Chemie: Gut oder böse? Giftig oder nicht?

BLOG: Enkapsis

Zwischen Molekularbiologie und Medizin
Enkapsis
Wer ist in der großen Welt des Internets noch nicht auf solche Aussagen wie "Chemie ist böse" oder "Chemie ist giftig" gestoßen? So ziemlich jeder Blogger ist damit mindestens schon einmal in seinem Leben konfrontiert worden. Spätestens wenn es um Medikamente ging, mit denen uns Pharmafirmen angeblich vergiften wollen. Vielleicht ist es aber auch schon dem einen oder anderen Leser hier aufgefallen, dass es Personen gibt, die den Begriff Chemie in den falschen Hals bekommen haben und am liebsten alles Chemische auf der Welt abschaffen möchten.

Zuerst einmal: Was ist Chemie? Wer Chemie in der Schule hatte, weiß, dass es da um Elemente, Atome, Verbindungen und Aggregatzustände geht. Werfe ich mal eben einen Blick in den Duden, so wird mir dort gesagt "Chemie ist die Lehre von den Eigenschaften und Umwandlungen der Stoffe". Klingt doch garnicht  so böse! Dabei gibt es zwei große Kategorien: Die organische und die anorganische Chemie. Während sich die anorganische Chemie vorwiegend mit der unbelebten Natur und somit mit kohlenstofffreien Verbindungen beschäftigt, tut die organische Chemie genau das Gegenteil. Sie beschäftigt sich mit Kohlenstoffverbindungen auf denen unser aller Leben basiert. Kohlenstoff findet man nämlich in der DNA, in Proteinen, in jedem Gewebe, in jedem Organ und einfach überall. Es ist das vierthäufigste Element im ganzen Universum und macht rund 20% unseres Körpergewichts aus. Garnicht schlecht für etwas Chemisches! Es findet sich im Periodensystem in der vierten Hauptgruppe wieder und befindet sich mit Bor und Stickstoff in unmittelbarer Nachbarschaft in guter Gesellschaft. Denn auch Stickstoff ist eine sehr wichtiges chemische Element, welches in unserer DNA vorkommt und Bor haben wir zu verdanken, dass wir unsere Schmutzwäsche sauber kriegen oder bei Autounfällen durch Airbags geschützt werden.

Das Periodensystem besteht insgesamt aus 118 chemischen Elementen, die nach ganz unterschiedlichen Eigenschaften sortiert sind. Sie alle sind dafür veantwortlich, dass es uns und unsere Umgebung gibt. Erstaunlich ist es zu wissen, wo sie überhaupt herkommen. Sie stammen nämlich von Sternen, die vor sehr langer Zeit einmal explodiert sind. Die Bedingungen, die bei solchen Explosionen herrschten, machten es möglich, dass durch die sogenannte Nukleosynthese neue Atomkerne durch Kernreaktionen erzeugt werden konnten. Weiterführend war es durch die chemische Evolution dann möglich, dass aus diesen einzelnen Elementen sich erste Verbindungen bilden konnten. Verbindungen, die letztendlich dazu führten, dass es uns und unsere lieben Haustiere gibt. Was hat jedes Lebewesen etwa gemeinsam? Die Antwort ist Nukleinsäuren. Nukleinsäuren sind solche chemischen Verbindungen aus denen unsere DNA besteht. Werfen wir mal einen Blick darauf, wie DNA aufgebaut ist: 
 
Abb. 1: Die chemische Zusammensetzund der DNA (Quelle: Wikipedia)
 
 
Wow, das sieht verdammt chemisch aus! Man sieht hier ganz viel Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Phosphor, dass alles zusammengewürfelt so etwas wie Purine und Pyrimidine ergibt, die verbunden über Desoxyribose und Phosphaten unsere DNA bilden. In ihr finden sich Gene wieder, die uns zu dem machen was wir sind. Schließlich sind Gene die Grundlage alles Lebendigem. Ausgesprochen hört sich die DNA aber auch total chemisch an, denn DNA ist nichts anderes als Desoxyribonukleinsäure. Waren Säuren nicht etwas giftiges und ätzendes? Anscheinend nicht immer!

Jedem sollte jetzt klar sein, dass hinter dem Wort Chemie viel mehr steckt als das, was in ätzenden Reinigungsmitteln oder in Schmerzmitteln drinnen ist. Chemie – das bedeutet der Aufbau unserer Welt durch chemische Elemente und Verbindungen, wie wir sie kennen.

Sogar unser Badezimmer kann beweisen, dass Chemie nicht immer böse und giftig ist! Werfe ich eben einen Blick dort rein und schaue mir schnell die Inhaltsstoffe meiner Zahnpasta, meines Duschgels und meiner Mundspülung an, dann finden sich dort Begriffe wie Benzoesäure, Salicylsäuremethylester, Natriumbenzoat, Zitronensäure, Propylparaben, Titan(IV)-oxid, Zinkchlorid und vieles mehr. Mit diesen Verbindungen komme ich also tagtäglich in Verbindung und lebe noch. Die Chemie kann also nicht so schlimm sein.

Andere Gegenstände mit denen wir durchaus täglich öfter in Berührung kommen, bestehen etwa aus Polysacchariden, Polyurethan-Polyharnstoff-Copolymeren, Polyvinylchlorid und Isoprenen. Alltagssprachlich meint man damit Papier; Elastan in unseren Klamotten; PVC, welches wir u.a. im Sofa oder im Fußboden haben und Naturkautschuk, aus dem wir unser Gummi etwa für Autoreifen machen oder zu Farbstoffen weiterverarbeiten. Wie man sieht, ist die Chemie allgegenwärtig und überall und trotzdem sind wir alle noch nicht vergiftet. Selbst die Natur ist von chemischen Verbindungen nur so vollgepackt, weswegen solche Sätze wie "Wir sollten zur Natur zurückkehren und nur noch natürliche Sachen herstellen, da uns dieser ganze chemische Kram nicht gut tut" einfach nur unbedacht sind. Menschen die so etwas von sich geben, kann man fragen, ob sie schon einmal etwas von Blausäure, Nikotin, Muscarin, Cocain, Morphin, Strychnin oder Solanin gehört haben. Alles sind giftige Stoffe, die in Pflanzen vorkommen und die wir teilweise zu uns nehmen. Entweder mit unserem Kaffe, Schokolade oder wenn wir Tomaten oder Kartoffeln essen. Wie man sieht, ist sogar die Natur ordentlich mit Chemie ausgestattet. Selbst ein Rudel Wölfe ist etwas ganz natürliches, trotzdem möchten wir dem nicht unbedingt begegnen oder?

 
Natürlich bedeutet also nicht immer gesund und ungefährlich und Chemie bedeutet nicht immer giftig. Wie Paracelus schon am Anfang des 16. Jahrhunderts richtig feststellte: "Alle Dinge sind Gift und nichts ohn Gift; allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist".
 
 
 
 

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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

8 Kommentare

  1. Aber bitte mit Chemie

    *standingovation*
    Besser hätte ich’s nicht schreiben können. Bravo!

    Die rufe nach “weniger Chemie” erinnern mich immer an das Umfrageergebnis, dass “nicht-genmanipulierte” Tomaten keine Gene hätten. Das tut weh.

  2. @pulegon: Echt? Ich hatte mich vor Veröffentlichung des Artikels ins Internet begeben und mir einige Definitionen von organischer und anorganischer Chemie durchgelesen und alle trafen etwa den gleichen Tenor, nämlich den Unterschied in kohlenstoffreichen und kohlenstofffreien Verbindungen festzumachen. Wie definiert man es nach deiner bzw. aktueller Sicht aus?

    @Martin B.: Das hast du treffend ausgedrückt!

    @Sideboard: Danke! Solche Aussagen, wie du sie in deinem Kommentar erwähnt hast, schlagen mir verdammt auf den Magen, denn schließlich finden wir überall Gene. Ohne Gene kein Leben, ganz einfach. Entweder die Leute haben in der Schule nicht aufgepasst oder ich könnte mir noch fiesere Gründe ausdenken, wieso man denkt, dass nicht-genmanipulierte Tomaten keine Gene haben würden.

  3. ohne chemie

    Dazu fällt mir immer der Fernsehwerbespot von Hipp-Babynahrung ein, in der Claus Hipp wortwörtlich behauptet: “ohne Chemie, dafür stehe ich mit meinem Namen.”
    Da sieht man mal, was seine Name wert ist…

  4. @Sebastian AC/OC

    Naja die Unterscheidung stimmt in sofern, das man sich in der OC meist auf Kohlenstoffverbindungen konzentriert und in der AC mehr auf den ganzen Rest.

    Das sind aber keine harten Grenzen.
    In der OC wird z.B. viel mit Katalyse oder Metallorganylen gearbeitet, das sind klassische Bereiche der AC.

    In der AC wird viel mit Kohlenstoffhaltigen Liganden gearbeitet, die kochen die sich auch selbst.

    Das ganze vermischt sich immer mehr, weil es halt nicht so sehr um die jeweiligen Elemente geht, sondern oft um Funktionen.

    Organometallchemie, Organoelementchemie, Bioanorganische Chemie sind nur einige Gebiete, in der diese Aufteilung vollkommen verwischt.

  5. Ich denke am zutreffendsten lässt sich die chemische Wissenschaft in drei Teile aufteilen:
    Physikalische Chemie,
    Anorganische Chemie,
    Organische Chemie.
    Zwar vermischen sich diese im Labor-Alltag, aber die Unterscheidung hat nichts desto trotz ihre Berechtigung – ähnlich wie Physik, Chemie und Biologie völlig zurecht unterschieden werden – auch wenn jede Wissenschaft für sich unvollständig ist.

    Zwar kann ich als Chemiker deine Motivation diesen Bericht zu schreiben sehr gut nachvollziehen, allerdings finde ich es zugleich recht unprofessionell sich nur über den Begriff “Chemie” auszulassen.
    Wenn also jemand schreit “erlaubt Hanf und weg mit der Chemie” zu entgegnen “auch dein toller Hanf ist Chemie” bedeutet das in meinen Augen nichts weiter als darauf herumzureiten, dass der Laie den Begriff “Chemie” falsch verwendet. Deswegen hat er bestimmt trotzdem recht Hanf weniger schädlich zu sehen, als Heroin, oder als chemische Abfälle der Industrie (Bspw. Rotschlamm).

    Wir als Wissenschaft(l)er sollten wissen, dass wir nichts wissen. Die wenigen Erfolge der Wissenschaft fußen in erster Linie auf Glück und Milliarden Misserfolge. Und den Biologen in dir möchte ich erinnern: “Nichts in der Biologie macht sinn, abseits von Evolution”.
    Ich persönlich denke die Allgemeinheit hat recht, wenn sie versucht den Menschen wieder als Tier zu akzeptieren, der erst seit wenigen Jahrhunderten zu glauben scheint er brauche die Natur nicht.

    lg

  6. Unser Chemieprof. am Gym: “Denkt daran, es gibt keine ungiftige Chemie!”
    Dr. Schnitzer.de: “Alles, was unser genetischer Bauplan nicht vorsieht, ist für den menschlichen Organismus giftig”.
    Jared Diamond: “Gesellschaften gingen und gehen an Raubbau und Freisetzung von Giften in die Umwelt zugrunde”. (Beispiel: Quecksilbermethyl in jedem Meeresfisch. (Die Liste umfasst heute 100 Mio. Stoffe!) Diesen “Fortschritt” bezahlen wir durch das Leiden unzähliger Menschen und die exorbitant steigenden Krankheitskosten!

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