Nebenwirkungen wenn es überdosiert wird, und die korrekte Dosis muss für jeden Patienten individuell bestimmt werden. Warfarin wurde in den letzten Jahren “berühmt”, weil genetische Polymorphismen auf Populationslevel auch einen Einfluss auf die effektive Dosis haben. Afroamerikaner benötigen in der Regel eine höhere Dosis als asiatische Amerikaner, weil unterschiedliche Formen des VKORC1 Gens in den Gruppen am häufigsten vorkommen.

  3. Ein weiteres Beispiel zur personalisierten Medizin ist die Anwendung des Medikaments Iressa, welches beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom verabreicht wird. Ein sehr großer Teil der Menschen, die an diesem Krebs erkranken, sterben trotz Chemo innerhalb eines Jahres, nur dank Iressa überleben ca. 10%. Als das Medikament durch die klinischen Phasen ging, wurde herausgefunden, dass es bei Japanern besser wirkte als bei Amerikanern. Man hat darauf bei den Menschen, die an der klinischen Studie teilgenommen haben, das EGFR-Gen untersucht, dessen Aktivität von Iressa gehemmt wird. Das Ergebniss war, dass bei den Japanern eine Mutationen in der Kinasedomäne identifiziert wurde, die zu einer erhöhten Aktivität führte, dementsprechend sprachen Patienten nur auf Iressa an, wenn diese eine Mutation in der EGFR-Kinasedomäne hatten. Man sieht, dass Polymorphismen durchaus ausschlaggebend bei der Wirkung von Medikamenten sein können. Das Ziel muss es daher sein, leistungsfähige SNP-Hochdurchsatzverfahren zu entwickeln, die diese Unterschiede in den Genen schnell aufdecken.

    Zu den komplexen Erkrankungen: Asthma ist ja eine chronische Entzündung und Überempfindlichkeit der oberen Atemwege, die häufig durch äußere Reize hervorgerufen wird. Mittlerweile werden in diesem Zusammenhang aber auch einige chromosomale Abschnitte diskutiert, die damit im Zusammenhang stehen. Ein erstes Asthma-Gen ist das Gen namens ADAM33 – Ein Zelloberflächenprotein, dass auch eine Funtion in der Zelladhäsion, in der Weitergabe zellulärer Signale und in der Proteolyse hat. Die Expression von ADAM33 in Fibroblasten der Lunge und Muskelzellen der Bronchien unterstützen das Ausbrechen von Asthma. Insbesondere die Kombination einzelner Basenaustausche ist mit Asthma hoch signifikant assoziiert. Neben ADAM33 gibt es noch weitere assoziierte Gene (z.B. IL-4, NAT2, NNOS, etc.). Über Diabetes kann man sagen, dass hier das Gleiche der Fall ist. Sowohl Ernährung, Lebensumstände, als auch die genetische Disposition stehen hier im Zusammenhang. Alkoholismus zählt durchaus auch zu den komplexen Erkrankungen, da es einige Hypothesen gibt, dass spezielle Gene den Ausbruch der Sucht fördern. Leider habe ich keine Paper dazu, sonst würde ich sie natürlich hier auflisten. Ich erinnere mich aber daran, dass bei mir an der Uni mal ein Symposium zu diesem Thema stattfand, wo einzelne Professoren über den Zusammenhang von Genen und den Ausbruch von Alkoholismus diskutiert haben.

  4. Alkoholismus und genetische Disposition

    Ein aktuelles Review ist z.B. dieses:
    Moonat, S; Starkman, BG; Sakharkar, A, et al. (2010) Neuroscience of alcoholism: molecular and cellular mechanisms. CELLULAR AND MOLECULAR LIFE SCIENCES, 67(1):73-88

    Hier die Keywords: Alcoholism – Epigenetic – CREB – BDNF – NPY – CRF – Arc – Anxiety – Brain
    (Fettdruck von mir 😉

  5. @ Alexander, Sebastian

    Danke für die hilfreichen Beispiele. Beim Brustkrebs würde ich aber denken, es handelt sich eher um eine Eigenschaft dieser spezialisierten Ausprägung einer Krankheit als des Patienten selbst.

    Meine Bedenken richteten sich aber vor allem auf die “komplexen Erkrankungen”. Natürlich gibt es hier viele Verbindungen, wenn man als Kriterium statistische Signifikanz annimmt. Bei Beispielen wie Depression, ADHS oder Intelligenz stolpere ich aber häufig darüber, dass trotz hoher Schätzungen der Erblichkeit die gefundenen genetischen Einflüsse (ich meine hier Effektgrößen) äußerst gering sind. Bei Sucht habe ich zwar keine konkreten Daten vor Augen, würde ich aber ein ähnliches Bild erwarten.

    Ich habe mal den Artikel meines Bekannten Matthis Synofzik editiert, in dem es um Aspekte der prädiktiven neurogenetischen Diagnostik geht. Die Autoren kamen dort auch zu dem Ergebnis, dass die Effekte bei den meisten Erkrankungen nicht groß genug sind, um damit sinnvolle Aussagen im Einzelfall zu stützen.

  6. @Stephan

    Ich habe kurz mal die verlinkte Zeitschrift überflogen (werde sie mir am Wochenende aber mal genauer durchlesen!) und mir ist aufgefallen, dass es dort hauptsächlich um Erbkrankheiten geht, was per se nichts mit komplexen Erkrankungen wie Asthma, Alkoholismus, etc. zu tun hat. Erbkrankheiten lassen sich nämlich nach der Vererbungslehre von Mendel erklären, komplexe Erkrankungen mit multifaktoriellen Hintergrund eben nicht! Bei den komplexen Erkrankungen können zwar ebenfalls genetische Prädispositionen vorhanden sein, die aber erst zur Ausprägung der Krankheit führen, wenn bestimmte Umwelteinflüsse die Ausprägung “mitgestalten”.

    Könnten Sie mir bitte noch einmal genauer erklären, was Sie mit “Effektgrößen” meinen?

  7. @ Sebastian

    Ah, du (wir sind unter Kobloggern eigentlich perdu) hast schon gesehen, dass der Titel des Artikels “Jenseits von Mendel” lautet? 😉

    Die Effektgröße (vielleicht ist dir der synonyme Begriff Effektstärke geläufiger) ist ein Maß der Größe eines Effekts. Ein Effekt kann groß aber (bei kleiner Stichprobe und hoher Variabilität) nicht statistisch signifikant sein; er kann aber auch klein und (bei großer Stichprobe und geringer Variabilität) dennoch signifikant sein. Selbst ein minimaler Effekt wird übrigens bei vielen Hypothesentests signifikant, wenn n gegen unendlich geht. Effektgrößen werden häufig in standardisierter Form, beispielsweise Cohens d berichtet.

    Der Hintergedanke ist: Wenn du einen kleinen Effekt eines Genotyps hast, wie von mir vermutet, dann hat im Mittel eben der Genotyp nur einen sehr kleinen Einfluss auf das Merkmal. Dann wäre er quasi für individuelle Anwendungen (bsp. personalisierte Medizin, genetische Beratung) wenig nützlich. Vielleicht ist es dir geläufiger, über relative Wahrscheinlichkeiten (z.B. odds ratios) zu sprechen? Damit könnte ich denselben Punkt ausdrücken. Bei einem kleinen Effekt ist eben die relative Wahrscheinlichkeit gering.

  8. @Stephan

    Du, wenn ich ehrlich bin, bin ich kein Held in Statistik, von daher kann ich da nicht mitreden 😉

    Deine Aussage ist ja, wenn ich sie mal zusammenfasse, folgende: “Wenn man einen kleinen Effekt eines Genotyps hat, hat der Genotyp nur einen sehr kleinen Einfluss auf das Merkmal.”

    Was mich dabei zum grübeln bringt, ist, was du unter einem “kleinen Effekt” meinst. Als Genetiker oder Arzt würde ich mir denken “Aha, meine Patienten sprechen alle unterschiedlich auf das Medikament an. Das muss ich mal untersuchen.” Wie macht man das? Dazu muss man natürlich die genaue Wirkung des Medikaments wissen und mit welchen Proteinen und Stoffwechselwegen es interagiert. Jetzt schaue ich mir die DNA an, die diese Proteine codiert, sowie die DNA, die die Komponenten der Stoffwechselwege codieren und überprüfe, ob es da in meinen Patienten Polymorphismen gibt, sprich ob eine andere Genvariante vorliegt. Finde ich dann in meinen Patienten, bei denen das Medikament gut anschlägt, überall die gleichen Polymorphismen, weiss ich, dass dieser Genlocus dafür verantwortlich ist. Jetzt gebe ich nur noch kranken Leuten das Medikament, die diesen Polymorphismus aufweisen und entwickel eine andere Variante des Medikaments für Patienten mit anderen Polymorphismen. Das ist der Sinn und Zweck von individualisierter Medizin. Ich würde dabei niemals von einem “kleinen Effekt des Genotyps” sprechen. Denn entweder es gibt einen oder eben nicht.

  9. @ Sebastian: Zurück zu Mendel?

    Jetzt denkst du meines Erachtens zu deterministisch, bist also du zu Mendels Vererbungslehre zurückgekehrt, die zwar nicht falsch ist, für die meisten Eigenschaften aber eben nicht zutrifft.

    Wäre die Situation tatsächlich so, wie du sie beschreibst, dann “Hurra für die personalisierte Medizin!” Meiner Efahrung nach (und die beschränkt sich, wie gesagt, vor allem auf die “Genetik” psychischer Störungen), hast du in vielen GWAS-Studien oder auch bei Studien, die sich auf einige oder wenige Kandidatengene beschränken (bsp. 5-HTTLPR/SLC6A4 und Depression) odds ratios (ORs) von 1,1, 1,5, vielleicht auch mal 3 oder 5. (Hier liegt noch eine Vereinfachung vor, denn in den meisten Fällen ist nur die Gen-Umwelt-Interaktion signifikant, nicht der Genotyp allein.)

    In der Praxis weißt du dann also (das ist auch der Punkt des Synofzik-Papers), dass ein Patient mit einem bestimmten Genotyp ein vielleicht 1,1-fach bis 5-fach erhöhtes relatives Risiko hat, einen bestimmten (hier: pathologischen) Phänotyp zu entwickeln (die Umwelt der Einfachheit halber ausgeklammert). Was kannst du als einzelner oder als Arzt mit so einer Aussage anfangen?

    Meine Frage war daher, wie stark die Effekte im Bereich der personalisierten Medizin sind. Wenn du mit deiner Vorstellung richtig liegst, dann geht die OR gegen unendlich; sagen wir der Einfachheit halber mal, sie liege bei 1.000. Dann wäre durchaus das Wissen um den Genotyp hilfreich.

    Wenn du es in der Realität aber eben mit Aussagen zu tun hast, wie bei diesem Genotyp ist das Medikament 1,1- bis 5-mal so wahrscheinlich zu wirken, kannst du darauf bei einem einzelnen Patienten dann wirklich eine Entscheidung fällen?

    Also wenn du Recht hast und es hier annähernd deterministisch zugeht, dann nochmals “Hurra für die personalisierte Medizin!” Meiner Erfahrung nach (aus anderen Bereichen) verschwimmen die meisten Effekte aber im statistischen Rauschen (abgesehen von ein paar quasi-deterministischen Ausnahmen, die man i.d.R. aber schon alle längst gefunden hat, weil sie eben am leichtesten zu finden sind).

  10. @ Balanus: Risiken

    Wenn ich aber den Text richtig gelesen habe, dann wird dort leider nicht verraten, wie groß (bzw. wie viel größer) das Risiko nun eigentlich ist, wenn man diese “Risikogene” hat. Das ist doch die entscheidende Information!

    Bin ich hier wirklich der einzige, der sich für Effektgrößen interessiert?!?!?

  11. Zu Effektgrößen und ORs

    Die von dir angesprochenen ORs bei den psychischen Störungen von 1,1 oder auch mal 3 oder 5 sind in der Tat gering. Wie es bei anderen Krankheits-assoziierten Genen aussieht, weiss ich leider nicht. Als Mediziner würde ich aber einer Vermutung nachgehen, allein wenn die ORs leicht erhöht sind, da ja trotzdem ein erhöhtes Risiko zu erkranken, vorliegt. Es geht ja in der personalisierten Medizin eher darum, den Grund zu erkennen, wieso ein Medikament bei unterscheidlichen Leuten anders wirkt. Der nächste Schritt wäre dann, das Medikament für den einzelnen Menschen zu optimieren, wovon man aber noch einiges entfernt ist. Schliesslich würden da horende Kosten entstehen. Daher steht im Vordergrund die Optimierung von Medikamenten für bestimmte Menschengruppen. Eben wie bei den oben erwähnten Beispielen mit Iressa oder Warfarin. Es geht ja nicht darum, Wahrscheinlichkeiten auszurechnen, ob jemand einen bestimmten Phänotypen ausprägt und daher ein erhöhtes Risiko hat, sondern darum, den Phänotypen überhaupt zu erkennen. Das ist meiner Meinung nach der kleine, aber feine Unterschied!

    Habe mich gerade auf Wikipedia ein bischen durch
    ORs und
    relatives Risiko gelesen und festgestellt, dass dort in der Berechnung unterschiedliche Ergebnisse auftreten können. Ich denke mal, das macht auch noch einen Unterschied in der Aussage, wie hoch ein Risiko sein kann. Je nachdem, wie man dies eben berechnet.

    Um noch mal auf die Effektgröße zurückzukommen: Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Effektgröße als Maß für die personalisierte Medizin anwenden kann, da
    (ich zitiere von Wikipedia)

    Die Effektstärke bezeichnet bei Experimenten das Ausmaß der Wirkung eines experimentellen Faktors. Bei Regressionsmodellen dient sie als Indikator für den Einfluss einer Variablen auf die erklärte Variable.

    Es werden ja immer mehrere Gene oder ein größerer Chromosomenabschnitt mit bestimmten Krankheiten assoziiert, die in einem eher komplizierten Wechselspiel zusätzlich noch mit anderen Genen, aber auch mit der Umwelt interagieren. Wenn ich die Effektgröße eines Gens berechne, bringt mir das garnichts (sofern ich aus meinem schnellen Statistik-Wikepedia-Kurs das verstanden habe), weil mir das eben nichts über meine Interaktion mit anderen Faktoren aussagt. Sehe ich das richtig? Eine Effektgröße wäre daher statistisch nur dann aussagekräftig, wenn die entsprechenden ORs relativ hoch wären. Einen Mediziner interessiert das aber nicht, weil er bereits gemerkt hat, dass sein Medikament bei einigen Patienten angesprochen hat und bei anderen nicht. Er würde daher dem nachgehen und sich nicht mit Wahrscheinlichkeiten befassen.

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