Mein Jahresrückblick auf 2010

BLOG: Enkapsis

Zwischen Molekularbiologie und Medizin
Enkapsis
Mir fällt es mit einem Jahresrückblick nicht leicht, da es jedes Jahr so viele Neuentdeckungen gibt, die interessant sind. Wenn ich mich aber zurückerinnere, fällt mir spontan die Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms ein, die die Evolution des Menschen quasi auf den Kopf stellte. Man ging nämlich davon aus, dass der Neandertaler ausstarb und keine Spuren ins uns heutigen Menschen hinterließ. Doch weit gefehlt! Er paarte sich mit dem Homo sapiens und so lassen sich bei uns bis zu 4% Neandertaler-DNA finden. Dank der deutschen Fussball-Nationalmannschaft und Lena sind wir alle nicht nur "Deutsch-e-land" sondern auch ein wenig Neandertaler. Das ist doch toll, wie sich allmählich die Evolution des Menschen lichtet und immer mehr Fakten auf den Tisch kommen. Nicht zuletzt durch den Desinova-Menschen, dessen Überreste in Süd-Sybirien in einer Höhle gefunden wurden und dessen DNA beweist, dass es sich hier um eine zuvor unbekannte Menschenform handelt von der wir bisher nocht nichts wussten. Der Desinova-Mensch teilt sich gemeinsame Wurzeln mit dem Neandertaler, aber schlug dann einen anderen evolutionären Weg ein, weswegen Teile der DNA nur noch in Populationen von Papua-Neuguinea vorkommen.

Ich erinnere mich auch gerne an den Hype um Craig Venter und sein künstlich erschaffenes Bakterium, dass zahlreiche Kreationisten nun als Argument nutzten, wir würden alle von einem Schöpfer stammen. Wichtig dabei zu erwähnen, ist aber, dass das Bakterium nicht unbedingt ein völlig neues Lebewesen darstellt, da als Vorlage das Genom von Mycoplasma mycoides diente. Es wurde synthetisch hergestellt und dann in eine Zelle von Mycoplasma capricolum eingepflanzt, die DNA-frei war. Die "Hybrid-Zelle" konnte sich eigenständig replizieren und war somit zum leben erweckt, auf künstliche Art und Weise. Dies zeigt, dass die Menschheit durchaus im Stande ist, künstliche Bakterien herzustellen, etwa solche die Öl herstellen könnten oder Methan auffressen würden, um so etwa dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dies sind auch einige Ziele, die Craig Venter bereits eingeschlagen hat, aber ebenso viele andere Wissenschaftler: Die Herstellung von Bakterien mit völlig neuen Eigenschaften.
Eine Pressemitteilung, die noch garnicht so lange zurückliegt, war die Nachricht vom außerirdischen Leben, dass angeblich von der Nasa gefunden wurde. Wie sich herausstellte, war dies völliger Unsinn, da die Meldung nur auf einer mangelnden wissenschaftlichen Arbeit basierte, die von vielen Wissenschaftlern in der Luft zerrissen wurde. Wahrscheinlich wollte man nur ein bischen Geld eintreiben. Der Schuss ging also nach hinten los! Aber was soll´s? Wer hat manchmal nicht Lust ein wenig rumzumeckern und die Luft- und Raumfahrtbehörde der U.S.A zu kritisieren? Letztendlich zeigt es doch, dass wir Ergebnisse und Meldungen nicht einfach so hinnehmen, sondern sie eben auch überprüfen.
Wie immer, wurden auch dieses Jahr wieder viele neue Tierarten entdeckt und beschrieben. 123 neue Vieher in Borneo und das marine Zählungsprogramm "Census of Marine Life", bei dem mehrere Forschergruppen die Weltmeere nach unentdeckten Lebewesen durchforsteten, entdeckten rund 1200 neue Lebewesen . Ganz oben auf der Liste steht, zumindest bei mir, der schnuckelige Drachenfisch. Einen schöneren Fisch habe ich selten gesehen!
Dies waren wohl die bedeutensten Ereignisse, die auch in der Presse großen Anklang fanden, aber ehrlich gesagt, gab es noch so viel mehr, was jetzt auf den ersten Blick kein "Wow-Gefühl" auslöste, aber was die Grundlagenforschung weiter vorran trieb und treibt. Neue AIDS-Medikamente stehen in der Testphase, ein Protein vom Epstein-Barr-Virus wurde entdeckt, dass dabei hilft, dass sich das Virus ausbreiten kann. Dies ist besonders interessant, da fast jeder erwachsene Mensch mit diesem Virus infiziert ist und es mit Krebs in Zusammenhang gebracht wird. Nicht zuletzt bei Morbus Hodgkin, eine das Lymphsystem betreffende Krebsart, gilt dieses Virus als Mitverursacher. Mediziner entdeckten aber auch, dass DNA-Abschnitte in unserem Körper, sogenannte LTRs (Long Terminal Repeats) kräftig dabei mithelfen, dass diese Krebsart ausbricht. LTRs gehören zu der Molekülgruppe der Transposons, die rund 45% unserer DNA ausmachen und zum Teil von bestimmten Stellen auf anderen Stellen in der DNA springen können und so die Funktion von Genen beeinflussen.
Gene, Gene, Gene…so viele Gene wurden mal wieder mit so vielen Krankheiten assoziiert, dass kann man garnicht widergeben! Aber das trifft sich gut, so viel Zeit habe ich sowieso nicht und der Platz dazu würde hier auch fehlen!
Wer erinnert sich nicht an die Interphone-Studie? Die erste groß angelegte Studie, die untersuchen sollte, ob eine Handy-Benutzung die Krebsentstehung fördert. Die veröffentlichte Studie bot viel Interpretationsraum, doch die Wissenschaftler waren sich einig: "Handy-Strahlung" ist nicht gefährlich und kann kein Krebs auslösen. Besonders Esoteriker und Alternativ-Mediziner meldeten sich hier zu Wort und legten Einspruch ein. Sollen sie doch selber einmal eine Studie vorlegen! Denn bei so vielen hitzigen Diskussionen wie es sie gab, hilft es nicht immer einen auf Besserwisser zu tun!
Neben Venters künstlichem Bakterium gab es in der synthetischen Biologie auch noch andere Ergebnisse: Und zwar ist es Wissenschaftlern gelungen "unnatürliche" Aminosäuren durch einen modifizierten genetischen Code herzustellen. Aminosäuren sind die Bausteine unserer Proteine, die durch einen gewissen Code von unserem Körper hergestellt werden. Ist es nun möglich neue Aminosäuren mit neuen Code-Möglichkeiten herzustellen, so ist dies ein weiterer Schritt in Richtung Kontrolle des Lebens und Erschaffung von neuem künstlichen Leben. Dies erscheint zwar utopisch, aber ich sag mal so: Es ist möglich! Venter hat den ersten Schritt gemacht. Weitere werden folgen!
Bis dahin machten wir aber weiterhin erstaunliche Entdeckungen, wie jene Wissenschaftler, die ein Bakterium namens Ignicoccus hospitalis nahe Hydrothermalschloten (Black Smoker) fanden, welches uncharakteristische Merkmale des Lebens aufwies. Lebewesen lassen sich üblicherweise in drei Domänen aufteilen: Eukaryoten, Archaea und Bacteria. Ignicoccus hospitalis ist in diesem Sinne kein normales Lebewesen, was einfach so einer dieser drei Domänen zugeordnet werden kann. Es wird zwar zu den Archaeen-Bakterien gezählt, ist aber nicht so wirklich eines, da diese normalerweise einzellig sind. Ignococcus liegt irgendwo dazwischen, da es eine Art Kompartimentierung aufweist und so möglichwerweise das Ablesen von Genen und die Produktion von Proteinen trennt, wie es bei Eukaryoten (Vielzellern, wie etwa dem Menschen) der Fall ist. Dies ist normalerweise ein Merkmal mehrzelliger Lebewesen. Durch diese Entdeckung muss die Einteilung der Lebensdomänen überdacht bzw. modifiziert werden. Nicht schlecht!
Während der Science-Tunnel der Max-Planck-Gesellschaft durch Buenos Aires tourte und Menschen die Wissenschaft näher brachte, trat das Gendiagnostik-Gesetz in Kraft, welches den Umgang mit genetischen Daten einschränkt. Später im Jahr äußerte sich Frau Merkel diesbezüglich nochmal, indem sie sich wünschte, ihre Partei müsse dem Christen-Dasein wieder etwas näher kommen und so das Embryonenschutzgesetz verschärfen. So sollen zukünftig genetische Untersuchungen an Embryonen komplett verboten werden. Egal, ob bei einer Schwangerschaft bei einem sich entwickelnden Embryo Krankheitsindikationen vorliegen oder nicht. Ob es so weit kommt, bezweifle ich aber stark, da es schlichtweg lächerlich ist. Lächerlich hin oder her: Der Nobelpreis für Physiologie und Medizin ging dieses Jahr an Robert Geoffrey Edwards. Die Person, die die Technik der künstlichen Befruchtung entwickelte und so Tausenden von Paaren einen Kinderwunsch erfüllen konnte. Besonders Menschen, die durch eine Krebserkrankung und einer Chemotherapie ihre Fruchtbarkeit einbüßen mussten, danken ihm dafür sehr! Was Frau Merkel dazu sagt? Wer weiss? So ganz christlich findet sie dies sicherlicht auch nicht!
Was gab es sonst noch so?
Es gab wieder zahlreiche klinische Studien und neue Medikamente wurden gestestet. So etwa ein Impstoff aus der Tabakpflanze, welches gegen Non-Hodgkin-Lymphome eingesetzt werden soll. Ein mdm2-/p53-Hemmer gegen unterschiedliche Tumorarten stammt von einer Kooperation zwischen Boehringer Ingelheim und Priaxon. Aber auch der Wnt-Signalweg der dafür sorgt, dass sich während unserer Embryonalentwicklung Zellen an den korrekten Stellen positionieren und teilen, gilt als Ansatzstelle zur Krebsbekämpfung. Apropos Krebs: Das Myc-Gen wurde mehr oder weniger gefunden und als Krebs-Urgen eingestuft, da es bei 30% aller Tumorarten mutiert ist und 600 Millionen Jahre zurückverfolgt wurde und in einem Süßwasserpolypen nachgewiesen werden konnte.
Während hier in Deutschland die Internetgemeinschaft diskutierte, was nun besser wäre, ob nun Wissenschafts-Blogging oder Wissenschaftsjournalismus, gab es eine Studie, die Internetabhängigkeit mit Depressionen in Zusammenhang brachte. Weitere Studien, um diese Aussage zu erhärten, seien aber noch nötig. In welchem Paper findet man diese Aussage nicht? Vielleicht liegt es daran, dass so mancher Bürger der Wissenschaft misstraut?
Die Technik stand aber auch nicht still: Die STED-Mikroskopie wurde entwickelt und noch kleinere Strukturen wurden so bildlich darstellbar. Das renommierte naturwissenschaftliche Journal Nature kührte die Optogenetik als Technik des Jahres. Mit ihr kann man Zellfunktionen mittels Licht steuern. Wenn das mal nicht cool ist! Die Dip-Pen-Nanolithographie ist eine entwickelte Technik mit der man Proteine untersuchen kann. Sie erlaubt z.B. die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Lipiden und Proteinen mit Hilfe eines optischen Gitters. Empfindlichere Messungen von atomaren Interaktionen lassen sich seit diesem Jahr mit Hilfe der bimodalen Rasterkraftmikroskopie durchführen.
Es gibt so viel über das man aus diesem Jahr berichten könnte, aber wer schafft es schon, die ganzen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu lesen und zu bewerten? Eben, keiner! Die Forschung und Technik, die hier in diesem Artikel angesprochen wurde, ist zum teils aber wieder veraltet, da eben permanent an etwas rumuntersucht wird und stetig neue Erkenntnisse gewonnen werden! Nicht nur die Welt bleibt niemals stehen, auch die Wissenschaft schläft nie! So bleibt es zu hoffen, dass es auch 2011 viele neue Sachen gibt, von denen es sich zu berichten lohnt! Dessen bin ich mir aber sicher!
 
In diesem Sinne einen guten Rutsch und ein frohes neues Jahr 2011! Auf das wir dann endgültig die Personen klonen dürfen und können, die uns am liebsten sind!
 
Nachtrag: Völlig unerwähnt darf natürlich nicht die Veröffentlichung der ersten Ergebnisse des 1000-Genom-Projektes bleiben. Eine Studie, die versucht, einzelne Unterscheide in der DNA in uns Menschen aufzudecken und diese mit Krankheiten in Verbindung zu bringen.  
 
 
 

 
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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

1 Kommentar

  1. Jahresrückblick 2010

    Danke für den interessanten Jahresrückblick. Sicherlich sind die Höhepunkte für den Einzelnen individuell gestreut. Ich selbst fand für mich als absolutes Highlight das Ergebnis der Neandetaler Genom-Analsyen. Allerdings zeigt die Studie, dass nicht in jedem Menschen bis zu 4 % DNA der Neandertaler steckt, sondern nur in den Menschen, die heute nördlich der Sahara leben, also insbesondere in uns Europäern. Da sollte so einige Rassisten auch in Deutschland mal drüber nachdenken.

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